Stand der Berliner 1. Mai-Prozesse

Roland Ionas Bialke 14.10.2009 16:39 Themen: Repression
Vereinzelung, Spaltung der schwachen Antirepressionsarbeit und abschreckende hohe Strafen - Mit nahezu perfekter Repression gelingt es zur Zeit die AktivistInnen des 1. Mai einzuschüchtern. Im Prozess gegen Christian P. wurden heute, am 14. Oktober 2009, wegen zweifachen Landfriedensbruch und 19-facher versuchter Körperverletzung zu 2 Jahre und 6 Monate Haft verurteilt. In einem weiteren Prozess gegen Yunus und Rigo, der auch heute stattfand, wurde es abgelehnt die beiden Jugendlichen aus der Untersuchungshaft zu entlassen. In den Prozessen gelang es die Angeklagten als "unpolitische" Menschen, teils mit Rauschgiftproblemen, hinzustellen und die wenigen UnterstützerInnen gegeneinander aufzuhetzen.
Drei Jahre Haft forderte die Staatsschutzabteilung der Berliner Staatsanwaltschaft in den Prozess gegen Christian P., einen Freispruch die Verteidigung. Dass Christian wie von zwei Polizisten in ziviler Kleidung beschrieben Flaschen auf PolizistInnen geworfen haben soll, konnte nicht stimmen. Am vorletzten Prozesstag wurde trotzdem der Verteidigung klargemacht, dass es ein hohes Urteil geben wird. Plötzlich während des Plädoyers, die Beweisaufnahme war schon geschlossen, stellte die Verteidigung ein Hilfsbeweisantrag: Wenn verurteilt wird, dann solle durch einen Psychologen festgestellt werden, dass Christian am 1. Mai 2009 Alkohol getrunken, 1g Kokain genommen, mehrere Joints geraucht und ein starkes Schmerzmittel genommen habe. Somit sei Christian vermindert schuldfähig. Dieser Antrag zeigte die Hilflosigkeit der Verteidigung gegen den Verurteilungswillen der Richterin und der beiden Schöffinnen auf. Die Pressesprecherin der Berliner Strafgerichte rieb sich die Hände: Der 1. Mai konnte nun den Medien als unpolitische Veranstaltung verkauft werden, bei dem unter Rauschgift stehende Menschen Randale machten.

Der Antrag der Verteidigung zielte auf ein paar Monate Gefängnis ab, die Christian erspart hätte werden können. Doch glaubhaft ist sein Rauschgift-Konsum nicht. Während des ganzen Prozesses kam sowas nicht zur Sprache. Es gab keine Ausfallerscheinungen, keine Ataxie oder andere Auffälligkeiten. Christian war nüchtern, der Trick der Verteidigung lief ins Leere. Der Antrag wurde abgelehnt, mit der Begründung, dass das Gericht genügend eigene Sachkunde hätten um einzuschätzen, dass Christian am 1. Mai 2009 Rauschgift genommen hat. Zuvor hatte die Verteidigung noch ihren Antrag relativiert, Christian habe nur Drogen genommen um die Schmerzen einer ärztlich attestierten Verletzung loszuwerden. Juristisch ein wichtiger Aspekt, der aber nicht von der vorsitzenden Richterin anerkannt wurde. Politisch gesehen war dieser Antrag allerdings ein Desaster! Das Urteil vor etwa 10 ProzessbeobachterInnen (bewacht von etlichen Justizbediensteten): 2 Jahre und 6 Monate Haft. Christian muss jetzt bis zu einem möglichen Berufungsprozess in Haft sitzen.

Im parallel stattfindenden Prozess gegen Yunus und Rigo, beide werden beschuldigt einen Molotowcocktail auf PolizistInnen geworfen zu haben, wurde es abgelehnt die beiden trotz der dünnen Beweislage aus der Untersuchungshaft zu entlassen. In den Prozesstagen zuvor gelang es dem Repressionsapparat die sich solidarisierenden Menschen in "politisch" und "unpolitisch", sowie "gewalttätig" und "friedlich" zu spalten.

