Die Mittelmeerunion hat es in sich

Cagan Varol 17.05.2008 16:35 Themen: Globalisierung Soziale Kämpfe Weltweit
Das Projekt "Mittelmeerunion" muss im Zusammenhang mit der Flüchtlings- und Asylpolitik der Europäischen Union betrachtet werden. Die Vollendung der EU-Migrationsagenda 2010 schreitet voran und mit der Errichtung der Mittelmeerunion werden es die in den Schwellenländern des Südens festsitzenden Flüchtlinge noch schwerer haben als bisher.
Seit dem Brüsseler EU-Gipfel vom 13. März steht es fest. Die Mittelmeerunion kommt. Der französische Präsident Nicolas Sarkozy hatte dieses Projekt in das Zentrum der im Juli 2008 beginnenden französischen Ratspräsidentschaft gestellt und bekam trotz aller Divergenzen mit der deutschen Bundeskanzlerin Merkel ihre Unterstützung. Der zustande gekommene Kompromiss sieht die Schaffung eines 20-köpfigen Sekretariats mit zwei Direktoren vor, die jeweils aus einem EU-Land und einem Mittelmeer-Anrainerstaat berufen werden. Als Sitz dieser neuen Union wurde Barcelona oder Marseille genannt und Finanzmittel in Höhe von 16 Milliarden Euro bis zum Jahr 2013 stehen auch schon bereit. Die Mittelmeerunion soll den 1995 angestoßenen Barcelona Prozess weiterentwickeln und die Nachbarschaftspolitik mit den Mittelmeerländern von Marokko bis zur Türkei koordinieren. Die wirtschaftliche und politische Entwicklung der südlichen Nachbarn soll dabei im Zentrum der Arbeit stehen. Die endgültige Gründung dieser Union soll am 13. Juli in Paris erfolgen, die näheren Einzelheiten werden erst dann bekannt gegeben. Dieses neue Projekt verfolgt jedoch weitergehende Ziele.

Privilegierte Partnerschaft statt Vollmitgliedschaft
Sarkozy verkündete bereits vor Beginn der französischen Ratspräsidentschaft, dass er den EU-Beitritt der Türkei nun endgültig regeln will. Der französische Präsident gehört zu den Befürwortern einer privilegierten Partnerschaft mit der Türkei und ist gegen eine Vollmitgliedschaft dieses Landes. Die Mittelmeerunion erfüllt daher einen besonderen Zweck. Man kann sie auch als Union der kommenden privilegierten Partner bezeichnen. Die nachbarschaftlichen Beziehungen sollen mit diesem völkerrechtlichen Konstrukt besser gestaltet werden und diejenigen die das Ziel einer EU-Mitgliedschaft verfolgen, also die Türkei, werden mit der Mittelmeerunion abgespeist.
Die Lösung des Türkei-Problems ist für die Europäische Union deshalb so wichtig, da es eine große Schwachstelle in ihrem System offenbart. Es besteht zum einen keine einheitliche Mitgliedschaftspolitik innerhalb der EU. Die Schiene reicht von einfachen Nachbarschaftsverträgen zu Assoziierungsabkommen, von privilegierten Partnerschaften bis hin zur Vollmitgliedschaft. Zum anderen ist der Richtungsstreit innerhalb der EU bezüglich der zukünftigen Ausrichtung der Gemeinschaft nicht entschieden. Ist die Europäische Union vor allem ein wirtschaftlicher Zweckverband oder eine politische Wertegemeinschaft? Falls die Union nur ein ökonomischer Verband ist, so kann man den Beitrittswunsch der Türkei kaum abweisen. Welches Land für welchen Status in Frage kommt, wird politisch entschieden und im Fall der Türkei streiten sich christlich-konservative Kräfte mit den liberal-pragmatischen Kräften, die das geostrategische Interesse der EU an der Türkei in den Vordergrund stellen, während die Konservativen den religiösen Aspekt unterstreichen. Die Streitereien drohen aber das innere Gefüge der EU in Gefahr zu bringen, so dass eine endgültige Lösung in kommender Zeit getroffen werden muss. Für Nicolas Sarkozy und auch Angela Merkel scheint die Mittelmeerunion die geeignete Lösung.
