Wo ist rechts?

Am Sonntag den 17.03.2024 fand in Bremen die dritte Demo "gegen Rechts" statt. Unter dem Motto "Laut gegen Rechts" versammelten sich laut "buten un binnen" und den vom Weserkurier zitierten Polizeiangaben ca. 5000 Teilnehmer. Die Organisatoren schätzen "weit mehr". Nach unseren Schätzungen waren es um die 3000 Teilnehmer. Trotz der im Vergleich zu den Vorveranstaltungen deutlich geringeren Teilnahme immer noch eine verhältnismäßig große Anzahl von Leuten.

Bei strahlendem Sonnenschein entfaltete sich eine fröhliche, entspannte Party-Atmosphäre "für die Demokratie", um die "gefährlichen Tendenzen abzuwehren" und "Gesicht zu zeigen". Denn man könne "gar nicht genug demonstrieren". Mit dabei auch die "Omas gegen Rechts" die in Gesangstexten dazu aufriefen, sich "zu wehren" und "Widerstand zu leisten". Schließlich ginge es darum, dass wir "in allen Bereichen unserer Gesellschaft Haltung" bräuchten und "Haltung können wir üben", wie einer der Initiatoren in seiner Rede erklärte. "Ganz Bremen gegen die AfD" skandierte die Menge. In einer Schweigeminute wurde den Opfern rassistischer Übergriffe gedacht. Die Teilnehmer waren überwiegend gut angezogene "Bio-Deutsche" mit bunten Klamotten und bunten Haaren, die bunte Fahnen schwenkten. Trotz eines Ausländeranteils von über 20% in Bremen, waren nur vereinzelt Menschen mit Migrationshintergrund zu sehen.
 
So war unsere kleine Aktivisten-Gruppe auch diejenige mit dem deutlich größten Anteil, von Teilnehmern, die selbst oder deren Eltern oder Großeltern nicht in Deutschland geboren sind. Auf einigen "Social Media"-Kanälen hatten wir uns kurzfristig für die Demo verabredet, um den Völkermord in Gaza und die Situation in Palästina zu thematisieren. Viele aus unserer Gruppe kannten sich nur lose vom Sehen oder überhaupt nicht. Zu Beginn war teilweise überhaupt nicht klar, wer dazugehörte. Erst im Verlauf der Ereignisse wurde deutlich, dass zu uns neben einer größeren Gruppe von Palästinensern auch einige mehrheitlich migrantische (wahrscheinlich türkische/kurdische) jugendliche Antifaschisten, eine kleine Gruppe von Trotzkisten, sowie Menschen aus unterschiedlichen Nationalitäten (spanisch sprechend, rumänisch, irisch, ...) gehörten.
 
Seit Oktober finden in Bremen wöchentliche Demos statt, durch die auf den fortlaufenden Genozid in Gaza aufmerksam gemacht werden soll. Trotz rasant steigender Opferzahlen fällt die Beteiligung an diesen Demos und Kundgebungen wesentlich geringer aus, als auf den bisherigen "Demos gegen Rechts". Von den zahlreichen Teilnehmern dieser Events nimmt offenbar so gut wie keiner Anstoß an der AI-gestützten Bombardierung von Krankenhäusern, Schulen, Kirchen und Moscheen, dem hohen Anteil an zivilen Opfern, Männern, Frauen und insbesondere Kindern, der gezielten Ermordung von Reportern, Medizinern, IT-Experten und Angehörigen von Hilfsorganisationen, der Blockierung von Hilfelieferungen und dem Einsatz von Hunger als Waffe etc. pp. Die Diskrepanz zwischen diesen offenkundigen Grausamkeiten und der ausbleibenden Reaktion der besorgten "Gegen Rechts"-Demoteilnehmer, bei gleichzeitiger Aufregung über "Enthüllungen", von Politikzielen einer rechtspopulistischen Oppositionspartei, die die etablierten Parteien in teilweise extremerer und konsequenterer Form bereits praktisch umsetzen, hat uns veranlasst an der Veranstaltung teilzunehmen.
 
