Stuttgart: 6000 gegen Afghanistankrieg & NATO

Thomas Trueten 20.09.2008 20:05 Themen: Militarismus
Im Oktober entscheidet der Bundestag über die weitere Beteiligung der Bundeswehr an der internationalen "Schutztruppe" ISAF, diesmal soll der Beschluss gleich für 14 statt wie bisher für 12 Monate gelten. Grund: Das Thema soll möglichst aus den Bundestagswahlen herausgehalten werden. Dagegen demonstrierten heute 6000 Menschen in Stuttgart.
Heute nahmen mehr als 6.000 Menschen an der Demonstration in Stuttgart und über 8000 in Berlin gegen die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan teil. Im Oktober entscheidet der Bundestag über die weitere Beteiligung der Bundeswehr an der internationalen "Schutztruppe" ISAF, diesmal soll der Beschluss gleich für 14 statt wie bisher für 12 Monate gelten. Grund: Das Thema soll möglichst aus den Bundestagswahlen herausgehalten werden.(1) Neben Claudia Haydt (2) sprach bei der Auftaktkundgebung Chris Capps (3), ein amerikanischer desertierter Irak-Kriegsveteran von den "Veterans Against the War", der deutlich machte, daß neben der Kriegführung vor Ort Deutschland eine zentrale Rolle bei der Logistik für die Kriegsführung spielt und auf den Stimmungswandel in den USA gegenüber den Kriegseinsätzen einging.

Kaum bekannt (5) ist beispielswiese, daß selbst die Deutsche Post, die DHL und deren zivile Strukturen für Munitionstransporte benutzt werden. Da meisten europäischen Länder keine oder nur ungenügende Mengen an militärischen Frachtschiffen haben, werden zivile Frachter angemietet. Ebenso werden zivile Häfen genutzt z.B. Antwerpen Rotterdam und Bremen. Für die Zusammenlegung von Lufttransporten, mit dem Projekt SALIS sechs Frachtflugzeuge des Typs Antonov AN-124 für den gemeinsamen militärischen Betrieb geleast, die ihre Basis auf dem zivilen Flughafen in Leipzig haben.

Die Ausweitung des Afghanistan-Krieges lehnt eine Mehrheit der Menschen in Deutschland ab. Wie der "ARD-DeutschlandTrend" am 7. Februar dieses Jahres (6) bekannt gab, sprechen sich 86 Prozent der Deutschen gegen eine Kriegsbeteiligung der Bundeswehr aus. Lediglich 13 Prozent meinen, dass sich die Bundeswehr ebenso wie Truppen anderer Staaten an Kampfeinsätzen beteiligen sollen. 55 Prozent waren dafür, die Truppen möglichst schnell aus Afghanistan abzuziehen. Trotzdem stimmten außer der Linksfraktion in den vergangenen Jahren alle Parteien für eine Verlängerung des Einsatzes.

Die Redner auf der Anschlußkundgebung setzten sich ebenfalls mit der "Argumentation" der Aufbauhilfe auseinander. Nach Angaben (7) der Informationsstelle Militarisierung (IMI) (8) gaben von 2002 bis 2006 die kriegführenden NATO-Staaten in Afghanistan etwa 82 Milliarden US-Dollar aus. In die Entwicklungshilfe wurden dagegen nur rund sieben Milliarden investiert. Die finanzielle Hilfe der NATO-Mitgliedstaaten für Gesundheit und Ernährung lag bei 433 Millionen US-Dollar. Diese Zahlen unterlegen deutlich, daß es mit der angeblichen "humanitären Einsätzen" nicht weit her ist. Das belegt auch die Entwicklung der Zahlen der Opfer, die dieser Krieg forderte:

Von Oktober bis Dezember 2001 fielen diesem rund 20 000 Menschen zum Opfer. Laut UNO wurden seit Jahresbeginn insgesamt 1445 Zivilisten in Afghanistan Opfer von Gewalt - 39 Prozent mehr als im gleichen Vorjahreszeitraum. Allein im August starben 330 Zivilisten. Das sei die höchste Zahl in einem Monat seit dem Sturz des Taliban-Regimes Ende 2001.

