Sachsen: §129 für'n Arsch!

Kampagne 129 ev 18.08.2011 14:56 Themen: Antifa Medien Repression Soziale Kämpfe
Am 19.Februar, 12. April und 02. Mai 2011 kam es in Brandenburg,Sachsen und speziell in Dresden zu Hausdurchsuchungen gegen Linke ausverschiedenen politischen Zusammenhängen. Polizei undStaatsanwaltschaft werfen ihnen unter anderem "schwerenLandfriedensbruch" (§125a), "Aufruf zu Straftaten"(§111), Sachbeschädigung (§303),Körperverletzung (§223) und "Bildung einerkriminellen Vereinigung" (§129 StGB) vor. Zunächstliefen die Ermittlungen unter identischem Aktenzeichen...

Überblick:



Intro

Am 19.Februar, 12. April und 02. Mai 2011 kam es in Brandenburg,Sachsen und speziell in Dresden zu Hausdurchsuchungen gegen Linke ausverschiedenen politischen Zusammenhängen. Polizei undStaatsanwaltschaft werfen ihnen unter anderem "schwerenLandfriedensbruch" (§125a), "Aufruf zu Straftaten"(§111), Sachbeschädigung (§303),Körperverletzung (§223) und "Bildung einerkriminellen Vereinigung" (§129 StGB) vor. Zunächstliefen die Ermittlungen unter identischem Aktenzeichen...

Nun wurden Aktenzeichen voneinander getrennt. Die Ermittlungen im Bezugauf die Razzia im „Haus der Begegnung“ (19. Februar2011) laufen möglcherweise als eigenständigeVerfahren weiter. 22 Personen wurden im besagten Objekt von 120 Beamtenin Gewahrsam genommen und erkennungsdienstlich behandelt. Die Razziafußte lediglich auf einer mündlichen richterlichenZustimmung. Nachdem der Durchsuchungsbefehl doch nochausgehändigt wurde, stellte sich heraus, dass dieHausdurchsuchung sogar an einer falschen Adresse durchgeführtwurde. Trotz der Trennung der Aktenzeichen, bleiben dieVorwürfe nach §111, §125a und §129weiterhin bestehen.

Mit der Trennung der Aktenzeichen scheinen Polizei undStaatsanwaltschaft ihre Kreise enger zu ziehen, indem sie einzelneBetroffene aus dem ursprünglichen Verfahrenausschließen. Doch generell können Verfahrenbeliebig zusammengelegt und voneinander getrennt werden, sodassfür die 22 Betroffenen aus dem „Haus derBegegnung“ noch keine Entwarnung gilt. Außerdemsind 3 weitere Personen (darunter der auch der Pfarrer aus Jena)hinzugekommen. Mit den Betroffenen der Razzien vom 12. April und dem 2.Mai sind jetzt jetzt insgesamt 41 Personen von der staatlichen Repression in Folge der §129-Ermittlungen betroffen.

Don Vito Corleone Antifascista?

Seit mehr als zwei Jahren schnüffeln und forschen dieRepressionsorgane innerhalb der sächsischen Szene herum. AlsAnlass dafür diente sowohl die zunehmende Vernetzungantifaschistischer Gruppen im Kontext des 13. Februar, als auch einBrandanschlag auf einen Bundeswehr-Fuhrpark in Dresden.
Der Oberstaatsanwalt und Sprecher der Staatsanwaltschaft Dresden,Lorenz Haase, posaunte zunächst die Phrase von einerlinksradikalen Mafia in Dresden über alle möglichenMedienkanäle hinaus:
"Wennman in Palermo mafiöse Strukturendurchleuchten will, dann muss man in die Breite ermitteln."[1]
Wenig später ruderte er wieder zurück:
„Ich wollte darauf hinweisen,dass wirnicht nur gegen Einzeltäter ermitteln. Wir haben es in Sachsennicht mit einer linken Mafia zu tun, aber mit gut organisiertenkriminellen Strukturen.“ [2]
Dem Gedankenspiel der Staatsanwaltschaft zu Folge tritt an die Stelledes berühmten Don Vito Corleone nun ein „Kopf derGruppe“. So formulierte Lorenz Haase später:
„Wir vermuten, dassfür dieseTaten eine Organisation verantwortlich ist, dass die handelnden Gruppengelenkt worden sind. Und wir gehen davon aus, dass es einen Kopf derGruppe gibt. Dies gilt es so aufzuklären, dass wir esnachweisen können.“ [3]
Die Ermittlungen gegen diese sogenannten mafiösen Strukturenwerden in den Medien vom Gespenst der „linksextremenGewalttäter“ begleitet. So wird der notwendigeantifaschistische Selbstschutz in Limbach-Oberfrohna schnell mal zu„linker Selbstjustiz“.[4] Aber der FreistaatSachsen ist nicht erst seit Kurzem bekannt für seineEinstellung: Rechts wegschauen und links zuhauen.

