Ist „Neonazis & Euromaidan“ ein Buch, in dem Nazis über Nazis schreiben? (Rezension)

Regionen: 
Cover des Buches 'Neonazis und Euromaidan' von Stanislav Byshok und Alexei Kotschetko

Im Juni 2014 tourten zwei bisher unbekannte russische Autoren mit einem Buch namens 'Neonazis und Euromaidan' durch Europa. In Berlin wurde eine Präsentaiton abgesagt, als herauskam, dass die Referenten ihre Jugend in der Neonazisszene verbracht haben und bis heute einschlägige Kontake dorthin pflegen. Diese Rezension befasst sich mit dem Buch selbst, seinem Inhalt, der Arbeitsweise der Autoren und der ideologischen Ausrichtung.

Zur Debatte um 'Neonazis & Euromaidan'

Am 25. Juni 2014 sollte im Gebäude des Neuen Deutschland in Berlin eine von der Zeitung ‚Junge Welt‘ präsentierte Veranstaltung stattfinden, auf der die russischen Autoren Stanislav Byshok und Alexei Kotschetko ein Buch names ‚Neonazis & Euromaidan. From Democracy To Dictatorship‘ vorstellen wollten [1]. Das Ganze war von dem umstrittenen ukrainischen Aktivisten Sergej Kiritschuk vermittelt worden, der der stalinistischen und pro-russischen Organisation Borot’ba angehört. Als sich herausstellte, dass die vermeintlichen Rechtsradikalismusexperten Byshok und Kotschetkow selbst eine Vergangenheit in der Neonaziszene haben und bis heute Kontakte dorthin bestehen [2], wurde die Veranstaltung kurzfristig abgesagt [3].

Die Referenten setzen dann zunächst ihre Tour durch Europa fort, eine Berliner Ausweichveranstaltung fand am 7. Juli 2014 im ‚Haus der Russischen Kultur und Wissenschaft‘ in der Friedrichstraße statt. Als Organisatoren traten Heinrich Bücker vom ‚Coop Antikriegscafé‘ und ein nach eigenen Angaben nicht-organisierter Mann namens Milan Markez auf, der die Moderation und Übersetzung vor Ort übernahm. Die beiden Friedensaktivisten publizierten eine Rechtfertigung im Internet, in der sie das Buch als wichtigen Beitrag zur aktuellen Russland-Ukraine-Krise bezeichnen [4].

Auf die früheren und aktuellen Aktivitäten von Byshok und Kotschetkow ist von anderen Autoren bereits eingegangen worden [5]. Der Inhalt des Buches selbst ist bisher noch nicht eingehend betrachtet worden, was mit dieser Rezension nun versucht werden soll.

Abb. 1: Stanislaw Byshok gibt dem russischen Fernsehen am Rande der Präsentation in Berlin ein Interview

Zum Buch

Diese Rezension bezieht sich auf die Druckfassung der englischen Ausgabe von ‚Neonazis & Euromaidan. From Democracy To Dictatorship‘, die von Anna Nikiforova übersetzt wurde. Sie ist im Mai 2014 im Verlag der russischen Nichtregierungsorganisation  ‚Commonwealth of the Independent States - Election Monitoring Organization‘ (CIS-EMO) erschienen, bei der beide Autoren arbeiten [6]. Auf der Website der NGO wird das Buch überdies im PDF-Format kostenlos zum Download angeboten [7].

Die Autoren gliedern ihre Analyse in zwölf Kapitel, von denen sieben dem Aufstieg der Partei ‚Svoboda‘ gewidmet sind, zwei allgemein den neonazistischen Umtrieben bei dem Euromaidan-Protesten sowie jeweils eines der Sammelorganisation ‚Rechter Sektor‘ und dem Pogrom von Odessa. Das letzte Kapitel beschäftigt sich mit der Psychologie des ukrainischen Rechtsradikalismus.  Im Appendix finden sich zusätzliche Dokumente und eine Chronik rechtsradikaler Verbrechen in der Ukraine.

Dass die Svoboda weitestgehend im Vordergrund steht, dürfte nicht zuletzt darin begründet sein, dass der Hauptteil des Inhalts aus Stanislav Byshoks Monographie ‚Illiuziia Svobody: Kuda Vedut Ukrainu Novye Banderovtsy‘ übernommen wurde, die 2013 beim Moskauer Verlag ‚Knizhnyi mir‘ auf Russisch erschienen ist [8]. Dieser Verlag veröffentlichte im Januar 2014 auch die russische Originalfassung des vorliegenden Bandes unter dem Titel ‚Evromaydan imeni Stepana Bandery. Ot demokratii k diktature‘ [9]. Im gleichen Monat erschien dort zudem ‚Navalnyy. Chelovek, kotoryy ukral les. Istoriya blogera i politika‘ von Stanislav Byshok und Alexei Semonov, in dem die Autoren sich mit dem national-demokratischen Blogger Alexei Nawalny befassen [10]. Auch Semonov ist für CIS-EMO tätig [11], er hat zudem die Chronik im Appendix des vorliegenden Buches verfasst (vgl. S. 194-223).

Wenngleich beide Autoren ihren akademischen Hintergrund im Klappentext betonen und sowohl Sprachstil als auch Aufmachung der Arbeit einen wissenschaftlichen Anspruch andeuten, kommt ‚Neonazis & Euromaidan‘ ohne Anmerkungsapparat aus. Die wenigen Fußnoten dienen lediglich kürzeren inhaltlichen Ergänzungen. Auch ein Literaturverzeichnis suchen Leser*innen vergebens. Das Buch enthält 51 größtenteils farbige Foto-Abbildungen.

Abb. 2: Byshok (li.) und Alexej Kotschetkow (2.v.r.) stellen ihr Buch in der russischen Staatsduma vor

Zum Inhalt

Einleitend stellen die Autoren fest, dass der Nationalismus in der Ukraine seit den Ereignissen 2013/2014 ebenso Mainstream geworden sei wie es der Linksradikalismus in Russland 1917 gewesen sei oder der Islamismus in der arabischen Welt im Frühling 2012 (vgl. S. 10). Gleich auf der nächsten Seite erfahren wir allerdings auch, dass der ukrainische Nationalismus bereits seit der Unabhängigkeit des Landes 1991 „a political and historical mainstream“(S. 11) war. Aufmerksame Leser*innen ahnen an dieser Stelle bereits, dass die bevorstehende Lektüre reich sein wird an stark vereinfachten Geschichtsvergleichen und widersprüchlichen Aussagen.

Die rechtsradikale Svoboda-Partei ist auf dem Maidan die einzige Kraft gewesen, die wirklich überzeugte Aktivisten mobilisieren konnte, erfahren wir. Die liberal-demokratischen Parteien hingegen mussten arme Leute für das Demonstrieren bezahlen, sie vor jeder Veranstaltung mit Symbolen ausstaffieren und während der Proteste von professionellen Vorarbeitern anleiten lassen (vgl. S. 11). Diese Idee mag für manch einen Leser zunächst verblüffend klingen, gegen Ende des Hauptteils jedoch erfahren wir, wie so etwas möglich war: Direkt aus der US-Botschaft wurden jedem Teilnehmer 200 US-Dollar pro Tag gezahlt. Spezielle Kader durften sich sogar über $5000/Tag freuen, wenn sie Angriffe auf die Staatsmacht koordinierten (vgl. S. 128). Dass die Autoren jeglichen Beleg für diese gewagte Theorie schuldig bleiben, dürfte kaum überraschen.