Anlass war ein Selbstbezichtigungsschreiben der "autonome gruppen" zu einer Brandstiftung am 3./4. September 2009 in der es heisst, dass dem Oberstaatsanwalt Ralph Knispel, der Yunus und Rigo anklagt, das gleiche Schicksal wie dem ermordeten Polizisten Uwe Lieschied gewünscht wird. Die kommerziellen Medien griffen das Thema nach fast einem Monat auf und hetzten gegen Linksextremisten. Yunus und Rigo lassen eine Erklärung abgeben, sie seien nicht in der linken autonomen Szene organisiert und verabscheuen jegliche Gewalt. Auch politisch motivierte.

SBS vom 3./4. September 2009 -  http://directactionde.blogspot.com/2009/09/auto-abgefackelt.html

Die Eltern von Yunus und Rigo hatten schon zuvor, am 1. Oktober 2009, eine Erklärung zu den Medienberichten abgegeben. In dieser heisst es: "Wir möchten unsere tiefe Bestürzung über die am 30. September in der Bildzeitung und BZ erwähnte Morddrohung gegen Ralph Knispel in einem Bekennerschreiben der "autonomen gruppen" zu Brandanschlägen in Berlin vom 3./4.9.09 zum Ausdruck bringen und uns nachdrücklich davon distanzieren. Die Verfasser dieser Drohung nutzen den Prozess gegen unsere Kinder, um eine gewaltbereite politische Auseinandersetzung zu führen, mit der Yunus und Rigo nichts, aber auch gar nichts, zu tun haben. Sie sind nicht in der autonomen Szene organisiert! Sie sind und waren niemals gewaltbereit!
Wir fürchten, dass sich eine solche Form der politischen Stimmungsmache negativ auf das Verfahren gegen Yunus und Rigo auswirken wird und fordern deshalb die Verfasser der Drohung auf, sich nicht weiter in den Prozess gegen unsere Kinder einzumischen und jedwede gewaltbereite Veröffentlichung zu unterlassen. Herrn Knispel drücken wir unser Mitgefühl aus und bitten ihn, trotz dieser Morddrohung die Sachlage im Prozess gegen unsere Kinder unvoreingenommen zu beurteilen."

Blog der Solidaritätsgruppe -  http://www.yunus-rigo-prozess.de

Aber nicht nur in diesem Prozess hat die Verteidigung und die Familien bzw. FreundInnen der Angeklagten nicht viel dem Repressionsapparat entgegenzusetzen. Und so "verbeugen sie sich vor dem hohen Gericht" und lassen sich aus Angst vor dem Gefängnis beliebig verformen. Ich kann es nachvollziehen, dass Menschen in einer extremen Zwangslage mit allen Mitteln versuchen sich daraus zu befreien.

Rene und Benjamin wird ebenso wie Yunus und Rigo vorgeworfen Molotowcocktails auf PolizistInnen geworfen zu haben. Es gab ein Geständnis, denn die beiden taten dies zusammen mit PolizistInnen in ziviler Kleidung. Verborgen wird bleiben, dass die PolizistInnen die beiden aufforderten die Brandsätze auf die Polizei zu werfen. Auch wird verborgen bleiben, dass am 1. Mai 2009 stellenweise ein Sechstel der DemonstrantInnen / ausschreitenden Menschen verdeckte Ermittler waren. Nicht aufgeklärt werden Flaschenwürfe von verdeckten PolizistInnen auf uniformierte PolizistInnen, um die Masse anzuheizen. Rene und Benjamin werden währenddessen als "unpolitische" Jugendliche verkauft, die mal ein Abenteuer erleben wollten.

Doch das Gegenteil ist der Fall. Zum ersten Mal seit Jahren wurde am 1. Mai politischer Inhalt nach aussen getragen. Kurz nachdem die (uniformierte) Polizei in die Revolutionäre 1. Mai-Demonstration eindrang, wurde sie massiv angegriffen und befand sich bis zum Ende der Demonstration in der Defensive. Erst später wurden DemonstrantInnen durch verdeckte ErmittlerInnen markiert und von uniformierten Polizeikräften festgenommen.

