Abgeräumt trotz vorgeblicher „Gesprächsbereit

Tueinfo 13.11.2009 09:59 Themen: Bildung
In den Morgenstunden des 12. Novembers wurde die Besetzung des Tübinger Kupferbaus durch den Einsatz einer Polizeihundertschaft beendet. Die 200 BesetzerInnen verließen friedlich und geschlossen das Gebäude, nachdem es von PolizistInnen besetzt wurde.
"Allein machen sie dich ein,
schmeissen sie dich raus, lachen sie dich aus,
und wenn du was dagegen machst,
sperr'n se dich in den nächsten Knast."
(Ton Steine Scherben, 1971)

*** Das Plenum ***
Gut 500 Menschen (Tagblatt: 700) hatten sich am 11. November 2009 im Hörsaal 25 des Tübinger Vorlesungsgebäudes Kupferbaus zum Plenum versammelt. Seit Donnerstag, dem 5. November war der Hörsaal von studentischen AktivistInnen besetzt, die damit auf ihre Forderungen (einsehbar unter www.tuewas.org) aufmerksam machen wollten. Diese Besetzung stand nicht isoliert, sondern war Teil von weltweit stattfindenden Besetzungen von Großbritannien bis Albanien. Die Orte dieser Besetzungen wurden am Anfang vom Plenum unter großem Jubel vorgelesen. Das Gefühl nicht allein dazustehen, erzeugte gleich am Anfang eine gute Stimmung.

Per Livestream stand das Plenum im Kontakt mit einer anderen Uni. Überhaupt war dieser Protest stark von einer neuen E-Generation geprägt. Twitter, Facebook oder Livestream gehörten zu den normalen Arbeitsinstrumenten. Das darf aber nicht nur gänzlich positiv betrachtet werden. Im Anspruch auf Transparenz wurde das Plenum auch zur Gänze per Livestream übertragen. Transparenz aber wird hier schnell etwas, was sehr dem gläsernen Menschen ähnelt, den auch Schäuble anstrebt. Transparenz könnte ja auch einfach durch ein öffentlich zugängliches Protokoll gewährleistet werden. Eine ständige Kameraübertragung aber legt für Repressions-Organe wunderbar Strukturen frei, zeigt einzelne (vermeintliche) Verantwortliche und hemmt zurückhaltende Menschen noch einmal zusätzlich sich im Plenum zu Wort zu melden.

Während in der vorderen Reihe links mit vier Anzugträgern die Uni-Leitung (Rektor, Kanzler, Prorektor und Prorektorin) vertreten war, wurde das Plenum mit einem österreichischen Redner fortgesetzt. Da sich das Plenum dadurch hinzog, mussten die Herren und die eine Dame von der Uni-Leitung, gezwungenermaßen erst einmal warten, bevor die Punkte zur Sprache kamen, wegen der sie anwesend waren. Sie wirkte auch einigermaßen gequält.
Der Redner aus Österreich berichtete davon, dass die Proteste in Österreich zu der größten Studierenden-Demonstration überhaupt geführt hätten und dass diese Proteste teilweise unter dem Motto „Geld für Bildung statt für Konzerne und Banken“ geführt wurden. Eine Formel die teilweise von Linken kritisiert wird, weil sie nur den Ruf nach einer besseren Zuteilung aus dem Staatssäckel entspricht.
Ebenso betonte ein Redner mensch wolle nicht nur ein Brotstück, sondern den ganzen Laib haben. Die radikale Linke geht hier für gewöhnlich etwas weiter: „We Don’t want just one cake. We want the whole fucking bakery!”

