Ein Hinrichtungsbefehl und eine Hinrichtung

Robert Gene Will / Übersetzer: Susan Nowacki 17.06.2011 14:38 Themen: Blogwire Repression Weltweit
Ein neues Update von unserem Comrade Robert Will aus dem Todestrakt von Texas.
"Ausgerechnet der Mensch ist unmenschlich." Thomas Bernhard - Unser Freund Robert Will, der unschuldig zum Tode verurteilt wurde und im Todestrakt sitzt, wird am 29. Juni 2011, 33 Jahre alt. Wenn es Dir möglich ist, dann sende ihm eine Nachricht der Solidarität und untersützte ihn und uns in seinem harten Kampf Gerechtigkeit zu erfahren! Gerne nehmen wir auch via Mail Nachrichten für Rob entgegen und senden ihm diese in Eurem Namen zu. Vielen herzlichen Dank!
Ein Hinrichtungsbefehl und eine Hinrichtung: Reflektionen. Brief an einen Freund in Österreich

von Robert Will (1. Juni 2011)



Compaňero Heinz: Ich beginne meinen Brief mit einer warmen Umarmung des Friedens, des Kampfes und der Solidarität für Dich! Du musst mir verzeihen, dass ich Dir so lange nicht geschrieben haben aber die Dinge, die hier geschehen sind sehr hart. Diese Umgebung hier ist generell eine folternde Dantonsche, Huxleysche, Orwellsche, Kafka-esque Hölle aber manchmal (so wie jetzt gerade) kann diese dunkle Wolke, die diese Hölle hier umgibt zu einer blindwütigen Gewitterwolke werden – die blitzartig die Seele derjenigen trifft, die mit ihr in Kontakt kommen, es ist ein heftiger Hagel, der den Geist dieser Menschen mit tiefer Trauer überschüttet, es ist ein gesundheitsschädlicher Smog der scheinbar das Leben aus denen herauswürgt, die er berührt. Und manchmal löscht er tatsächlich Leben aus, nimmt Leben oder zertört es.



Heute morgen wurde Gayland Bradford hingerichtet. Ich kannte ihn, obwohl wird nicht besonders eng miteinander waren. (In dem Jahrzehnt, in dem ich hier bin, bin ich nur mit einigen Menschen, einer ganz kleinen Anzahl von Menschen, eng geworden). Ich bin an Hinrichtungstagen immer sehr niedergeschlagen , vor allem wegen der Tatsache, dass niemand wirklich darüber spricht. G-Man war mit einer Meng von Leuten hier cool und er wurde vorhin ermordet und niemand spricht darüber! Und wenn ich es bei den anderen zur Sprache bringe, wird sofort davon abgelenkt. An diesen Tagen, den Hinrichtungstagen, ist die triviale Bewältigungsstrategie “Glück“ viel höher als sonst. Ein jeder macht hi-hi und ha-ha, albert herum und macht Witze, redet über Sport und anderen zusammengewürfelten Unsinn und ist umgeben von völligem Nebel. Das schreibt George Jackson:



“All die Geräuschemacher schlafen nun: Sie haben sich selbst feiernd, mit vorgetäuschtem Lachen und Gesang, durch die Nacht getragen. Das ist wirklich kurios, dass ein Mensch hier über irgendetwas lachen kann. Aber jeder hier ist 22 Stunden am Tag eingeschlossen. Sie haben keine Vergangenheit, keine Zukunft, kein anderes Ziel vor Augen als die nächste Mahlzeit. Sie sind so ängstlich, durcheinander und verwirrt in einer Welt, die sie nicht erschaffen haben, dass sie das Gefühl haben nichts daran ändern zu können und so machen sie diesen Lärm, damit sie nicht hören müssen, was ihr Innerstes ihnen versucht zu sagen. Das eigene Lachen und das der anderen um sie herum hält sich aufrecht und sagt ihnen, dass sie keine Angst haben sollen, das ist vergleichbar mit einem abergläubigem Individuum, das eine lustige Nummer pfeift oder singt während es über den Friedhof läuft. Die täglichen Einschränkungen in dieser engen Umgebung verursachen eine Menge Anspannungen. Die unvermeidliche Konsequenz daraus ist Dummheit, ein Rückfall in kindliches Verhalten und Überreaktionen.“



Und kannst Du Dir vorstellen wie viel potenzierter die psychodynamischen Handlungen, die er beschreibt, bei Menschen sind, die zum Tode verurteilt wurden? Tod – das Wort, das entsetzliche, unfassbare Wort. Tod – der grauenhafte und furchteinflößende Begriff an den man lieber nicht denken will aber alle tun es.

