Die Wütenden Vom Syntagma

Κωνσταντίνος Σπέρας 14.06.2011 17:52 Themen: Globalisierung Soziale Kämpfe Weltweit
Ab morgen früh punkt 7 Uhr wird sich zeigen, inwieweit die Wütenden vom Syntagma-Platz sich in die seit über einen Jahr Griechenland überrollende Streikbewegung einpassen werden und ob es zu einer gemeinsamen Offensive kommen wird. Geplant ist nämlich nicht nur, das Land 24 Stunden lahmzulegen, sondern auch das Parlament soll blockiert werden um die Abstimmung über den Ausverkauf Griechenlands zu verhindern.
Dabei könnte sich ein Schachzug Papandreous als günstig für die Protestbewegung erweisen. Aufgrund der Blockade wird zuerst nur beraten und die Abstimmung soll später im Juni oder sogar Juli erfolgen. Vielleicht wird genau das zum Brecheisen, denn dadurch könnte sich zwangsläufig die Möglichkeit ergeben, die Proteste zu einem echten, heisst unbefristeten Generalstreik auszuweiten.
Inzwischen erwiesen sich die Gerüchte über ein Referendum als weitere Ablenkung: Es sollte garnicht über die "Sparmaßnahmen" abgestimmt werden, sondern darüber, ob man dem Volk in Zukunft mehr (direkte) Demokratie durch Volksabstimmungen erlauben will; natürlich, wenn überhaupt erst im Herbst.
Am Mittelmeer weht ein neuer Wind. In Tunis und Kairo hat er Diktatoren gestürzt - in Madrid und Athen rüttelt er an der parlamentarischen Demokratie in ihrer jetzigen Form. Die griechischen Aganaktisméni demonstrieren dagegen, dass ihr Staat nur die Interessen der Vermögenden bedient und die Spaltung zwischen Arm und Reich forciert. Das ist der Ausgangspunkt für den Zorn der "Wütenden".

Seit über zwei Wochen kommen jeden Abend vor dem griechischen Parlament und an anderen zentralen Orten Griechenlands riesige Menschenmassen friedlich zusammen. Auf dem Platz der Verfassung ("Syntagma") in Athen finden Volksversammlungen statt, auf denen das Rederecht ausgelost wird und die live im Internet übertragen werden. Bemerkenswert wenig wird davon in Deutschland berichtet.


Wenn in Deutschland darüber diskutiert wird, ob "die" Griechen denn schon genug eingespart hätten, um sich die nächste Tranche von Hilfskrediten zu verdienen, wird die Gerechtigkeitsfrage ausgeklammert. Die aber stellen die Menschen auf dem Syntagma-Platz. Geht in einer Demokratie nicht alle Macht vom Volk aus? Nun, der Souverän meldet sich gerade zurück. Seine Botschaft: "Wir wollen nicht, dass unsere Zukunft über unsere Köpfe hinweg entschieden wird."


Regelmäßig reisen die Vertreter der Troika von EU, EZB und IWF nach Athen und sagen dem Premier Giorgos Papandreou, was er zu tun hat. Ergebnis: Der Staat hat im Innern längst den Zahlungsausfall erklärt. Es geht nur noch darum, die Schuldzinsen zu begleichen. Die Demokratie zur Bedienung von Zinsen auszuhebeln ist jedoch verfassungswidrig, sagen griechische Sozialverbände, die gegen die Kreditvereinbarungen vor dem Obersten Verwaltungsgericht geklagt haben. Nach über einem halben Jahr steht eine Entscheidung noch aus.

Teufelskreis der "Hell Debits"

Ist das Vorgehen der Regierung Papandreou und der internationalen Institutionen überhaupt legitim? Wir wissen spätestens seit Ausbruch der Weltfinanzkrise 2008, dass wir eine globale Finanzblase haben. Deren Ursachen liegen in der virtuellen Vermehrung von Geld, das realwirtschaftlich nicht existiert. Und in der Anhäufung von Vermögen bei einem kleinen Teil der Weltbevölkerung. Es gibt Kapital, das weder verbraucht noch investiert werden kann und das dennoch profitable Anlagemöglichkeiten sucht. Es ist egal, ob dies zahlungsunfähige US-Hausbesitzer, irische Banken oder der griechische Staat sind.

Die Bevölkerung in Griechenland wird also gezwungen, den Gürtel immer enger zu schnallen, damit Zahlen im Computer von einem Konto aufs andere wandern können - für Geldwerte, die niemals bei realen Menschen zur Befriedigung realer Bedürfnisse ankommen. Hohe Schulden hatte der griechische Staat schon in den 90er Jahren. Explodiert sind sie aber erst nach der Einführung des Euro durch den Teufelskreis der "Hell Debits": Die staatlich kontrollierten griechischen Banken wurden zu willigen Abnehmern von immer mehr toxischen Staatsanleihen; Finanzakteure aus aller Welt reihten sich gern ein.