Ob die Türkei für den Plan von Nicolas Sarkozy zu gewinnen ist, scheint fraglich. Die Mitgliedschaft der Türkei in der Mittelmeerunion steht jedoch bereits fest. Andere EU-Staaten hatten der Türkei im Gegenzug versichert, dass der EU-Beitrittsprozess dadurch nicht gefährdet wird. Die Gegner der EU-Mitgliedschaft der Türkei könnten jedoch irgendwann die Überhand gewinnen, so dass der Türkei nur die Möglichkeit bliebe, die Sarkozy vorschlägt. Eine privilegierte Partnerschaft hat für ein nationalistisches und konservatives Land, wie die Türkei es ist, eigentlich große Vorzüge. Man profitiert von den wirtschaftlichen Stärken der EU gibt aber nicht zuviel Macht an die EU ab. Die Schweiz und Norwegen sind keine EU-Mitglieder, sondern nur privilegierte Partner. Das Recht der EU gilt auch in diesen Staaten, vor allem in Norwegen. Die Wirtschaftskraft dieser Staaten unterscheidet sich aber kaum von denen ihrer EU-Nachbarn, so dass diese Staaten ein unklassisches Beispiel darstellen. Der Ukraine wurde die privilegierte Partnerschaft auch angeboten ohne jedoch eine Beitrittsperspektive zu formulieren.
Eine privilegierte Partnerschaft bietet den Vorteil sich nicht vollends in das System der EU integrieren zu müssen. Die Eigenständigkeit und Selbstbestimmung des Landes werden gewahrt, so dass das nationalistische Lager einer solchen Partnerschaft eher zugeneigt wäre als es zur Zeit ist. Der privilegierten Partnerschaft hängt aber der Makel der Zweitklassigkeit an. Zudem ist die Türkei schon seit 1963 mit der EU durch ein Assoziierungsabkommen verbunden. Im Jahr 1995 erfolgte der Beitritt in die Zollunion, so dass eine privilegierte Partnerschaft zwischen der Türkei und der EU de facto bereits vorliegt. Was die Wirtschaftsförderung und die Struktur- und Agrarpolitik angeht, bleibt die privilegierte Partnerschaft weit hinter der Vollmitgliedschaft zurück. Die jetzige AKP Regierung unter Tayyip Erdogan hätte daher Probleme dies als politischen Sieg an die eigene Bevölkerung zu verkaufen. Es bestehen aber auch Zweifel an der Europa-Begeisterung des Präsidenten.
Das Jahr 2008 sollte das EU Jahr werden, da es in den letzten Jahren sehr ruhig um die EU-Pläne der Türkei geworden war. Die AKP treibt die Demokratisierung der Türkei nicht mehr voran, vor allem die Lösung des Kurdenproblems wurde wieder aufs Eis gelegt. Dass es in diesem Jahr besser werden wird, scheint kaum möglich, da es Erdogan an den nötigen demokratischen Ambitionen mangelt. Die AKP scheint die eigene Basis wichtiger als alles andere. Das Kopftuchverbot zu kippen, ist nun das Hauptanliegen der Partei. Die versprochenen Reformen für die Minderheiten der Türkei sind längst vergessen und die rechtliche Gleichstellung der Aleviten kommt für die Regierung nicht in die Tüte. Der Einmarsch der Armee in den Nordirak und die Rolle der AKP in der Diskussion um den schnellen Rückzug wurde von vielen kritischen Stimmen zunächst als Pakt zwischen der Armee und der AKP-Regierung gewertet, das kurz darauf eingeleitete Verbotsverfahren gegen die Erdogan-Partei lässt aber das genaue Gegenteil vermuten. Es sieht daher nicht so aus, als ob das Jahr 2008 ein Europa-Jahr wird. Die AKP hat genug eigene Sorgen im eigenen Land.

