Zu einigen verharmlosenden Reaktionen auf die neuen Durchsuchungen bei vermeintlichen Mitgliedern des BetreiberInnenkreises von linksunten.indymedia

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Eine kritische Presseschau

 

Am Mittwoch, den 2. August 2023 fanden in Freiburg Haussuchungen bei fünf Linken statt, weil sie verdächtigt werden, den „organisatorischen Zusammenhalt“ (§ 85 StGB; es geht diesmal also nicht [vor allem] um § 129 StGB!) des – von Behörden und Gerichten als „Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘“ bezeichneten – ehemaligen BetreiberInnenkreis der früheren internet-Zeitung gleichen Namens aufrechtzuhalten, indem sie das Archiv der vormaligen internet-Zeitung im Inter­net mit neuem Vorwort (wieder)veröffentlichten haben sollen (vgl. PE der Staatsanwaltschaft Karlsruhe vom Tag der Durchsuchungen).

 

Verharmlosende Reaktionen und Wunschdenken

 

Bei Durchsicht der in den Tagen danach in verschiedenen linken und linkslibera­len Medien erschienen Artikel zu den Durchsuchungen zeichnet sich eine Ten­denz zur Verharmlosung der Durchsuchungen, das heißt: zum Nicht-Ernst-neh­men des neuerlichen staatlichen Angriffs, ab:

 

  • Es werden Witze gerissen über einen angeblichen Kampf des Staates ge­gen Windmühlen1 (obwohl doch erfolgreich durchgesetzt wurde, daß links­unten nicht mehr mit neuen Artikeln erscheint) und über eine staatliche „Phantom“-Jagd2 (obwohl nicht bestritten werden kann – und es auch poli­tisch nicht sinnvoll wäre, dies zu bestreiten –, daß es ein Moderationskol­lektiv von linksunten gab).

  • Es wird ein optimistischer Fehlschluß von dem alten eingestellten § 129 StGB-Ermittlungsverfahren auf das neue § 85 StGB-Ermittlungsverfahren gezogen.3

  • Es wird dabei suggeriert oder behauptet, daß alte Ermittlungsverfahren sei deshalb eingestellt worden, weil es – u.a. Dank-Festplatten-Verschlüsse­lung – an hinreichenden Beweisen für eine Vereinsförmigkeit des Betreibe­rInnenkreises von linksunten und für die Mitgliedschaft der Beschuldigten dort fehlte bzw. die Vereinförmigkeit sich sogar als bloßes „Behördenkon­strukt“ erwiesen habe4. Nach Darstellung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe wurde das alte Verfahren aber vielmehr eingestellt, weil es an hinreichen­den Beweisen für den Kriminellen Charakter der Vereinigung (im Sinne von § 129 StGB) fehlte. Darauf kommt es jetzt aber nicht (oder jedenfalls nicht vorrangig) an.

  • Das staatliche Vorgehen wird pathologisiert: „Eine Redensart, die fälschli­cherweise Albert Einstein zugeschrieben wird, besagt: ‚Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.‘“ (https://www.kontextwochenzeitung.de/editorial/645/fluch-der-karibik-razzias-rueckkehr-9015.html) –

    • obwohl diese Redensart mindestens genauso gut auf das linksradikale Bestreiten der Vereinsförmigkeit des BetreiberInnenkreises, das schon vor den Verwaltungsgerichten gescheitert war (siehe dazu unten), gemünzt werden könnte

      und

    • obwohl die Frage, welche Leute das linksunten-Archiv 2020 wieder ins Netz gestellt haben, alles andere als fernliegend und eher erstaunlich ist, daß diese Frage nicht schon früher auf staatliches Interesse stieß.

 

 

 

Fehlschluß vom alten auf das neue Ermittlungsverfahren

 

 

 

Wie bereits gesagt, wird von der Tatsache,

 

  • dass das alte Ermittlungsverfahren gegen den Betreiberkreis wegen des Verdachts auf Bildung einer Kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) – an­geblich in erster Linie wegen der Stärke der Verschlüsselung einer si­chergestellten Festplatte5 – fehlgeschlagen war,

 

der Schluß gezogen,

 

  • auch das Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Vereinsverbot werde ins Leere gehen.

 

 

 

Warum wurde das alte Ermittlungsverfahren eingestellt?

