Armut im Knast

Thomas Meyer-Falk 27.03.2010 00:35 Themen: Blogwire Repression Soziale Kämpfe
Auch und gerade vor Gefängnismauern macht die Armut nicht halt. Im Folgenden soll von staatlich geförderter Armut die Rede sein, wenn nämlich im Zuge von Einsparungen die Entlohnung der Gefangenenarbeit gekürzt wird.
Nach einem kurzen Rückblick ins Jahr 1998, als das Bundesverfassungsgericht die damalige Praxis der Gefangenenentlohnung als verfassungswidrig einstufte (a.), sollen die aktuellen Kürzungen anhand der Situation in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bruchsal näher dargestellt werden (b.). Die Auswirkungen werden im Anschluss beleuchtet (c.), um mit einem Ausblick zu schließen (d..
a.) Urteil vom 01.07.1998

Gefangene und Sicherheitsverwahrte sind qua Gesetz zur Arbeit verpflichtet; die herrschende Rechtssprechung sieht hierin keine verbotene Zwangsarbeit, denn Artikel 12 Abs. 3 Grundgesetz bestimmt (Zitat): „Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.“ Zwar folgt nicht aus der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte ein Anspruch auf Entlohnung für die Zwangsarbeit (nach der Konvention besteht kein Anspruch, vgl. Frowein/ Peukert, EMRK, 3. Auflage, Artikel 4 Randnummer 13), jedoch entnahm das Bundesverfassungsgericht am 01.07.1998 (Az. 2 BvR 441/90; EuGRZ 1998, S. 518 ff) dem Grundgesetz, insbesondere dem verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf Resozialisierung, den Anspruch der Zahlung eines Entgelts, welches den Gefangenen (Zitat) „durch die Höhe (…) in einem Mindestmaß bewusst (macht), daß Erwerbsarbeit zur Herstellung der Lebensgrundlage sinnvoll“ sei.
Erhielten die Inhaftierten 1997 im Durchschnitt 200 DM/Monat, stieg zum 01.01.2000 die Entlohnung auf circa 350 – 400 DM/Monat, was 9 % des Durchschnittsverdienstes der Arbeiter und Angestellten entspricht. (Zuvor waren es 5 % des Durchschnittsverdienstes.) Zumindest theoretisch, denn mit Einführung höherer Löhne begannen die ersten Kürzungsversuche, die nun 2010 einen weiteren Höhepunkt erfahren.


b.) Kürzungen 2010 – JVA Bruchsal


b1) Der Staatshaushaltsplan

Auch wenn ich hier nun die Entwicklungen in der JVA Bruchsal beleuchten werde, so gelten diese Ausführungen doch auch für die anderen Anstalten des Landes. Den „Produktionformationen“ (so heißt dies tatsächlich) des Staatshaushaltsplans 2010/2011 für den Einzelplan Justizministerium des Landes Baden-Württemberg kann entnommen werden, daß das Land plant, für die Gefangenenentlohnung im Jahr 2010 circa 1,754 Millionen Euro weniger auszugeben als noch 2009. Wurden 2009 den Gefangenen in den Anstalten insgesamt 12,3 Millionen Euro ausbezahlt, sollen es 2010 nur noch 10,5 Millionen Euro werden (a.a.O., S. 115 im Entwurf des Einzelplans 05), zugleich sollen die Zahlungen an die Bundesagentur für Arbeit um knapp 1 Million Euro sinken. Arbeitende Gefangene/ Verwahrte erwerben für die Zeit nach der Entlassung nämlich Ansprüche auf Arbeitslosengeld I.


b2) JVA Bruchsal

Wie verkürzt man aber nun die effektiven Zahlungen an die Betroffenen, wenn doch im Gesetz geregelt ist, daß sie Anspruch auf 9 % des Durchschnittsverdienstes der Arbeiter und Angestellten haben??
Der erste Trick: Zwar müssen die Insassen weiterhin von 6.35 Uhr – 11.30 Uhr und von 12.35 Uhr – 15.00 Uhr in den Betrieb, also 7 Stunden 20 Minuten, die sie auch bislang bezahlt bekamen, künftig erhalten sie aber nur noch für 7 Stunden oder weniger ein Entgelt. Wer bspw. Als „Schänzer“ arbeitet (diese reinigen die Flure, richten die Anstaltswäsche, u.a.m.) bekam schon bislang nur 6 Stunden am Tag bezahlt, künftig werden es nur noch 5 Stunden sein.
Zweiter Trick: „Neubewertung der Arbeitsplätze“: Insgesamt gibt es 5 „Vergütungsstufen“, diese reichen von Stufe 1 für Arbeiten einfacher Art, die keine Vorkenntnisse erfordern, bis hin zur Stufe 5, welche die Kenntnisse eines Facharbeiters voraussetzen und Arbeiten umfassen, die ein ganz besonderes Maß an Können, Einsatz und Verantwortung erfordern. In Stufe 1 erhalten Gefangene 75 % des Grundlohns (also 75 % der oben erwähnten 9 %), in Stufe 2 schon 88 %, in Stufe 3 sind es 100 %, in Stufe 4 dann 112 % und in Stufe 5 schließlich 125 %.
Also begab es sich nun, daß eine Art Kommission alle Arbeitsplätze auf Einsparpotential untersuchte. Das Ergebnis, viele Stellen wurden herabgestuft von Stufe 3 auf 2 oder gar 1. So gibt es den skurrilen Fall eines Sicherungsverwahrten. Für SV’ler hatte der Landesgesetzgeber zum 01.01.2010 großzügig die Entlohnung von 9 % (der Satz, der für Gefangene gilt) auf 12 % erhöht, um einer Forderung des Bundesverfassungsgerichts, wonach Sicherungsverwahrte besser zu behandeln seien als Strafgefangene, nachzukommen. Letztlich wird er aber ab April weniger verdienen als noch vor dieser „Erhöhung“, denn sein Arbeitsplatz wurde von Stufe 3 auf Stufe 1 abgewertet.
Dritter Trick: „Friss oder stirb!“ Neben erwähnten Schänzern gibt es noch „Hilfsschänzer“, diese müssen u.a. das Essen an die Gefangenen austeilen. Bei gleicher Arbeitsleistung wird nicht nur deren Entgelt von ca. 50 Euro/Monat auf knapp 30 Euro/Monat gekürzt, zeitgleich spart man auch noch mehrere dieser Posten ein, sodaß die verbleibenden Hilfsschänzer bei weniger Lohn mehr Arbeit zu leisten haben, oder den Job hinschmeißen, was die ersten zum 1. April auch beabsichtigen.