Die Mittelmeerunion als Bollwerk gegen die Flüchtlingsströme
Ob die Mittelmeerunion die Probleme um den EU-Beitritt der Türkei beheben wird, steht noch in den Sternen. Dieses Projekt dient aber noch einem weiteren realeren Ziel. Die Grenzen zwischen der EU und den zukünftigen Ländern der Mittelmeerunion sollen vor unliebsamen Gästen geschützt werden. Den jährlich in die EU einwandernden Flüchtlingen aus Afrika und dem Nahen Osten. Schätzungsweise zwei Millionen Menschen versuchen jedes Jahr illegal auf das Territorium der EU zu gelangen. Die Mitgliedsstaaten der neuen Mittelmeerunion sollen als Sicherheitsgürtel fungieren und die Flüchtlinge schon hunderte Kilometer vor den Grenzen der EU fernhalten. Dies ist zwar auch jetzt schon der Fall, denn Marokko und andere nordafrikanische Staaten haben seit längerem von der EU bezahlte Flüchtlingscamps auf ihrem Territorium und üben für die EU Polizeifunktionen aus. Daneben gibt es die von der EU aufgebaute Grenzschutzagentur Frontex, die mit Kampfhubschraubern, Überwachungsflugzeugen, Abfangbooten und Satelliten die Grenzen gegen die Migranten zu verteidigen versucht. Die Mittelmeerunion wird dieses Verfahren jedoch weiter ausweiten. Viele potentielle Staaten dieser Union befinden sich auf den Hauptflüchtlingsströmen die in die EU führen. Marokko, der Libanon und die Türkei sind die wichtigsten Durchgangsstaaten für die Flüchtlinge. Der Sicherheitsaspekt und die Verhinderung von illegaler Migration stellen daher das zweite Hauptanliegen der Mittelmeerunion dar.
Dieser Prozess fand mit dem Gipfel von Sevilla im Juni 2002 seinen Höhepunkt. Damals entstand der Begriff der „Festung Europa“. Die EU beschloss damals Maßnahmen für den Grenzschutz und die Verhinderung illegaler Einwanderung durch Bekämpfung von Menschenschmugglern auf See. Die Überwachungstechnik wurde ausgeweitet, der Einsatz von Marineschiffen zur Abwehr von Schleuserbooten wurde angeordnet. Die Grenzen im Innern Europas wurden zwar abgeschafft, nach Außen wurden aber Mauern hochgezogen. Den Herkunfts- und Durchreiseländern, die sich nicht am Kampf gegen die illegale Einwanderung beteiligen wollten, wurde durch die europäischen Staaten die Streichung der Finanzhilfen angedroht. Marokko ist der Hauptempfänger dieser Transferleistungen und war der eigentliche Adressat dieser Drohungen. Viele Flüchtlinge versuchen trotz der Maßnahmen von Sevilla immer noch von Marokko aus mit Plastikbooten oder Fischkuttern die Meerenge von Gibraltar zu überwinden oder die kanarischen Inseln zu erreichen. Ca. 3000-4000 Menschen bezahlen jährlich dafür mit ihrem Leben, indem sie im Mittelmeer oder Atlantik ertrinken. Bei dem Massenansturm der Flüchtlinge auf die Zäune der spanischen Exklaven Ceuta und Melilla im Herbst 2005 starben mindestens sechs Menschen durch Schüsse der Grenzwächter. Andere versuchen mit Lastern über Istanbul nach Europa einzureisen. Jährlich werden 400.000 Flüchtlinge an den Grenzen der Türkei und Griechenlands verhaftet. Das Flüchtlingsschiff „Monica“ das im Jahr 2002 vom Libanon aus kommend 909 Personen, zumeist alle Kurden, an Bord hatte und an der sizilianischen Küste von der Küstenwache an Land gezogen werden musste, ging durch die Medien. Die Flüchtlinge trieben mit zerstörtem Motor, nur einer Toilette und einer Wasserleitung vor der italienischen Küste. Die Flüchtlingsströme gehen trotz der Maßnahmen von Sevilla weiter und werden auch nach der Errichtung der Mittelmeerunion weitergehen. Die Menschen versprechen sich in Europa ein besseres Leben ohne Krieg und Armut für sich und ihre Familien.

Entwicklungen im Bereich der Flüchtlings- und Asylpolitik der EU
Die Europäische Union verfolgt, was die Migration angeht, ein längerfristiges Ziel. Bis zum Jahr 2010 soll ein einheitlicher europäischer Rahmen für Flüchtlings- und Asylverfahren entstehen.
