Streik bei Kraft-Terrabusi in Argentinien

Wladek Flakin 13.04.2010 07:41 Themen: Globalisierung Soziale Kämpfe Weltweit
Die argentinische Lebensmittelbranche - in der bis zu 70% der Beschäftigten Frauen sind - galt lange Zeit als wenig konfliktbereit. Dieses Bild hat sich innerhalb des vergangenen Jahres gewandelt. Auslöser für die 180-Grad-Wendung war ein Konflikt in der Lebensmittelfabrik von Kraft-Terrabusi.
Berühmt-berüchtigt ist die Aussage des Mulitmilliardärs Warren Buffet: "Es gibt einen Klassenkrieg (…) doch es ist meine Klasse, die reiche Klasse, die diesen Krieg führt, und wir gewinnen." Aber selbst ein Warren Buffet muss ab und zu Niederlagen einstecken. Der reichste Mann der Welt konnte sich gegen die Arbeiterinnen und Arbeiter der Lebensmittelfabrik Kraft-Terrabussi in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires nicht durchsetzen. Buffet ist wichtigster Aktionär des weltweit zweitgrößten Lebensmittelkonzerns Kraft Foods, der im Jahr 2000 das argentinische Unternehmen Terrabusi schluckte.

Die argentinische Lebensmittelbranche – in der bis zu 70% der Beschäftigten Frauen sind – galt lange Zeit als wenig konfliktbereit. Besonders während der 90er Jahre begegnete die Führung der zuständigen Gewerkschaft STIA (unter dem Vorsitzenden Rodolfo Daer) der Privatisierungs- und Flexibilisierungspolitik der Regierung Carlos Menem eher durch gemeinsames Stillhalten denn durch gemeinsamen Widerstand.

Dieses Bild hat sich innerhalb des vergangenen Jahres gewandelt: Seit Monaten kommt es in verschiedenen Fabriken des Landes zu Streiks – trotz eines unverändert passiven Kurses des Gewerkschaftsvorstandes. Erst Ende März blockierten 100 ArbeiterInnen die Panamericana-Fernstraße im Norden von Buenos Aires. Sie signalisierten ihrer Gewerkschaftsführung unmissverständlich, sich in der laufenden Tarifrunde nicht mit weniger als 35 Prozent Lohnerhöhungen zufriedenzugeben. Aufgrund von Inflationsraten von über 15 Prozent im vergangenen Jahr sind viele Löhne trotz nominaler Steigerungen real gefallen.

Spontanstreiks und Basisarbeit

Auslöser für die 180-Grad-Wendung war ein Konflikt um Hygienebestimmungen in der Lebensmittelfabrik von Kraft-Terrabusi im Juli vergangenen Jahres. In einer Betriebsversammlung hatten Teile der insgesamt 2.700 Beschäftigten bessere Vorsorgemaßnahmen gegen die in Argentinien grassierende Schweinegrippe gefordert – gerade weil es im Werk eine Kinderkrippe gibt. Doch die Geschäftsführung antwortete, dass es Hygienemaßnahmen erst dann geben würde, "wenn es in der Fabrik schon Tote gibt".

Einige Wochen später erhielten 158 an der Aktion beteiligte ArbeiterInnen die Kündigung. Darunter auch die Betriebsratsmitglieder, die einen besonderen Kündigungsschutz genießen und von linken Basisgruppen außerhalb der Lebensmittelgewerkschaft STIA gestellt werden. Die ArbeiterInnen hätten, so die Begründung der Unternehmensführung, leitende Angestellte in ihrer Arbeit behindert und für mehrere Stunden in ihren Büros festgehalten.

Von den Entlassungen waren alle Strömungen in der Fabrik betroffen: AktivistInnen der maoistischen Revolutionären Kommunistischen Partei (PCR, die den Betriebsrat stellte), der klassenkämpferischen, trotzkistisch orientierten Basisgruppe "Desde Abajo" ("von Unten") und selbst von Daers Gewerkschaftsbürokratie sollten gleichermaßen auf die Straße gesetzt werden. Sofort nachdem die Kündigungen bekannt wurden, folgten spontane Arbeitsniederlegungen und Proteste. Um ihre Wiedereinstellung zu erreichen, besetzten die ArbeiterInnen schließlich die Fabrik.