"Die verkaufen unser Land"

Die Weltfinanzkrise hat den griechischen Staat noch einmal 28 Milliarden Euro gekostet. Die "empörten Bürger" in Griechenland haben das Gefühl, dass sie zum Erhalt eines undurchschaubaren Finanz- und Schuldensystems immense Wohlstandsverluste hinnehmen müssen. "Die verkaufen unser Land", lautet der gängige Slogan.

Das Establishment in Hellas distanziert sich geradeheraus von den "Wütenden": Das seien doch alles Leute, die zuvor von der Vetternwirtschaft versorgt wurden und jetzt, wo es nichts mehr zu verteilen gebe, sauer würden. Nun, das stimmt sogar zum Teil. Vor allem aber sind die Empörten viele junge Leute, die sich darauf geeinigt haben, politische Parteien von den Versammlungen auszuschließen. Damit lehnen sie die politischen Parteien als Grundpfeiler der griechischen Vetternwirtschaft und der Selbstbedienung beim Staat ab.

Diese Leute schreien nicht nur "Diebe, Diebe!" in Richtung der Parlamentarier. Sie skandieren nicht bloß, dass sie die Schulden nicht bezahlen wollen, weil sie diese nicht gemacht hätten. Sie kündigen im Grunde auch den in Griechenland herrschenden Klassenkompromiss auf.

Der öffentliche Dienst ist der einzig nennenswerte Sozialstaat, den sich Griechenland geleistet hat und der zugleich die Gesellschaft spaltet. Wer in Hellas arbeitslos wird, bekommt nach einem Jahr gar nichts. Für den deutschen Hartz-IV-Satz gehen viele dort Vollzeit arbeiten. Die Sparpakete der Troika sind nun den öffentlich Bediensteten - den "Versorgten", wie es in Griechenland heißt - ans Leder gegangen, ohne den anderen eine Hoffnung anzubieten und die Reichen nennenswert zur Kasse zu bitten: Gemeint sind damit Banken, Versicherungen, vermögende Anleger und die griechischen Millionäre, die ihr Geld in der Schweiz oder auf den Kaimaninseln bunkern.

Papandreous Panikreaktion

Aus Angst vor einer Aussperrung durch die "Empörten" hat die griechische Regierung den Termin verschoben, zu dem das neue Sparpaket beschlossen werden soll. Weil Papandreou mit der parlamentarischen Opposition keine Einigung zustande bringt, brachte er sogar zwischenzeitlich eine Volksabstimmung ins Spiel.

Die Bewegung auf dem Syntagma-Platz geht unterdessen weiter. Auf den allabendlichen Versammlungen der besonders Engagierten wird mit viel Verve "direkte Demokratie" gefordert. Längst kursieren Vorschläge für eine neue Verfassung Griechenlands, die auf dem Platz zur Abstimmung anstehen: mit Direktwahl der Abgeordneten, der Abschaffung des Parteizwangs, einem Verbot für Parlamentarier, Beziehungen zu Unternehmen zu unterhalten, der Lockerung der Amnestie für Politiker bis hin zur Abstimmung von Gesetzen durch das Volk via Internet und SMS.

Vor einem Jahr hätten zum Tag des Generalstreiks wütende Massen beinahe das griechische Parlament gestürmt. Am Rande der Demonstration gab es drei Tote. Konzepte waren damals nicht zu erkennen. Diesen Vorwurf kann man den "Empörten" von heute nicht mehr machen - wir sollten sie ernst nehmen.