Gestern, rief mich Steven Woods vom Zweiten (Anmerkung des Übersetzer: “vom Zweiten“ meint aus Level II, in dem sich Steven gerade befindet). Ich ging zu meiner Tür und er rief: “Ich habe gerade meinen Hinrichtungsbefehl via Mail bekommen. Meine Hinrichtungsdatum ist der 13. September.“ Einen Hinrichtungsbefehl? Kannst Du Dir das vorstellen? Ein Stück Papier teilt Dir mit: “Du wirst am 13. September sterben“ oder irgendein anderes Datum, welches Datum auch immer. Darf ein kleines Stück Papier zu einem solch fürchterlichen Zweck heutzutage, in unserer Zeit dafür benutzt werden? Ich stelle mir diese Stück Papier vor, diesen Hinrichtungsbefehl vor, zusammengefaltet als ein Stilett mit langer Klinge, welche in das Herz der Humanität sticht.



Ich bin ein Künstler. Grundsätzlich liebe ich Papier. Ich liebe es wenn mein Stift auf unterschiedliche Art und Weise über das Papier gleitet. Einmal hat mir einer meiner Freunde ein Papier geschickt, dass eine ganze weiche Struktur hatte, eine Papierart, die ich vorher noch nie gesehen habe und von dem ich dachte, das ist der bezaubernste Gegenstand – Ich habe ungefähr 15 Minuten mit diesem Papier geflirtet bevor ich es benutzt habe! Ein anderer Freund schickte mir eine Postkarte an dem ein kleines Stück Papier befestigt war. Ich habe diese Postkarte – mit dem Stück Papier, dass ich so faszinierend finde – jahrelang sicher aufbewahrt. Ja, grundsätzlich liebe ich Papier aber das, dieser Hinrichtungsbefehl, dieses Stück Todespapier, was man Steven so übergeben hat, wie man jemandem eine Rechnung oder ein Werbung oder so etwas ähnliches übergibt, hat mich dazu gebracht, einen differenzierteren Blick auf Papier zu werfen. Lass mich ein wenig Yoga, Jujitsu, etwas von dem schönen Shaolin Qi Gong und ein wenig Krafttraining machen...



Ah, das hat so gut getan! Bist Du mit dem Komponisten Tan Dun vertraut? Habe ich ihn Dir gegenüber schon einmal erwähnt? Ich kann mich nicht erinnern, aber er ist wirklich brillant! Wenn ich mein Shaolin Qi Gong Verbinde Dich mit Himmel und Erde praktiziere, dann denke ich immer an die Symphonie von Tan Dun, die einen ähnlichen Namen trägt, wenn Du sie noch nie gehört hast, dann suche Dir das Stück heraus und lass mich wissen, was Du darüber denkst. Hast Du gewusst, dass 4 von den 5 Menschen, die Selbstmord begangen haben, seitdem ich hier bin, auf Level II oder Level III waren? Das sind die Gründe dafür. Menschen können nicht mit den Leveln (Anmerkung: Level II / III) umgehen. Auf Level gibt es kein Radio und es nicht erlaubt sich Essen aus dem Commissary (Anmerkung des Übersetzers: der commissary ist eine Art Bestellshop im Gefängnis über den die Gefangenen verschiedene Dinge, wie Duschgel oder Zahnpasta, Papier und Briefmarken oder auch anderes Essen; Fertiggerichte; für teures Geld kaufen können) zu bestellen und ich glaube, dass ist der Grund. Essen wird sehr gern als psychologischer Verdrängungsmechanismus genutzt und natürlich hilft gesundes Essen sich besser zu fühlen. Ein Radio ist eine hervorragende Möglichkeit dieser Hölle hier zu entfliehen. Und Du weißt, wie ich die Musik zum Atmen brauche, sie belebt meinen Geist, stählt meine Seele und kann mich in tiefe Tränen ausbrechen lassen oder mein Herz vor Freude höher schlagen lassen! Es gibt kein Musik hier unten, in diesem “Kerker“.



Dann die Einschränkungen in der Freizeit, der Verlust der Besuchsrechte, die Super Segregations- Sicherheitszellen und andere Dinge, die die Psyche eines Menschen attackieren. All diese Dinge treffen mich nicht genauso heftig wie meine anderen Brüder aber ich kann auch nicht vollkommen vor den erbärmlichen Bedingungen in dieser Umgebung fliehen; das ist unmöglich. Kennst Du Thomas Bernhard? Compaňera S. hat mir seinen Roman “Auslöschung“ geschickt. Im Grund ist dieser Roman eine lange Exposition des östereichisch - deutschem Pessimismus. Irgendwann in dem Roman, scherzt eine der Nebenfiguren über den Hauptprotagonisten, das “intellektuelle schwarze Schaf“, Franz Josef Murau und nennt ihn den typisch intellektuellen österreichischen Pessimisten. Ich dachte an Dich und brach in lautes Lachen aus. Ich denke, wir beide sind manchmal schuldig, den Dingen pessimistisch gegenüber zu stehen. Ah, aber ich will auf das folgende Zitat von George Jackson, das jenem aus dem ersten Absatz folgt, hinweisen:



“I refuse to let myself be punished with stuff like this. Locked in a jail, within a jail, my mind is still free. I refuse ever to allow myself to be forced by living conditions into a response that is not commensurate with intelligence…This will apply even more on the other side of the wall, out there where you are.”