Nach einer Abstimmung zur Verbesserung der Inhalte des Lehramt-Studienganges, kam es zur Diskussion mit der Uni-Leitung.
Ein Vertreter der Besetzer betonte gegenüber den Universitäts-Vertretern, dass bisher nur eine „Besetzung light“ stattgefunden habe und mensch immer versucht habe für die geplanten Bildungs-Veranstaltungen im besetzten Hörsaal einen Alternativraum zu organisieren. Daher seien bisher nur zwei Veranstaltungen wirklich ausgefallen. Der Rektor widersprach und nannte die Anzahl von sieben ausgefallenen Veranstaltungen, konnte diese aber auf Nachfrage nicht im Einzelnen benennen. Der Redner meinte weiter, sie würden dem Rektorat nicht ersparen, die Bilder von Polizisten, die friedliche BesetzerInnen räumen, zu produzieren, sofern keine echte Alternative zur Verfügung gestellt werde, und endete mit einem Bloch-Zitat: Es muss endlich Schluss sein mit Aushalten, Durchhalten, Maulhalten! (ungefähre Wiedergabe)
Die Uni-Leitung hatte den BesetzerInnen nämlich angeboten, in einen Vorlesungssaal in der Alten Physik umzuziehen. Dies, so konstatierten die BesetzerInnen, wäre aber eine deutliche Verschlechterung gewesen: Schimmel an den Wänden, kaum auffindbar für Uneingeweihte, kaum Schlafgelegenheiten, keine Kochmöglichkeiten – kurzum ziemlich grottig für eine Besetzung. Daher wurde diese „Alternative“ abgelehnt. Auch in der Alten Physik wäre übrigens der Vorlesungs-Betrieb behindert worden, dort finden wöchentlich nämlich mindestens fünf Vorlesungen statt. Immer mehr kristallisierte sich so heraus, dass es dem Rektor gar nicht um eine (angebliche) Behinderung von Bildungsveranstaltungen ging. Am Samstag soll der Kupferbau nämlich als eine der Locations für die große SWR-3-Partynacht dienen. Die BesetzerInnen hatten aber in einem Plenum beschlossen, den besetzen Hörsaal nicht dafür zur Verfügung zu stellen, da es sich um keine Bildungsveranstaltung handle. Darauf angesprochen, dass die Universität statt Bildungsveranstaltungen Komasaufen fördere, war sich der Rektor nicht zu schade die SWR-3-Party zu verteidigen, die ja von „vielen jungen Menschen nachgefragt“ werde. Einer der Besetzer bezeichnete den Rektor deswegen später scherzhaft als „Vertreter der Monopolpartymächte“.
Anschließend verlas der Rektor noch einmal vor dem Plenum den Räumungsbefehl. Die Plenums-Diskussion drehte sich schließlich darum, ob der Plenumsbeschluss zur SWR-3-Party zu ändern sei. Generell könne mensch neu abstimmen zu diesem Thema, aber es wäre möglich, dass das Plenum am Freitag sich wieder anders entscheide. Der Rektor kritisierte, dass er auf Grund dieses Entscheidungsmodus keine Planungssicherheit habe. Wer näher an dem Rektor dran saß, hörte ihn auch immer wieder empört „Kindergarte!“ ausrufen.

Hier ist interessant, was für grundsätzliche Prinzipien sich gegenüberstanden, nämlich das der Räte-Demokratie und das der Vertreter-Demokratie. In einer Räte-Demokratie ist der Entscheidungsprozess ein ständiges Aushandeln durch die Betroffen selbst. In einer Vertreter-Demokratie hingegen wird von den Betroffenen die Entscheidungsgewalt an Vertreter abgegeben. Diese können dann im Rahmen ihrer gesetzlich festgelegten Möglichkeiten schalten und walten. Dabei können die gewählten Vertreter auch gegen ursprüngliche Zusagen verstoßen, ohne dass die WählerInnen wirkungsvolle Sanktionsmittel besitzen. Beispielsweise können die Grünen Kriege führen, obwohl sie als Friedenspartei gewählt worden.