In den vergangenen Jahren haben sich beim US-Multi wie auch bei vielen anderen Unternehmen in Argentinien vermehrt linke Betriebsgruppen gebildet, die sich dem passiven Kurs der Gewerkschaft widersetzten. Besonders die konservative Presse zeigt sich über die Aktivitäten der "BasisgewerkschafterInnen" (sindicalistas de Base) besorgt. Im Juni 2009 hieß es etwa in der Tageszeitung El Cronista: "Es wächst eine gewisse Rebellion in der Arbeitswelt, die von den Gewerkschaften und ihren Führungen nicht explizit unterstützt und schon gar nicht kontrolliert wird." Dieser Artikel sah das Problem bei einer zunehmenden Rolle der Basisdelegierten in den Fabriken und eine Infragestellung der bürokratischen Strukturen der Gewerkschaften.

Oscar Coria, der zu den Gefeuerten bei Kraft gehört, erklärte, wie die Basisgruppe "von Unten" regelmäßig nach dem Ende der Nachschicht Grillfeste und Fußballspiele organisierte, um politische Gespräche mit KollegInnen zu führen. Ab 2007 fanden regelmäßig Versammlungen in der Nähe des Werks mit bis zu 200 ArbeiterInnen statt. Die AktivistInnen vernetzten sich mit GewerkschafterInnen von der benachbarten Lebensmittelfabrik Pepsico, der U-Bahn von Buenos Aires oder der besetzten Keramikfabrik Zanon, um von deren Erfahrungen zu lernen. "Ich bin kein Genie", sagt Oscar. "Das mit den Fußballspielen habe ich von den Leuten bei Zanon kopiert."

USA besorgt

Für die Regierung um Cristina Fernández de Kirchner entwickelte sich der Konflikt zum ernsthaften Problem. Keine der von Arbeitsminister Carlos Tomada einberufenen Gesprächsrunden konnte zu einer Annäherung der Parteien führen. Als der Streik sich immer mehr ausweitete, intervenierte die US-Botschaft in Argentinien, um die "Respektierung des Rechtes auf Privateigentum" zu fordern!

Nach fünf Wochen, am 25. September, wurde die Fabrik schließlich geräumt: Die Polizei rückte mit Pferden, Schlagstöcken, und Tränengas an, 100 Menschen, darunter 36 ArbeiterInnen, wurden festgenommen. "Diese Bilder waren den ganzen Tag in den Nachrichten, denn sie erinnern die Leute sehr stark an die Militärdiktatur oder an die Repression von 2001" erklärte Julio Rovelli, ein Student, der die Proteste unterstützte. Die Regierung hatte ihre Menschenrechtsbeauftragte die Räumung begleiten lassen, was die Repression nicht viel angenehmer machte.

Nicht zuletzt aufgrund der großen Solidarität innerhalb und außerhalb der Fabrik endete der Konflikt am 16. Oktober zumindest mit einem Teilsieg. Der Betriebsrat unterschrieb eine Vereinbarung (ohne die Zustimmung der Basis!): 106 Gefeuerte konnten wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren, 53 KollegInnen mussten allerdings draußen bleiben.

Viele bei Kraft-Terrabusi waren jedoch der Meinung, dass aus dem Konflikt mehr herauszuholen gewesen wäre. Die Betriebsratsmitglieder bekamen die Quittung für ihre Unterschrift am 3. November, als die Gruppe "von Unten" überraschend die Betriebsratswahlen gewann und die maoistische PCR nach 16 Jahren ablöste. Die Gewerkschaft STIA bekam weniger als 10% der Stimmen. Später wurde der Streikführer und der neue Betriebsratsvorsitzende, Javier "Pauke" Hermosilla, von der Zeitschrift "Veintitres" zu einer der "Persönlichkeiten des Jahres" in Argentinien ernannt.

