Dresden: Gefängnisstrafe für angebliche Megaf

addn.me 18.01.2013 00:27 Themen: Antifa Blogwire Repression
Nach vier Tagen Verhandlungsdauer wurde am Mittwoch ein Berliner Antifaschist wegen der Beteiligung an den Protesten gegen insgesamt drei geplante Naziaufmärsche am 19. Februar 2011 in Dresden zu 22 Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt. Die Dresdner Staatsanwaltschaft und das Gericht sahen es als erwiesen an, dass der Familienvater vor knapp zwei Jahren als so genannter "Rädelsführer" zusammen mit mehreren hundert anderen Menschen eine Polizeikette von 14 Beamtinnen und Beamten im Süden der Stadt durchbrochen haben soll. Der Schuldspruch erfolgte, obwohl sowohl der Hauptbelastungszeuge als auch vier der an dem Tag eingesetzten Beamten ihn vor Gericht nicht als Täter identifizieren konnten. Als Reaktion auf das Urteil soll es heute um 18 Uhr auf dem Postplatz eine Solidemonstration geben.
Am heutigen Mittwoch wurde ein Berliner Antifaschist zu einem Jahr und 10 Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt. Der 36jährige soll nach Einschätzung des Dresdner Amtsgerichts am 19. Februar 2011 mit einem Megafon eine Menschenmenge aufgewiegelt und zum Durchbrechen einer Polizeisperre aufgefordert haben. Der für das Verfahren zuständige Richter Hans-Joachim Hlavka war mit dem Urteil unter der Forderung der Staatsanwaltschaft geblieben, die für den Angeklagten in ihrem Schlussplädoyer wegen Körperverletzung, besonders schwerem Landfriedensbruch und Beleidigung eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten gefordert hatte. Bei dem Durchbruch im Vorfeld der erfolgreichen Massenblockaden von tausenden Menschen gegen mehrere von Nazis geplante Aufmärsche waren vier Einsatzkräfte verletzt worden.

Während der vier Verhandlungstage konnte die Staatsanwaltschaft Dresden weder eine allgemeine Tatbeteiligung noch konkrete Taten des Angeklagten nachweisen. Bereits am ersten Verhandlungstag hatte der Hauptbelastungszeuge den Angeklagten nicht als die Person identifizieren können, die mit einem Megafon die Menge zu einem Durchbruch aufgerufen haben soll. Auch vier der am Einsatz beteiligten Polizisten konnten vor Gericht keine Angaben zum Täter machen. Als am dritten Verhandlungstag der Arbeitgeber des Mannes in den Zeugenstand musste, versuchte der Richter immer wieder, dessen Parteizugehörigkeit mit dem Durchbruch in Verbindung zu bringen. Dies sorgte schließlich dafür, dass sich der ursprünglich als Zeuge vorgeladene Arbeitgeber von der Partei Die Linke politisch verteidigen musste. Ein weiteres im Prozess verwendetes Beweismittel war ein Polizeivideo. Auf diesem war der Durchbruch einer Menschenmenge durch eine Polizeikette an der Bamberger Straße Ecke Bernhardstraße in der Dresdner Südvorstadt zu sehen. In dem Video waren etliche gescheiterte Versuche zu sehen gewesen, die durch eine Polizeieinheit aus Nordrhein-Westfalen abgesperrte Straßenkreuzung zu durchbrechen. Direkt im Anschluss an einen erfolgreichen Durchbruch zeigten die Aufnahmen sogar zwei Personen, die mit dem Megafon die Ansage "Kommt nach vorne!" gerufen haben sollen. Dennoch konnte diese Sequenz wenig zur Aufklärung beitragen, da die Gesichter der beiden Personen auf dem Video nicht zu erkennen gewesen waren.

Dem Staatsanwalt und dem Gericht reichte die Vermutung, dass es sich hierbei um den durch seine Körpergröße und andere Indizien ihrer Ansicht nach hinreichend identifizierten Angeklagten gehandelt habe jedoch aus. Obwohl dem nicht vorbestraften Familienvater selbst keine einzige Straftat vorgeworfen werden konnte, konstruierte die Staatsanwaltschaft eine Rädelsführerschaft auf Grund der auch auf dem Video durch die Polizei festgehaltenen Durchsage und machte ihn gleichzeitig für alle am Ort des Geschehens stattgefundenen Straftaten verantwortlich. In seinem mündlichen Urteilsspruch stellte der Vorsitzende des Schöffengerichts abschließend noch einmal klar, dass die Dresdner Bevölkerung solche Krawalltouristen satt habe und verurteilte den Angestellten der Bundesgeschäftsstelle der Linken trotz einer positiven Sozialprognose zu einer knapp zweijährigen Haftstrafe. Der Richter kritisierte in seinem Urteil den Angeklagten nicht nur dafür, sich während des Prozesses nicht entschuldigt zu haben, sondern zeigte sich empört darüber, dass dieser trotz des Urteils gegen die massenhafte Funkzellenabfrage am 19. Februar Rechtsmittel eingelegt hatte.