 

 

 

Dieser Schluß wäre aber nur dann berechtigt, wenn es tatsächlich an hinreichen­den Beweisen für eine Vereinsförmigkeit des BetreiberInnenkreises von linksun­ten und für die Mitgliedschaft der Beschuldigten dort gefehlt hätte. Denn der (‚reine‘) Vereinigungs-Begriff ist in § 129 StGB (worum es damals ging) einer­seits und in Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz und in § 85 StGB (worum es jetzt geht) andererseits nicht groß unterschiedlich (siehe Anhang 1 [S. 13]).

 

Nach – durchaus glaubwürdiger – Darstellung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe scheiterte das alte Ermittlungsverfahren aber nicht daran, sondern vielmehr daran, daß „nicht feststellbar [war], dass die auf der betreffenden Internetseite eingebrachten strafbewehrten Äußerungen nach ihrem Inhalt und ihrem Umfang derart dominierend waren, dass sie als ein bestimmender und prägender Zweck der Internetplattform ‚linksunten.indymedia.org‘ zu bewerten gewesen wären“ – also daran, daß nicht feststellbar war, daß es sich beim BetrieberInnenkreis von linksunten gerade um eine Kriminelle Vereinigung handelte:

 

„die im Zuge des Ermittlungsverfahrens gewonnenen Erkenntnisse ließen jedenfalls darauf schließen, dass sich die Beschuldigten am Aufbau und Betrieb der Internet­plattform ‚linksunten.indymedia.org‘ beteiligt hatten. Im Ergebnis kam es hierauf aber nicht (mehr) an“.

 

Denn: „Es war nicht feststellbar, dass die auf der betreffenden Internetseite einge­brachten strafbewehrten Äußerungen nach ihrem Inhalt und ihrem Umfang derart dominierend waren, dass sie als ein bestimmender und prägender Zweck der Inter­netplattform ‚linksunten.indymedia.org‘ zu bewerten gewesen wären, d.h. dass der Zusammenschluss der Betreiber als Vereinigung also gerade mit der Zielsetzung der Begehung von Straftaten – hier in Form von Äußerungsdelikten – erfolgt wäre.“

 

(siehe den Bericht von dg über eine im Mai 2023 an die Staatsanwaltschaft Karls­ruhe gestellte Anfrage und die dazu erhaltene Antwort: https://de.indymedia.org/node/279337; Abschnitte „Eine zweite – erfreuliche – Neu­igkeit“ und „Anmerkung“)

 

Sollte die von uns für durchaus glaubwürdig gehaltene Darstellung der Staatsan­waltschaft Karlsruhe unzutreffend sein, ließe sie sich von den Betroffenen pro­blemlos widerlegen, indem sie die Einstellungsverfügung in anonymisierter Form veröffentlichen. Solange die Verfügung nicht veröffentlicht wird und die Wahrheit der Darstellung der Autonomen Antifa und die Unwahrheit der Darstellung der Staatsanwaltschaft beweist, erscheint uns wahrscheinlich, daß

 

  • die Darstellung der Autonomen Antifa Freiburg aus juristischem Unver­stand

    oder

  • deshalb erfolgt, weil sich – gegenüber der linken und linksliberalen (der Rest nimmt das eh nicht zur Kenntnis) Öffentlichkeit – irgendetwas davon versprochen wird, wenn hinsichtlich des Einstellungsgrund etwas geflun­kert wird.

 

 

 

Die unterschiedlichen Tatbestandsmerkmale (das heißt: Bestrafungsvorausset­zungen) in § 85 StGB einerseits und § 129 StGB andererseits / Nur eine Teil­menge der verbotenen Vereinigungen sind zugleich Kriminelle Vereinigungen

 

 

 

Ist nun aber die Darstellung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe zutreffend, was den Einstellungsgrund in Bezug auf das alte Verfahren betrifft, so ist auch un­wahrscheinlich, daß das neue Verfahren am Vereinigungs-Begriff scheitert.