Immer wieder betonte der Rektor: „Der Gesprächsfaden wird nicht abreißen.“ Warum er dafür aus einem Teil des Plenums Applaus erhielt, ist unverständlich. Die Räumungsaufforderung und die Drohung sie mit der Polizei durchzusetzen, hatte er, trotz diesem formelhaften Bekenntnis zum Dialog, nicht rückgängig gemacht. Schließlich verließ der Rektor das Plenum, weil es für ihn ein langer Tag gewesen wäre und er müde sei. Wie sich noch herausstellen sollte hatte er durchaus Gründe so früh zu gehen, denn er musste am nächsten Tag schon wieder früh aufstehen.

*** Eine solidarische Kritik: Das Plenum ***
„Der gefährlichste Feind der Wahrheit und der Freiheit – das ist die kompakte Majorität. Jawohl, die verdammte, kompakte, liberale Majorität – die ist es.“
(Dr. Stockmann in Henrik Ibsen: "Ein Volksfeind")

Grundsätzlich ist ein Plenum als gelebte Basisdemokratie das bestmögliche Beschlussgremium. Dabei sollte aber beachtet werden, dass sich schnell informelle Hierarchien bilden können. Konkret meint das, dass einige wenige Personen anfangen (meist ungewollt) Plena zu dominieren. Schnell wird von der Plenums-Mehrheit akzeptiert, dass diese Personen den Posten des Sprechers und Redeleiters inne haben („charismatische Herrschaft“). Fast immer sind diese Personen männlichen Geschlechts.
In Plena ist auch schwierig, wenn es einfach Prinzip ist, dass die Mehrheit sich durchsetzt. Generell sollte versucht werden auf die Meinungs-Minderheit einzugehen und zu einem Konsens zu kommen. Das ist natürlich bei Massen-Plena mit 500 Personen mehr als schwierig und sehr zeitaufreibend. Ein Mehrheit-schlägt-Minderheit-tot-Prinzip bzw. ein 51%-überstimmen-49%-Vorgehen ist aber überaus kritikwürdig. Ferner muss beachtet werden, dass es auch noch so etwas wie individuelle Autonomie oder Souveränität gibt. Dass heißt einer Einzelperson muss es in viele Fällen auch erlaubt sein, sich entgegen der Plenums-Beschlüsse zu verhalten, besonders wenn diese sehr tiefgehend persönliches Verhalten bestimmen wollen. Beispielsweise sich, mit Verweis auf einen entsprechenden Plenumsbeschluss gegen laute Beifalls- bzw. Unmutsäußerungen, gegen das Ausbuhen der Uni-Leitung zu wenden, wirkt schon sehr (fremd)bestimmend. Es sollte der Einzelnen oder dem Einzelnen doch immer auch gestattet sein, selbst zu entscheiden, ob sie/er z.B. buhen oder nicht, selbst wenn das gegen einen Plenums-Mehrheitsbeschluss verstößt. Diese Beschlüsse können ja gerne als Hinweise verstanden sein, absolute Regeln sollten sie aber nicht sein.

*** abgeräumt ***
Hinweise verdichteten sich, dass ab 6 Uhr geräumt werden solle. Deswegen wurden noch SympathisantInnen von außerhalb mobilisiert und ab 6 Uhr saß die Mehrheit der BesetzerInnen im Innenraum des Zweiten Stockes und wartete. Den Hörsaal hatte mensch geräumt, um so der Räumung widersprechen zu können, die sich eigentlich nur auf den Hörsaal bezog.

Das Ende kam dann recht schnell. Gegen 7 Uhr stürmte als Vorhut ein Trupp von fünf Zivilpolizisten ins Gebäude und entfernte alle (symbolischen) Barrikaden. Das Plenum hatte am Abend zuvor beschlossen sich nicht richtig zu verbarrikadieren, um das Eskalationsniveau niedrig zu halten. Die Zivilpolizisten wiesen sich nicht aus und das ganze wirkte anfangs eher wie ein Überfall von Straßenfaschisten.

