Rede zum Krieg gegen Geflüchtete beim Antikriegstag in Göttingen

Vorbemerkung: Zum heutigen Antikriegstag hatte ein breiteres
antimilitaristisches Bündnis unter dem Motto "Gegen Militarismus - für
offene Grenzen" in Göttingen zu Redebeiträgen und symbolischen
Antikriegsaktionen auf den Göttinger Rathausmarkt mobilisiert. Trotz
Schietwetters kamen und blieben 50-70 Leute stundenlang zusammen, lauschten den
Redebeitägen, tauschten sich aus und beteiligten sich an symbolischen
Antikriegsaktionen. Im folgenden der Redebeitrag des lokalen Bündnisses für
offene Grenzen - inclusive Linksammlung hintendran.
Dank an die Genoss*innen von a.l.i. und Friedensforum für den Anstoß zum antimlitaristischen Bündnis!
https://www.inventati.org/ali/index.php/76-ticker/2098-antikriegstag.htm...
Und dank an alle, die mit dabei waren in Vorbereitung und Ausführung des Aktionstages!

Rede zum Antikriegstag am 01. September 2023 in Göttingen

Über den Krieg gegen Geflüchtete

Worüber reden wir, wenn wir von der Abschottung der Festung Europa sprechen? Worüber sprechen wir, wenn wir an die mehr als 50.000 bekannt gewordenen getöteten Geflüchteten erinnern, die versuchten sich nach Europa in Sicherheit zu bringen?
Es wird von deutschen und europäischen Politiker*innen und Beamt*innen Krieg geführt. Ein Krieg gegen Geflüchtete, der das Ausmaß eines Krieges gegen das Menschenrecht auf Flucht selbst angenommen hat.
Dieser Krieg nimmt nur selten die Form eines sogenannten "Krieges hoher Intensität" an, wie ihn die Menschen beispielsweise in Syrien oder die Menschen in der Ukraine erfahren.
Zumeist lassen die Herrschenden Mittel geringerer Intensität einsetzen. Diese Mittel sind aber im Ergebnis auch tödlich - für geflüchtete Menschen wie für die Menschenrechte.
Sieht mensch es vor dem Hintergrund, dass zahlreiche Kriege weltweit wegen der Profite der deutschen und europäischen Waffenindustrien und zur Aufrechterhaltung des kapitalistischen Ausbeutungsystems geführt werden, erscheint es um so niederträchtiger, wie Menschen aus dem Globalen Süden an der Flucht hierher gehindert werden.

Es folgen drei Beispiele aus abertausenden von Grausamkeiten dieses Krieges gegen Geflüchtete, die in der Öffentlichkeit in der Regel systematisch beschwiegen werden:

Beispiel eins: Der deutsche Airbus-Konzern verdient Millionen Euro nicht nur in der Herstellung von Kriegswaffen, sondern auch in der Produktion von Grenzüberwachungstechnologie. Diese Technologie wurde und wird mit Genehmigung der Bundesregierung auch an Saudi-Arabien verkauft. Zusätzlich bildete die deutsche Bundespolizei saudische Grenzschützer in der Anwendung der Grenzüberwachungsinstrumente von Airbus aus. Spätestens seit Oktober letzten Jahres ist durch einen UN-Bericht bekannt, dass saudische Grenztruppen äthiopische Bürgerkriegsflüchtlinge an der Grenze zum Jemen foltern und niedermetzeln. Es gab hier mindestens 600 ermordete Geflüchtete. Wahrscheinlich geht die Zahl der Ermordeten in die Tausende. Aus Sicht der Bundesregierung scheint die einzige schlechte Nachricht dabei zu sein, dass diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die mit deutscher Unterstützung angerichtet werden, jetzt endlich Aufmerksamkeit erfahren.

Beispiel zwei: SPD-Innenministerin Faeser trieb gemeinsam mit EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen (CDU) und der italienischen Postfaschistin Meloni den dreckigen Deal mit der Regierung Tunesiens voran. Danach wird dieser vor dem finanziellen Bankrott stehende Staat von der EU nahezu 1 Milliarde Euro erhalten, wenn er Menschen noch intensiver als bisher daran hindert, nach Europa zu fliehen. Dieser Deal wurde ausgehandelt, während Tunesiens Regierung schwerste rassistische Pogrome gegen Menschen schwarzer Hautfarbe entfachte und immer wieder Hunderte Flüchtlinge in die Wüste Richtung Libyen abschob. Zusätzlich starben allein in den letzten Monaten aufgrund der EU-Grenzschutzdeals wahrscheinlich Hunderte Menschen auf der Flucht aus Tunesien über das Meer. Als Vorbild für den Deal wird dabei immer wieder der EU-Türkei-Deal angepriesen, der zulasten von Hunderttausenden Geflüchteten Milliarden von Euro in die Kassen des faschistoiden türkischen Regimes spülte.