 

 

Dann kommt es vielmehr

 

  • auf den Unterschied zwischen Kriminellen Vereinigungen (§ 129 StGB) und vereinsrechtlich verbotenen Vereinigungen (§ 85 StGB)

    und

  • darauf an, ob sich die Vereinigung (also in Staatssicht: der alte BetreiberIn­nenkreis von linksunten) erfolgreich ihrem Verbot widersetzte und auch später noch (z.B. bei Veröffentlichung des Archivs 2020 und im Sommer 2022, als ein Redakteur von Radio Dreyeckland seinen Artikel veröffent­lichte, der ihm wegen des Verlinkung des Archivs [„Im Internet findet sich linksunten.indymedia.org als Archivseite.“] ein Strafverfahren einbrachte) existierte;

 

und bezüglich des ersten (der beiden letztgenannten) Punkte ist die Tinte, in der die Beschuldigten sitzen, daß der Begriff der vereinsrechtlich verbotenen Vereini­gungen deutlich weiter ist als der der Kriminellen Vereinigung; § 129 StGB ent­hält nämlich zwei Einschränkungen bzw. Begrenzungen, die Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz und § 85 StGB nicht enthalten:

 

  • Zum einen sind Kriminelle Vereinigungen – nach der gesetzliche Definition in § 129 Absatz 1 Satz 1 StGB – nur solche Vereinigungen, die „auf die Begehung von Straftaten gerichtet [sind], die im Höchstmaß mit Freiheits­strafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind“. Für vereinsrechtliche Vereinsverbote kommt es dagegen auf eine Mindest-Höchststrafe nicht an.

  • Außerdem werden aus dem Begriff der Kriminellen Vereinigung in § 129 Absatz 3 StGB6 drei Arten von Ausnahmefällen ausgeschlossen; in Bezug auf vereinsrechtlich verbotene Vereinigungen (bzw. in Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz7, der die juristische Grundlage für Vereinsverbote ist) findet sich eine solche Ausnahmeregelung (Einschränkung [des Begriffs]) nicht: [... siehe Bild / Synopse zum abstract ...]

 

Hinzukommt noch:

Die den Strafgesetzen zuwiderlaufende Vereinigungen sind ihrerseits nur eine Teilmenge der nach Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz verbotenen Vereinigungen: Denn dort sind drei alternative („oder“) Verbotsgründe genannt: „den Strafgeset­zen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten“.

„Alternativ“ heißt in dem Zusammenhang: Es müssen nicht alle drei Vorausset­zungen gleichzeitig vorliegen, sondern es genügt, daß eine vorliegt. Das heißt: Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz ist – wie die Normen über die „freiheitlich demo­kratische Grundordnung“ im Grundgesetz – vor allem eine Norm des präventiven Verfassungsschutzes9. Dieser Aspekt kam auch im Falle von linksunten zur An­wendung. Denn (der BetreiberInnenkreis von) linksunten wurde nicht nur wegen angeblicher Widerläufigkeit gegen die Strafgesetze, sondern auch wegen angeb­licher Gerichtetheit gegen die verfassungsmäßige Ordnung verboten.

 

Nun sind aber vier Dinge völlig klar –

  • erstens, daß das Bundesinnenministerium 2017 verfügte: „1. Der Verein ‚linksunten.indymedia‘ läuft nach Zweck und Tätigkeit den Strafgesetzen zuwider und richtet sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung. 2. Der Verein ‚linksunten.indymedia‘ ist verboten und wird aufgelöst.“

  • zweitens, daß diese Verfügung dadurch unanfechtbar geworden ist, daß die gegen das Verbot gerichteten Klagen am 29.01.2020 vor dem Bundes­verwaltungsgericht scheiterten (Nr. 5/2020 des Bundesverwaltungsgericht vom 30.01.2020: „Klagen gegen Verbot der Vereinigung „linksunten.indymedia“ bleiben erfolglos“)

  • drittens, daß – jedenfalls für den Normalfall10 – nicht vorgesehen ist, daß das Verwaltungsgerichtsverfahren vor den Strafgerichten neu aufgerollt wird; vielmehr ist § 85 StGB gerade verwaltungs-akzessorisch11 bzw. als sog. Ungehorsamsdelikt ausgestaltet: Es genügt, daß das Verbot verfügt wurde; daß es „unanfechtbar“ wurde und daß ihm zuwidergehandelt wurde. Nur letzteres ist – jedenfalls im Normalfall – von den Strafgerichten zu prüfen; nicht dagegen, ob das Verbot zu recht verfügt wurde.