Während des Kampfes haben Studierende der Universität von Buenos Aires (UBA) mehrmals Straßen im Stadtzentrum blockiert und auch an den Blockaden der Autobahn neben der Fabrik teilgenommen. "Wir mussten jeden Morgen um vier aufstehen, um rechtzeitig an der panamerikanischen Autobahn zu sein" erzählte Julio. Zudem haben SchülerInnen eine berühmte Quizshow im Fernsehen gestört und ein Transparent gegen die Entlassungen hochgehalten. Der Konflikt in der Fabrik wurde – vor allem nach der Intervention der US-Botschaft – zu einem politischen Ereignis von landesweiter Bedeutung. Jetzt laufen die Tarifkämpfe, aber auch Gerichtsverfahren gegen Hermosilla und auch studentische AktivistInnen wegen "Störung des Straßenverkehrs" weiter.

Dieser Teilsieg gegen den multinationalen Konzern wäre ohne die jahrelange Basisarbeit von der Gruppe "von Unten" und der trotzkistischen Partei PTS nicht möglich gewesen. Über seine Motivation für sein fast zehnjähriges Engagement unter den ArbeiterInnen von Terrabusi reflektiert Oscar: "Wenn wir einen mächtigen Gegner haben und nur eine Kugel in unserer Pistole, dann müssen wir aufs Herz zielen. Und das Herz der argentinischen Bourgeoisie liegt im Industriegürtel im Norden von Buenos Aires."

von Wladek Flakin, Buenos Aires (von RIO, der Revolutionären Internationalistischen Organisation, www.revolution.de.com)

eine kürzere Version dieses Artikels erschien in der Tageszeitung junge Welt vom 13. April 2010

Links:

weitere Bilder von Kraft:
http://www.flickr.com/photos/onesolutionrevolution/sets/72157623607861024/

Interview über den Frauenkampftag in Argentinien:
http://www.onesolutionrevolution.org/?p=446&language=de

Blog über den Arbeitskampf bei Terrabusi (auf Spanisch)
http://www.tvpts.tv/digalenoakraft-terrabusi/

Videobericht von einer Kraft-Kundgebung bei TV.PTS (auf Spanisch)
http://www.youtube.com/watch?v=vPH_7r-FGH8

Bilanz aus der PTS-Zeitschrift "Estrategia International" (auf Spanisch)
http://www.ft-ci.org/IMG/pdf/7_Argentina_kraft.pdf
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Ergänzungen

antiamerikanismus

terrabusi-fan 13.04.2010 - 14:31
Was in dem Artikel leider hinten runter fällt sind mehrere Sachen:
Der Streik hat sich über einen langen Zeitraum hingezogen, die Fabrik war dabei blockiert / besetzt. Die Räumung ist nicht von der US-Botschaft initiiert worden, dazu ist die überhaupt nicht in der Lage. Dieses Gerücht stützt sich auf angebliche Aussagen des Botschafters, der natürlich über den Konflikt nicht erfreut war (so wie die Europäer ja auch nicht). Dennoch: Ausführende waren argentinische Polizeikräfte unter argentinischem Befehl - der Feind sitzt eben doch im eigenen Land.
Die Räumung war tatsächlich sehr brutal, auch für argentinische Verhältnisse, jedoch war das Besondere, dass sich die ArbeiterInnen zusammen mit Studierenden und Piqueteros gegen diese Räumung auch militant wehrten - die Bilder liefen im Fernsehen live von den Schlachten.
Am Ende gewann die Polizei leider diese Auseinandersetzungen und stürmte die Fabrik. ArbeiterInnen wurden aus der Fabrik geschafft und teilweise festgenommen.
Danach glich die Fabrik einer Festung, da sie von Polizeieinheiten belagert wurde - sowohl von innen als auch von außen. Das glich viel mehr den Bildern einer Militärdiktatur wie bspw. nach dem Cordobazo (einem Aufstand in Cordoba, bei dem ArbeiterInnen mit Studierenden die Kontrolle über die Stadt übernahmen bis sie vom Militär niedergeschossen wurden).
Der Grund warum die Leute die Fabrik so verteidigten war dabei weniger eine Aufklärung über die Situation, auch wurden die Kündigungen nicht so sehr in Verbindung mit dem Streit um Hygiene betrachtet, sondern mit der Wirtschaftskrise.
Die Krise wurde und wird von den meisten am Konflikt beteiligten als ein US-Produkt gesehen, die jetzt die ArbeiterInnen in Südamerika bzw. Argentinien ausbaden müssen. Daher haben sie sich vor allem dagegen gewehrt, dass jetzt wegen der Krise in den USA hier 150 Leute entlassen werden sollen. Das unter diesen noch fast der komplette Betriebsrat ist setzte dem Fass die Krone auf. Dies führte zu Solidaritätsaktionen im ganzen Land. An Aktionstagen wurden in mehreren Städten Argentiniens zeitgleich Straßen blockiert.