Weil sie im Gegensatz zur gekauften Truppe der liberalen Demokraten straff organisiert und ernsthaft überzeugt waren, ist es den Rechtsradikalen gelungen, zur dominierenden Kraft auf dem Maidan zu werden und von dort aus innerhalb kurzer Zeit das ganze Land ins Chaos zu stürzen, das unter dem Präsidenten Janukowitsch zwar korrupt, aber doch wenigstens stabil gewesen sei (vgl. S. 12). Bei den Studenten, die die pro-europäischen Maidanproteste begonnen haben, handelte es sich lediglich um konsumorientierte „liberal democratic hipsters“ (S. 15). Als die Sonderpolizei Berkut am 30. November mit großer Brutalität angriff, hatten sie deren Knüppeln nur ihre iPads entgegen zu setzen, wird etwas süffisant festgestellt. Seit Ende 2013 spielten sie dann keine Rolle mehr (vgl. S. 15).

Diese eigenwillige Schilderung widerspricht nicht nur den Aussagen von Augenzeugen wie der Yale-Studentin Jennifer Carrol [12] [13]. Die Politikwissenschaftler Andreas Umland und Anton Schechowzow, die seit vielen Jahren zum ukrainischen Rechtsradikalismus forschen, haben wiederholt darauf hingewiesen, dass rechte Gruppen auf dem Maidan durchaus präsent waren, aber nicht als dominierende Kraft gelten können [14]. Darauf gehen Byshok und Kotschetkow zwar explizit ein, aber nur, um diese Einschätzung kurzerhand zurückzuweisen und die beiden international renommierten Experten mit Joseph Goebbels zu vergleichen (vgl. S. 15)

Die Autoren von ‚Neonazis & Euromaidan‘ vermuten, dass westliche Experten und Medien ein Interesse daran hätten, den Russen ein irrationales Schuldgefühl einzureden. Denn obwohl Russland niemals Kolonien gehabt habe, weder im Zarenreich noch zur Sowjetzeit, und stets uneigennützig für den Aufbau und die Entwicklung seiner Provinzen gesorgt habe, gäbe es einen „post-colonial guilt complex“ in der postsowjetischen Intelligenz und der „creative class“ (S. 14), erfahren wir staunend (vgl. S. 14-15).

Nachdem das geklärt ist, arbeiten Byshok/Kotschetkow die Entwicklung der Svoboda-Partei chronologisch ab, angefangen mit der Gründung ihrer Vorläuferorganisation SNPU im Oktober 1991 (vgl. S. 19). Seit Ende der 1990er Jahre intensivierte diese ihre Kontakte zu rechten Parteien in ganz Europa und wurde Mitglied in der Europäischen Allianz der nationalen Bewegungen (AEMN), der unter anderem auch der Front National aus Frankreich, Jobbik aus Ungarn oder die British National Party angehören (vgl. S. 24-25).

Heute ist die ukrainische Rechtspartei bekanntlich nicht mehr im AEMN organisiert. Das liegt den Autoren zufolge daran, dass die Jobbik den von der Svoboda wiederholt geäußerten Hass auf die ungarische Minderheit in der Ukraine nicht mehr hinnehmen wollte (vgl. S. 25-26). Diese Darstellung erscheint zunächst in sich schlüssig. Auch Anton Schechowzow hat bereits im September 2013 über Spannungen zwischen Svoboda und Jobbik geschrieben. Schechowzow nennt als hauptsächliches Problem jedoch, dass sich die ungarischen Rechtsradikalen der Internationalen Eurasischen Bewegung des russischen Rechtsradikalen Alexandr Dugin annäherten [15].

Dugin gilt nicht gerade als Freund der ukrainischen Souveränität. Anfang 2014 sagte er in einem Interview mit dem österreichischen Neurechten Manuel Ochsenreiter, die Ukraine sei ein artifizielles Gebilde, grundsätzlich gespalten in einen pro-russischen Osten und einen Westen, der die Russen hasse. Der Maidan sei von westukrainischen, russophoben Neonazis dominiert [16]. Das ist bemerkenswert, wird doch Dugin selbst der radikalen Rechten zugerechnet, etwa von Andreas Umland, der über dessen Aufstieg ins Moskauer Establishment promoviert hat [17].

Abb. 3: Kotschetkow teilt auf Facebook einen Link des Rechtsesoterikers Alexandr Dugin. Bei der Meldung handelt es sich um einen Fake, der behauptet, das verwendete Bild eines Massengrabs in Srebrenica sei kürzlich in der Ostukraine aufgenommen worden.

Der offene Bruch der Svoboda mit der AEMN erfolgte nach der Krim-Annexion, nicht im Zuge vorheriger Spannungen [18]. Der Kreml unterhält intensive Beziehungen zu Rechtspopulisten und –radikalen in Europa [19]. Im Mai 2014 bekannten sich 15 von den 24 einflussreichsten rechten Parteien Europas offen zur Politik der russischen Regierung, nur drei ausdrücklich nicht [20]. Die ukrainischen Rechtsradikalen sind heute vollkommen isoliert. Das macht sie natürlich nicht sympathischer, lässt aber ihre tatsächlichen Handlungsspielräume in einem anderen Licht erscheinen. Für Byshok/Kotschetkow spielt das alle keine Rolle.

Ausführlich werden von ihnen hingegen rassistische Äußerungen verschiedener SNPU- und Svoboda-Politiker dokumentiert (vgl. S. 27-30). Erstaunlich jedoch ist die Schlussfolgerung, dass es ausgerechnet eine White-Power-Ideologie sei, die die Rechten zur Befürwortung der EU-Integration verleiten würde (vgl. S. 31). Das aktuelle Parteiprogramm ist zwar nicht offen rassistisch, doch dafür gibt es eine Erklärung: ein zweites, geheimes Programm enthält entsprechende Passagen, vermutlich (vgl. S. 34-35). Immerhin gehen „some experts“ (S. 34) davon aus, dass es dieses Dokument geben könnte.

Auf die Idee, die Svoboda habe sich vielleicht - wie andere europäische Rechtsparteien - einem zumindest formal gemäßigten Kurs zugewendet, kommen die Analytiker nicht. Im Gegenteil, deren russophobe und rassistische Grundeinstellung radikalisierte sich ihrer Ansicht nach. Um das zu belegen, werden weitere Ereignissen und Aussagen herangezogen (vgl. S. 40-43). Ebenso wird der Hass der Rechten auf Andersdenkende, „gender minorities“ (S. 44) und Juden betont (vgl. S. 44-45). Etwas unklar bleibt dabei allerdings, welchen Einfluss die einzelnen Aktivitäten tatsächlich hatten und wie manche zum handfesten Skandal werden konnten (vgl. S. 45). Solches Denken ist doch angeblich längst Mainstream in der Ukraine, wie wir eingangs erfuhren.

Die Krim-Annexion kommt nur am Rande vor, eingebunden in anekdotenhafter Form, wobei die Bewohner als Russen beschrieben werden, die einfach so „unhappy“ (S.48) mit dem Machtwechsel in Kiew waren, dass sie sich für eine ‚Rückkehr‘ nach Russland entschieden. Die ukrainischen Nationalisten seien dort hingegen nie willkommen gewesen, Aufmärsche scheiterten am Widerstand von Kommunisten und Sozialisten, da half es dem Sovoboda-Chef Oleh Tjahnybok auch nicht, dass er vom Geheimdienst SBU geschützt wurde (vgl. S. 48-51).

Der nationalistische Spuk war auf der Halbinsel erst vorbei, „when Crimea got unter control of the republic militia Self-Defense Force” (S. 50). Damit sind wahrscheinlich jene nicht gekennzeichneten Bewaffneten gemeint, von denen Wladimir Putin bereits Mitte April selbst zugab, dass unter ihren Sturmhauben russische Soldaten steckten [21]. Bei den Experten Byshok und Kotschetkow scheint die Enthüllung ihres Präsidenten wenigstens bis zur Drucklegung des Buches nicht angekommen zu sein. Stattdessen streuen sie schnell einen abwegigen Vergleich der Svoboda mit dem NSDAP-Funktionär Alfred Rosenberg ein (vgl. S. 50).