  • viertens, daß das Bundesverwaltungsgericht zur Überzeugung gelangte, daß der BetreiberInnenkreis von linksunten jedenfalls bis zu seinem Verbot existierte und vereinsförmig organisiert war:

 

„Die verbotene Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘ war im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids ein Verein im Sinne des § 2 Abs. 1 VereinsG. Die Bedeutung der dort genannten Strukturmerkmale ist in der Rechtsprechung geklärt (aa.). […]. (bb.). Bei ‚linksunten.indymedia‘ handelte es sich um einen freiwilligen Zusammen­schluss einer Mehrheit von Personen zu einem gemeinsamen Zweck (cc.). Die Mitglieder dieser Vereinigung haben sich einer organisierten Willensbildung unter­worfen.“

(BVerwG, Urteil vom 29.01.2020 zum Aktenzeichen 6 A 1.19, Textziffer 37 [wird in Textziffer 38 - 47 genauer ausgeführt]; auch der Verwaltungsgerichtshof Baden Württemberg [Mannheim] hatte vorher schon in diesem Sinne entschieden; siehe dazu Anhang 2 [S. 15])

 

Existierte nun aber der BetreiberInnenkreis von linksunten jedenfalls bis zu sei­nem Verbot und war er jedenfalls bis dahin vereinsförmig organisiert (auch diese Feststellungen sind – jedenfalls im Normalfall – vor den Strafgerichten nicht er­neut zu prüfen),

so reduziert sich die Frage

  • für das jetzige neue Strafverfahren gegen vermeintliche Mitglieder des al­ten BetreiberInnenkreises auf die Frage, ob der „Verein“ auch nach seinem Verbot noch existierte und die Beschuldigten (weiterhin) dort Mitglied wa­ren

    und

  • für das Strafverfahren gegen den RDL-Redakteur Fabian Kienert auf die Frage, ob der „Verein“ auch bei Veröffentlichung von Kienerts Artikel noch existierte (dafür dürfte nicht einmal notwendig sein, daß auch konkrete Personen wegen Mitgliedschaft verurteilt werden, sondern die Überzeu­gung des Strafgerichts genügen, daß dort irgendwelche Leute weiterhin Mitglied sind – auch wenn sie sich zur Zeit vielleicht nicht ermit­teln lassen. Allerdings dürfte es schwierig sein, von dem Fortbestand des „Vereins“ auszugehen, wenn sich nicht beweisen läßt, daß das Archiv von Vereinsmitgliedern für den „Verein“ hochgeladen wurde, denn etwaige an­dere Vereinsaktivitäten aus der Zeit nach dem Verbot sind nicht bekannt).

 

Der „Verein“ – nur ein „Phantom“ bzw. eine gerichtlich gescheiterte „Be­hördenkonstruktion“?

 

Ein weiteres Problem ist die Rede vom „Verein“ als „Behördenkonstruktion“ oder „Phantom“. Dieser Sprachgebrauch verharmlost den Angriff des Staates als Nar­retei: Warum sollte der Staat etwas verbieten, was in Wirklichkeit sowieso nicht existiert(e)?!

 

In Wirklichkeit bestreitet allerdings keine Person, die bei einigermaßen klarem Verstand ist, daß das Moderationskollektiv / der BetreiberInnenkreis von linksun­ten jedenfalls bis zu dessen Verbot existierte. Ernsthaft strittig ist nicht dessen frühere Existenz, sondern dessen juristische Klassifizierung – und diese hängt nicht von linken oder linksradikalen Wünschen ab, sondern davon, ob die Ver­einsmerkmale des § 2 Vereinsgesetz auf ihn zutrafen:

„(1) Verein im Sinne dieses Gesetzes ist ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit [= Mehrzahl, dgs] natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammenge­schlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat.

(2) Vereine im Sinne dieses Gesetzes sind nicht

1. politische Parteien im Sinne des Artikels 21 des Grundgesetzes,

2. Fraktionen des Deutschen Bundestages und der Parlamente der Länder.“

(https://www.gesetze-im-internet.de/vereinsg/__2.html)

 Mit dieser Weite des vereinsgesetzlichen Vereinsbegriff („ohne Rücksicht auf die Rechtsform“) schließt er auch bestimmte informelle Zusammenhänge mit ein, und erweist das Vereinsrecht als ein scharfes Schwert der staatlichen Repres­sion. Ehrlicherweise muß zugestanden werden, dass das vor dem linksunten-Verbot wohl nur RechtsexpertInnen und linke AktivistInnen wußten, die sich noch an die Zeit der strafrechtlichen KommunistInnen-Verfolgung in der Bundesrepu­blik in den 1950er und 1960er Jahre erinnerten. In der linken und allgemeinen Öffentlichkeit war (und ist) dieses Thema nicht (mehr) bekannt gewesen. Und selbst den damaligen AnwältInnen des Betreiberkreises waren die Feinheiten des Vereinsrecht nicht wirklich geläufig.12

 

In der Tat kann der geltende weite Vereins-Begriff des Vereinsgesetzes kritisiert werden, aber diese Kritik ist an die Gesetzgebungsorgane und nicht an die Ver­botsbehörden (und die Gerichte), die das Vereinsgesetz anzuwenden haben, zu richten.