Als dann der Konflikt soweit zugeschärft war (Räumung vorbei, täglich weitere Blockaden der in der Nähe der Fabrik verlaufenen Autobahn) dass eine Befriedung unausweichlich war, schaltete sich auch die klassische Gewerkschaft wieder ein und handelte zusammen mit dem Betriebsrat und den Fabrikbesitzern eine Lösung aus, bei der nur wenige Mitarbeiter (8 wenn ich mich richtig erinnere) gefeuert werden würden, darunter kein Betriebsrat. Dafür musste sich der Betriebsrat auf eine Friedensklausel einlassen, die quasi alle Arbeitskämpfe erstmal verbietet für einen Zeitraum (ich glaube bis ein Jahr, habs aber nur aus Hörensagen und nie schriftlich gesehen).
Dies wurde von fast allen Betriebsratsmitgliedern (bezeichnenderweise alles Männer) unterzeichnet - nur einer machte nicht mit.
Und kurz darauf kam es zu einer turnusmäßigen Betriebsratswahl. Der Kandidat der nicht unterzeichnete (und tatsächlich PTS-Mitglied ist) stellte zusammen mit MitarbeiterInnen aus der Nachtschicht eine neue Liste auf - und gewann trotz kürzester Mobilisierungszeit tatsächlich die Wahlen (wenn auch äußerst knapp). Dies zeigt, dass die meisten MitarbeiterInnen nicht einverstanden sind mit Kuschellösungen und hinter einer konfliktiven und kämpferischen Linie stehen.

Die Verlierer der Wahl, hauptsächlich die CCC (autoritäre Kommies), zeigen sich indes als schlechte Verlierer des Stellvertreter-Kampfes und fechten die Wahl an, reden gar von Wahlbetrug. Denn der eigentliche Erfolg der Wahl kann auch darin gesehen werden, dass die Nachtschicht (aus der die Liste hervorging) die höchste Wahlbeteiligung hatte.

Interessant ist auch, dass die gefeuerten Kollegen zum Teil nach wie vor aktiv sind und sich an den Arbeitskämpfen um Terrabusi beteiligen. Ob es gelingt, sie wieder in den Betrieb zu bringen ist allerdings fraglich.

Für Indymedia,
inzwischen nicht mehr aus Buenos Aires,
ein Terrabusi-Fan (ham einfach die leckersten Alfajores)

breiteste Straße der Welt....

Superlativ-Hasser 13.04.2010 - 14:36
Die "breiteste Straße der Welt" ist nicht wirklich sicher die breiteste Straße der Welt. Allerdings wohl die meist-blockierteste der Welt:
In Hochzeiten ist sie pro Tag bis zu 5 mal blockiert momentan, von ganz verschiedenen Akteuren. Momentan ist die Kirchner-Regierung (noch) an der Macht und die handelt solchen Protesten gegenüber eigentlich eher zulassend.
Da kannste diese fette Straße auch mal mit ner kleinen Studigruppe von evtl. 50-100 Leuten blockieren und die Bullen gucken nur zu.
Unvorstellbar für jemanden aus Deutschland, aber wer die Kämpfe in Argentinien verfolgt versteht diese Befriedungsstrategie. Die kann jedoch jederzeit umschlagen - zur Zeit haben sie nicht mehr die Mehrheit im Parlament und die rechten Hardliner werben schon lange mit tatkräftiger Unterstützung der meisten privaten Medienkonzerne für eine harte Hand um der "Anarchie im Land" Herr zu werden.

Danke!

Wladek Flakin 13.04.2010 - 23:36
@terrabusi-fan: danke für die ausführlichen Ergänzungen! Es ist wirklich nicht einfach, auf zwei Seiten über einen fünfwöchigen Kampf zu berichten. Zu deiner Ergänzung würde ich nur ergänzen, dass im Verhandlungsergebnis zwischen dem Unternehmen und dem Betriebsrat ganze 53 Leute ohne Jobs blieben!