Berlin: Warnstreiks der angestellten Lehrer

Wladek Flakin (RIO) 20.01.2013 15:32 Themen: Bildung Soziale Kämpfe Weltweit
Mittwoch vormittag, Berlin-Charlottenburg: An der Friedensburg-Oberschule in Charlottenburg, einer zweisprachigen deutsch-spanischen Europaschule, demonstrieren 19 LehrerInnen mit Schildern und Trillerpfeifen um das Schulgebäude herum. "Ich streike, weil ich gegen die Prekarisierung der Bildung bin", steht auf einem handgemalten Plakat. Ein Musik- und Mathelehrer erklärt, dass er bis zu 800 Euro weniger verdient als seine verbeamteten Kollegen: "Davon kann ich mir keine Zwei-Zimmer-Wohnung leisten, und das sollte eigentlich für einen Lehrer drin sein." Wegen der hohen Arbeitsbelastung gibt es auch bei jungen LehrerInnen viele Krankheitsausfälle.
Die LehrerInnen mit ausländischem Hochschulabschluss – und an dieser Schule sind es viele – bekommen zudem bis zu 700 Euro weniger als ihre angestellten KollegInnen mit deutschem Abschluss. Manche kommen gerade auf ein Drittel des Einkommens wie ein Kollege im nächsten Zimmer. "Ich habe einen europäischen Titel und trotzdem werde ich wie ein Lehrer zweiter Klasse behandelt", sagt Adria Gimeno (31), der zwei universitäre Abschlüsse in Spanien gemacht hat und Englisch und Spanisch unterrichtet. "Wozu haben wir den ganzen Bolognascheiss gemacht?"

"Ich mache das alles gern, aber dieser Job lässt dir keine Zeit für ein Leben" sagt Sonia Ruiz (27), die ebenfalls Englisch- und Spanischlehrerin ist. Berliner LehrerInnen müssen 26 Wochenstunden unterrichten, aber: "Als Lehrer muss man auch ein bisschen Sozialarbeiter und ein bisschen Psychologe sein." Mit Korrektorat, Vertretungen, Sitzungen, Elternkontakt und anderen Aufgaben komme man stets auf mehr als 50 Arbeitsstunden die Woche. Für sie geht es bei diesem Arbeitskampf nicht nur um Lohn, sondern um die Arbeitsbedingungen überhaupt.

Drei verbeamtete LehrerInnen kommen vorbei und sprechen ihre Unterstützung aus. Ein Streikender erfährt, dass er in seinem Ethikkurs gerade durch einen Beamten vertreten wird – ein klarer Fall von Streikbruch – etwas, wozu laut der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) kein Beamter verpflichtet werden darf. Schülerin Natalia Sánchez (18) hat im Jahr 2011 selbst am Bildungsstreik teilgenommen und spricht nun den Lehrern ihre Unterstützung aus. "Damals waren die Lehrer solidarisch, nur die Schulleitung hat unsere Aktion verboten und jedem einen unentschuldigten Fehltag gegeben."

Insgesamt an 70 Berliner Schulen haben am Mittwoch und Donnerstag angestellte LehrerInnen für je zwei Stunden die Arbeit niedergelegt. Die GEW fordert damit gleiche Bezahlung für angestellte und verbeamtete LehrerInnen. Von den 33.000 Lehrkräften in der Stadt sind rund 7.000 im Angestelltenverhältnis. Bei BerufsanfängerInnen wird das grundsätzlich so gehandhabt, wodurch der Anteil der Beamten kontinuierlich sinkt, erklärte Susanne Reiß vom Vorstand der GEW Berlin. Ihr Verdienst liegt nach Gewerkschaftsangaben etwa 15 Prozent niedriger als der der verbeamteten KollegInnen. Da es zur Zeit keinen Tarifvertrag für die Angestellten gibt, diktiert der Berliner Senat einseitig, wie sie eingruppiert und bezahlt werden.

Von den Warnstreiks betroffen waren Gymnasien, Sekundarschulen, Oberstufenzentren und einige Grundschulen. Die Beteiligung war laut GEW hoch. Für viele junge Lehrer war es der erste Arbeitskampf. An der Kurt-Tucholsky-Oberschule in Pankow solidarisierte sich ein Aktionskomitee der Schüler mit den zehn Lehrern, die den Unterricht verlassen hatten. Dazu hatten sie Flyer verteilt und ein Transparent aufgehängt. Am Dienstag hatten bereits rund 200 LehrerInnen auf dem Potsdamer Platz für gleiche Bezahlung demonstriert.

Die angestellten Lehrer der Friedensburger Oberschule wollen nun eine Basisgruppe der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gründen. Gleichzeitig hat sich der Senat zu Kontakten mit der Gewerkschaft bereiterklärt, jedoch nicht zu Tarifverhandlungen. Die neue Basisgruppe kann sich also auf weitere Arbeitsniederlegungen vorbereiten.

von Wladek Flakin, Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO),  http://www.klassegegenklasse.org

eine kürzere Version dieses Artikels erschien in der jungen Welt vom 18. Januar ( http://www.jungewelt.de/2013/01-18/034.php)

Bildergallerie von der GEW:  http://gew-berlin.de/25107.htm



+++++ Flugblatt von der GEW Berlin +++++

Warnstreik der angestellten LehrerInnen
der _____________________-Schule
für einen Tarifvertrag

An die Schülerinnen und Schüler,
an die Auszubildenden,
an die Kolleginnen und Kollegen der _________________ - Schule

Warum streiken wir?