Abb. 4: Byshok postet auf Facebook ein Bild, das ihn auf einer Veranstaltung des rechtsgerichteten Internetportals Modus Agendi zeigt

Es fällt auf, dass die Ereignisse und Entwicklungen durchweg tendenziös dargestellt werden. Dabei lassen sich vier grundlegende Komponenten herauskristallisieren, aus denen die Autoren ihre Narrative konstruieren:

  1. Aufgereihte Fakten, die weitgehend unstrittig sind oder von verschiedenen Quellen übereinstimmend berichtet werden
  2. Inhaltliche Vertiefung mit starker Betonung einzelner Aspekte bei gleichzeitiger Weglassung anderer
  3. Unreflektierte Übernahme von Propagandamythen der russischen Massenmedien, meist kurz vor Ende des Kapitels
  4. Geschichtsvergleiche, die jedem Historiker vor Entsetzen die Nackenhaare aufstellen müssen, gewissermaßen als Pointe eingebaut

Nach dieser Struktur sind die einzelnen Kapitel grundsätzlich aufgebaut. Eines jedoch ist sicher gesondert hervorzuheben. Es trägt den Titel: „National Socialism from Krupp to Kolomoyski“ (S. 59). Darin beschäftigen sich Byshok und Kotschetkow mit der Frage der Finanzierung der Svoboda. Die brauche schließlich Geld, so wie schon die bolschewistische ‚Iskra‘ Geld gebraucht habe, das sie bei dem Unternehmer Sawwa Morosow fand. Oder die NSDAP, die ja bekanntlich nicht nur von Krupp, sondern auch von jüdischen Bankiers wie Max Warburg oder Baron Rothschild finanziert wurde. (vgl. S. 60)

Warburg und Rothschild als Geldgeber Hitlers und damit des Holocausts… Diesen Humbug scheinen die Autoren tatsächlich für Allgemeinwissen zu halten. Hiermit jedoch beginnt die erstaunliche Beweiskette erst.

Der jüdische Oligarch Ihor Kolomojskyj ist nicht nur „citizen of both Ukraine and Israel” (S. 60), sondern auch Besitzer einer Bank und mehrerer Ölfirmen. Das haben die Forscher nach eigenen Angaben auf Wikipedia erfahren. Petro Symonenko, der Chef der Kommunistischen Partei der Ukraine habe darauf hingewiesen: So wie die Juden Hitler 1932 zur Macht verholfen hätten, so würde nun Kolomojskyj die Svoboda finanzieren (vgl. S. 60). Doch damit nicht genug. Nach dem Wahlerfolg der rechten Partei im Oktober 2012 habe der Oligarch öffentlich verkündet, die ukrainischen Juden bräuchten nun nicht in Panik geraten, es bestünde keine Gefahr für sie (vgl. S. 63). Das Ausbleiben antisemitischer Ausfälle seitens der Svoboda-Anhänger werten die Autoren als Beleg für deren Verstrickung mit dem jüdischen Unternehmer (vgl. S. 63-64).

Um einen offensichtlichen Widerspruch in ihrer Darstellung zu erklären (Überzeugte Antisemiten äußern sich nicht judenfeindlich.), konstruieren Byshok und Kotschetkow kurzerhand eine Verschwörungstheorie (Die Juden kontrollieren die Antisemiten.) Viel deutlicher hätten sie ihren eigenen Antisemitismus wohl nicht zu erkennen geben können.

Die „Jewish trace“ (S. 61) ist aber bei weitem nicht die einzige Konspiration, die aufdeckt werden soll. Auch die Partei der Regionen des Ex-Präsidenden Janukowitsch habe die Svoboda unterstützt, um dadurch die Vaterlandspartei von Julia Timochenko auszubooten. Dabei sei nicht zuletzt die kriminelle Unterwelt hilfreich gewesen (vgl. S. 68-70). Eine Umfrage Anfang 2013 nannte die Svoboda als drittstärkste Partei, Vertreter der Partei der Regionen bezeichneten Tyahnibok als größten Rivalen Janukowitschs bei der Präsidentschaftswahl. Daraus schlussfolgern die Autoren etwas nebulös, der Staatschef habe sich die eigene Opposition herangezüchtet (vgl. S. 83-85).

In einen tiefgehenden Konflikt hingegen scheinen die Rechten mit der orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats zu stecken. Hervorgehoben wird ein Vorfall, bei dem sie in einer Kathedrale randaliert, Priester geschlagen und ungehörige Schimpfworte ausgesprochen haben sollen, woran auch UDAR-Anhänger beteiligt gewesen seien. Bereits im Aufruf zu dieser infamen Aktion ist der Moskauer Patriarch Kyrill I. respektlos mit seinem bürgerlichen Namen Wladimir Gundjajew bezeichnet worden (vgl. S. 70-72) Die Ursache des Hasses vermuten Byshok und Kotschetkow darin, dass das Zentrum der Nationalisten im griechisch-katholisch geprägten Westen der Ukraine liegt (vgl. S. 150). Zulauf bekämen die Nationalisten außerdem vor allem deshalb, weil sich im 20. Jahrhundert neben der liberalen Demokratie auch der Atheismus durchgesetzt habe, wodurch die Menschen ihren Halt verloren hätten (vgl. S. 139).

Byshok und Kotschetkow konstruieren einen grundsätzlichen Gegensatz zwischen westlich-dekadentem Nationalismus und östlich-orthodoxem Traditionalismus, dessen haarstäubende Absurdität offensichtlich wird, wenn wir uns die Verstrickungen des genannten Moskauer Patriarchen Kyrill I. mit dem russischen Nationalismus anschauen [22] [23] [24].

Abb. 5: Kotschetkow (2.v.r.) bei dem rum-orthodoxen Patriachen von Antiochia Johannes X.

In der Ukraine stellen die CIS-EMO-Analytiker einen weiteren schwer wiegenden Konflikt fest: Obwohl die Mehrheit der Menschen auch zu Hause Russisch spricht, wird die Sprache seit 1991 systematisch unterdrückt (vgl. S. 74-76). Die Svoboda bekämpft das Russische in besonders hysterischer Weise. Ihr Hass richtet sich vor allem gegen russischsprachige Bürger Kiews, weil sie zu Mittätern einer angeblichen gewaltsamen Russifizierung erklärt werden (vgl. S. 147), die es in Wirklichkeit niemals gegeben hat.

Dieses dichotome Schwarz-Weiß-Bild ‚Russisch versus Ukrainisch‘ widerspricht der Darstellung des Sprachwissenschaftlers und Osteuropa-Forschers Gerd Hentschel, der weder einen unüberwindlichen Gegensatz noch eine Unterdrückung erkennen kann [25] [26].

Doch Byshok/Kotschetkow klären uns auch auf, warum die tief verankerte Verachtung für das Nachbarland, die sie den Ukrainern attestieren, besonders fehl am Platze ist: ‚Die Russen‘ als solche haben ‚die Ukrainer‘ nicht nur von polnischen, tartarischen und deutschen Invasoren befreit, sie sind auch die „builders of basically all infrastructure in the country“ (S. 152). Der Russenhass werde vor allem auch vom Rechten Sektor getragen, der die organisatorische Führung des Euromaidan innegehabt habe (vgl. S. 115), erläutern die Autoren. Diese rechtsradikale Dachorganisation sei mit dem ukrainischen Geheimdienst SBU und – wir ahnen es – der CIA verstrickt (vgl. S. 115-116). Belege – auch hier: keine.

Die ukrainische Russophobie ist ein Rassismus mit letztlich eliminatorischer Absicht – und läuft daher auf eine „[f]inal solution“ (S. 38) hinaus, erfahren wir weiter. Darin besteht eine ungebrochene Kontinuität seit dem Zweiten Weltkrieg (vgl. S. 38-40). Das Feindbild des ‚Russen‘ hat das des ‚Juden‘ ersetzt, um im Westen anschlussfähig zu werden (vgl. 152-153). Dort gelte nämlich offener Antisemitismus im Vergleich zu Russophobie immer noch als „greater sin“ (S. 64).

