Artikel 5 GG abgeschafft

moeper 19.06.2009 16:24 Themen: Medien Netactivism Repression
Gestern den 18.06.2009 entschied der Bundestag mit den Stimmen von CDU, CSU, SPD und flankiert von 15 Enthaltungen der Grünen, bei Gegenstimmen der FDP und Linkspartei[1], Zensur zu legitimieren und den Zugang zu freier Presseberichterstattung bei Wohlgefallen zu verhindern. Die Aufsicht über die einzuführende Zensurliste wurde einer der GeStaPo ähnlichen Polizeibehörde mit nachrichtendienstlichen Befugnissen übergeben, dem Bundeskriminalamt.[2] Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat sich geweigert, seine Behörde zur Überwachung der Sperrliste und der damit verbundenen politischen Legitimierung der Zensurliste bereitzustellen.[3]
Die Richtung in die es geht, hat der Bund deutscher Kriminalbeamter in seiner Stellungnahme vom 27.05.2009 bereits deutlich gemacht: „das Internet wird zunehmend als Medium für die Vorbereitung und die Ausführung abweichenden Verhaltens […] genutzt. […]Aufgrund ungefilterter Internetzugänge sind aber leider auch Inhalte wie Pornographie, Pädophilie, Islamismus, Rechts- und Linksextremismus, Terror und vieles mehr für Kinder und Jugendliche frei verfügbar.“ (Bundestags Ausschussdrucksache 16(9)1550)[4]

Gerade unter dem Schlagwort des Jugendschutzes[5], sind in den letzten Jahren zahlreiche Einschränkungen der Meinungsfreiheit durchgesetzt worden. Unter Federführung der Bundeszensurbehörde, der Bundesprüfstelle für Jugendgefährdende Medien, deren Wurzeln bereits in der seit 1926 in der Weimarer Republik aktiven ‚Oberprüfstelle für Schund- und Schmutzschriften‘ liegen, deren Aufgaben ab 1933 durch die ‚Reichsschrifttumskammer‘ übernommen worden. Die letztlich in der wie bisher üblich dem (Bundes)innenministerium unterstellten Bundesprüfstelle ihre Auferstehung in der jungen BRD fand. Später wurde die BPjM dem Ministerium für Familie und Jugend angegliedert, wo sie auch heute noch waltet. Seit ihrem Bestehen, wurden vor allem Medien die gesellschaftlich abweichendes Verhalten darstellen oder darüber berichten, Opfer der Zensurmaßnahmen. Zu den ersten gehörten Comics, denen die inkompetenten MitarbeiterInnen der BPjM eine schwere Jugendgefährdung nachsagten. Später kamen Erotik- und Pornographieangebote hinzu und seit Ende der 70er Jahre neofaschistische Inhalte, als Hauptarbeitsgebiete.

Ihren grundsätzlichen Willen weitere Angebote nach eigenem Gutdünken zu zensieren bekundete die Behörde im Frühjahr 2008: „Nach §18 Abs. 1 Satz 2 JuSchG, sind Medien unter anderem dann jugendgefährdend, wenn sie unsittlich sind, verrohend wirken, zu Gewalttätigkeit, Verbrechen oder Rassenhass anreizen. Da es sich bei dieser Aufzählung um einen Beispielkatalog handelt, kann die Bundesprüfstelle ihre Spruchpraxis im Hinblick auf die Jugendgefährdung durch Medien ergänzen und hinsichtlich neuer jugendgefährdender Problemfelder aktualisieren.“ (BPjM-Aktuell 2/2008, S. 20)[6]

Mittlerweile beschäftigen sich die häufig weltfremden und religiös voreingenommenen Mitarbeiter der BPjM mit zahlreichen Bereichen der Alltags- und der Subkultur, bspw. Hip Hop, Vampirismus, Videospielen, Satanismus, Pro-Ana, Body Modification, Internet usw. Die Auswirkungen der permanenten Zensurdrohung sind am Beispiel der Filmindustrie am deutlichsten zu Veranschaulichen. Ein Großteil der Filme die in Deutschland veröffentlicht werden sind für den hiesigen Markt geschnitten, und um Szenen (teilweise auch Inhalte) bereinigt, bei denen die Vertriebsgruppen mit Problemen seitens des Jugendschutzes rechnen, vergleichbares findet sich im Bereich der Videospiele.

Mit der nun forcierten Zensur des Internets wird ein Neuer Raum der Möglichkeiten für die staatlichen Organe eröffnet. Bisher wird eine Liste mit zu zensierenden Inhalten als geheime/nicht öffentliche Liste bei der BPjM geführt, diese gab sich bisher damit zufrieden die Auffindbarkeit der Inhalte über Suchmaschinen zu verhindern (google verweist hier auf ChillingEffects.org), der Zugang ist jedoch noch möglich über direkte Eingabe Browser.