Es gibt tatsächlich so viel zu tun und ich glaube ich bin gerade ein wenig auf gleicher Wellenlänge mit Dir weil ich in der Stimmung des grübelnden jungen Werther war. Ich bin noch immer auf Level III und organisiere in starkem Maße mit. Ich weiß, Du und die anderen, die draußen sind machen das gleiche und das erfüllt mich mit Inspiration und Hoffnung – und in diesem Geist will ich den Brief mit einer Spartakus-Dinoysischen Umarmung schließen:



!Liebe und Solidarität!



Rob

Hallo, mein Name ist Robert Will,

Ich bin dazu bestimmt, ein lebensbejahendes und kreatives Leben in dieser Umwelt, die dazu gemacht ist, den menschlichen Geist, den Körper, das Temperament und die Seele zu zerbrechen, zu leben. Ich möchte Dich gerne in diese Welt einladen - Du wirst sehr überraschende Erfahrungen machen. Meine Texte findest Du in hier und unter www.freerobwill.org

Ich hoffe, Du wirst Dir die Zeit nehmen die folgende wenigen Absätze zu lesen:

Im Dezember des Jahres 2000, in einem Alter von 22 Jahren, wurde ich des Kapitalverbrechens beschuldigt einen Polizeibeamten ermordet zu haben.

Nach einem unglaublich unfairen Verfahren wurde ich von einer Jury von Harris County (Houston, Texas) zum Tode verurteilt und in den Todestrakt gebracht. Ich bin völlig unschuldig und ich bin mir sicher, dass jeder, der sich die Zeit nimmt meinen Fall anzuschauen, zum selben Ergebnis kommen wird.

Ein paar Fakten zu meinem Fall: Ich war gefesselt als die Schüsse fielen. Der Polizeibeamte gab diese Tatsache über Funk durch. Der tatsächliche Schütze, der der Sohn eines sehr angesehenen und sehr gut vernetzten Polizeibeamten ist, hat die Tat mehrere Mal gestanden. Außerdem gibt es mehrere wissenschaftliche Beweise die meine Unschuld beweisen. Ich hatte vom Gericht bestellte Pflichtverteidiger und natürlich wurden diese Beweise, während meiner Verhandlung, entweder gar nicht oder nicht richtig hervorgebracht.

Mein Vater wurde ermordet als ich ein Kind war und ich habe keine Familie mehr, die mich in irgendeiner Weise unterstützt. Die Berufungsmöglichkeiten in Texas sind ausgeschöpft und wenn ich keine Hilfe bekomme, habe ich vielleicht nur noch ein oder zwei Jahre zu leben. All meine gerichtlichen Beschwerden wurden abgelehnt, so dass meine Zeit dem Ende zugeht. Und in meinem Fall wird das Ende besonders schnell durchgesetzt werden.

Als mein Vater starb, starb ein Teil von mir mit ihm. Ich habe einen wunderbaren Sohn und ich möchte ihn nicht durch die selbe Hölle gehen lassen, seinen Vater zu verlieren. Wenn mir irgendjemand bei alldem helfen kann, bitte ich ihn mit mir Kontakt aufzunehmen. Du kannst mir eine Mail senden. Dafür kannst Du die Kontaktadressen auf dieser Seite benutzen. Alle Nachrichten werden an mich weitergeleitet. Ich brauche juristische Unterstützung und Spenden.

Nun noch ein wenig über mich selbst: Ich bin 30 Jahre alt, 189 cm groß und wiege 90 kg. Meine Augenfarbe ist dunkelgrün-blau-grau und ich bin blond. Ich lese unglaublich viel und meine literarischen Themen sind: klassische Literatur, Geschichte, Symbologie, Psychologie, Abenteuer, Philosophie, Sozialpolitik, Mythologie und anderes. Ich habe alles von Anne Rice über Nietzsche gelesen. Außerdem liebe ich Musik, Kunst und die Natur.

Derzeit versucht man mich hier zu zügeln, weil ich mich aktiv, in Form von Organisationen und Protesten, gegen die Lebensbedingungen in diesem Gefängnis, in dem wir leben, wehre. Gegen mich wurde Gas eingesetzt, ich wurde niedergeschlagen und allen hier möglichen Restriktionen unterlegt.

Sie haben jede Taktik probiert aber ich kämpfe weiter für die Rechte der Gefangenen. Ich glaube fest daran, dass Nichtstun eine Zustimmung für Ungerechtigkeit ist.


Frieden, Liebe und Kraft

Rob

Du kannst Rob schreiben:

Robert Gene Will # 999402

Polunsky Unit DR

3872 FM 350 South

Livingston, TX 77351

USA

oder uns eine Mail an  robwilldeutschland@googlemail.com schicken. Wir leiten Sie gerne und umgehend via jpay (“Poststelle" im Todestrakt, der Vorteil von jpay ist es, dass die Insassen die Post innerhalb von 48 h haben) an ihn weiter.
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Ergänzungen