§129 im Kontext der Massenblockaden

Solange nach §129 ermittelt wird, wird die Staatsanwaltschaftwohl nichts unversucht lassen, um die linke Szene zu durchleuchten undzu kriminalisieren. Letzten Endes handelt es sich um einenSchnüffelparagraphen, der die persönlichen Freiheitenund Rechte der Beschuldigten und aller Verdächtigenaußer Kraft setzt. Wer auch immer sich an den Vorbereitungenzum 13. Februar 2012 beteiligt oder versucht, antifaschistische Arbeitzu leisten, läuft Gefahr in das Fadenkreuz der Ermittler zugeraten.
Es handelt sich also ganz klar um den Versuch, eine Spaltung undEntsolidarisierung zwischen der radikalen Linken und derbürgerlichen Zivilgesellschaft herbeizuführen und dieerfolgreichen Blockaden der letzten Jahre in Zukunft zu unterbinden.Die Behörden verfolgen nun nicht mehr nur das Ziel, eineProtestbewegung als solche zu kriminalisieren und sich dieDeutungshoheit über den 13. Februar und seine„Demonstrations-Kultur“ zurückzuholen.

Anscheinend soll den netten und demokratischen Bürgern nun vorAugen geführt werden, mit welchen „bösenAntidemokraten“ und „gewaltbereitenChaoten“ sie seit zwei Jahren Europasgrößten Naziaufmarsch blockiert haben. MitSchmuddelkindern spielt man nicht! Denn sonst kann es schon einmalpassieren,
...dass mehrere 100.000personen- und standortbezogeneMobilfunkdatenvon den „friedlichen Blockierern“ gespeichertwerden [5]
...dass mal eben mehr als 200 DemonstrantInnen von Polizeibeamten, z.T.schwer verletzt werden [6]
...dass selbst eine Junge Gemeinde und ihr Pfarrer in die§129-Ermittlungen geraten. [7]

Obwohl Polizei und Staatsanwaltschaft ein Exempel nach dem anderenstatuieren, müssen die Blockadebündnisse und ihrePartner Ruhe bewahren und solidarisch bleiben. Denn es stellt sich dieFrage, unter welchen Umständen und wie lange dieseSchmuddelkinder noch in den Anti-Naziprotesten geduldet werden.Schließlich baut der bürgerliche Rechtsstaat hiereine gewaltige Drohkulisse auf und lässt mitHandyüberwachung, Polizeigewalt und den§129-Verfahren die Ketten rasseln.

Und die Szene?

Die Szene soll gelähmt und verunsichert werden. Denn durch denGesinnungsparagraphen 129 StGB, der sich beliebig auslegen undumkonstruieren lässt, basteln sich Polizei und Staatsschutzeine Art Generalschlüssel. Unter dem Vorwand, ein ganzesArsenal an Delikten wie z.B. Körperverletzung (§223)oder Sachbeschädigung (§303 StGB) aufklärenzu wollen eröffnete die Staatsanwaltschaft im April 2009 dieErmittlungen nach §129.

Die formale Begründung lag auf der Hand: Ein erfolgreicherBrandanschlag auf den Fuhrpark der Dresdner Offiziersschule [8],verschiedene erfolgreiche Aktionen des antifaschistischenSelbstschutzes, sowie die Beteiligung an Aktionen rund um den 13.Februar. Der eigentliche Ermittlungshintergrund ist jedoch der Versuchder Verfolgung und Zerstörung antifaschistischer undlinksradikaler Organisationsansätze. Wie wenig dieBehörden in der Hand haben, zeigt der Grund derHausdurchsuchungen vom 12. April und 2. Mai 2011.Die Durchsuchungen sollten zum Auffinden von "Beweisen" dienen, diez.B. den bloßen "Bezug zum antifaschistischen Spektrum"belegen sollen. Diese „Beweise“ sollten anscheinenddie umfangreichen TKÜ-Maßnahmen und Beschattungenbestätigen und ergänzen.