Neben verschiedenen linken Parteien prägte vor allem die zahlreichen Fahnen, Transparente und Plakate von Migrantenorganisationen wie der DIDF, der AGIF und anderen und die zahlreicher Friedensinitiativen aus dem süddeutschen Raum die Demonstration, die im Anschluss an die Auftaktkundgebung begann. Zum dem großen antikapitalistischen Block, der ständig von mehreren Reihen Polizei "begleitet" wurde, hatten unter anderem die "Revolutionären Perspektive Berlin" (9) und die "Revolutionären Aktion Stuttgart" (10) mit einem Aufruf und einer Broschüre (11) zur Geschichte des Krieges in Afghanistan, seinen Ursachen und möglichen "Perspektiven jenseits des Kapitalismus" mobilisiert.

Bei der Abschlußkundgebung wurde auch an die Gewerkschaften eine deutliche Botschaft gesendet, diese müßten ihrer Verantwortung deutlich gerechter werden und mehr als bisher in den Betrieben mobilisieren. Gab es vor Jahren beispielsweise Aktionen wie "10 Minuten für den Frieden" (12), verzichtet die Gewerkschaftsführung heute darauf, die Frage von Krieg und Frieden in den Betrieben zu thematisieren.

So war denn auch der Geschäftsführer des ver.di Bezirkes Stuttgart (13), Bernd Riexinger der einzige Vertreter der Gewerkschaften, der zu den Teilnehmern sprach und dabei den Auslandseinsatz der Bundeswehr als gescheitert kennzeichnete: "Der Terrorismus ist nicht eingedämmt, sondern die Taliban sind gestärkt." Was das für die demokratische Bewegung bedeutet, wurde durch den Beitrag einer afghanischen Aktivistin, der Frauenrechtlerin Zoya deutlich. Sie führte aus: "Es gibt keine Meinungsfreiheit im Land. Die alliierten Truppen haben die bestehenden demokratischen Gruppen ignoriert, anstatt sie zu unterstützen. Wir sterben an Hunger. Und durch die Präsenz der internationalen Truppen verschlechtert sich diese Situation noch". Auch der Verstärkung der Einsatzkräfte, wie sie auch von US-Präsidentschaftskandidat Barack Obama gefordert wird, sei nutzlos und werde keine positiven Veränderungen bringen. Eine mögliche Unterstützung der demokratischen Bewegung ist beispielsweise die finanzielle und politische Unterstützung (14) der Frauenorganisation "Revolutionary Association of the Women of Afghanistan (RAWA)" (15) auf die Heike Hänsel hinwies.

Einer der nächsten Termine ist für viele der Beteiligten das 60 jährige Bestehen der NATO, das von deren Protagonisten Anfang April 2008 (16) in Straßburg und Kehl begangen wird. Dazu findet am 4. und 5. Oktober in Stuttgart eine Konferenz zur weiteren Vorbereitung und Koordinierung der Proteste dagegen statt.

(1)  http://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2008-06/artikel-11101233.asp

(2)  http://haydt.myblog.de/

(3)  http://www.couragetoresist.org/x/content/view/388/86/

(4)  http://ivaw.org/

(5)  http://thomasmitsch.wordpress.com/2008/09/20/die-linke-beim-europaischen-sozialforum-malmo-2008-kurzbericht/

(6)  http://service.tagesschau.de/infografik/deutschlandtrend/dt08/index.shtml?2008_02

(7)  http://www.imi-online.de/download/IMI-Studie-2008-11.pdf

(8)  http://www.imi-online.de/

(9)  http://perspektive.nostate.net/

 http://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2008-06/artikel-11101233.asp

(2)  http://haydt.myblog.de/

(3)  http://www.couragetoresist.org/x/content/view/388/86/

(4)  http://ivaw.org/

(5)  http://thomasmitsch.wordpress.com/2008/09/20/die-linke-beim-europaischen-sozialforum-malmo-2008-kurzbericht/

(6)  http://service.tagesschau.de/infografik/deutschlandtrend/dt08/index.shtml?2008_02

