Bildungsstreik: Wut aber keine Perspektive!

Wladek Flakin 15.06.2010 10:30 Themen: Bildung Blogwire Soziale Kämpfe

Am 9. Juni gingen bis zu 85.000 SchülerInnen, Studierende und Azubis in mehreren Dutzend Städten auf die Straße. Die Proteste richten sich gegen zahlreiche Probleme im Bildungssystem wie Kürzungen, Studiengebühren und Leistungsdruck. "Wenn ich hier alle Probleme aufzählen würde, würden wir eine Woche hier sein", meinte ein Redner auf der Demonstration in Berlin.

In den Wochen vor dem Bildungsstreik wurden in Hessen und Schleswig-Holstein Kürzungen an den Hochschulen beschlossen. Am 7. Juni wurde auch das Sparpaket der Bundesregierung, das größte Kürzungsprogramm in der Geschichte der BRD, der Öffentlichkeit vorgestellt. Vor diesem Hintergrund wurde für jeden denkenden Menschen klar, dass trotz vieler Versprechen die Regierung die Bildungsausgaben nicht erhöhen und wahrscheinlich nicht mal halten wird.

Über die Uni hinaus

Beim Bildungsstreik kam es auch zu radikaleren Aktionen: in mehreren Städten wurden Universitätsräume besetzt und in Freiburg okkupierten 200 AktivistInnen zwei Gleise am Hauptbahnhof. So eine Besetzung, die einen Teil der WIrtschaft kurzzeitig zum Stillstand bringt, ist extrem wichtig – aber wir dürfen nicht vergessen, dass diese Aktion von Hunderten SchülerInnen und Studierenden genauso gut von einem/r einzigen Lokführer/in hätte durchführt werden können. Doch leider fand dieser Bildungsstreik fast ohne Beteiligung von Beschäftigten statt.

Die Ansätze, die über die Universität bzw. das Gymnasium hinaus gingen, waren wieder nur minimal. In Kassel nahmen Hunderte Auszubildende am Bildungsstreik teil, was in erster Linie der Arbeit der trotzkistischen Organisation SAV zu verdanken war. An der Freien Universität Berlin demonstrierten Studierende am Tag vor dem Bildungsstreik durch die Mensa, um die Forderung der Beschäftigten nach der Reparatur der Klimaanlage zu unterstützen.

Ist der Bildungsstreik gescheitert?

Dieser Bildungsstreik war fast genauso groß wie der Streik im November letzten Jahres. Doch damals waren die Proteste von Besetzungen an rund 70 Universitäten begleitet. Dieses Mal waren die TeilnehmerInnenzahlen deutlich kleiner als vor einem Jahr: am 17. Juni 2009 nahmen über 250.000 Menschen am bundesweiten Bildungsstreik teil, also knapp viermal mehr als jetzt. In Berlin etwa sank die TeilnehmerInnenzahl von 27.000 auf 7.000.

Im Organ der linksliberalen Mittelschichten, DIE ZEIT, hieß es deswegen als Fazit, der Streik sei "gescheitert". Um dieses Scheitern zu erklären, stellt Jan-Martin Wiarda fest: "die Leitfiguren des Bildungsstreiks [haben] es versäumt […], den Aktionen eine starke programmatische Grundlage zu geben." Damit meint er natürlich, dass die protestierenden SchülerInnen und Studierende der Regierung kein ausgearbeitetes Konzept für eine umfassende Bildungsreform vorgelegt haben. Angesichts der Tatsache, dass die Regierung sowieso keinen zusätzlichen Cent auszugeben bereit ist, wäre ein solcher Versuch auch absurd.

"Keine programmatische Grundlage"

Die Aussage stimmt aber insofern, dass die OrganisatorInnen des Bildungsstreiks mehr als eine Viertel Million Menschen zu einem Bildungsstreik mobilisiert hatten, ohne klar zu machen, welche Protestformen notwenig wären, um auch nur einzelne Forderungen durchzusetzen. Viele Studierende hofften darauf, dass wir nur die PolitikerInnen auf die Probleme an den Unis aufmerksam machen müssten, damit sich etwas ändern würde. Und tatsächlich gab es nach dem Streik viel "Dialog" und "Runde Tische" – vor allem zeigten PolitikerInnen jeder Couleur viel Verständnis ("es muss Korrekturen geben" usw. usf.).

Doch im letzten Jahr hat sich neben kleinen (und kostenlosen!) Zugeständnissen wie der Abschaffung der Anwesenheitspflicht an verschiedenen Unis praktisch nichts verändert. Selbst die Versprechen der Regierung, mehr Geld für "Exzellenz" und Eliteförderung im Bildungssystem auszugeben, haben sich angesichts der Krise in Luft aufgelöst.

Kick it like Frankreich!

