Kuba: Parlamentswahl mit Überraschungen

Marcel Kunzmann 05.02.2013 01:20 Themen: Blogwire Weltweit
Am Sonntag haben in Kuba die Wahlen zur Nationalversammlung (Asamblea Nacional del Poder Popular) und zu den 15 Provinzparlamenten (Asambleas Provinciales) stattgefunden. Zunächst einmal die Fakten zum Hergang der Wahl: Mehr als 8,6 Millionen Kubaner waren wahlberechtigt, die Wahllokale waren von sieben bis 18 Uhr geöffnet. Zur Wahl standen 612 Kandidaten für das nationale Parlament und 1.269 Kandidaten für die Provinzparlamente. Die Wähler konnten in den knapp 30.000 dafür eingerichteten Wahlbüros in geheimer, direkter und gleicher Wahl für einen, mehrere oder keinen der Kandidaten stimmen. Die Stimmabgabe erfolgte dabei auf zwei Wahlzetteln: Grün für das nationale Parlament und weiß für das jeweilige Provinzparlament. 50 Prozent der Kandidaten für das nationale Parlament werden dabei von den letztes Jahr gewählten Vertretern der Stadtparlamente gewählt.
Im Vorfeld der Wahl wurden die Kandidaten durch Massenorganisationen wie den Gewerkschaften, dem Frauenverband, Bauern- und Studentenorganisationen für die Listen vorgeschlagen und mussten in den jeweiligen Bezirken ihrer Wählerschaft Rede und Antwort stehen. Die Kandidaten selbst dürfen dabei keinen Wahlkampf betreiben, sondern lediglich ihren Lebenslauf öffentlich aushängen.

Von den Kandidaten der Nationalversammlung sind 49 Prozent weiblich und 37 Prozent Afrokubaner und Mestizen. Das Durchschnittsalter beträgt 48 Jahre. Dieses Jahr haben auch über 26.000 junge Kubaner zum ersten Mal ihre Stimme abgegeben. Wahlberechtigt ist in Kuba jeder der das 16. Lebensjahr vollendet hat, mit Ausnahme der Insassen von Strafvollzugsanstalten und geistig Behinderten. Das passive Wahlrecht genießt jeder Kubaner ab dem 18. Lebensjahr.

Die gestrige Wahl war der Abschluss des im Juli vergangenen Jahres mit den Wahlen zu den Stadtparlamenten begonnenen Wahlprozesses in Kuba. Die nächsten Wahlen zum nationalen Parlament finden voraussichtlich 2018 statt.

Dabei ab es bei dieser Wahl im Unterschied zur vorangegangenen, 2008, einige Überraschungen:

1. Fidel Castros spontaner AuftrittNicht nur, dass Fidel Castro wieder zum Parlament kandidiert, sondern auch noch persönlich zur Stimmabgabe kommt und damit zum ersten mal seit Monaten wieder in öffentliche Erscheinung tritt, hat in der Presse für manche Aufregung gesorgt. Tatsächlich gelangte er gegen 17 Uhr, eine Stunde vor Ende der Wahl, in seinem angestammten Wahllokal im Stadtteil "Plaza de la Revolucion" an. Dort unterhielt er sich mit den anwesenden Reportern über eine Stunde lang über allerhand Dinge, wie z.B. die Gefahren eines Atomkriegs und mit welchen Aktivitäten er seine Freizeit verbringt. Bemerkenswert ist dabei, dass Fidel sich in diesem Rahmen erstmals öffentlich und direkt zu den aktuell laufenden Reformen äußerte. Zwar zeugte seine Präsenz auf dem VI. Parteitag 2011 schon von stiller Zustimmung, allerdings sind mir keine direkten Kommentare zu den "Leitlinien" und ihrer Umsetzung bekannt. Bis gestern, als er auf die Frage eines Journalisten über die aktuellen Veränderungen antwortete:
"Die größte Veränderung von allen ist die Revolution selbst. Aber natürlich, nichts ist perfekt, viele Dinge die wir heute wissen haben wir damals nicht gewusst und es ist notwendig mit der Perfektionierung des Landes fortzufahren, es ist eine Pflicht das sozialistische Modell Kubas zu aktualisieren, allerdings ohne Fehler zu begehen."

[...]

