Community-Organizing ein Modell für den Mieter_innenkampf?

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Am 3.6.diskutierten in Berlin Mietrebell_innen aus verschiendenen Initiativen mit Robert Maruschke, der das Buch "Community Organizing - zwischen Revolution und Herrschaftssicherung"  in der Edition Assemblage herausgegeben hat über  dieses Konzept. 

Wie soll man die Menschen nennen, die sich gegen Mieterhöhungen wehren, Initiativen gegen Vertreibung in ihrer Nachbarschaft gründen oder sogar bereit sind, sich einer Zwangsräumung zu widersetzen?   Die Berliner Regisseure Gertrud Schulte Westenberg und Matthias Coers haben mit „Mietrebellen“ http://mietrebellen.de/  einen treffenden  Begriff   kreiert. So heißt ihr am 24. April angelaufene Film, in dem die Menschen im Mittelpunkt stehen, die in den letzten beiden Jahren in Berlin den Mietenprotest getragen haben. Die  verrentete Gewerkschafterin  ist ebenso vertreten wie der autonome Fahrradkurier.  Der Film porträtiert Menschen, die vielleicht noch vor einigen Jahren selber nicht gedacht hätten, sich an Protesten zu beteiligen  Die Besetzer der Seniorenbegegnungsstätte Stille Straße in Pankow und die Palisadenpanther, die sich erfolgreich gegen die Mieterhöhungen ihrer Seniorenwohnanlage gestritten haben, stehen für eine neue alte Protestgeneration.  Ein Ausschnitt aus dem Film wurde kürzlich  zu Beginn des Roten Abend der Internationalen Kommunist_innen http://interkomm.so36.net/archiv/roterabend.php  am 3.4. in Berlin  gezeigt, der sich der Frage widmete, ob Community Organizing ein Modell für den Mieter_innenkampf auch hierzulade sein kann.

 

 „Lernt Eure Nachbar_innen kennen“

Denn wer  organisiert die Mietrebellinnen, die nicht nur im Film gezeigt waren, sondern auch auf der Veranstaltung zu Beginn zu Wort kamen. Marie vom Mieter_innenbündnis FuldaWeichsel http://fuldaweichsel.wordpress.com/ aus Neukölln berichtet, wie der Kampf gegen die Zumutungen einer energetischen Modernisierung die Mieter_innen in ihren Haus zusammengeschweißt hat. „Lernt eure Nachbar_innen kennen“, die Parole, die in dem Mietrebellen-Film   auf einem Transparent zu lesen ist, haben die Mieter_innen praktiziert. Marie berichtete, wie sich das Verhältnis der Menschen zueinander verändert hat, berichtet aber auch darüber, dass immer einzelne    Mieter_innen vorangehen müssen, die Treffen einberufen und die Kontakte zu anderen Initiativen knüpfen müssen. Das liegt schlicht und einfach auch daran, dass eben nicht alle Menschen gleich viel Zeit und Kontaktmöglichkeiten haben. Auch hier stellt sich wieder die Frage nach der Organizing. Im Anschluss gab Grischa Dallmer einen kurzen Input zu der Bewegung gegen Zwangsräumungen in Spanien. Diese Bewegung ist in Spanien zu einem politischen Faktor geworden und hat auch für die hiesige Mieter_innenbewegung Impulse gegeben. Dallmer hat in dem kürzlich erschienenen Buch „Zwangsräumungen verhindern“  http://www.edition-assemblage.de/zwangsraumungen-verhindern/ ein längeres Interview mit einem Aktivisten der spanischen Mieter_innenbewegung veröffentlicht. Also auch hier die Frage der Organizing.

 

Alltagskämpfe mit dem Kampf gegen Kapitalismus verbinden

Im Anschluss     stellte der Berliner Politikwissenschaftler  Robert Maruschke das Konzept des tranformatorischen Community Organizing