Seinen Hass – woher auch immer der kommt - kanalisiert der heutige ukrainophone Nazi, der die Juden nicht mehr verfolgen darf, indem er den russischen Nachbarn zum Ziel macht, der ihm eigentlich sehr ähnlich ist (vgl. S. 152-153). Byshok/Kotschetkow erkennen im auf Vernichtung zielenden Russenhass nicht weniger als eine Art Staatsideologie der heutigen Ukraine, die weite Kreise der Gesellschaft erfasst hat, auch die einst gemäßigteren (vgl. S. 156-157).

Das Kapitel zur Chronologie des Euromaidan (vgl. S. 86-99) verfolgt offenbar das Ziel, die zunehmende Ausbreitung der angeblichen Russenvernichtungsideologie aufzuzeigen. Der Svoboda-Mann Oleh Tyahnibok wird zum Revolutionsführer verklärt, der die gewaltsame Eskalation ab dem 1. Dezember erfolgreich vorangetrieben habe (vgl. S. 88). Die Autoren ignorieren einerseits, dass er nur einer von sehr vielen regelmäßigen Rednern war – und dass sie selbst an anderer Stelle den konkurrierenden Rechten Sektor als dominierende Kraft auf dem Platz nannten.

Dass außerdem Politiker wie Jazeniuk, Klitschko und Poroschenko bezahlte Schläger der Regierung, die sogenannten ‚Tituschky‘, für die Provokation von Straßenschlachten verantwortlich machten und zur Ruhe aufriefen, erfahren wir nicht [27] [28]. Auch diese Darstellungen der CIS-EMO-Analytiker arbeiten mit der bereits bekannten Mischung aus Fakten, Auslassungen und Verzerrungen, das zeigt ihr Vergleich mit seriöseren Quellen  [29] [30].

Im Kapitel über das grauenhafte Pogrom von Odessa zweifeln Byshok/Kotschtkow erst einmal die offiziellen Opferzahlen an, die ihrer Ansicht nach wesentlich höher gewesen sein könnten (vgl. S. 131). Dabei berufen sie sich auf einen regionalen Abgeordneten, der einen kurzen Auftritt in den russischen Medien hatte  [31]. Trotz der Unklarheiten sind sie sich aber andererseits sicher, zu wissen, wer die die Organisatoren waren: der ‚Maidanaktivist‘ Mikola Volkov habe vor Ort das Kommando geführt, Mastermind sei der Politiker Andrij Parubij gewesen. (vgl. S. 131-132)

Diese auf YouTube-Videos basierende Theorie hat abseits von Propaganda [32] und diversen für Verschwörungstheorien bekannten Seiten [33] bislang kein Gehör gefunden. Amnesty International und Human Rights Watch jedenfalls teilen die Einschätzung nicht [34]. Auffällig ist die durchgehend verwendete Bezeichnung „Odessa massacre“ (S. 129), die offenbar eine Parallele herstellen soll zu dem historischen Massaker von Odessa 1941, bei dem 24.000 Juden ermordet wurden [35].

Abb. 6: Alexej Semenov (li.) und Byshok mit einer Ausgabe ihres Buches über den Blogger Alexej Nawalny

Im Appendix findet sich neben einem Manifest der neonazistischen Splittergruppe Sozial-Nationale Versammlung (SNV) ein weiteres, zusammengefasstes der „Zwergorganisation“ (Umland [36]) ‚Dreizack des Stephan Bandera‘, die dem Rechten Sektor angehörte. Zu Bedeutung und Hintergrund dieser Dokumente erfahren die Leser*innen nichts.

Den Abschluss bietet eine Chronik rechtsradikaler Gewalttaten (vgl. S. 194-223), die der Gastautor Alexej Semenov (s.o.) im Auftrag der Information Group on Crimes against the Person (IGCP) verfasst hat. Als „Coordinator“ [37] des Think Tanks IGCP wird auf dessen Homepage der umstrittene Historiker Aleksandr Dyukov bezeichnet, der bisher vor allem durch Essays aufgefallen ist, in denen er Stalins Massendeportationen im Baltikum relativierte. Einen akademischen Grad hat der Revisionist zwar ebenso wenig vorzuweisen wie von der internationalen Geschichtsforschung anerkannte Publikationen, dafür aber ein Einreiseverbot in Lettland [38].

Als einziger Text des Buches enthält diese Chronik Quellenhinweise. Die meisten der knapp beschrieben Ereignisse werden mit Berichten russischer Staatsmedien belegt.  In ihrer Mitte findet sich unter anderem die bei Verschwörungstheoretikern weltweit beliebte Theorie, Scharfschützen der Opposition hätten auf dem Maidan Demonstranten und Polizisten gleichermaßen beschossen (vgl. S. 198-199). Als Beleg dient hier konkret ein Artikel des Centre for Research on Globalisation (CRG) von Michel Chossudovsky. Der Kanadier versorgt die globale Truther-Szene bereits seit 2001 mit pseudowissenschaftlichen Veröffentlichen zu einschlägigen Themen wie 11. September, New World Order, HAARP, Impfstoffe usw. [39]

Abb. 7: Byshok und Kotschetkow mit dem umstrittenen Historiker Alexandr Dyukov (rechts) in Warschau

Fazit

Leider gibt es nur sehr wenige seriöse Forscher, die sich ernsthaft mit dem ukrainischen Rechtsradikalismus auseinandersetzen. Stanislav Byshok und Alexei Kotschetkow ändern mit dem vorliegenden Buch nichts an dieser Tatsache. Auffällig ist, dass sie ihre Analyse innerhalb eines relativ kurzen Zeitraumes erstellen konnten. Auf welcher Basis sie steht, ist nicht nachvollziehbar, da für den Hauptteil kein Quellenapparat angeboten wird. Ob eventuell Forschungsergebnisse spezialisierter und mit dem Thema besser vertrauter Wissenschaftler selektiv und ungekennzeichnet verwendet wurden, lässt sich im Rahmen dieser Rezension leider nicht untersuchen, es kann aber nicht ausgeschlossen werden.

‚Neonazis & Euromaidan‘  ist als ein hochgradig manipulatives, pseudowissenschaftliches Buch einzustufen.

Die nicht selten tatsächlich grotesken, abstoßenden und hasserfüllten Aussagen von rechten ukrainischen Politikern werden ausgiebig zitiert und paraphrasiert, aber der Kontext, in dem sie gefallen sind, ist nur selten erkennbar. Daher wirken sie noch irrationaler als sie ohnehin schon sind. Alle Entwicklungen in der Ukraine werden einzig aus der Mentalität und Ideologie bestimmter Personen und Gruppen im Land erklärt, wobei nur selten genannt wird, wie viele Anhänger diese überhaupt haben oder wie es tatsächlich um ihre gesellschaftliche Bedeutung steht.

Was internationale Einflüsse angeht, spielen ausschließlich tatsächliche oder vermeintliche Einmischungen von EU und USA eine Rolle, die russische Außenpolitik wird komplett ausgeklammert. Entweder es gibt sie nicht oder sie erscheint – wie am Beispiel der Krim-Annexion – als quasi natürlicher und unausweichlicher Lauf der Dinge.

Die Vorgehensweise der Autoren lässt ein Muster erkennen: Ausgehend von einer Aufzählung unumstrittener Fakten erfolgt in der Regel eine Vertiefung bestimmter Details. Gezielt werden dabei jene Aspekte hervorgehoben, die die Ansichten der Autoren bestätigen, alle anderen hingegen systematisch ausgeblendet. Eine Abwägung findet nicht statt, widersprüchliche Aussagen tauchen nur dann auf, wenn sie sofort abgewiegelt und als absurd dargestellt werden können. Eingestreut werden - gewissermaßen als Sahnehäubchen – Mythen, die bislang nur in den russischen Staatsmedien und der westlichen Verschwörungsszene eine Bedeutung hatten.