"Dies ist ein tapferes Volk. Fünfzig Jahre Blockade konnten uns nicht besiegen. [...] ohne das Volk sind wir nichts, ohne das Volk gibt es keine Revolution."
(Juventud Rebelde).
Außerdem interessiert er sich für die Entwicklung der kubanischen Landwirtschaft und verbringt Zeit um sich mit Arbeitern in diesem Bereich zu treffen. Darauf weisen auch sein letzter semi-öffentlicher Auftritt im Oktober und eine seiner bisher letzten Reflexionen hin.

Damit dürfte wohl die Frage ob es "Raúlistas" und "Fidelistas" in den Reihen der PCC gibt, endgültig geklärt sein. Fidel Castro hat sich gestern unmissverständlich zum Kurs des VI. Parteitags bekannt (was sich auch in der Verwendung der offiziellen Redewendung "actualizar el modelo socialista cubano" zeigt) - und somit einer Spaltung der Partei vorgebeugt, indem er das Einverständnis mit der Politik seines Bruders und damit die Geschlossenheiti ihrer beiden einflussreichsten Persönlichkeiten unterstrich.

2. Mediale Aufbereitung und Ablauf der Wahl

Auch die mediale Aufbereitung und der eigentliche Ablauf der Wahl stellen in mancherlei Hinsicht ein Novum dar. Die kubanische Nachrichtenagentur ACN hat eigens ein Dossier für die Wahl eingerichtet, auf dem die aktuelle Berichterstattung zusammengefasst und Hintergrundinformationen z.B. über die Funktion des Wahlsystems erläutert werden. Die Tageszeitung "Juventud Rebelde" tat es ihr gleich und richtige ebenso eine spezielle Rubrik ein. In der Granma erschien ein Artikel, der die grundsätzlichen Charakteristika des kubanischen Wahlsystems erläuterte, begleitet von regelmäßigen Meldungen im Abstand einiger Stunden über den Ablauf am Wahltag. Meines Wissens war die Berichterstattung und die Fülle an Hintergrundinformationen zur Wahl in den kubanischen Medien wesentlich ausführlicher als fünf Jahre zuvor.

Interessant ist, dass dieses Jahr wohl zum ersten mal nicht zum "Voto unido", zur Wahl der Einheitsliste, sondern explizit zur Wahl aller, mehrerer oder keiner der Kandidaten aufgerufen wurde. Auch fand nicht nur die Stimmabgabe von Fidel und Raúl besondere Beachtung, sondern Miguel Diaz-Canel, derzeit Vizepräsident des Ministerrats und potentieller Nachfolger Raúl Castros, wurde ebenfalls eines Artikels gewürdigt. Diese kleinen, unscheinbaren Veränderungen sind für sich genommen nicht bedeutend, zusammen weisen sie aber in Richtung einer anderen Handhabung der Wahlen in Zukunft.

Umso bemerkenswerter war dann auch die Wahlbeteiligung: Gegen 9 Uhr Morgens lag sie bei knapp 30%, bis halb elf Uhr Morgens 59,7%, bis zwei Uhr Mittags 78%, bis fünf Uhr Abends schließlich wurden es 86%. Bereits diese Dynamik in der Stimmabgabe lässt darauf schließen, dass es bis 18 Uhr wohl nicht zu einer der üblichen Wahlbeteiligungen der letzten Jahre genügte. Zur Erinnerung: Bei der letzten Parlamentswahl lag die Wahlbeteiligung bei 96,89%, 2003 bei 97,64%.

Wahlbeteiligung am 3. Februar 2013

Der Anschaulichkeit halber sind die oben zitierten Zwischenergebnisse hier grafisch dargestellt und um eine logarithmische Trendlinie ergänzt worden (der Einfachheit halber wurde der Wert für halb elf für die volle Stunde verwandt, was der Grundaussage jedoch keinen Abbruch tun wird). Es ist so deutlich zu erkennen, dass die große Mehrzahl der Stimmen bereits bis zur Mittagszeit abgegeben wurde, danach verlief der Anstieg nur noch langsam. So wird ersichtlich, dass die Wahlbeteiligung hochgerechnet letzten Endes kaum mehr als 90% (+- 3%) betragen dürfte. Nimmt man an, dass sich der Stimmzuwachs von 14 bis 17 Uhr linear bis zum Ende der Wahl fortsetzte, würde das im Endeffekt eine Wahlbeteiligung 88,6% bedeuten. Und obschon die endgültige Wahlbeteiligung bis 18 Uhr noch nicht gemeldet wurde, war die Wahlkomission zufrieden mit dem Ergebnis, man hob vor allem die Transparenz und den reibungslosen Ablauf der Wahl im Rahmen der Gesetze hervor.