 

Soll dennoch – das heißt: trotz der Weite des vereinsgesetzlichen Vereins-Be­griffs – bestritten werden, daß der BetreiberInnenkreis von linksunten vereinsför­mig organisiert war, so muß sich mit den Definitionsmerkmalen des vereinsge­setzlichen Vereins-Begriffs auseinandergesetzt werden13 – auch wenn es am linksradikalen Ego kratzt, sich dazu herabzulassen.

 

Pathologisierende Metaphern

 

Die ganzen Metaphern über Windmühlen, Phantome und Wahnsinn der Behör­den verharmlost das staatliche Vorgehen, indem es als Angriff nicht ernst genom­men wird. Zugleich ist es aber eine Form des Verbalradikalismus und des Maul­heldInnentums14: In der Phantasie wird über die Repression gesiegt, während in der Wirklichkeit aber die Repression gesiegt hat und linksunten nicht mehr er­scheint.

 

Damit sind wir bei den grundsätzlichen Problemen der linken und bürgerInnen­rechtlichen Reaktionen auf das linksunten-Verbot, die zum nicht kleinen Teil hausgemachte Fehler waren und die

  • es der staatlichen Repression leicht

    und

  • die strategischen Stellungen von Linken noch schwächer als ohnehin

gemacht haben.

 

Das Verbot wurde von Anfang an auf die leichte Schulter genommen: Es wurde als Wahlkampfmanöver abgetan15 und – völlig unvernünftigerweise – damit ge­rechnet, das Verbot darüber kippen zu können, daß das Medium linksunten.in­dymedia in der Tat kein Verein ist. – Aber damit wurde von Anfang an

  • völlig leichtfertigerweise die Frage ignoriert, ob denn der BetreiberInnen­kreis ein Verein im Sinne des Vereinsgesetz ist,

  • genauso wurde der Umstand ignoriert, daß der Vereins-Begriff des Ver­einsgesetz sehr weit ist (letzterer Umstand mußte jedenfalls den AnwältIn­nen der Betroffenen spätestens seit dem Verbot bekannt sein, auch wenn sie sich vorher vielleicht nicht mit Vereinsverbots-Sachen befaßten und sich deshalb neu in die Materie einarbeiten mußten; ein Blick in das – in der Verbotsverfügung genannte und nicht allzu lange – Vereinsgesetz ge­nügte, um diesbezüglich im Bilde zu sein)

    sowie

  • versäumt, andere (stärkere) Argumente gegen das Verbot auszuarbeiten und in die Öffentlichkeit zu tragen. (Auch die AnwältInnen der Betroffenen behandelten – genauso wie das BMI – die Pressefreiheit jedenfalls in ihren öffentlichen Stellungnahmen lange Zeit stiefmütterlich – anscheinend, da sie meinten mit dem pauschalen Bestreiten der Vereinsförmigkeit16 ein Ass, das sich aber als eine Karo Sieben erwies, in der Hand zu haben].)

 

Eine selbst-kritische Diskussion über Fehler der politischen und juristi­schen Reaktionen auf das linksunten-Verbot ist überfällig

 

Würden die

  • politischen (linksunten erscheint nicht mehr)

    und

  • juristischen (entgegen jW vom 04.08.2023 gingen die meisten – und vor al­lem: wichtigsten – Verfahren verloren17 und kosteten viel Geld)

linken Niederlagen zur Kenntnis genommen (statt schöngeredet), wäre eine kriti­sche Diskussion

  • sowohl über die abwartende politische Reaktion auf das Verbot

  • als auch über die juristische Argumentation, die in den verschiedenen Ver­fahren vertreten wurde,

fällig.18

 


 

Anhang

 

Anhang 1:  Die Vereinigungs-Begriffe in § 129 StGB und Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz sind (vielleicht) nicht völlig identisch

 

[...]