Insgesamt scheint es das Ziel der Autoren zu sein, Narrative aus den Kreml-Medien auf ein intellektuelles Niveau zu hieven. Das gelingt allerdings nicht in einer Weise, die geeignet sein kann, kritische Leser*innen zu überzeugen, da die methodischen Unzulänglichkeiten und die insgesamt pseudoakademische Arbeitsweise sofort auffallen muss.

Die Argumentationen von Byshok/Kotschetkow lassen zudem ein Weltbild erkennen, das gewisse Ähnlichkeiten zu dem der russischen neuen Rechten aufweist. In diesem Zusammenhang ist vor allem auf bestimmte auffällige Dichotomien hinzuweisen:

  • westlicher Individualismus / östlicher Kollektivismus
  • westliche Konsummentalität / russisch-orthodoxe Spiritualität
  • ukrainisches Chaos / russische Stabilität
  • angelsächsischer Imperialismus / russische Entwicklungshilfe

Der Grundtenor ist der eines unausweichlichen Konfliktes zwischen zwei Welten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Dem Westen wird hierbei die Rolle des alleinigen Aggressors zugeschrieben. Der Faschismus ist eine der Erscheinungsformen dieser Aggression und ein Phänomen, dass der östlichen, russischen Welt vollkommen fremd ist.

Obwohl Antisemitismus bei ukrainischen Rechtsradikalen problematisiert wird, argumentieren Byshok und Kotschetkow selbst streckenweise antisemitisch, was ihnen nicht einmal aufzufallen scheint. Damit disqualifizieren sie sich endgültig für jede weitere ernsthafte Auseinandersetzung. Abgesehen davon muss die schamlose Instrumentalisierung der Toten des Pogroms von Odessa für Propagandazwecke verurteilt werden.

Wahrscheinlich richten sich die Autoren an eine Leser*innenschaft, die zwar wenig dezidierte Kenntnisse, dafür aber eine starke Meinung zum Thema mitbringt, die der russischen Propagandalinie entspricht. Ein solches Weltbild soll mit einem Anschein von Wissenschaftlichkeit bestätigt werden, hinter dem sich aber nichts als Propaganda, Verschwörungstheorie und Revisionismus verbirgt.


 

Anmerkungen

Bilder: 
Lizenz des Artikels und aller eingebetteten Medien: 
Creative Commons by-nc-sa: Weitergabe unter gleichen Bedingungen - nicht kommerziell

Ergänzungen

Und nun die neue Folge in der indymedia-Reihe "Nazifaschisten relativieren und auch in linken Kreisen hoffähig machen".

Zitat: "Auf die Idee, die Svoboda habe sich vielleicht - wie andere europäische Rechtsparteien - einem zumindest formal gemäßigten Kurs zugewendet, kommen die Analytiker nicht."

Wie sollten sie auch, trug das Institut der Partei doch noch bis Anfang dieses Jahres den Namen Joseph Goebbels. Den Namen haben sie dann geändert, wahrscheinlich nachdem ihnen die Naziversteher von der HB-Stiftung geraten haben, dass das im westlichen Ausland nicht so gut ankommt.

Selbst die Konrad-Adenauer-Stiftung als Mitorganisatorin des Regierungsumsturzes in der Ukraine, als Hauptförderin der UDAR, selbst diese Stiftung, die die neue Regeirung mit der Beteiligung der Swoboda unterstützt, wenn diese im Juni 2013 über Swoboda schreibt, die Partei habe aus iher „Anlehnung an die nationalsozialistische Ideologie der NSDAP“ keinen Hehl gemacht, und weiter:

"Ihre historischen Wurzeln sieht Swoboda in der Organisation Unabhängiger Nationalisten (OUN) und deren bewaffneten Arm, der UPA. Sie verherrlicht Stepan Bandera als den politischen Anführer der UPA. Die Geschichte der OUN/UPA ist sehr umstritten, da sie sich neben ihrem Freiheitsbestreben als ukrainische Nationalbewegung gegen die Rote Armee zwischen 1941-44 auch an Kriegsverbrechen gegen Juden, Polen und Russen schuldig gemacht hat. Noch im Oktober letzten Jahres organisierte Swoboda eine Demonstration zum Gedenken des 70. Jahrestages der UPA und versammelte zu dieser Veranstaltung 10.000 Teilnehmer, wobei einige Aktivisten die Flaggen der regierenden „Partei der Regionen“ und der Kommunistischen Partei der Ukraine (KPU) in Brand setzten. Die tiefe gegenseitige Abneigung von KPU und Swoboda beruht auf diesen historischen Wurzeln. Noch im Jahr 2011 organisierte Jurij Mychaltschyschyn, ein hoher Parteifunktionär und Vertrauter von Tjahnybok, eine Kundgebung zu Ehren der Gründung der Division Waffen-SS Galizien, die in der UPA eingegliedert war. Die Geschichtsmythologie von Swoboda um OUN/UPA spaltet de facto die Ukraine, da der fanatische Kult um Stepan Bandera beim Großteil der Bevölkerung in der Ost- und Südukraine auf strikte Ablehnung stößt."

Übrigen wurden Gedenkmärsche in Ehren der Waffen-SS von der Swoboda auch dieses Jahr in guter alter Tradition in der Westukraine abgehalten.

Seit Monaten können wir auf Indymedia lernen, dass der "fanatische Kult" von Waffen-SS-Anhängern in Wahrheit die harmlose Folklore einer demokratischen Bewegung sei, die sich nur verzweifelt gegen die imperialistischen Gelüste des bösen Iwan zur Wehr setzt.

Offenbar war der "Neustart" von Indymedia auch ein inhaltlicher: Gemeinsam mit Nazis und faschistischen Terrorbanden, solange es nur im Interesse der deutschen Außenpolitk ist. Einfach nur widerlich...

 

In dem Text wird an keiner Stelle behauptet, dass die Svoboda etwas anderes als rechtsradikal und abzulehnen ist. Die tatsächliche Naziszene in der Ukraine ist hier nicht das Thema. Diese Thematik muss gesondert betrachtet werden.

Die Rezension beschäftigt sich mit russischer, rechtskonservativer Propaganda, die die weit verbreitete Unkenntnis im Westens zum ukrainischen Rechtsradikalismus ausnutzt.

@ Krzysztof W. Rath 

"In dem Text wird an keiner Stelle behauptet, dass die Svoboda etwas anderes als rechtsradikal und abzulehnen ist."

Der von mir zitierte Satz IST eine Relativierung der Swoboda. Da beißt die Maus keinen Faden ab.

"Die tatsächliche Naziszene in der Ukraine ist hier nicht das Thema."

Es gibt also auch eine "untatsächliche" Naziszene? Wieder eine Relativierung. Denn damit behauptest du, in dem Buch gehe es nicht um die "tatsächliche Naziszene", sondern um etwas anderes. Ach ja, um russische Propaganda, sagst du. Vielen Dank für die nächste Relativierung der "tatsächlichen" Naziszene, deren paramilitärischen Todesschwadrone mit Unterstützung der Kiewer Regierung mordend durch das Land ziehen:

http://www.youtube.com/watch?v=mlKacrqOmIw

 

lieber "Antifa", bist du derjenige, der hier relativiert, nämlich in dem er auf platteste Weise von berechtigter Kritik ablenkt, weil sie ihm nicht ins Weltbild passt.

Dass du mit deinem Nick auch noch anmaßt, für eine ganze Bewegung zu sprechen und quasi "auf der guten Seite zu sein", spricht im Übrigen Bände...

Zum Beispiel, dass die Autoren anscheinend glauben, ein Zuviel an Einwanderung könne eine Gefahr darstellen für Sicherheit, Wohlbefinden und nationale Identität des aufnehmenden Staates (S. 24), oder dass sie es für einen allgemein anerkannten Fakt halten, dass die Versuche Großbritanniens und Deutschlands, eine multikulturelle Gesellschaft zu schaffen, gescheitert seien (140). Hat mich echt gewundert, dass du solche Sachen überhaupt nicht erwähnst, wie kommt’s?

