Tag des Meeres in Bolivien

Lucho Espinoza Gonzales 30.03.2012 18:17 Themen: Globalisierung Militarismus Weltweit
Am 23. März feierte, das im Herzen Südamerikas liegende Land Bolivien, wie jedes Jahr, den „Tag des Meeres“. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um einen Tag der Tourismusbranche, die für Urlaub am Meer wirbt, sondern um einen Feiertag, an dem mit Militärparaden, Fahnenapellen, Publikationen und Ansprachen ein souveräner Zugang Boliviens zur Pazifikküste gefordert wird. Politiker fast aller Strömungen propagieren an diesem Tag in ihren Medien den Wiedererwerb jener Küstengebiete, die Bolivien im Pazifikkrieg 1879 an Chile verlor. „Wir haben ein Recht auf das Meer, welches uns vor 133 Jahren von Chile geraubt wurde“ deklarieren Kolumnisten. Fast alle Tageszeitungen liefern Sonderbeilagen mit Namen wie „133 Jahre Ungerechtigkeit“ oder „Das Meer gehört uns rechtmäßig; die Rückeroberung ist ein Muss“. Rechte Politiker und Intelektuelle deklarieren sogar, dass militärische Perspektiven nicht ausgeschlossen werden dürfen.
Die Militärparaden, die schon am Tag vorher begannen, ziehen scheinbar endlos durch die Innenstadt von La Paz. Unter den verschiedenen Waffenbrigaden, mit Pickelhauben und Paradeuniformen, die sehr an die der deutschen Kaiserzeit erinnern, ziehen die Marinebrigaden des Andenlandes besondere Aufmerksamkeit auf sich. Hinter dem Militär marschieren die Politiker und Delegationen aller großen Unternehmen des Landes, Nachbarschaftsorganisationen und verschiedenste andere soziale Verbände. Auf Transparenten, T-Shirts und in den Zeitungen sind überall die letzten Worte des bolivianischen Soldaten Hidgalgo zu lesen, der mit den Worten „Mich ergeben? Das sich deine Oma ergibt, Arschloch“ gestorben sein soll.
Auch die linke Regierung Morales stellt sich offen hinter die Forderung nach dem Rückgewinn des Meereszuganges. Morales deklarierte: „Die internationale Gemeinde muss jetzt verstehen, dass der Moment gekommen ist, in dem die enorme Wunde, die wir Bolivianer durch die Trennung vom Meereszugang haben, durch ein gerechtes und untrügliches Urteil, […] welches Bolivien den Meereszugang zurückgibt, geschlossen werden kann.“ Der Vizekanzler Juan Carlos Alurralde äußerte der Presse gegenüber, dass nicht von Frieden und Freundschaft mit Chile gesprochen werden kann, während Bolivien weiterhin vom Meer abgeschlossen ist.
Im Gegensatz zur Rechten, welche den Pazifikkrieg und den territorialen Verlust Boliviens fast rein emotional begründet, versucht die Regierungspartei „Movimiento al Socialismo“ (Bewegung zum Sozialismus, MAS) und derer nahstehende Intelektuelle die ökonomischen Interessen, die zum Krieg führten, hervor zu heben. Die Gebiete, die Bolivien und Peru im Pazifikkrieg - auch Salpeterkrieg genannt - an Chile verlor, sind äußerst reich an Kupfer- und Nitratvorkommen (Salpeter), welches vor der Entwicklung seiner chemischen Herstellung durch deutsche Wissenschaftler im ersten Weltkrieg, ein äußerst lukratives Geschäft, unter anderem zur Sprengstoffherstellung, darstellte. Chile, gestützt von britischen Kapital und Waffen, eroberte im Salpeterkrieg die Rohstoffvorkommen, um dem internationalen Kapital günstigere Bedingungen (Steuerfreiheit, Subventionen) zu schaffen.
Doch was bewegt die linke Regierungspartei MAS (welche sich aus Linksliberalen und Indigenen bis hin zu maoistischen, stalinistischen Gruppen und ex-Guerillas zusammensetzt) eine chauvinistische Propaganda, die wir in Deutschland nur von nazistischen und seminazistischen Gruppen (Rückgabe der Ostgebiete) gewöhnt sind, zu unterstützen?
Auf alle Fälle weißt die bolivianischen Propaganda keine hirnverbrannten Begründungen wie die der deutschen Nazis auf, welche in den Ostgebieten „Lebensraum für das deutsch Volk“ sehen und erobern wollen. Mit all seinen Schlussfolgerungen von Vertreibung und Genozide.
Bolivianische Intelektuelle begründen ihre Forderung viel mehr mit der ökonomischen Entwicklung welche ein Hafen und vielmehr die Rohstoffschätze der Küste dem Land geboten hätte, wenn Chile Bolivien diese Region nicht „geraubt“ hätte.