Die einzige Möglichkeit für Veränderung besteht darin, Druck auf die Herrschenden aufzubauen, sodass unsere Proteste teurer werden als die Erfüllung unserer Forderungen. Das Beispiel aus Freiburg zeigt, dass letztendlich nur ArbeiterInnen in der Lage sind, solchen Druck aufzubauen. In Frankreich zum Beispiel war es vor vier Jahren möglich, ein jugendfeindliches Gesetz durch Generalstreiks mit Millionen TeilnehmerInnen komplett zurückzuschlagen.

Verschiedene marxistische AkteurInnen des Bildungsstreiks, wie Marx21 (die Linke.SDS führt) oder die SAV bemängeln, dass autonome Kräfte die Herausbildung von handlungsfähigen bundesweiten Strukturen blockiert haben, was die Mobilisierung unheimlich erschwerte. Das ist ein dauerhaftes Problem (gerade unter Studierenden), das dauerhaft bekämpft werden muss. Doch die Ursachen dafür, dass dieser Bildungsstreik kleiner ausfiel, liegen tiefer – denn auch früheren Bildungsstreiks fehlten effektive bundesweite Strukturen.

Arbeitende & Studierende gemeinsam!

Für künftige Bildungsstreiks müssen wir ein klares Programm entwickeln, wie wir eine gemeinsame Bewegung mit Beschäftigten aufbauen können. Wir können mit Beschäftigten an der Universität anfangen, doch dürfen nicht da stehen bleiben, denn gerade die ArbeiterInnen in den Fabriken, im Transportwesen, im Handel usw. können große wirtschaftliche Schäden verursachen. Dafür müssen wir die Forderungen der arbeitenden Bevölkerung aufgreifen – denn "wir können nicht erwarten, dass FluglotsInnen oder MüllfahrerInnen in den Streik treten, nur weil die Lehrpläne den Studis nicht gefallen."

In den nächsten Wochen und Monaten wird es genug Gelegenheiten geben, die Bildungsproteste mit Arbeitskämpfen zu verschmelzen: etwa der Streik des Bodenpersonals an den Berliner Flughäfen oder die kommenden Auseinandersetzungen im Öffentlichen Dienst über die Streichung von mehr als 10.000 Arbeitsplätzen beim Bund.

Wir brauchen uns wirklich keine Sorgen zu machen, dass wir mit einer "zu radikalen" Ausrichtung konservativ gesinnte Studis abschrecken – das Problem ist viel mehr, dass wir mit zu wenig radikalen Aktionsformen (eintägigen Bildungsstreiks alle sechs Monate) überhaupt keine Perspektive haben. Die programmatische Grundlage des Bildungsstreiks muss sein, dass wir eine gemeinsame Bewegung von allen aufbauen, die von der Kürzungspolitik der KapitalistInnen und ihres Staates betroffen sind. Arbeitende und Studierende: gemeinsam streiken!

von Wladek Flakin, Berlin (RIO, Revolutionäre Internationalistische Organisation)

Bericht von RIO aus Berlin

Berlcht von RIO aus München

Bericht von RIO aus Flensburg

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Ergänzungen

Authoritäre Strömungen bekämpfen

autonome basisgruppen 15.06.2010 - 12:34
D'accord, Protest muss teuer werden wenn alles der wirtschaftliche Logik untergeordnet ist.

Aber dann immer diese "autonome Kräfte" die doch tatsächlich bei Bildungsstreik-Vernetzungstreffen auf Basisdemokratie, Dezentralität ohne "Sprecher der Bewegung" und Konsensverfahren bauten. So kommen wir ja nie zur Revolution[.de.com].

Der Weg ist das Ziel, nicht der Zweck heiligt die Mittel, liebe RIO+SAV.

schlechte analyse

langzeitstudi 15.06.2010 - 12:46
die marxisten träumen mal wieder:
"In Frankreich zum Beispiel war es vor vier Jahren möglich, ein jugendfeindliches Gesetz durch Generalstreiks mit Millionen TeilnehmerInnen komplett zurückzuschlagen."

komplett zurückschlagen ist was anderes. es gab einen kleinen erfolg, das gesetz ist abgeändert aber durchgekommen. die genossinen und genossen in frankreich schätzen das komplett anders ein als du.


"Verschiedene marxistische AkteurInnen des Bildungsstreiks, wie Marx21 (die Linke.SDS führt) oder die SAV bemängeln, dass autonome Kräfte die Herausbildung von handlungsfähigen bundesweiten Strukturen blockiert haben, was die Mobilisierung unheimlich erschwerte."