Die Antirepressionsarbeit ist mehr als mangelhaft. Zwar gab es eine nette Solidaritätsparty, aber zu den Prozessen kommen kaum Menschen die nicht mit den Angeklagten befreundet oder verwandt sind. Offensichtlich wurde es von den OrganisatorInnen der Revolutionären 1. Mai-Demonstration vernachlässigt sich um Antirepressionsarbeit zu kümmern. MitdemonstrantInnen scheinen auch nicht gewillt zu sein für die Angeklagten etwas zu tun - Mit Ausnahme der Autonomen Gruppen und anderen vereinzelten AktivistInnen. Auch der Ermittlungsausschuss, Anarchist Black Cross Berlin und die Rote Hilfe scheinen überlastet zu sein. So bitter es klingt, es wäre ehrlicher nächstes Jahr folgendes auf den Plakaten die für die Revolutionäre 1. Mai-Demonstration werben stehen zu haben: "Wenn Du geschnappt wirst, bist Du allein!" Die Alternative dazu wäre, Antirepressionsarbeit schon vor den Aktionen und der Demonstration zu organisieren.

Ein Lichtblick ist das Verhalten der VerteidigerInnen im sogenannten mg-Prozess, die heute die Plädoyers verweigerten. Sie taten das um zu verdeutlichen, dass ihre Mandanten kein faires Verfahren ausgesetzt waren. Wir sind, wie die RechtsanwältInnen, alle Rädchen im repressiven Menschensystem. Darum sollten Wir wieder lernen zu kämpfen und nicht nur schöne schwarze Kleidung zu tragen.

Bericht über das Nichtplädieren -  http://de.indymedia.org/2009/10/263362.shtml
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Ergänzungen

Fehler - Unbekannte Prozesse

Roland "Nerviii" Bialke 14.10.2009 - 17:02
"Im Prozess gegen Christian P. wurden heute, am 14. Oktober 2009, wegen zweifachen Landfriedensbruch und 19-facher versuchter Körperverletzung zu 2 Jahre und 6 Monate Haft verurteilt." - Der Satz sollte eigentlich das heissen:

"Christian P. wurde heute, am 14. Oktober 2009, wegen zweifachen Landfriedensbruch und 19-facher versuchter Körperverletzung zu 2 Jahre und 6 Monate Haft verurteilt."

Daran seht ihr, wie fertig ich mit den nerven bin. Was sind das für Menschen die andere Menschen für 2 1/2 Jahre einsperren wollen? Übrigens, wenn ihr einen Prozess wegen dem 1. Mai 2009 habt, dann meldet Euch bei mir. Ich komme dann, wenn möglich, zu Euren Prozessen und dokumentiere diese (wenn ihr das wollt). Dann seid ihr wenigstens nicht allein!

sauber recherchiert?

Mr. Demo 15.10.2009 - 15:22
"(...) Auch wird verborgen bleiben, dass am 1. Mai 2009 stellenweise ein Sechstel der DemonstrantInnen / ausschreitenden Menschen verdeckte Ermittler waren (...)"

wer sagt das? gibt es für diese Behauptung Belege?

@ Mr. Demo

Roland Ionas Bialke 15.10.2009 - 18:34
Nein, dafür gibt es keine Belege. Es gibt aber mehrere gerichtliche Aussagen der Polizei die in diese Richtung gehen - Nur bleibt das verborgen, da nicht protokolliert, nicht thematisiert und weil die kommerziellen Medien, wenn überhaupt, oft nur zum ersten und letzten Prozesstag kommt. Ansonsten werden Prozessinhalte von den Justiz-PressesprecherInnen vorgekaut und an die Medien weitergegeben. Und das sind RichterInnen (z.B. Petra Carl) oder StaatsanwältInnen (z.B. Michael Grunwald). Und auf PolizeipressesprecherInnen kannst Du Dich auch nicht verlassen. Frank Millert ist Polizist und nicht unabhängig.