Sein Berliner Rechtsanwalt Sven Richwin bezeichnete das Urteil gegenüber der taz im Hinblick auf die bevorstehenden Proteste am 13. Februar in diesem Jahr als Exempel mit abschreckender Wirkung. Zugleich kündigte er an, gegen das noch nicht rechtskräftig gewordene Urteil in Berufung zu gehen. "Wir hatten unsere Hoffnungen ohnehin nicht in die erste Instanz gesetzt“, so der Verteidiger in seinem Fazit nach dem harten Urteil.

Weitere Artikel: Haft für den Mann am Megafon (17.01.2013)
Haftstrafe wegen Anti-Nazi-Demo: Linke Nummer (17.01.2013)

Video vom erfolgreichen Durchbruch: Dresden: Antifa durchbricht Polizeiblockade
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Ergänzungen

Solidarität ist unsere stärkste Waffe!

nolle 18.01.2013 - 12:46
Solidarität ist unsere stärkste Waffe! Heute, ab 18 Uhr, Soli-Demo für Tim in Dresden!

Am Mittwoch fällte Richter Hans Hlavka vom Amtsgericht Dresden ein weiteres der sich fast schon nahtlos aneinander reihenden Skandalurteile der Dresdner Justiz. Tim, Antifaschist, Familienvater mit festem Job, LINKER und Blockierer vom Februar 2011 wurde zu 22 Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt, angeblich, weil er durch sein Schweigen im Prozess eine negative Gefahrenprognose anzunehmen sei. Als Begründung für eine Verurteilung wegen Landfriedensbruch, Körperverletzung und Beleidigung reichte dem Richter eine verpixelte Polizeifilmaufnahme, ein Megaphon in der Hand, der Ausspruch „alle nach vorn“ und die vermeintlich abschreckende Wirkung des Urteils. Dresden habe Ausschreitungen im Februar „satt“ und damit müsse endlich „Schluss sein“. Tim wurde also zur Abschreckung für angebliche zukünftige Gewalttaten verurteilt.

Wir halten dieses Urteil ist nicht nur für hochgradig rechtswidrig. Die selbsternannten "Hüter des Rechtsstaats" zielen vor allem auf uns alle als Antifaschist_Innen und unser Engagement. Wiedereinmal will die Sächsische Justiz, angeführt von Dresdner Staatsanwaltschaft und Amtsgericht, Politik mit Gerichtsurteilen machen und Menschen unter Androhung von Strafe von der Ausübung ihres Rechts auf zivilen Ungehorsam abzuhalten. Richter Hlavka hat dies sogar in seiner mündlichen Urteilsbegründung offen ausgesprochen.

Wir als Bündnis „Nazifrei! Dresden stellt sich quer“ werden dies nicht hinnehmen. Wir lassen uns nicht kriminalisieren und wir lassen uns unseren Antifaschismus nicht nehmen. Ziviler Ungehorsam gegen Nazis ist unser Recht! Dafür setzen wir uns ein.

Deswegen rufen wir alle Menschen zu Solidarität mit Tim auf und wir rufen euch auf, dies mit uns morgen spontan auf die Straße zu tragen. Wir wollen uns ab 18 Uhr am Postplatz sammeln und dann zusammen von dort zum Amtsgericht ziehen. Kommt hin, bringt alle eure Freund_innen und so viele Megaphone wie möglich mit!

Solidarität gegen staatliche Repressionen! Kein Fuß breit den Faschisten! No pasaran!

Knapp 500 Dresdner protestieren

dnn 18.01.2013 - 20:50
Dresden. Knapp 500 Dresdner haben am Freitagabend mit einer Demonstration durch die Innenstadt gegen das Urteil im Blockierer-Prozess gegen den Berliner Tim H. protestiert. Unter dem Motto "Solidarität mit Tim" zogen sie vom Postplatz bis zum Amtsgericht, wo der 36-Jährige am Mittwoch wegen seiner Beteiligung an den Nazi-Blockaden vom 19. Februar 2011 zu 22 Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt worden war.

"Wir lassen nicht zu, dass Antifaschismus kriminalisiert wird. Wir alle sind Tim!", sagte Silvio Lang, Sprecher des Bündnisses Dresden-Nazifrei. "Wir alle haben gerufen 'nach vorn'". Lang und andere Redner kritisierten noch einmal das aus ihrer Sicht zu harte und politisch motivierte Urteil.



 http://www.dnn-online.de/dresden/web/dresden-nachrichten/detail/-/specific/Knapp-500-Dresdner-protestieren-gegen-umstrittenes-Blockierer-Urteil-2354745692