3. Beispiel: Mehrfach ließen spanische Regierungen in den letzten Jahren Massaker an Geflüchteten durch ihre Grenzschutztruppen ausüben: Z.B. 2014 das Massaker von Tarajal an der Grenze zwischen Marokko und Ceuta mit mindestens 14 toten Geflüchteten, woran alljährlich am 6. Februar mit dem internationalen CommemorAction-Tag erinnert wird. Und 2022 das Massaker von Melilla/Nador mit mindestens 37 toten Geflüchteten. Hinzu kommen die ungezählten Toten, die spanische Grenzschützer*innen in Zusammenarbeit mit FRONTEX im Atlantik und im Mittelmeer zu verantworten haben. Auf dem NATO-Gipfel 2022 in Vilnius wurde kurz nach dem Massaker von Mellila auf Vorschlag des spanischen Ministerpräsidenten Sanchez beschlossen, dass die NATO-Armeen künftig auch direkt gegen Geflüchtete eingesetzt werden können - was in der Öffentlichkeit praktisch keinerlei Beachtung fand.
Die marokkanische Regierung erhielt dabei von der EU für das Behindern von Flucht 500 Millionen Euro und Außenministerin Baerbock stellte der marokkanischen Regierung als Belohnung weitere hunderte Millionen für Wasserstoffdeals in Aussicht.
Soweit das letzte Beispiel.

CDU und CSU fahren aktuell gemeinsam mit der AfD einen Angriff gegen das Grundrecht auf Asyl in ganz Europa. SPD, Grüne und FDP haben als Regierungsparteien gemeinsam dafür gestimmt, mittels des sogenannten Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS) die Zugangswege von Geflüchteten zum Asyl in Europa weitestgehend abzuschaffen. Das GEAS ist dabei das Kernstück des "Neuen Paktes zu Migration und Asyl", mit dem deutsche und europäische Politiker*innen fast aller Parteien die rassistische und wohlstandschauvinistische Abschottung des Kontinents vorantreiben. Wenn dieses Gesetzespaket Anfang nächsten Jahres in der EU mit der angekündigten Unterstützung der Bundesregierung beschlossen werden sollte, wird es auf Jahrzehnte Elend und Tod für Hunderttausende wenn nicht Millionen Geflüchtete mit sich bringen. Es sollen damit fortgesetzte Verbrechen gegen die Menschlichkeit EU-rechtlich abgesichert werden.
Das müssen wir gemeinsam in nunmehr letzter Minute verhindern.

Beendet den Krieg gegen Geflüchtete! Stoppt GEAS und das europäischen Rechtslosigkeitsrecht!
Abolish Frontex!

Für das Recht auf Flucht und Migration!
Freedom of movement is everybodies right!
Gegen jeden Krieg!

Bündnis für offene Grenzen, Göttingen zum 01. September 2023

Quellen für eigene Recherchen zum Thema:
(01) https://migration-control.info/de/blog/ (Texte auf deu/eng/frz/ara)
(02) https://www.proasyl.de/ (viele Infos auf deutsch)
(03) https://www.borderline-europe.de/ (viele Infos auf deu/eng)
(04) https://abolishfrontex.org/ (eng)
Hintergrundwissen zum "Neuen Pakt für Migration und Asyl" der EU gegen Geflüchtete:
(05) https://fluechtlingscafe-goettingen.com/pakt/ (deu)
(06) https://fluechtlingscafe-goettingen.com/aufruf-zum-handeln-gegen-die-ent... (deu)
Zum Massaker von Mellila/Nador:
(07) https://caminandofronteras.org/monitoreo/victimas-de-la-frontera-nador-m... (eng)
(08) https://www.theguardian.com/world/2023/aug/29/the-melilla-massacre-spani... (eng)
Zu den Massakern saudischer Grenzschützer an äthiopischen Geflüchteten:
(09) https://www.tagesschau.de/investigativ/monitor/saudi-arabien-grenzschutz...
(10) https://www.hrw.org/report/2023/08/21/they-fired-us-rain/saudi-arabian-m... (eng)
Zu den dreckigen Deals mit Tunesien und der Türkei:
(11) https://www.medico.de/blog/die-tuerkei-ist-nicht-sicher-19177 (deu)
(12) https://migration-control.info/de/blog/geas-meloni-und-die-lage-in-tunes... (deu)
(13) https://migration-control.info/de/blog/zur-situation-in-tunesien-und-dem... (deu)
Ein komplettes Buch zum unerklärten Krieg der EU gegen Geflüchtete gibt es auf englisch hier zum kostenlosen Download:
(14) https://www.assoziation-a.de/dokumente/mEUterei_Borders_of_Violence.pdf (eng)
Zur deutschen Druckausausgabe siehe: https://www.assoziation-a.de/buch/Grenzenlose_Gewalt

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