Landgericht Bonn: Kunduzprozess fortgeführt

prozessbeobachterin 17.04.2013 20:44 Themen: Militarismus Soziale Kämpfe
Den Anwälten der Bundesregierung war es zur Prozesseröffnung im März nicht gelungen, die Zivilrechtsklage von Opfern des Kundusmassakers vom 4.9.2009 vor dem Bonner Landgericht abzuweisen. Heute hat das Gericht mitgeteilt, in einer neuen Beweisaufnahme (Tonprotokolle der Bomberpiloten und Zeugenvernehmungen) die Geschehnisse neu bewerten zu wollen. Vor dem Blutrotverschmiereten Landgericht demonstrierten 35 Antimilitarist_innen.
Auch der frisch gebackene Kundus-Brigadegeneral Klein könnte im weiteren Prozessverlauf geladen werden. Unwahrscheinlich hingegen ist, dass auch "Hauptmann X" als Zeuge geladen werden kann. Dieser von Klein, BND und der Bundesanwaltschaft geheim gehaltene Hauptmann soll Klein angeblich in der Nacht des Massakers darüber informiert haben, dass sich "vor allem Taliban" an den später bombardierten Tanklastern befanden.

Hintergründe zum Kundus-Massaker:
 http://www.bundeswehr-wegtreten.org/?q=content/oberst-klein-soll-zum-general-bef%C3%B6rdert-werden


Pressemitteilung des Landgericht Bonn
Bonn, den 17.04.2013

Zivilkammer beabsichtigt Beweisaufnahme zum NATO-Bombardement in Kunduz/Afghanistan


Die 1. Zivilkammer des Landgerichts Bonn hat in einem heute (Mittwoch, dem 17.04.2013) verkündeten Beschluss mitgeteilt, dass sie den Hergang des NATO-Bombardements am 04.09.2009 in der Nähe von Kunduz/Afghanistan im Rahmen einer Beweisaufnahme aufklären wird. Zunächst will die Kammer das von den US-Kampfjets angefertigte Videomaterial, das dem damaligen Oberst Klein bei seiner Entscheidungsfindung zur Verfügung stand, einsehen. Die beklagte Bundesrepublik Deutschland soll ihr diese Aufnahmen sowie die Tonaufnahmen der Gespräche zwischen den Kampfjetpiloten und dem Fliegerleitoffizier vorlegen. Eine weitere Beweisaufnahme durch die Kammer, insbesondere die Vernehmung einer noch nicht genau feststehenden Zahl von Zeugen, ist für August 2013 geplant.

Die Kammer hat die Parteien in dem Beschluss darauf hingewiesen, dass nach ihrer vorläufigen Würdigung die Klage weder unzulässig noch ohne Weiteres unbegründet sei. Ein individueller Anspruch der Kläger gegen die Bundesrepublik Deutschland auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld komme nach den Grundsätzen über die Amtshaftung (Art. 34 Grundgesetz* in Verbindung mit § 839 BGB**) durchaus in Betracht. Ein solcher Anspruch sei in dem hier vorliegenden nicht internationalen bewaffneten Konflikt im Sinne von Artikel 3 der Genfer Konventionen*** rechtlich nicht ausgeschlossen. Voraussetzung eines solchen Anspruchs gegen die Bundesrepublik Deutschland als Anstellungskörperschaft des befehlshabenden Bundeswehroffiziers sei, dass der damalige Oberst Klein eine drittschützende Amtspflicht schuldhaft verletzt habe. Hier komme ein schuldhafter Verstoß des damaligen Obersten gegen die Verpflichtungen zum Schutz der Zivilbevölkerung gemäß den Genfer Konventionen*** und den Zusatzprotokollen I und II**** in Betracht.

Ein zweiter Abschnitt der Beweisaufnahme ist nur beabsichtigt, falls die Kammer einen solchen schuldhaften Verstoß des handelnden Bundeswehroffiziers feststellen sollte. Nur dann würde eine weitere Aufklärung der Frage erfolgen, ob und ggf. in welchem Umfang die Kläger bzw. ihre Angehörigen durch die Ereignisse vom 04.09.2009 zu Schaden gekommen sind und in welcher genauen Höhe hierdurch Ansprüche entstanden sein können.

Über den weiteren Fortgang des Verfahrens, insbesondere über den genauen Termin für den Beginn der Beweisaufnahme, werde ich Sie rechtzeitig auf diesem Wege informieren.

Nähere Einzelheiten zum Rechtsstreit, insbesondere zu den geltend gemachten Ansprüchen, entnehmen Sie bitte den Pressemitteilungen Nr. 1/2013 vom 18.01.2013 und Nr. 4/2013 vom 12.03.2013. Diese können auf der Internetseite des Landgerichts Bonn (unter "Presse" - "Archiv" - "Archiv 2013") abgerufen werden.

Philipp Prietze

Dezernent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit



Die zitierten bzw. zugrundeliegenden Rechtsnormen lauten:

*Artikel 34 Grundgesetz

1Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. 2Bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit bleibt der Rückgriff vorbehalten. 3Für den Anspruch auf Schadensersatz und für den Rückgriff darf der ordentliche Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden.

**§ 839 BGB Haftung bei Amtspflichtverletzung

(1) 1Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. 2Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag.

(2) [.]

(3) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.

*** insbesondere: Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten - Genfer Abkommen IV,

****Zusatzprotokoll vom 8. Juni 1977 zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte - Zusatzabkommen I sowie Zusatzprotokoll vom 8. Juni 1977 zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte - Zusatzabkommen II
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Ergänzungen

noch schöneres Foto der Kulisse

flying-photographs 18.04.2013 - 07:48
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