(7)  http://www.imi-online.de/download/IMI-Studie-2008-11.pdf

(8)  http://www.imi-online.de/

(9)  http://perspektive.nostate.net/

(10)  http://revolutionaereaktionstuttgart.fasthoster.de/

(11)  http://revolutionaereaktionstuttgart.fasthoster.de/20080920_broschuere.htm

(12)  http://www.trueten.de/gallery2/v/PolitikundGesellschaft/Friedenskampf/10Minutenf_rdenFrieden14032003/

(13)  http://stuttgart.verdi.de/

(14)  http://dokumente.linksfraktion.net/pdfmdb/7773088286.pdf

(15)  http://www.rawa.org/index.php

(16)  http://natogipfel2009.blogsport.de/
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Ergänzungen

Bericht zur "Schwester"-Demo in Berlin

Linker 20.09.2008 - 20:18
Auch in Berlin gab es eine Demo mit gleichlautendem Motto und mit mehreren tausend TeilnehmerInnen. Dort wurde als Höhepunkt ein Panzer aus Pappmasché abgefackelt - als Solidaritätsaktion für den anstehenden Prozess gegen drei Antimilitaristen vor dem Berliner Kammergericht.

Bericht zur Demo in Berlin:
 http://de.indymedia.org/2008/09/227470.shtml

Webseite zum Prozess gegen Oliver, Florian und Axel in Berlin:
 http://einstellung.so36.net

Pressebericht

missesx 20.09.2008 - 21:29
Unter diesem Link findet sich der Artikel der Stuttgarter Zeitung mit einem Bild des brennenden Panzers.  http://stuttgarter-zeitung.de/stz/page/1824568_0_2147_gegen-afghanistan-krieg-2000-demonstranten-auf-dem-schlossplatz.html

Demozählerei für alle

So wirds gemacht. 22.09.2008 - 14:16
Also, es ist ganz einfach eine richtige TeilnehmerInnen Zahl einer Demo festzustellen.
Z.B. für Berlin: Mensch nehme die Zahl der Bullen (ca. 3.000) und addiere diese mit der Zahl eines junge Welt Berichts (ca. 10.000). Das ergibt in diesem Fall ca. 13.000.
Dieses Ergebnis nun durch zwei geteilt ist in den meisten Fällen die richtige Zahl (+/- 500) der DemoteilnehmerInnen. In diesem Fall wäre das Ergebnis 6.500 (+/- 500) TeilnehmerInnen.

Nochmal die Formel:

(Bullenzahl + jungeWelt Zahl) / 2 = x

x +/- 500 = TeilnehmerInnenzahl


Stuttgarter Zeitungsbericht

elch 22.09.2008 - 16:06
Gegen Afghanistan-Krieg

2000 Demonstranten auf dem Schlossplatz

Stuttgart/Berlin - Rund 2000 Menschen haben am Samstag in Stuttgart friedlich gegen die geplante Mandatsverlängerung für Bundeswehrsoldaten in Afghanistan protestiert. Unter dem Motto "Dem Frieden eine Chance - Truppen raus aus Afghanistan" zogen etwa 100 Gruppen - darunter Parteien, kirchliche und soziale Vereinigungen - durch die Innenstadt. Sie trugen Transparente mit Aufschriften wie "Bomben bringen keinen Frieden" und "Kriege sind keine Raubzüge".

Zu den Rednern zählte neben einem desertierten Irak-Kriegsveteranen auch Bernd Riexinger, Mitglied im Landesvorstand der Partei "Die Linke". Er bezeichnete den Auslandseinsatz der Bundeswehr als gescheitert. "Der Terrorismus ist nicht eingedämmt, sondern die Taliban sind gestärkt", sagte Riexinger.

"Es gibt keine Meinungsfreiheit im Land. Die alliierten Truppen haben die bestehenden demokratischen Gruppen ignoriert, anstatt sie zu unterstützen", sagte die afghanische Frauenrechtlerin Zoya am Rande der Veranstaltung. Die Verstärkung der Einsatzkräfte, wie sie auch von US-Präsidentschaftskandidat Barack Obama gefordert wird, sei nutzlos und werde keine positiven Veränderungen bringen.