 

 

Anhang 2:  Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg aus dem Jahr 2018

 

 

 

[...]

 

 

Anhang 3:  Die Verwechselung von Telemediengesetz und Rundfunkstaatsvertrag ist kein starkes juristisches Argument

 

 

 


 

 

[...]

 

1 [...]

 

[...]

 

[7] [...]

 

 

8 Läuft die verbotene Vereinigung ‚nur‘ den Strafgesetzen zuwider, so gilt – statt § 85 StGB – vielmehr § 20 Vereinsgesetz (mit geringerem Strafrahmen):

„Wer im räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes durch eine darin ausgeübte Tätigkeit

1. den organisatorischen Zusammenhalt eines Vereins entgegen einem vollziehbaren Verbot oder entgegen einer vollziehbaren Feststellung, daß er Ersatzorganisation eines verbotenen Vereins ist, aufrechterhält oder sich in einem solchen Verein als Mitglied betätigt,

2. […],

3. den organisatorischen Zusammenhalt ei­nes Vereines oder einer Partei der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Art oder deren weitere Betäti­gung unterstützt,

4. […],

wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in den §§ 84, 85, 86a oder den §§ 129 bis 129b des Strafgesetzbuches mit Strafe bedroht ist. In den Fällen der Nummer 5 gilt § 9 Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 oder 3 entsprechend.“

 

9 Dessen Tradition läßt sich mindestens bis in die Zeit der Sozialistengesetze am Ende des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen; vgl. dazu (allerdings weitgehend affirmativ): Rainald Maaß, Die Generalklausel des Sozia­listengesetzes und die Aktualität des präventiven Verfassungsschutzes, Decker & Müller: Heidelberg, 1990.

 

10 [...]

 

11 = zum Verwaltungsverfahren – bloß untergeordnet – hinzutretend (https://de.wiktionary.org/w/index.php?title=akzessorisch&oldid=9595931; vgl. https://www.dwds.de/wb/akzessorisch#d-1-1); zu: Akzessorietät = Abhängigkeit eines rechtlichen Umstandes von einem anderen (http://www.koeblergerhard.de/der/DERA.pdf, S. 11); hier: Abhängigkeit der Strafbarkeit davon, daß der Ver­ein verboten wurde, und davon, daß das Verbot unanfechtbar wurde – aber nicht davon, ob das Verbot rechtmäßig ist.

Im Rahmen der in FN 10 angesprochenen Möglichkeit, müßte die Verfassungsgemäßheit solcher verwal­tungs-akzessorisch Ungehorsamsdelikte – mit Argumenten! – bestritten werden.

 

12 [...]

 [...] 

17 [...]

 

18 Siehe dazu

  • den Artikel von dg in der jungen Welt vom 14.04.2023: „Es handelte sich also insgesamt um ein völlig undurchdachtes Vorgehen, dem es an Folgendem fehlte: an politischer Prioritätensetzung (siehe These 1 und 2), an Analyse der realen Gefahr bzw. Bedrohung, die von der Verbotsverfü­gung ausging (siehe These 3 und 4) sowie der wechselnden Lage auf dem Schlachtfeld (siehe bes. These 6), an historischer Kontextualisierung (siehe These 5 und 6) und folglich an Bestimmung des nächsten ‚Kettengliedes‘ (Lenin), nach dem zu greifen ist.“

    und

  • https://de.indymedia.org/sites/default/files/2023/04/Schill_interviewt_Schulze_Teil_II.pdf, S. 5 f.: „Wir hatten […] primär die Nutzer*innen und Leser*innen aufgerufen, sich mit dem verbotenen Medium (linksunten) zu solidarisieren […] unser Versuch zeigte auch, dass es eben diese solidarischen Nut­zer*innen scheinbar nicht mehr gibt. Damit war das Konzept politisch eigentlich schon gestorben, unabhängig von den Entscheidungen der Justiz. Daher gibt es jetzt auch keinen Versuch eines Neustarts mehr“ (Peter Nowak)

 


 

 

Die hier ausgelassenen Fußnoten und Anhänge befinden sich in der .pdf-Version dieses Artikel; siehe ergänzend auch:

https://www.untergrund-blättle.ch/politik/deutschland/durchsuchungen-linksunten-ein-unterstuetzbares-objekt-muss-her-7831.html.

 

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