und hier wirds richtig hart:
die autonomen kräfte hatten eine bundesweite struktur aufgebaut, die dann von linke.sds massiv angegriffen wurde! die autonome struktur hatte 2004, 2005, 2006 und 2007 funktioniert. nicht von oben herrab, wie es linke.sds gerne hätte, sondern eben von unten! der bildungsstreik hatte das problem der zwei lager, in denen linke.sds versuchte autonome kräfte herauszudrängen. DAS ist ihnen inzwischen zum größten teil gelungen. die alten leute haben KEINEN BOCK MEHR weil LINKE.SDS und andere autoritäre fuzzies die bundesweiten treffen zu einer farce gemacht haben. jedesmal wenn autoritäre kräfte fehlten, haben die autonomen wieder ihre stärke aufbauen können. im nachhinein scheint es ein großer fehler gewesen zu sein, die linke.sds überhaupt mit ins boot zu lassen, die hätten direkt stärker geschasst werden müssen, evtl. gäbe es dann noch eine bundesweite struktur bzw. netzwerk, das diesen namen auch verdient hätte.

die linke.sds sind die neuen jusos. doch genau wie sie werden sie nach 5 jahren in die geschichte eingehen als versager (die jusos klammern sich immer noch an posten des längst bedeutungslos gewordenen fzs - viel spaß dort) sie haben von anfang an versucht, posten aufzubauen. sie haben anti-autoritäre und libertäre kräfte von anfang an angegriffen, die alten strukturen versucht zu vernichten und sind mit blöcken angereist um sachen "durchzustimmen". DAS hat den bildungsstreik auf lange sicht versaut und kaputt gemacht.



die autonomen kräfte sorgen für hauptbahnhofsblockaden (wie jetzt in freiburg, wie damals in hamburg, frankfurt) und autobahnblockaden (marburg, frankfurt, gießen, darmstadt)
deren aktionsform willst du haben, deren organisierung (basisdemokratisch, egalitär, libertär) aber nicht. sorry wladek, aber so funktioniert protest nicht. wir, die autonomen kräfte, sind nicht fußsoldaten für linke.sds, auch nicht für jusos oder SAV.

appelle an die herrschenden führen zu nichts

gegen jede arbeit 15.06.2010 - 16:13

Bildungsstreik-Demo auch in Köln
Admin
am
9. Juni 2010
in Arbeit und Bildung + Kultur

Im Zuge der bundesweit stattfindenden dezentrale Bildungsstreik-Proteste fand am 09. Juni 2010 auch in Köln eine Demonstration statt. Das Hauptgebäude der Universität am Albertus-Magnus-Platz wurde zu Beginn der morgentlichen Kundgebung von hunderten Aktivist/innen gestürmt, um dem Streikaufruf Taten folgen zu lassen.



Doch einige der Demo-Ordner/innen des Bildungsstreik-Bündnisses wollten mit aller Gewalt die Erstürmung eines Hörsaales verhindern und versperrten den Zugang. Leider ließ sich die jugendliche Masse von diesen Autoritäten abschrecken und lief weiter zum Ausgang hinaus zurück auf den Vorplatz. Dort wurden die üblichen Demoparolen eingeübt, die von „Bildung für alle -und zwar umsonst!“ bis „Wessen Bildung? Unsere Bildung!“ reichten.

Die etwa 500 Demonstrant/innen setzten sich bald darauf in Bewegung und zogen in einem teilweise recht wirren Verlauf über die Innere Kanalstraße und Zülpicher Straße den Ring entlang bis zum Neumarkt. In dem Versuch jeder Schule in der Innenstadt einen Besuch abzustatten ging die Route vom Neumarkt aus zurück zum Ring bis Ebertplatz und dann zum Dom, wo vor dem Hauptbahnhof die Abschlusskundgebung (offiziell eine „Bezirksdelegiertenkonferenz der Schüler/innenvertretung“) stattfand.

Da sich unterwegs trotz der meistens verschlossenen Ausgänge, sowie den Versuchen von Polizei und Demo-Ordner/innen die Schultore abzusperren, mehrere Hundert Schüler/innen der Demo angeschlossen hatten, bestand der Protestmarsch zwischenzeitlich aus weit über 1.000 Schüler/innen, Auszubildenden und Studierenden, sowie einigen Erwerbslosen und Gewerkschafter/innen.

Sie forderten unter anderem vor allem die Abschaffung von Turboabitur, Kopfnoten und dem Bachelor/Master-System, eine Schule für alle, sowie ein Ende der Studiengebühren. Neben linken Parteien und ihren Jugendverbänden haben sich auch Anarchist/innen an den Protesten beteiligt, zu denen bundesweit über 80.000 Demonstrant/innen auf die Straße gingen.

Für den Nachmittag war zudem eine Bildungsstreik-Versammlung in der Uni Köln geplant.
Mehr dazu bei  http://bildungsstreik-koeln.de

Nach der Abschlusskundgebung am Hauptbahnhof gab es die Möglichkeit sich auf dem benachbarten Roncalliplatz hinter dem Dom der Kundgebung gegen die städtischen Sozialkürzungen anzuschließen, der von weltlichen und kirchlichen Sozialverbänden mit buntem Bühnenprogramm organisiert worden war. An dem dortigen Protest beteiligten sich etwa 4.000 Menschen.

am Ring

Dieser Bericht ist gemeinfrei bei Nennung der Webseite  http://anarchosyndikalismus.blogsport.de

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