Ach übrigens: OStA Ralph Knispel, der Yunus und Rigo angeklagt hat, lässt sich nun von 3 Frauen mit auffällig gleich aussehenden Frisuren beschützen. Und das nur demonstrativ im Gerichtssaal, denn Knispel weiss, dass Angriffe auf StaatsanwältInnen so gut wie nie stattfinden. Die Hemmschwelle ist in der Bevölkerung dafür zu gross.





sauber interpretiert?

Fragender 15.10.2009 - 21:54
"Es gibt aber mehrere gerichtliche Aussagen der Polizei die in diese Richtung gehen - Nur bleibt das verborgen" (Bialke)

Was genau bedeutet "in diese Richtung gehen"? Wurden Zahlen genannt? Kannst du Zitate bringen? Oder interpretierst du da etwas zusammen? Und warum "verborgen"? Die Verhandlungen sind doch öffentlich oder? Jeder der sich für die Zahl der verdeckten Ermittler am 1. Mai interessiert, könnte also dort hin gehen und zuhören so wie du.

Interpretation

Roland Ionas Bialke 16.10.2009 - 00:00
Ganz sicher ist das eine Interpretation, die ich mir nach dem Besuch mehrerer Prozesse gemacht habe. Die FAO Dir 5 hatte eine mobile Basis am Kottbusser Tor. Etwa 22 Personen waren in zwei Gruppen eigeteilt: "Kottbusser Tor Süd" und "Kottbusser Tor Nord". Als es zum ersten Molotowcocktailwurf kam, haben sich die beiden Gruppen zusammengezogen. Etwa 100 Personen waren in diesem Bereich. 100 Personen + 22 FAO + 3 Basis (Funker, Fahrer, Führer) = 125 Personen in ziviler Kleidung. Das durch 25, bedeutet, dass jedeR 6. von der FAO ist. Auch wenn nicht alle von der FAO Dir 5 dagewesen wären, Wir wissen, dass noch viele andere in diesem Bereich unterwegs gewesen sind.

Verborgen

Roland Ionas Bialke 16.10.2009 - 00:17
Mit verborgen meinte ich, dass diese Informationen nicht breit gestreut werden. Was nützt es, wenn einzelne was wissen, aber es nicht für die Gemeinschaft nutzbar machen? Und so komme ich auch zur verborgenen Antirepressionsarbeit - Die ist definitiv gut, sorgt aber nicht dafür, dass die Masse der AktivistInnen sich der Antirepressionsarbeit zuwendet.

Wäsche waschen - Ich hatte keine Ahnung, dass das zur Antirepressionsarbeit dazu gehören kann. Bis eine Aktivistin davon erzählte. Es gibt viele solcher Dinge. Viele haben sogar (berechtigte) Angst als ProzessbeobachterIn aufzutreten. Andere wissen nicht einmal was damit anzufangen. Hierauf zielt meine Kritik ab: Erfahrene AktivistInnen haben es versäumt ihre Erfahrung an eine breite und unerfahrene Masse zu vermitteln. Mit der Zeit gehen muss da auch klar sein. Frag, wie viele bei einer Soliparty wo Rote-Hilfe-Rechtshilfe-Broschüren rumliegen wissen, dass sie keine Aussage zur Polizei machen sollen bzw. sich jemals ernsthaft damit beschäftigt haben.

mein senf dazu

vega 16.10.2009 - 11:16
Mein Kommentar findet sich hier:  http://vega.blogsport.de/2009/10/16/berlin-repressiv/

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 13 Kommentare an

@Bialke — Buhmann

Nur mal so. — ÖDDDDDEEEE

Schöner Artikel — Scheiß Kommentare

@Buhmann — "Organisator des 1. Mai"

titel — name

stimmt — eine

frage — martin

alles Lemminge? — Verdeckter