Parallel zu der Stuttgarter Veranstaltung forderten am Brandenburger Tor in Berlin rund 1300 Demonstranten ein Ende des Militäreinsatzes. Eine endgültige Entscheidung über die Verlängerung des Mandats werden die Abgeordneten des Bundestages am 16. oder 17. Oktober fällen. Dieses soll auf Wunsch der Regierung künftig für 4500 statt bisher 3500 Soldaten gelten.

dpa/lsw

Quelle: Stuttgarter Zeitung vom 20.09.2008
 http://stuttgarter-zeitung.de/stz/page/1824568_0_2147_gegen-afghanistan-krieg-2000-demonstranten-auf-dem-schlossplatz.html

Krieg aus humanitären Gründen?

Thomas Trueten 23.09.2008 - 10:04
2000, 3000, 4000, 5000, 6000 oder letztlich doch nur 500 Teilnehmer bei der Demonstration gegen die Verlängerung des Afghanistaneinsatzes der Bundeswehr in Stuttgart? Diese von mir hier verwendete Zahl wurde auf der Demonstration bekanntgegeben. Unbestritten ist: Zur Beendigung des Krieges ist jede dieser Teilnehmerzahlen deutlich zu wenig. Aus den Teilnehmerzahlen alleine läßt sich dennoch weniger das Verhältnis der Bevölkerung zum Krieg in Afghanistan ableiten, entspricht diese doch eher nicht nicht der tatsächlichen Stimmung der Menschen in Deutschland, die in ihrer Mehrheit gegen eine Verlängerung sind.

Die Frage einer Beendigung imperialistischer Militäreinsätze stellt sich jedoch erst gar nicht für viele der gerne auch anonymen Kommentatoren im Phoenix Blog und erst recht nicht im Blog "Soldatenglück". Warum auch? Die bürgerliche Medienwelt, ist bis auf Ausnahmen längst zum zentralen Bestandteil der Propagandamaschinerie geworden. So ist es schließlich "hip" neben der obligatorischen "Terrorismusbekämpfung" fast ausschließlich humanitäre Gründe, wie die "Hilfe für den Wiederaufbau", "Kampf gegen Drogen", Alphabetisierung oder das beliebte Ziel der Förderung der Frauenrechte für die Einsätze vorzuschieben. Dabei wird peinlich darauf geachtet, die Qualifizierung "Krieg" für das, was in Afghanistan passiert, zu vermeiden, daß es Franz Walter Steinmeier eine helle Freude sein dürfte.

Schon gar nicht wird sich über militärstrategische oder gar ökonomische Gründe ausgelassen. So läßt sich locker darüber hinweggehen, daß die Frage des Rechtes auf Selbstbestimmung für manche Völker offensichtlich nicht gilt. Dabei fällt gerne die Tatsache unter den Tisch, daß es gerade demokratische und fortschrittliche Kräfte in Afghanistan selber sind, die kritisieren, daß ihre Arbeit unter den Bedingungen der Militäreinsätze nicht nur praktisch unmöglich gemacht werden, sondern sich die Situation vor Ort dadurch noch eher verschlimmert. Mit dieser Methode werden denn letztlich die Friedensbewegung zum Verantwortlichen für die Eskalationen, denn: "(...) im Grunde genommen wäre es ein großer Fehler, wenn ihr eure Soldaten abzöget, dann hätten wir weniger Sicherheit in Afghanistan und weniger Hoffnung auf eine bessere  Zukunft." Wer will da noch "NEIN!" sagen?

Hinter dem hemmungslosen Jonglieren mit Teilnehmerzahlen steckt denn zumeist auch die politische Position derjenigen, die sie verbreiten. Kleinrechnen zum Zweck des Kleinredens? Oder auch zur Diffamierung? Kein Problem, der Zweck heiligt schließlich die Mittel. Und zur Verbreitung humanitärer Kriegspropaganda scheut sich schließlich selbst die Bundeswehr nicht, sich an Friedensdiskussionen zu beteiligen.

Diese Schönfärberei übergeht dabei locker das Logikproblem, daß ja gerade die Fortsetzung des derzeitigen Kriegskurses mit tausenden ziviler Opfern kaum ein Beweis von Menschenliebe sein kann...

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Kennt man sonst nur von den Nazis, — aus2000macheich6000

O-Ton — Schlechte Laune