Das Verfahren um die imaginierte „KriminelleVereinigung“ ermöglicht den Repressionsorganenalternative Projekte, Vereine, Kneipen und Einzelpersonen ohnerechtliche Beschränkungen abzuhören, zu infiltrierenoder Bewegungsprofile zu erstellen. Wie schon in anderen Verfahrenversucht der bürgerliche Staat die antifaschistischen undlinksradikalen Strukturen zu diskreditieren und zu spalten.Dabei ist zweifelhaft, ob das Konstrukt der "Kriminellen Vereinigung"aufrecht erhalten wird. Sollte es den Behörden nicht gelingen,dem Gericht eine „Vereinigung“ zupräsentieren, so gehen wir davon aus, dass eine Auswahleinzelner Beschuldigter erfolgen wird. Getroffen werden soll dervermeintlich militante Kern der sächsischen Szene.

Staatliche Repression prügelt, schnüffelt, schiebt abund knastet!
Ihre Politik ist kriminell. Unsere Kriminalität ist politisch!
Solidarität mit den Betroffenen!

Kampagne 129 ev

Web:
www.129-ev.tk
Mail: abolish129[ät]riseup.net

_________________________________________________
[1: TAZ am 26.07.2011 „DieDresden-Mafia“ http://www.taz.de/!75103/ ]
[2: TAZ am 26.07.2011 „Es gibt einen Kopf der Gruppe"http://www.taz.de/!75168/ ]
[3:ebenda]
[4: Freie Presse am 14.06.2011 Stadt: Linke Selbstjustiz inLimbach-Oberfrohnahttp://www.freiepresse.de/LOKALES/CHEMNITZ/Stadt-Linke-Selbstjustiz-in-Limbach-Oberfrohna-artikel7680261.php]
[5: ADDN am 26.07.2011 „Die Dresdner Datenaffäreweitet sich aus“http://www.addn.me/antifa/die-dresdner-datenaffare-weitet-sich-aus/]
[6: ADDN am 23.02.2011 „Polizei verletzt mehr als 200Menschen“http://www.addn.me/antifa/polizei-verletzt-mehr-als-200-menschen/]
[7: MDR „Razzia bei Jenaer JugendpfarrerKönig“http://www.mdr.de/thueringen/ost-thueringen/razziakoenig100.html]
[8: Direct Action Newshttp://directactionde.blogspot.com/2009/04/brandanschlag-auf-bundeswehr.html]



Trotz alledem: Am 24. September nach Leipzig!



Die Kampagne 129 ev unterstützt den Aufruf zumAntirepressions-Block „Trotz alledem: Linke Politikverteidigen!“ bei der Antifa-Demo am 24. September inLeipzig. Genau wie unsere Freund_innen in Leipzig denken wir, dass es„keine Alternative zur linksradikalenOrganisierung“ geben kann.
Kommt alle zur bundesweiten Demonstration gegen das Nazizentrum inLeipzig und beteiligt euch am Antirepressions-Block!

Infos zur Demonstration:
www.demo.fenceoff.org
Infos zum Antirep-Block: www.handanlegen.blogsport.de



Spendenkonto:

Rote Hilfe Dresden
Konto: 609760434
BLZ 36010043
Postbank Essen

Stichwort „129 Verfahren“ (fürdie Prozesskosten)
Stichwort „129 Soliarbeit“ (für Kosten der Kampagnenarbeit)

Material:


Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Statt einer Ergänzung

Luigi 18.08.2011 - 19:50
Guter Übersichtsartikel, danke für das Zusammentragen der Infos.

Statt viel weiterem Gelaber nur ein link:
 http://www.youtube.com/watch?v=BU9w9ZtiO8I

Maßnahmenchronologie

ich 19.08.2011 - 16:55
hier noch eine zeitlich geordnete Übersicht über die verschiedenen Überwachungs- und Repressionsmaßnahmen:  http://www.sachsens-demokratie.net/?cat=8