Unsere Gruppe fand sich ohne genaue Verabredung auf fast magische Weise relativ weit vorne, ca. 20 Meter vor dem Lautsprecherwagen, der auch als Bühne für weitgehend inhaltsleere Reden diente, in denen es um Friede, Freude und Eierkuchen ging. Erkennbar waren wir als zusammengehörige Gruppe zu dem Zeitpunkt nur an den Kufiyas der Palästinenser, an einem ca. DIN A2 großen Schild mit den Aufschriften "Stoppt den Völkermord" und "Keine Waffen für Israel", einem Transparent mit einer Friedenstaube und einem Pappschild mit der Aufschrift "Zionismus = rechts".

So unauffällig unsere Gruppe auch war, erregte insbesondere das "Stoppt den Völkermord/Keine Waffen für Israel"-Schild sofort Aufmerksamkeit. Neben einer Reihe von Beschimpfungen und Beleidigungen erfolgten zunächst Belehrungen der Art "dies sei hier heute nicht das Thema", denen von unserer Seite entgegnet wurde, dass es sich hier doch angeblich um eine "Demo gegen rechts" und bei der Netanyahu-Regierung um eine extrem rechte Regierung mit faschistischen Ministern handele, deren Gräueltaten von der Bundesregierung mit Waffenlieferungen unterstützt werden. Dem folgten Forderungen von Teilnehmern und dann von Ordnern, das Schild runter zunehmen. Die Zurückweisung dieser Forderung resultierte in einer wachsenden Zahl von Ordnern, woraufhin die Palästinenser ihre mitgebrachten Fahnen entrollten und den Träger des beanstandeten Schildes in ihre Mitte nahmen. Dies wiederum führte zu zahlreichen Diskussionen (bzw. wüsten Beschimpfungen), Gedränge und Geschubse, Versuchen das "Stoppt den Völkermord/Keine Waffen für Israel"-Schild mit anderen Fahnen zu verdecken und zahlreichen Buh- und "Runter mit den Fahnen"-Rufen. Die Gruppe wurde als Antisemiten diffamiert, die islamistische Fanatiker unterstütze. Der Genossin mit dem "Zionismus = rechts"-Schild wurde ihr Plakat aus den Händen gerissen. Dieser Tumult zog sich über die gesamte Auftaktkundgebung hin.
 
Nach der Kundgebung beschlossen wir dem Zug nicht zu folgen. Wir postierten uns an dem Anstieg zum Osterdeich und ließen die gesamte Demo noch einmal an unseren Fahnen und Plakaten vorbeilaufen. Nur selten sahen wir zustimmende oder verständnisvolle Gesten, häufig Drohgebärden.    
      
Der offene Rassismus und die aggressive Fremdenfeindlichkeit, die uns auf dieser Demo "gegen Rechts" entgegenschlug und allen Arabern und Pro-Palästina-Aktivisten pauschal Homophobie und Antisemitismus unterstellt, ohne das geringste Mitgefühl für die mittlerweile annähernd 32.000 Toten zu zeigen, ist nicht nur in Bremen anzutreffen. Auch aus anderen Städten gibt es Berichte von gewaltsamen Übergriffen auf Migranten und heftigsten Anfeindungen (siehe dazu z.B. den nd-Bericht vom 05.02.24 "Leipzig: Beim Protest gegen rechts sind nicht alle willkommen" in dem von ähnlichen oder schlimmeren Vorfällen aus Leipzig, Berlin und Münster berichtet wird).     
 
Dabei sind einige fundamentale Erkenntnisse der Demonstranten durchaus richtig. Auch wenn sie sich nicht auf den fortlaufenden Völkermord bezog, stimmt die Aussage einer vom Weserkurier zitierten Teilnehmerin: "Wer schweigt, ist nicht dagegen!" 
 

Siehe auch:

buten un binnen | regionalmagazin: buten un binnen mit sportblitz vom 17. März | ARD Mediathek
 
Demo: Leipzig: Beim Protest gegen rechts sind nicht alle willkommen | nd-aktuell.de
 

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