http://www.edition-assemblage.de/community-organizing/  vor, die er bei einem USA-Besuch nicht nur theoretisch kennenlernte.  Maruschke  liefert nun eine knappee Einführung in  die Geschichte, die Theorie und Praxis der Stadtteilorganisierung. Beide Konzepte sind in den sozialen Bewegungen der USA entstanden. Dabei unterscheidet Maruschke zwischen einen staatstragenden  oder liberalen  und einen  transformativen oder revolutionären   Organizingkonzept. Erstes  beginnt bei den Social Settlement-Bewegungen vor mehr als 120 Jahren  und findet sich heute in den  Bürgerplattformen und ähnlichen Mitmachfallen, wie der Soziologe Thomas Wagner  verschiedene  Bürgerbeteiligungskonzepte nennt, die Mitbeteiligung versprechen,  aber vor allem zur reibungslosen Durchsetzung kapitalistischer Projekte dienen. Affirmative  Organizingmodelle  wollen soziale  Akteure mit dem kapitalistischen Staat versöhnen und werden oft von Unternehmen finanziert.  Auch  Saul Alinsky ordnet Maruschke diesen affirmativen Organizing-Modellen zu. Alinsky wird auch in Deutschland  in linken Initiativen  als   Pionier der Stadtteilorganisierung oft unkritisch rezipiert. Der Grund dafür liegt darin, dass er konfrontative Aktionsformen  propagierte. Doch sie  lediglich darauf ab, von den offiziellen Institutionen als Gesprächspartner anerkannt zu werden. Staat und Kapital hat Alinsky nie in Frage gestellt. Von linken Gruppen distanzierte er sich.   Im reichlich vertretenen Publikum wollte Alinsky bei der Veranstaltung niemand verteidigen, was etwas erstaunlich ist, da es in den vergangen Jahren auch in Deutschland  eine positive Presse zu ihm gab. So hatte Maruschke die Möglichkeit, das tranformatorische Organizingkonzept vorzustellen. Dabei betonte er immer, dass es nicht ein bestimmtes Konzept gibt, dem sich alle anschließen müssen. Auch transformatorisches Community Orgazing sei  ein dezentrales Projekt und wichtig sei, es den jeweiligen Bedingungen vor Ort anzupassen. So gibt es Projekte, die  sieben oder fünf, manche auch nur 4 zentrale Eckpunkte haben. Dazu gehören  auf jeden Fall die Priorität  auf die Basisarbeit und der Abschied von einer selbstbezogenen Politik in der linken Nische. Die vielen neu entstandenen Mieter_inneninitiativen wie auch di e Erwerbslosengruppen praktizieren eine solche Herangehensweise.  Dabei sei es für die Gruppenmitglieder wichtig, sich über ihre unmittelbare Alltagsarbeit hinaus, mit Geschichte sozialer Bewegungen   sowie der kapitalistischen Gesellschaft auseinanderzusetzen.  Das ist nach Maruschke eine Voraussetzung für eine   gesellschaftliche Praxis, die  über das Bestehende hinausweist. Dabei geht es darum, di e Alltagskämpfe, wie den Kampf für ein preiswertes Nahverkehrssystem, gegen Vertreibung oder gegen Sanktionen im Jobcenter mit dem Kampf gegen den Kapitalismus zu verbinden. Eine Geschichts- und Bildungsarbeit verhindert Illusionen, wie sie bei der     Veranstaltung im Publikum auch auftauchten. So wurde geäußert, da schon im Grundgesetz steht, „Eigentum verpflichtet“ sei es gar nicht sinnvoll, sich als revolutionär zu begreifen. Bei einer solchen Perspektive würde aber sofort die Sackgasse deutlich. Mit einem Verweis auf das Grundgesetzt wird niemand die Vertreibung aus seiner Wohnung  oder die Sanktionierung im Jobcenter verhindern können, mit einer starken   Erwerbslosen- und Mieter_innenbewegung aber sehr wohl. Es werden die Richter_innen und andere staatliche Institutionen sein, die das Grundgesetz sozial auslegen, um das Gesicht zu wahren. Es kann aber nicht Aufgabe einer außerparlamentarischen Bewegung sein, sich auf das Grundgesetz zu berufen. Dass ist auch eine Frage der politischen Bildungs- und Bewusstseinsarbeit, die auch in sozialen Bewegungen nicht automatisch abläuft. Daher wird die Frage, welche Rolle Community Organizing für die Mieter_innenkämpfe spielen kann, auch hierzulande noch länger diskutiert werden. Das große Interesse an der Veranstaltung und die vielen auch kritischen Fragen zu Theorie und Praxis des Community Organizing zeigen, dass Maruschke eine wichtige Debatte angestoßen hat.

 

Wie sinnvoll sind bezahlte Organizier_innen?

 

Zu den offenen Fragen wird auf jeden Fall gehören, ob es sinnvoll oder kontraproduktiv ist, dass es in den Bewegungen bezahlte Organizer_innen gibt, die von der Basis bezahlt und abhängig werden.     Hier gibt es Pro- und Contraargumente. Bezahlte könnten sich von der Basis entfernen, es könnte Abhängigkeiten  von den Geldgeber_innen geben, es könnte Streit um die wenigen bezahlten Stellen ausbrechen. Andererseits  ist unbezahlte Arbeit in außerparlamentarischen Gruppen mit Überausbeutung einiger weniger verbunden, die wiederum dadurch einen Wissensvorsprung  haben, was ebenfalls zu oft inoffiziellen Hierarchien auch in libertären Gruppen führt. Maruschke berichtete davon, dass in den Community Projekten in den USA durch bezahlte Stellen gerade der Einfluss des weißen Mittelstandes zurückgegangen ist, weil die bezahlten Stellen    überwiegend an Frauen und People of Colour gegangen sind, die schon keine Möglichkeiten gehabt hätten, politische Arbeit zu leisten.

 

LInk zur Veranstaltung über die berichtet wurde:

 

http://interkomm.so36.net/archiv/roterabend.php

 

Link zum BuchCommunity Organizing von Robert Maruschke:

 

http://www.edition-assemblage.de/community-organizing/

 

LInk zum Buch Zwangsräumungen verhindern, in dem sich auch das Interview mit den spanischen Mieter_innenaktivist_innen findet:

 

http://www.edition-assemblage.de/zwangsraumungen-verhindern/

 

Link zum Film Mietrebellen, der bundesweit in zahlreichen Kinos gezeigt wird:

 

http://mietrebellen.de/

Link zur im Beitrag erwähnten Mieter_inneninitiative FuldaWeichsel:

 

http://fuldaweichsel.wordpress.com/

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