Danach betraten auch die üblichen BFE-Polizisten in Kampfmontur, der städtische Ordnungsamtsleiter, sowie Rektor und Kanzler das Gebäude. Sie wurden im zweiten Stock von einer friedlichen Menge von 150-200 Menschen mit Liedern und Protestparolen begrüßt. Auf das Argument, der Hörsaal sei ja von den BesetzerInnen selbst geräumt worden, wurde nicht eingegangen. Der anwesende Rektor wollte nichts mehr sagen, nur der Kanzler verlas noch einmal die Räumungsaufforderung. Warum einzelne BesetzerInnen ihm dafür eilfertig ihr Mikrofon anbieten mussten, war unersichtlich.

Nach zehn Minuten verließen die BesetzerInnen schließlich geschlossen das Gebäude. Vor
dem Kupferbau wurde spontan beschlossen eine Demonstration abzuhalten und mensch ging auf die Straße. Der Protestzug bewegte sich vom Kupferbau zur Neuen Aula und ab da in Richtung Innenstadt. Die anwesende Einsatzhundertschaft aus Böblingen eskortierte die BesetzerInnen auf dem ganzen Weg. Besonders vor Uni-Gebäuden standen PolizistInnen. Offenbar gab es Befürchtungen vor einer spontanen Neu-Besetzung. Auf der Höhe des Alten Botanischen Garten wurden die BesetzerInnen schließlich von der Wilhelmstraße abgedrängt. Dann bewegte mensch sich in die Altstadt zum Marktplatz, wo die Spontandemonstration endete.
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Ergänzungen

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.. 13.11.2009 - 11:22
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asymetrischer Dialog

Stinker 13.11.2009 - 12:56
Danke für den Artikel.
Wer selbst im Plenum war und auch den unhinterfragten Respekt vor dem Rektor durch die Masse erlebt hat (der nach Verlesen des Räumungsanordnung Applaus von denen bekam, auf die sich besagte Drohung bezog), der kann nachvollziehen, wenn im vorliegenden Bericht immer wieder Wertungen zum Geschehen einfliessen.
Die Organisation, auf die zurückgegriffen wurde und die vor Ort entstand, bedrf eines grossen Lobs; allerdings war auch auffällig, dass viele die Anwesenheit des Rektors samt Gefolge stest als Dialogbereitschaft werteten, sogar trotz des asymetrischen Dialogs - der Androhung einer räumung durch die Polizei.
In dem Sinne lässt sich hoffen, dass die Erfahrungen dieser Besetzung zumindest dazu geführt haben, dass mensch lernte:
Wer sich nicht wehrt, spürt seine Ketten nicht.
Also Augen auf und in Zukunft viel Kraft.

Werdet aufmüpfiger...

...und macht auch mal was kaputt 13.11.2009 - 18:55
Der Protestforscher und Soziologe Dieter Rucht in der taz über die Perspektiven des Bildungsstreiks:

"Viel Sympathie also - doch wie geht es bei den Protesten weiter? "Es gibt zwei Möglichkeiten", sagt der Sozialwissenschaftler Dieter Rucht der vom Wissenschaftszentrum Berlin der taz: "Entweder, die Studenten demonstrieren ein paar Tage, bekommen von der Politik Recht und am Ende passiert wieder nichts", sagt Rucht, "oder der kritische Punkt ist erreicht und die Proteste bekommen eine neue, militantere Qualität".

Welche der Optionen es am Ende wird, könne er nicht sagen. Jedoch spürten nach seiner Beobachtung viele Studierende, dass man sich bisher leise hinter Banken und Konzerne anstellen musste. Deshalb, sagt Rucht, "würde ich mich nicht wundern, wenn die Proteste heftiger werden".

ganzer Artikel:
 http://www.taz.de/1/zukunft/wissen/artikel/1/stille-signale-lauter-protest/

Die Zeit der Forderungen ist vorbei - Aufruf Berliner Antifagruppen:
 http://www.air.antifa.de/news_091109_schulstreik_171109.html

Feature zum Protest wird ständig ergänzt:

Expropriateur 14.11.2009 - 14:32

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 4 Kommentare an

klobesetzung — lacher

Livestream? — .

Peter komm zurück! — Peter Lustig