Bevor ich auf weitere Einzelheiten eingehe, möchte ich zunächst meinen Dank ausdrücken, dass du dir die Mühe gemacht hast, das Buch zu rezensieren. Meinen Respekt auch für die Qualität deines Textes, wobei du stellenweise nicht so sorgfältig vorgehst wie es zunächst aussieht. Denn du gibst Textstellen sehr tendenziös wider, auch die Auswahl ist tendenziös, letztlich machst du genau das, was deiner Meinung nach die Autoren machen. Was sie jedoch nicht machen, zumindest nicht systematisch.

Stop. Erstmal möchte ich betonen, dass ich deine Rezension sehr wichtig finde. Ich bitte, dies im Hinterkopf zu behalten, das mein ich ernst. Manche Sachen sind mir beim Lesen des Buches gar nicht aufgefallen, und ich bin ehrlich dankbar für die Arbeit, die du geleistet hast.

Zum Beispiel, dass die Autoren wie selbstverständlich von „Experten“ sprechen, nach denen einflussreiche jüdische Banker die NSDAP finanziert hätten. Mir war gar nicht bewusst, dass das nicht stimmt! Hab mich jetzt erst, in Folge deiner Rezension näher damit beschäftigt, zwar nur oberflächlich, aber dabei verstanden, dass diese Behauptung Bullshit ist. (Dazu kommt noch was.)

Darauf aufbauend aber nahezulegen, dass die Beschäftigung der Autoren mit dem „jüdischen Oligarchen Kolomoiski“ aus anti-semitischem Hintergrund erfolge, und dass die Autoren an einer Verschwörungstheorie strickten, wonach „die Juden die Antisemiten kontrollieren“, das stimmt nicht.

Die Gerüchte, dass Kolomoiski die Swoboda finanziert haben soll, findest du massiv in ukrainischen Medienberichten, und die Autoren betonen, dass es sich dabei um Gerüchte handelt. Sie sprechen von einer „popular theory“ (62) und schließen mit den Worten „It is hard to tell if Kolomoiskyi has financed or is financing Svoboda“ (63).

Gerade diese Stelle im Buch hatte mich mit am meisten irritiert, und ich nahm es zum Anlass, dazu im Internet zu recherchieren:

Hier findest du Kolomoiski’s Ansage während des 7. Jüdischen Kongresses der Ukraine, dass man sich keine Sorgen machen solle wegen des Einzugs der Swoboda ins Parlament. (31.10.2012)

http://www.pravda.com.ua/rus/news/2012/10/31/6976306/

- „So lange es Juden gibt, wird es auch Anti-Semiten geben. Was den alltäglichen Anti-Semitismus angeht, was kann man da machen? […] Juden sind die nationalistischste Nation der Welt. Wir sind das von Gott erwählte Volk, bzw. wir glauben das, … unser Leben, unsere Existenz, ruft entsprechende Reaktionen hervor.“ Man müsse unterscheiden zwischen Alltags-Anti-Semitismus und staatlichem Anti-Semitismus, bei ersterem könne man nichts machen, letzteres hingegen gäbe es zur Zeit nicht, und sollte er aufblühen, werde man ihm entschieden entgegentreten.

So spricht Kolomoiski. Ich empfehle, diesen Artikel zu lesen, google translator müsste das hinkriegen, falls du kein Russisch kannst.

Nachdem du das gelesen hast, lies hier weiter, denn diese Haltung hat er schon zuvor immer mal wieder geäußert und entsprechend Kritik geerntet. Am 30.12.2010 schrieb Eleonora Groisman im online-Portal „Jüdisches Kiev“ unter dem Titel „Tyagnibok und Kolomoiski entfachen ein großes Feuer in der Ukraine“ eine Kritik an der Verniedlichung des alltäglichen Anti-Semitismus in der Ukraine, sowohl von Tyagnibok als auch von Kolomoiski.

http://evreiskiy.kiev.ua/tyagnibok-i-kolomojskij-razzhigayut-v-7496.html

Im selben Portal findet sich auch ein Interview mit Sergei Ratushnyak vom 12.12.2010 mit dem Titel „Infolge der Habgier jüdischer Oligarchen leiden einfache Juden“, wo er kurz einwirft, dass Kolomoiski z.B. die Swoboda finanziere. Insgesamt geht es darin um die sozio-ökonomische Situation in der Ukraine und das Zusammenspiel von Armut und Xenophobie bzw. Anti-Semitismus.

http://evreiskiy.kiev.ua/sergej-ratushnyak-iz-za-alchnosti-7203.html

Hier die auch im Buch erwähnte Aussage von KPU-Chef Simonenko, dass in den 30ern Juden Hitler an die Macht gebracht hätten, und Kolomoiski jetzt den gleichen Fehler mache, indem er die Swoboda finanziere. Bezogen auf den Wahlkampf in Tarnopol

http://korrespondent.net/ukraine/politics/778707-simonenko-zayavil-chto-...

- das ist vom 20.3.2009, und Simonenko sagt weiter, dass gerade ein „amerikanisches Projekt in der Ukraine“ laufe, mit dem Ziel, Arsenij Jazenjuk an die Macht zu bringen… Zumindest bei letzterem scheint er prophetisch inspiriert gewesen zu sein…
 

Kolomoiski hat sich mehrfach positiv über die Swoboda geäußert, so im Dezember 2010: er hoffe, dass die Swoboda das Vakuum füllen könne, welches die Parteien der Orangenen Revolution hinterließen, nachdem sie sich selbst diskreditiert haben.

http://www.pravda.com.ua/rus/news/2010/12/7/5652083/

Ich könnte diese Liste fortsetzen, Kolomoiski ist glaub ich eine der umstrittensten Figuren der ukrainischen High Society. Hier hast du weitere Infos zu ihm (auf Russisch leider nur)

http://bp.ubr.ua/profile/kolomojskiy-igor-valerevich

Und bitte nicht vergessen: Infolge des Euromaidans wurde er zum Gouverneur der Oblast Dnepro-Petrovsk ernannt, von wo aus der Rechte Sektor, Kolomoiskis eigene Miliz „Dnepr“, und auch das Bataillon „Donbass“ operieren, bzw. dort ihre Kämpfer trainieren.

Was Janukowitsch’s „Hoffnungen“ angeht, mit einer Stärkung der Swoboda die Opposition zu schwächen (nach dem Motto „Teile und Herrsche“), inklusive der daran geknüpften Hoffnung, 2015 als Präsident wiedergewählt zu werden – auch dazu finden sich Medienberichte in ukrainischen Blättern

http://www.pravda.com.ua/rus/news/2013/02/1/6982652/

http://texty.org.ua/pg/video/editorial_1/read/7596/Regional_ziznavsa_shh...

Eine andere, von den Autoren erwähnte Quelle war die Artikel-Reihe „Das Geld Tjahniboks“, eine Sammlung von Fakten und Spekulationen über die nicht transparenten finanziellen Hintergründe der Swoboda:

http://expres.ua/main/2013/06/13/88677-groshi-tyagnyboka-dokumenty-fakty

Das ist der erste Teil, wo auch Kolomoiski erwähnt wird. Im Zweiten geht es um Geschäfte zwischen Mitgliedern der KPU und Swoboda

http://expres.ua/main/2013/08/19/92115-groshi-tyagnyboka-2-biznes-serpom...

Hier noch der dritte und vierte Teil:

http://expres.ua/main/2013/09/16/93785-groshi-tyagnyboka-3-hazyayin-part...

http://expres.ua/main/2013/10/28/95943-groshi-tyagnyboka-4-ugola-dyyavolom

Ich kann zwar kein Ukrainisch, aber einiges versteh ich. Ich hab nur in die ersten beiden Teile reingeguckt und sie, so gut es ging, überflogen.
 