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Ergänzungen

Kundgebungen in 70 Städten

nix da 14.06.2011 - 18:54
Gewerkschaften rufen zum Generalstreik am Mittwoch auf

Griechenland/Athen. Am morgigen Mittwoch kommt es in Griechenland zu einem 24-stündigen Generalstreik, zu dem die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (ADEDY) und die Gewerkschaft der Angestellten im Privatsektor (GSEE) aufgerufen haben. Daran beteiligt sich auch die der Kommunistischen Partei nahestehende Gewerkschaft PAME. Ganztägig streiken morgen u.a. die Angestellten der staatlichen Eisenbahn OSE, der auch die Vorortbahn „Proastiakos“ zum Athener internationalen Flughafen Eleftherios Venizelos bedient. Auch die Panhellenische Seemannsvereinigung (PNO) legt für 24-Stunden die Arbeit nieder. In den öffentlichen Krankenhäusern werden am Mittwoch nur Notfälle behandelt. Am Streik beteiligen sich außerdem auch die Ärzte der staatlichen Versicherungskasse IKA, die Angestellten in den Gemeinden, die Bankangestellten, die Angestellten der Telekommunikationsgesellschaft OTE und die Journalisten. Deshalb gibt es am Mittwoch keine Radio- und Fernsehnachrichten, am Donnerstag werden keine Zeitungen erscheinen. Kleinere Unternehmen und Geschäfte in Einkaufszentren werden morgen zwischen 12.00 und 15.00 Uhr die Rollläden schließen. Eine Ankündigung der Angestellten im öffentlichen Nahverkehr, wann und ob sie ihre Unternehmen bestreiken, steht im Moment noch aus. Der Flugverkehr wird am Mittwoch ohne weitere Probleme durchgeführt, da sich die Fluglotsen entschieden haben, auf ihre ursprünglich angekündigte Arbeitsniederlegung zu verzichten. Treffpunkt für die Gewerkschaftsproteste der GSEE und des ADEDY in Athen ist morgen um 11.00 Uhr der Areos-Platz. Es folgt ein Protestmarsch Richtung Parlament. Eine separate Protestkundgebung plant die Gewerkschaft PAME um 10.00 Uhr am Omonia-Platz. PAME-Mitglieder werden sich morgen außerdem landesweit zu insgesamt 67 Protestkundgebungen treffen.
Der Streik richtet sich gegen bevorstehende Privatisierungen staatlicher Firmen bzw. gegen das Mittelfristige Programm zur Sanierung der Wirtschaft, das heute dem Parlament zur Debatte übergeben wird. Darin vorgesehen sind weitere Steuereinnahmen von 3,2 Milliarden Euro für das Jahr 2011. Insgesamt sollen in den Jahren zwischen 2011 und 2015 zusätzliche 28,3 Milliarden Euro in die Staatskassen fließen. Diese Sparpolitik, die bereits seit 2010 betrieben wird, begünstigte eine Phase der Rezession, die mit steigender Arbeitslosigkeit einhergeht. Letztere stieg im März auf 16,2 %. Vor allem die junge Generation ist davon betroffen. Deutlich zu spüren ist die Rezession auch in den Geschäften, die weniger Umsätze erzielen, und inzwischen ist selbst auf den Straßen Athens der Verkehr spürbar zurückgegangen. Die täglichen Fahrten mit dem privaten Pkw haben sich in Attika innerhalb eines Jahres um 30 % verringert. Bemerkenswert ist dabei, dass nicht mehr Passagiere auf die öffentlichen Verkehrsmittel umgestiegen sind. Die Erlöse aus dem Verkauf von Tickets der öffentlichen Nahverkehrsmittel in Attika stiegen im Monat März zwar um 7,6 %, allerdings waren die Ticketpreise im Vormonat um 40 % angehoben worden. (GZeh, Foto: Eurokinissi, Archiv)

Tagesthema der Griechenland Zeitung (14.06.2011)
 http://www.griechenland.net/

"Schattenwirtschaft" mit eigener Währung?

Exarchia-Dollar 14.06.2011 - 19:51

Lengerich - Solidarische Platzbesetzung

Frau Lammert 15.06.2011 - 11:17
Anlässlich der europäischen Demokratie-Bewegungen in Spanien und aktuell des damit verbundenen Generalstreiks in Griechenland wurde der zentrale Rathausplatz in Lengerich (Westf.) heute demonstrativ besetzt. Die Solidarität mit den Besetzungen in Griechenland und Spanien wurde mit Bildern und Worten deutlich gemacht. Die Aktiopn wurde von den Passanten interessiert aufgenommen.

Vorgehen gegen Medien

fuck austerity 15.06.2011 - 13:49
Die Antipathie der Protestierenden gegen alle möglichen Menschen, die Fotos oder Videos machen wollen, ist ziemlich groß auf dem Syntagma-Platz. Auch gegen augenscheinlich nicht-Journalist*innen von großen TV-und Zeitungsanstalten, Menschen, die Informationen im Internet ohne selektive Berichterstattung teilen wollen. Es ist zwar noch unbestätigt, aber wie es aussieht wurde Tassos Telloglou, ein regierungskritischer Journalist von Aktivisten angegriffen. Welchen Sinn das hat, weiß ich nicht.
Vielleicht kann auch jemand erklären, wie sonst anders Bilder und Videos aus Athen in die ganze Welt übertragen werden sollen, und vor allem in Regionen, wo sich Menschen durch sowas ermutigt fühlen und ihren eigenen Protest auf die Beine stellen könnten, wenn nicht mithilfe von Menschen mit Kameras?

Wer nicht nach Syntagma kommen kann: Hier ein Blog mit 5 Livestreams
 http://prezatv.blogspot.com/2011/06/5-players.html

Rechter "regierungskritischer" Journalist

kriegt von "Patrioten" auf's Maul? 15.06.2011 - 14:34
"14:40 Well-known Greek journalist Tasos Telloglou, was beaten by a group of protesters. First he was verbally attacked, then spitted, beaten and punched with a fist that knocked him down. The culprit ran away shouting “Greece!”. The journalist was unconsious for a couple of minutes, now waiting for the ambulance. Telloglou works for Skai TV and Kathimerini newspaper."
 http://www.keeptalkinggreece.com/2011/06/15/athens-protests-june-15-live-streaming-live-blogging/