Nun mögen diese Zahlen auf den ersten Blick nicht auffällig erscheinen, schließlich träumen die meisten Staaten schon von Wahlbeteiligungen jenseits der 50% und alle der aufgestellten Kandidaten scheinen auch gewählt worden zu sein (zumindest wurde bisher nichts gegenteiliges gemeldet), dennoch dürfte dieses Ergebnis wohl kaum den Erwartungen der Regierung entsprochen haben. Selbst wenn die psychologisch wichtige "90+x"-Grenze überschritten wurde, scheint es die historisch geringste Wahlbeteiligung bei einer kubanischen Wahl seit 1959 gewesen zu sein (Bisher niedrigste Wahlbeiligung war die Wahl der Stadtversammlungen 2002 mit 95,8%).

Innerhalb des kubanischen Systems wird dem Wahlprozess traditionell hoher Stellenwert eingeräumt. Der Gang zur Wahlurne gilt zwar nicht als juristische, dennoch als "moralische Pflicht" eines Kubaners. Und vergleicht man den langsamen Rückgang in der Wahlbeteiligung, der von Jahrfünft zu Jahrfünft seit 1993 nie mehr als 1% betrugt mit dem nun zu erwartenden Rückgang um mindestens 3-5% im selben Zeitraum, ist hier schon ein wie auch immer gearteter "Trendwechsel" oder "Ausreißer" festzustellen.

Was können die Ursachen hierfür sein? Zum einen könnte es an den Kandidaten liegen, die vielleicht diesesmal unpopulärer oder unsympathischer als die vorangegangenen waren. Dafür gibt es jedoch keine Indizien, zumal das Durchschnittsalter bei relativ jungen 48 Jahren liegt und der Frauenanteil auf 49% gesteigert wurde, was prinzipiell positiv aufgenommen worden sein müsste.

An der mangelnden medialen Beachtung der Wahl oder schlechter Infrastruktur kann es auch nicht gelegen haben, es wurden traditionell genügend Wahlbüros installiert, über 200 "spezielle" Wahlurnen in Kasernen und besonders unzulänglichen Gegenden geöffnet. Bis auf einige Regenfälle sowie Stromausfälle in einigen Gegenden gab es auch keine Wetterunregelmäßigkeiten, die die Leute an der Wahl gehindert haben könnten. Auch die Berichterstattung der Medien war, wie schon erwähnt, umfangreicher als sonst.

Also womöglich ein Zeichen für mangelndes politisches Interesse oder gar Ablehnung? Was hat sich in den letzten Jahren in Kuba verändert, das einen derartigen Rückgang der Wahlbeteiligunge erklären könnte? Mit Sicherheit scheinen sich die Kubaner seit 2008 verstärkt ihren "eigenen" Angelegenheiten zugewendet zu haben, die Lebenssituation vieler Menschen hat sich seitdem nur marginal verbessert, da die Reformen einige Jahre benötigen um zu greifen. Auch stehen bei den vielen neuen kleinen Straßenverkäufern möglicherweise andere Prioritäten an als der Gang zur Wahlurne. Die Loslösung vieler Kubaner aus den traditionellen Strukturen der staatlichen Beschäftigung hat womöglich auch zu einem Vertrauensverlust geführt bzw. fehlt der soziale Druck zur politischen Partizipation, der in einem Staatsunternehmen vielleicht noch stärker gegeben war. Somit könnte das politische Interesse tatsächlich geschwunden sein, wie die Zustimmungsrate konkret aussieht kann jedoch erst nach der Veröffentlichung der Gegenstimmenstimmen im noch ausstehenden offiziellen Endergebnis festgestellt werden. Was auch immer dabei herauskommen mag: Diese Wahl steht so zunächst als Unikat da, denn es war die letzte, in der die historische Generation um Fidel und Raúl noch kandidierten. Zwar lässt sich ein Trend in diese Richtung schon bei den Wahlen zu den Stadtparlamenten feststellen: die Anzahl der Nichtwähler, ungültiger oder leerer Stimmzettel zusammengenommen stieg bei diesen von 2007 bis 2012 von 10,27 auf 16,64%; bei Parlamentswahlen ist dies allerdings ein Novum. Spätestens 2018 wird sich zeigen, ob sich die gesunkene Wahlbeteiligung als Trend manifestieren konnte, oder sie nur ein vorübergehendes Phänomen im Zuge der "Übergangsphase" zur nächsten Generation politischer Führer war. In jedem Fall: eine Wahl mit einigen Überraschungen.
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