Dieses Thema also, die Partei Swoboda, so wie es im Buch geschildert wird, war und ist Teil der ukrainischen Öffentlichkeit, und insofern ist es mehr als lesenswert, was die beiden Autoren abgeliefert haben. Die in den zuvor genannten Links zu findenden Informationen (und auch die aus den folgenden Links) waren Quelle für das Buch.

Dass das Buch wissenschaftlichen Standards nicht genügt, ist richtig, es ist ja auch keine wissenschaftliche, sondern eine publizistische Studie. Das ändert aber nichts daran, dass ein kritische Leserin viel über die Svoboda und allgemein über die ukrainische Gesellschaft daraus ziehen kann.

Das ist meine Meinung dazu, und mit dieser Motivation hab ich mich an der Präsentation beteiligt, nachdem ich alle von mir überprüften Aussagen der beiden Autoren in ukrainischen Medienberichten wiederfinden konnte.

 

Weiter. Auch das feindliche Verhältnis der Swoboda zur orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats, und deren teilweise gewalttätigen, immer jedoch rassistisch-xenophob geäußerten Protestaktionen finden sich in Medienberichten

http://nr2.com.ua/video/%C2%ABsvoboda%C2%BB-vnov-trebuet-snosa-hrama-mos...

http://molodost.in.ua/news/1238/

http://glavred.info/archive/2012/07/26/114834-17.html

Deine Darstellung legt nahe, dass du glaubst, auch so was würden sich die „russischen Autoren“ aus den Fingern saugen. Wie du oben nachlesen kannst, ist dem nicht so. Dass hingegen „der Moskauer Patriarch Kyrill I. respektlos mit seinem bürgerlichen Namen Wladimir Gundjajew bezeichnet worden“ wäre, das steht nicht auf den Seiten 70-72, warum schreibst du also so was?

Und wo nimmst du deine darauf folgende Aussage her, ich mein, konkret aus dem Buchtext?

„Byshok und Kotschetkow konstruieren einen grundsätzlichen Gegensatz zwischen westlich-dekadentem Nationalismus und östlich-orthodoxem Traditionalismus, dessen haarstäubende Absurdität offensichtlich wird, wenn wir uns die Verstrickungen des genannten Moskauer Patriarchen Kyrill I. mit dem russischen Nationalismus anschauen“

- also da hätt ich jetz gern ne Quelle.

Dass so eine Aussage direkt an die (offensichtlich angezweifelte) Feindschaft der Svoboda gegen die russisch orthodoxe Kirche kommt – da kann man ja fast Verständnis haben, wenn die Swoboda gegen solch reaktionäre Arschlöcher vorgeht…

Weiter. „Dieses dichotome Schwarz-Weiß-Bild ‚Russisch versus Ukrainisch‘“ stammt von dir. Im Buch findet sich das so nicht, es geht nur um die Beziehung der Swoboda zur russischen Sprache. Die Autoren sagen nichts gegen das Ukrainische, sie kritisieren nur die anti-russische Sprachpolitik der Nationalisten in einem Land, wo viele Russischsprachige leben.

Hier bringt Svoboda-Abgeordnete Iryna Farion Kindergarten-Kindern bei, dass man seine Namen auf Ukrainisch benennen soll, nur so als Beispiel…

https://www.youtube.com/watch?v=wMMdDsCjOfk

Auch die dann folgende, angeblich Russland glorifizierende Aussage der Autoren hat einen Kontext, den du nicht erwähnst:

„‚Die Russen‘ als solche haben ‚die Ukrainer‘ nicht nur von polnischen, tartarischen und deutschen Invasoren befreit, sie sind auch die „builders of basically all infrastructure in the country“.

Infolge der Gleichsetzung von Sowjetunion und Russland werden alle Unglücke den Sowjets/Russen angelastet, die positiven Aspekte der gemeinsamen Geschichte jedoch nicht betrachtet. Das in etwa ist der Hintergedanke dieses ganzen Kapitels, und ich denke, es ist Fakt, dass die Infrastruktur der Ukraine im Rahmen der Sowjetunion geschaffen wurde. Zum Beispiel.

Das ist Teil ihrer Kritik an der Konzentrierung der ukrainischen Nationalisten auf den anti-russischen und anti-sowjetischen Kampf, und dass nur diese Akteure als Helden gelten, während die große Mehrheit der Ukrainer_innen, die historisch auf Seite Russland oder der Sowjetunion gekämpft haben, keine Wertschätzung erfahren, und lediglich als Opfer russischer/sowjetischer Propaganda verstanden werden (149/150).

Dass das offensichtlich starke anti-russische Element in der derzeitigen medialen und politischen Öffentlichkeit der Ukraine für dich nur ein Hirngespinst russischer Propaganda ist – seh ich anders. Da bin ich teilweise in meinem letzten Beitrag drauf eingegangen, soll an dieser Stelle reichen:

https://linksunten.indymedia.org/en/node/119452

„Wahrscheinlich richten sich die Autoren an eine Leser*innenschaft, die zwar wenig dezidierte Kenntnisse, dafür aber eine starke Meinung zum Thema mitbringt, die der russischen Propagandalinie entspricht.“

Bravo. Das ist eigentlich der zentrale Satz. Die „faschistische Gefahr“ in der Ukraine ist nichts weiter als eine Propagandalüge des Kreml… Auch dazu verweise ich auf meinen zuvor verlinkten Ex-Beitrag, und schließe mich dem Kommentar von „Antifa“ an, heute um 15:44.

 

Zu behaupten, jüdische Bankiers hätten die NSDAP finanziert, ist eine antisemitische Aussage. Ebenso antisemitisch ist die Behauptung, ein jüdischer Geschäftsmann hätte die Svoboda finanziert, WEIL er Jude ist. (Tatsächliche Gerüchte um Kolomojskyi spielen an dieser Stelle ebensowenig eine Rolle wie seine Einschätzung der Svoboda.)

 

Die Gleichsetzung der Russophobie mit dem Judenhass des NS-Regimes relativiert den Holocaust. Das tun die Autoren nicht mal eben am Rande, sondern es ist eine der grundsätzlichen Thesen dieses Machwerks.

 

Die russisch-orthodoxe Kirche beteiligt sich aktiv an der Verbreitung und Radikalisierung des Nationalismus in Russland. Hinreichende Belege finden sich an entsprechender Stelle in der Rezension.

 

Die Arbeitsweise der Autoren ist nicht nur unwissenschaftlich, sie ist hochgradig manipulativ. Ihren Aussagen liegt eine erzkonservative, russisch-nationalistische Ideologie zugrunde.

>> Zu behaupten, jüdische Bankiers hätten die NSDAP finanziert, ist eine antisemitische Aussage.

In Folge deiner Rezension weiß ich das nun endlich auch, und ich gebe dir Recht: dass die Autoren es als allgemein bekannten Fakt erwähnen ist ein absolutes No-Go.

Ist, wie du sicher weißt, auch keine Eigenart der Autoren, sondern ein weit verbreiteter Irrglaube, in Osteuropa leider fast schon so was wie "Allgemeinbildung".
Und dieses Unwissen allein macht noch niemanden zum Antisemiten, sondern die darauf aufbauende Theorie oder auch nur Andeutung, Juden hätten Hitler an die Macht gebracht. So hat sich übrigens KPU-Chef Simonenko ausgedrückt (siehe oben), und wurde auch genau dafür vom Ukrainisch Jüdischen Komitee scharf kritisiert.
http://www.wcrj.org/news/all-news/org/472/index.html

Die Autoren gehen diesen zweiten Schritt nicht, sie präsentieren lediglich ihr Unwissen.
.

>> Ebenso antisemitisch ist die Behauptung, ein jüdischer Geschäftsmann hätte die Svoboda finanziert, WEIL er Jude ist.

Meister, sie geben die in der ukrainischen medialen Öffentlichkeit zu findenden Debatten um Kolomoiskiy wieder, nicht ihre eigene Meinung zum Thema.