c.) Auswirkungen auf die Inhaftierten

Real werden die Einkommen der Gefangenen um bis zu 25 % sinken, wer vorher noch 200 Euro/Monat bekam, wird sich mit vielleicht 150 Euro/Monat begnügen müssen. Das mag sich auf der ersten Blick immer noch nach einem erklecklichen Sümmchen anhören. Von diesen 150 Euro/Monat darf man aber nur für 3/7 (ungefähr 65 Euro) seine persönlichen Bedürfnisse nach Tabak, Kaffe etc. stillen, denn 4/7 wandern auf das Überbrückungsgeld-Konto, welches für die Zeit nach der Haft gedacht ist.
Zugleich gestattet es die JVA der Firma Massak Logistik GmbH ( http://www.massak.de mail:  info@massak.de) die Gefangenen exklusiv mit ebendiesen Nahrungs- und Genussmitteln zu beliefern und dafür Preise zu verlangen, die oftmals höher (mitunter auch viel höher) liegen als in vergleichbaren Läden außerhalb der Anstalt. So ergab eine von der Anstalt 2009 selbst durchgeführte Untersuchung, daß Werner Massak bzw. seine Firma in über 60 % (!) der Fälle den Gefangenen Waren zu teureren Preisen verkauft, als „draußen“ üblich sind.
Nun wurde auch noch per Erlass des Justizministeriums verfügt, daß Gefangene Strom- und Kabel-TV- Kosten von diesen 3/7 des Lohns zahlen müssen. Bislang war es möglich, diese Kosten vom „freien Eigengeld“ zu begleichen (mittlerweile gibt es 6 verschiedene Buchungskonten pro Gefangenen; die jeweiligen Verwendungsbeschränkungen differieren, weshalb ich hier auf nähere Erläuterungen verzichte). Effektiv werden also die Gefangenen noch weniger Geld zur Deckung ihrer persönlichen Bedürfnisse zur Verfügung haben.
Zwar dürfen sich die Gefängnisbewohner seit dem 01.01.2010 monatlich 55 Euro von „draußen“ schicken lassen, um damit dann machen zu können, was sie wollen; nur haben viele Gefangene niemanden, der ihnen dieses Geld schicken kann. Versuchen sie mit Hilfe der Mitgefangenen und deren Angehörigen Gelder aufzutreiben, wird dies von der Anstalt auch mal gerne als „kleine Gaunerei“ bezeichnet und sofort dem Gericht gemeldet (so geschehen in einem Fall, in welchem es um die vorzeitige Entlassung eines Gefangenen ging; LG Karlsruhe, Az. 15 StVK 68/10). Da zeitgleich weitere Einschränkungen erfolgten, berichten bspw. Sicherungsverwahrte aus der JVA Freiburg, nun real 100 Euro im Monat weniger zur Verfügung zu haben als noch 2009.


d.) Ausblick

„Arbeit im Strafvollzug, die dem Gefangenen als Pflichtarbeit zugewiesen wird, ist nur dann ein wirksames Resozialisierungsmittel, wenn die geleistete Arbeit angemessene Anerkennung findet“, so am 01.07. 1998 das Bundesverfassungsgericht. Wie die Praxis 2010 aussieht, habe ich soeben erläutert. Nun gibt es sicher auch jene Bürger, die meinen, den Gefangenen gehe es noch viel, viel zu gut, man möge sie in den Steinbruch schicken, bei Wasser und Brot. Solche Menschen sind es dann, die wenn sie – durch welche Umstände auch immer – selbst im Gefängnis landen, am lautesten jammern.
Man könnte die oben skizzierten Entwicklungen freilich auch als Vorbereitung der Gefangenen auf das Leben nach der Haft begreifen. Ihnen wird schon jetzt klar gemacht, wo sie landen werden, wenn sie wieder frei kommen: in der Armut. Dort wo für 1 Euro/Stunde Fronarbeit geleistet wird (1 Euro Jobs).


Thomas Meyer-Falk, z.Zt. JVA-Z. 3113, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal

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Ergänzungen