Der Berliner Senat hat entschieden, Lehrkräfte in Berlin grundsätzlich als Angestellte zu beschäftigten. Gleichzeitig verwehrt er uns das Recht, grundlegende Bestandteile eines Arbeitsverhältnisses, wie die Eingruppierung bzw. die Gestaltung der Arbeitszeit, tariflich zu vereinbaren.
Das bedeutet, angestellte Lehrkräfte haben nicht die gleichen Rechte wie andere Angestellte des öffentlichen Dienstes.
Und das heißt auch, angestellte Lehrkräfte haben die gleichen Pflichten wie Beamte, werden aber nicht wie Beamte bezahlt und sozial abgesichert.
Angestellte Lehrkräfte in Berlin verdienen ca. 15 % weniger als vergleichbare Lehrkräfte im Beamtenverhältnis.
Der Berliner Senat legt allein fest, in welcher Höhe angestellte Lehrkräfte bezahlt werden.
Der Berliner Senat will für junge Lehrkräfte das Anwachsen des Arbeitszeitkontos beenden, aber keinen Ausgleich dafür geben.
Der Senat von Berlin hat die Aufforderung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft zur Aufnahme von Tarifverhandlungen abgelehnt und ein Sondierungsgespräch für Ende Januar 2013 angeboten. Darum haben wir uns entschlossen, mit diesem Warnstreik ein Zeichen zu setzen. Der Senat muss merken, dass es uns ernst ist!
Wir fordern:
tarifliche Eingruppierungsregelungen
gleiches Einkommen von angestellten und verbeamteten Lehrkräften
Arbeitsentlastungen für junge und für ältere Lehrkräfte
Sollte der Berliner Senat uns auch künftig grundlegende Rechte verwehren, werden wir zu weiteren Arbeitskampfmaßnahmen bereit sein.

Quelle:  http://gew-berlin.de/25047.htm



+++++ Flugblatt vom Aktionskomitee Kurt-Tucholsky-Oberschule +++++

Warnstreik an der KTO – aber warum eigentlich? 

Viele der angestellten Lehrer_innen an unserer Schule streiken heute, das heißt, sie weigern sich heute, zu arbeiten. Damit wollen sie auf viele Probleme unserer Schule aufmerksam machen und den Berliner Senat (die Regierung des Landes Berlin) dazu bringen, eine andere Politik zu machen.
Denn der Berliner Senat spart zur Zeit massiv an der Bildung und Sozialausgaben, das heißt, Geld für Schulen wird gekürzt. Und das wiederum heißt, dass es für euch schwieriger wird, Spaß an der Schule zu haben und einen guten Abschluss zu bekommen.
Warum an den Schulen gekürzt wird? Nun, weil Bildung auf kurze Sicht kein Geld einbringt, aber Geld kostet. Weil es bisher immer funktioniert hat, da die Schulen, die Lehrer_innen und Schüler_innen gelernt haben, mit immer weniger auszukommen. Und es wird gekürzt, weil weder Lehrer_innen noch Schüler_innen politisch große Macht besitzen – das denkt der Senat jedenfalls.
Die Lehrer_innen, die heute streiken, tun das, um zu zeigen, dass diese Kürzungen und Sparmaßnahmen eben nicht ohne Gegenwind durchzusetzen sind!

Ganz konkret haben sie mehrere Ideen:

Sie wollen, dass endlich wieder mehr Lehrer_innen an die Schule kommen
Zur Zeit gibt es nicht einmal mehr genug, um den Unterrichtsplan zu erfüllen, die Schule ist nur zu 97% mit Lehrer_innen ausgestattet. Das heißt, es fällt immer Unterricht aus.

Sie wollen, dass angestellte Lehrer_innen endlich fair bezahlt werden
Obwohl Beamte und Angestellte dieselbe Arbeit leisten, bekommen Beamte mehr Geld – bis zu 20%! Diese ungerechte Bezahlung soll endlich abgeschafft werden!

Sie wollen, dass die Lehrer_innen wieder 23 statt 26 Stunden pro Woche unterrichten.
Dadurch haben sie wieder mehr Zeit, den Unterricht vor- und nachzubereiten, und damit steigt natürlich die Qualität des Unterrichts.

Wir vom Aktionskomitee der KTO finden, dass das unterstützenswerte Ziele sind. Wenn ihr das auch so seht, dann unterstützt die streikenden Lehrer_innen, redet mit euren Eltern darüber und sprecht das Thema auch in der Klasse an!

Wenn Schüler_innen und Lehrer_innen zusammenhalten, dann können wir zusammen die Schule und den Unterricht besser für alle gestalten!

Streiken für bessere Bildung! Streiken für die Zukunft!

Quelle:  https://www.facebook.com/AktionskomiteeKTO
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