Insgesamt ist deren eigene Meinung sehr weit im Hintergrund. Sie findet sich hier und da, meist einleitend in ein Thema, aber ansonsten handelt es sich durchweg um Informationen, die man ohne viel Mühe in ukrainischen Medien wiederfindet. Das ist das eigentliche Kennzeichen dieses Buchs.
.

>> (Tatsächliche Gerüchte um Kolomojskyi spielen an dieser Stelle ebensowenig eine Rolle wie seine Einschätzung der Svoboda.)

Da geb ich dir nicht Recht. Kolomoiskiy hat innerhalb der ukrainischen jüdischen Gemeinde viele Kontroversen ausgelöst und reichlich scharfe Reaktionen geerntet, vor allem wegen seiner Geringschätzung des Alltags-Anti-Semitismus, und aufgrund seiner mehrfach öffentlich geäußerten, zustimmenden Haltung gegenüber der Svoboda.

Und auch darüber hinaus. Du findest viele Berichte, Analysen, Meinungen, Leitartikel, Interviews usw. zu exakt diesem Thema in ukrainischen Medien, das ist nunmal Bestandteil der öffentlichen Debatten in der ukrainischen Gesellschaft. Hier eine Auswahl, als Ergänzung zu dem schon von mir Erwähnten:
http://gazeta.ua/articles/politics-newspaper/_tyagnibok-pidpisav-dokumen...
http://censor.net.ua/resonance/145042/kolomoyiskiyi_verit_v_tyagniboka_a...
http://www.pravda.com.ua/rus/news/2010/12/9/5659675/

Es ist Fakt, dass Kolomoiskiy öffentlich Werbung für die rechtsradikale, ultranationalistische Partei Svoboda gemacht hat. Ob er sie nun auch finanziell unterstützt hat, das ist weiterhin nicht bestätigt (noch widerlegt, Kolomoiski selbst hat sich nie dazu geäußert), aber durch seine öffentlichen Stellungnahmen hat er sie für alle erkennbar unterstützt - und wurde dafür gescholten, gerade auch von Teilen der jüdischen Gemeinde.

Nach dem Sieg des Maidans wurde er Gouverneur der Oblast Dnepro-Petrovsk und unterstützt aus dieser Position heraus die ukrainischen Nationalisten. Unter anderem haben genau dort verschiedene Bataillone ihre Zentrale (welche sogar du selbst, in deinem Blog, als Nazis und Faschisten bezeichnest; siehe meinen letzten Eintrag weiter oben). Auch tritt er öffentlich als bekennender Bandera-Anhänger auf:
http://evreiskiy.kiev.ua/igor-kolomojjskijj-v-majjke-12981.html (Kolomoiski mit T-Shirt "Zhidobandera")

Aber all das darf nicht thematisiert werden, weil Kolomoiski Jude ist? Da muss die ukrainische Gesellschaft aber noch einiges lernen...
.

Die Sozial-Nationale Partei hat seit ihrer Umbennenung 2004 in Svoboda so gut wie keinen anti-semitischen Skandal provoziert (bis auf zwei), trotzdem galt sie immer und gilt weiterhin als anti-semitisch (zu Recht), und es gab immer wieder Konflikte mit jüdischen Aktivist_innen.
- und vieles von dem, was in der Ukraine nicht als Skandal gilt, würde hier sehr wohl als einer gelten!

http://izrus.co.il/diasporaIL/article/2011-06-19/14591.html (Von Odessiter Juden in Lviv geplante Gedenkveranstaltung zum 70. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion ist laut Svoboda eine "jüdische Provokation")
http://izrus.co.il/dvuhstoronka/article/2011-06-05/14475.html (Bürgermeisterkandidat der Svoboda in Lviv wirbt dafür, Methoden der Hamas für den ukrainischen Städtekampf zu adaptieren - mit vielsagenden Zitaten)

Dieser eingangs erwähnte, angebliche "Wandel" der Sozial-Nationalen zur Svoboda ist durchaus erwähnenswert, denn so gut wie niemand nimmt den ernst - aus gutem Grund. Und die Svoboda hat nicht nur einmal öffentlich erklärt, dass Kolomoiski's Aussagen, die Svoboda wäre eine gemäßigte Partei oder würde eine werden, dass dies bloß sein "Wunschdenken" sei (siehe z.B. den pravda-Link weiter oben).

Der Rechte Sektor hingegen, ebenfalls Bandera-Anhänger, tritt explizit und äußerst glaubwürdig anti-anti-semitisch auf - bis auf die Vereinigung "Weißer Hammer", die aber nicht mehr im RS dabei ist.
http://www.vaadua.org/news/evreyskiy-golos-pravogo-sektora

All so was steht auch im Buch "Neonazis und Euromaidan", die Komplexität der nationalistischen Bewegung in der Ukraine wird angemessen wiedergegeben.
.

>> Die Gleichsetzung der Russophobie mit dem Judenhass des NS-Regimes relativiert den Holocaust. Das tun die Autoren nicht mal eben
>> am Rande, sondern es ist eine der grundsätzlichen Thesen dieses Machwerks.

Sie setzen nicht gleich, sie machen darauf aufmerksam, dass der Anti-Russismus der ukrainischen Nationalisten anscheinend niemanden interessiert. Dich offensichtlich auch nicht.
"So lange Faschos nicht gegen Juden vorgehen, können es keine Faschos sein", stimmt's?
.

>> Die russisch-orthodoxe Kirche beteiligt sich aktiv an der Verbreitung und Radikalisierung des Nationalismus in Russland. Hinreichende
>> Belege finden sich an entsprechender Stelle in der Rezension.

Hab ich da was gegen gesagt? Es geht um ukrainischen Nationalismus, und du weichst aus und lenkst die Diskussion gezielt weg - zum russischen Nationalismus - damit ja nicht über die ukrainischen Nazis debatiert wird.
- und du machst es unter anderem mit Falschaussagen, um ein gewisses Bild der Autoren zu erzeugen. Siehe mein erster Eintrag.
.

>> Die Arbeitsweise der Autoren ist nicht nur unwissenschaftlich, sie ist hochgradig manipulativ. Ihren Aussagen liegt eine erzkonservative,
>> russisch-nationalistische Ideologie zugrunde.

Auch das hat Methode, solche Behauptungen in den Raum werfen und fertig. Das stimmt nicht, was du sagst.

Die Autoren sind keine Linken, ja, das merkt man dem Buch stellenweise an. Aber sie nutzen das Buch nicht, um "russisch-nationalistische Ideologie" in "hochgradig manipulativer" Absicht unter die Leser_innen zu bringen. Du konstruierst hier eine Art Verschwörungstheorie, nichts anderes.

Die Autoren stecken in gewissen Diskursen, so wie du auch, und auch ich, und auch jede_r andere. Das ist alles. Sich auf Elemente zu stürzen, welche diese dahinterstehenden Diskurse offenbahren, und alle Inhalte auf diese, faktisch marginalen Elemente zu reduzieren - das ist das eigentlich Manipulative. So tendenziös wie deine Rezension ist das Buch nicht mal im Ansatz.

Für einen kritischen Leserin ist das Buch "Neonazis und Euromaidan" in vielerlei Hinsicht eine Offenbahrung. Punkt. Es liefert Einblicke in innerukrainische Debatten, wie man sie sonst nicht kriegt. Nicht nur auf dieses Thema bezogen, es ist insgesamt ein lehrreiches Buch, das ich an dieser Stelle ausdrücklich empfehlen möchte.

(In der hoffentlich ungekürzten, deutschen Übersetzung werden weitere interessante Einblicke in das Denken russischer rechts-Konservativer deutlich, am interessantesten fand ich die in Hinsicht auf die LGBT-Bewegung. Man lernt viel über den ukrainischen Nationalismus, und kriegt nebenbei noch Einblicke in die Denkstrukturen russischer Rechter - das Buch ist super! Wirklich.)