Bereits mit der Vorratsdatenspeicherung[7] wurde eine Vorstufe der Zensur beschritten, durch die verdachtsunabhängige Speicherung des Surfverhaltens aller Bundesbürger, läßt sich bereit jetzt der Zugriff auf herrschaftskritische Informationen durch Angst vor Verfolgung, mittels vorauseilendem Gehorsam einschränken. Doch kann noch jeder selbst entscheiden, ob er sich über die Standpunkte ausländischer islamischer, kommunistischer usw. Gruppen informiert bzw. homosexuelle, BDSM-Seiten aufsucht oder sich über Krankheiten mit einem gesellschaftlichen Stigma im Netz informiert. Die zentralen Probleme sind bisher ‚wie wird der Schutz der gesammelten Verbindungsdaten realisiert?‘ und ‚welche Auswirkungen hat der Besuch von Websites auf meine berufliche Zukunft?‘ bzw. die Frage ‚falle ich mit dem Seitenaufruf unter ein bestimmtes staatliches Verfolgungsraster?‘.

Durch die Eröffnung der Zensur Option, verwaltet bei einer nachrichtendienstartigen Behörde wie dem BKA, fällt jede öffentliche Kontrolle über die gesperrten Inhalte weg. Der Bund deutscher Kriminalbeamter hat es bereits angedeutet, zensiert werden soll, was nicht gefällt, was kritisiert oder schlicht stört. Das darunter auch verwerfliche Inhalte sein können, wird sich nach etwas Gebrauch der Liste herausstellen. Neben politischen Seiten, werden sehr bald unter dem Druck der Lobbyverbände Tauschbörsen und allerlei andere unliebsame Inhalte gesperrt werden. Die CT bringt es treffend auf den Punkt: „Wenn [das Ziel] nicht die Bekämpfung von Kinderpornos ist, dann kann es nur um die Installation der Sperren selbst gehen. Das würde bedeuten, dass hier mit einem Vorwand eine geheime Liste eingeführt wird, die man nach und nach um weitere strafbare und unliebsame Inhalte erweitern kann.“[8]

Im Kampf gegen Oppositionelle in Deutschland bieten sich den Repressionsorganen im Zusammenspiel mit der Vorratsdatenspeicherung ideale Möglichkeiten. Bei einer angestrebten Speicherdauer für Verbindungsdaten von 2 Jahren, dürften den Rastern keine Oppositionellen oder auch nur mögliche Interessierte mehr entgehen.

Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist damit begraben. Das Schlußwort überlasse ich Max Reimann (MdB, Mai 1949) „Wir unterschreiben nicht. Es wird jedoch der Tag kommen, da wir Kommunisten dieses Grundgesetz gegen die verteidigen werden, die es angenommen haben!“

[1]  http://dokumente.linksfraktion.net/pdfdownloads/7707070650.pdf (abgerufen am 19.06.2009)
[2]  http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/131/1613125.pdf (abgerufen am 19.06.2009)
[3]  http://www.heise.de/newsticker/Bundesdatenschuetzer-will-Kinderporno-Sperrliste-nicht-ueberwachen--/meldung/140633 (abgerufen am 19.06.2009)
[4]  http://www.bundestag.de/ausschuesse/a09/anhoerungen/archiv/22_Anhoerung/Stellungnahmen/16_9_1550.pdf (abgerufen am 19.06.2009)
[5] Jugendschutz ist hier ein Synonym für die erzwungene Korrektur sogenannten „sozialethisch-desorientierenden“ (BPjM-Sprech) kurz von der gewünschten Norm abweichenden Verhaltens.
[6]  http://www.bundespruefstelle.de/bmfsfj/generator/bpjm/redaktion/PDF-Anlagen/bpjm-aktuell-pro-anorexie-angebote-aus-2-08,property=pdf,bereich=bpjm,sprache=de,rwb=true.pdf (abgerufen am 19.06.2009)
[7]  http://www.vorratsdatenspeicherung.de/ (abgerufen am 19.06.2009)
[8]  http://www.heise.de/ct-tv/Hintergrund-Nach-der-Kritik-folgen-die-Warnungen--/artikel/2009/05/09/webcast/pruefstand/137373/ (abgerufen am 19.06.2009)

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Ergänzungen

Art. 5 GG

... 21.06.2009 - 19:40
fällt unter die sog. "ewigkeitsklausel" (in Art. 79 GG festgeschrieben), kann also nicht geändert werden, selbst mit 2/3-mehrheit nicht.

EWIGKEITSKLAUSEL

DM 24.06.2009 - 00:15
Falsch, der Artikel 5 GG. fällt nicht unter die Gültigkeit von Art. 79 Absatz 3 GG. Er kann daher geändert werden - 2/3 Mehrheit Bundestag u. 2/3 Mehrheit Bundesrat.

Ewigkeit II

Paragrahy 13.09.2009 - 01:50
Auch nicht ganz richtig:
Laut Artikel 20 Absatz 2 "(...)darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden"

Quelle: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Textausgabe. Stand März 2009. Bundeszentrale für politische Bildung.

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Super Artikel — ...

ähem — autognom-dd