Der bolivianische Chauvinismus gegen Chile hat, obwohl viele BolivianerInnen Familie und FreundInnen haben die in Chile arbeiten, viel Geschichte und Tradition. Seit 133 Jahren führte dieser Konflikt immer wieder zu Anfeindungen und Auseinandersetzungen zwischen Peru, Chile und Bolivien. Doch viele Regierungen nutzten diesen nationalistischen Konflikt um von Inneren Problemen abzulenken. 2004 reklamierte der damalige Präsident Carlos Mesa den Anspruch Boliviens auf einen souveränen Meereszugang vor den Vereinten Nationen um zu versuchen, die durch die seit 2000 anhaltenden sozialen Proteste und Riots gespaltene Gesellschaft unter einer nationalen Fahne zu einigen. In einen Moment in den Bolivien am Rande des Bürgerkriegs stand (2006-2008) hat dieser Chauvinismus geschafft die faschistischen Paramilitärs zusammen mit Linksradikalen gemeinsam „für das Meer“ auf die Straße zu bringen und unter der Fahne des Nationalismus für einen Moment zu einigen. Die Regierung Morales benutzt auch heute den äußeren Konflikt des Meereszuganges, um von den inneren Problemen seiner schrumpfenden Popularität auf Grund einer immer neoliberaleren Politik (wie die unbezahlte Arbeitszeitverlängerungen der Angestellten des Gesundheitswesen oder den Straßenbau in Schutzgebieten des TIPNIS, gegen den Willen der indigenen Bevölkerung und für die Interessen der multinationalen Gas- und Ölkonzerne) etwas ab zu lenken.
Doch warum unterstützen heute Länder wie Argentinien, Brasilien, Venezuela und Kuba, die juristisch aussichtslose Forderung Boliviens auf die chilenischen Küstengebiete?
Um diese scheinbar paradoxe Frage zu beantworten ist ein kleiner Rückblick in die Geschichte des sogenannten bolivianische „Gaskrieg“ von 2003 notwendig. Massen von Bauern, Land- und Minenarbeiter und die Bevölkerung von El Alto (der ärmste Teil der bolivianischen Hauptstadt La Paz) erhoben sich – neben anderen Forderungen – gegen den Ausverkauf des bolivianischen Erdgases an multinationale Konzerne. Doch die durch die Erhebung an die Macht gekommene Regierung Mesa „Löste“ das Problem auf eine nationalistische Weise. In einen von der Regierung veranlassten Volksentscheid plädierte die bolivianische Bevölkerung, im Rahmen der vorgegebenen Fragen, dafür kein Erdgas an Chile und an die USA zu verkaufen. Chile ist jedoch auf bolivianisches Erdgas angewiesen, um seinen Energiebedarf zu decken und bezieht daher das Bolivianische Gas über den Umweg Argentinien. Die chilenischen Energiekonzerne antworteten auf den Verkaufsboykott Boliviens mit Erhöhung der Preise für die Verbraucher.
Bolivianisches Gas kann nur über den Seeweg in die USA und auf den Weltmarkt gelangen. Dafür ist jedoch ein Hafen mit Kompressionsanlagen erforderlich um das Gas in flüssiger Form über den Pazifik zu transportieren. Peru, der andere Nachbar Boliviens mit Pazifikküste, hat bereits keine Kapazitäten um sein eigenes Gas zu exportieren und ist besorgt diese Situation zu verbessern. Bliebe nur der Weg über Chile, welche durch den Verkaufsboykott blockiert ist.
So formt das argentinische Gaskartell Repsol, zusammen mit den brasilianischen, den Hauptabnehmer des bolivianischen Erdgases und kontrollieren die Preise des Gases, welches in Bolivien zum Großteil von den selben Unternehmen gefördert wird.
Sprich der Chauvinismus gegen Chile dient nicht einmal einen „nationalen Interesse“, jedoch den Interesse derselben Öl und Gasunternehmen Brasiliens, Argentiniens und Venezuelas (die sich in den letzten Jahren große Anteile am Bolivianischen Markt gesichert haben und diese immer weiter ausbaut), da der Chauvinismus bisher den Zorn der Bevölkerung gegen die Multinationalen auf eine Nationale ebene, gegen Chile und die USA, beschränken konnte. Zum Vorteil der Multinationalen jener genannten Länder.
Wenn Morales in seiner Propaganda und Politik die imperialistischen Mächte angreift, bezieht er sich dabei hauptsächlich auf die imperialistischen „Löwen“ dieser Region. Die Vereinigten Staaten Amerikas, Europa und Chile. So kommt er scheinbar den antiimperialistischen Forderungen der Massen nach und schafft, gekoppelt durch die „Enteignung“ (kauf der Aktienmehrheit) der in ihrer Mehrzahl Infrastrukturunternehmen (im Fall des Gases das Pipeline System), äußerst günstige Bedingungen für die schwächeren Multinationalen Lateinamerikas, die durch „ihre“ Länder, Argentinien, Brasilien und Venezuela politisch, auf eine imperialistische weise, gestützt werden.
Wenn die linksbürgerlichen Regierungen Kubas, Venezuelas, Brasiliens und Argentinien die chauvinistische Forderung Boliviens Chile gegenüber unterstützten, verteidigen sie Erstling ihre Vormachtstellung auf denn bolivianischen Markt.
Doch die Ausbeutung der MULTInationalen Öl- und Gasunternehmen kann nicht auf einem nationalistischen Weg beendet werden, sondern nur durch eine Verstaatlichung der Unternehmen unter Kontrolle und Verwaltung der Arbeiter und Angestellten! Nur so können sie garantieren, dass die Reichtümer, die sie fördern, auch für die Menschen und für eine umweltschonende Förderung genutzt werden und nicht als Gewinne an internationale Spekulanten fließen!
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hey könnten wir ihnen nicht kiel oder cuxhave — geben im tausch gegen massig kokain?