Nach der Definition der UN-Flüchtlingskonvention von 1951 sind Flüchtlinge Personen, die sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung außerhalb des Landes befinden, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen. Asylbewerber sind Personen, die auf die Entscheidung über ihren Asylantrag warten und einen gesicherten Status als anerkannter Flüchtling erreichen wollen. Für diese Gruppe der Einwanderer sieht die neue Migrationsagenda erhebliche Verschlechterungen vor. Der Europäische Rat beschloss im Jahr 2004 das Haager Programm zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der EU. Hauptziel des Haager Programms ist die Gründung eines gemeinsamen europäischen Asylsystems bis zum Jahr 2010. Dazu sieht das Programm die Errichtung einer europäischen Asylagentur vor, ein einheitliches Entscheidungsverfahren für Asylanträge, gemeinsame Datenbanken und ein einheitlicher Status für Flüchtlinge sollen folgen. Daneben sieht das Programm Maßnahmen hinsichtlich der Steuerung und Kontrolle der Wanderungsbewegungen vor, die Partnerschaft mit Drittstaaten soll verstärkt werden, die legale Einwanderung und die Integration von Drittstaatenangehörigen soll effizienter geregelt werden.
Vorläufer des Haager Programms ist der Amsterdamer Vertrag von 1999. Das Einwanderungs- und Asylrecht wurde damals von der dritten Säule in die erste Säule verschoben und somit als Gemeinschaftsrecht anerkannt. Die EU-Flüchtlingspolitik entwickelte sich seit dem rasant. Im Zeitraum von 2002 bis 2005 wurden in der ersten Harmonisierungsphase insgesamt elf EU-Richtlinien zu diesem Gebiet erlassen. Das Migrationsrecht ist seit dem Amsterdamer Vertrag wesentlicher Bestandteil der Außen- und Entwicklungspolitik der EU und bildet einen Kernbereich der europäischen Innen- und Justizpolitik. Artikel 62, 63 EGV regeln die Rechtsetzungskompetenz der EU für diesen Bereich. Ferner wurde im Jahr 2005 ein Aktionsplan für die rasche Umsetzung des Haager Programms vorgeschlagen. Insgesamt ist die restriktive Linie des Programms klar erkennbar. Die Flüchtlinge sollen die Grenzen der Mitgliedsstaaten erst gar nicht erreichen oder zügig zurück gewiesen werden. Zwar wird auch dem humanitären Aspekt Beachtung geschenkt, unter illegaler Migration versteht die EU aber vornehmlich die Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Als weitere zentrale Maßnahmen in diesem Bereich sind die Rückführung der Flüchtlinge, Finanzhilfen für die Durchgangsstaaten und die Schaffung von geeigneten Maßnahmen zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft zu nennen. Während der deutschen Ratspräsidentschaft im Jahr 2007 wurde zum Beispiel die europäische Grenzschutzagentur Frontex weiter ausgebaut. Das Überwachungssystem im Mittelmeer wurde mit Hilfe von Soforteinsatzteams und eines Küstenpatrouillennetzes verstärkt. Auch bei den großen Rückführungsaktionen übernahm Frontex eine große unterstützende Rolle.
Die bereits im Haager Programm genannten europäischen Datensysteme zur Erfassung der Daten von Einwanderern sind ein besonderes Problem. Datenbanken wie SIS I und II (Schengen-Informationssystem) speichern die Daten von ca. 900.000 Drittstaatenangehörigen denen die Einreise und der Aufenthalt in den Schengen-Staaten verweigert werden. Diese Daten sollen im Rahmen der Auswirkungen des Haager Programms zu polizeilichen und gerichtlichen Zwecken genutzt werden. Die Datenbank EURODAC, die Fingerabdrücke von 260.000 Asylsuchenden und illegalen Einwanderern bereit hält und das VIS (Visuminformationssystem) soll mit SIS I und SIS II vernetzt werden. Das VIS enthält nicht nur die Daten der Antragssteller sondern auch die ihrer Sponsoren. Diese Entwicklung ist aber mit datenschutzrechtlichen Risiken verbunden. Das Datenschutzniveau ist im Vergleich zu den von EU-Bürgern wesentlich geringer. Zudem sollen die Daten auch zum Zwecke der Untersuchung und zur strafrechtlichen Verfolgung genutzt werden. Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Urteil zur Rasterfahndung (Urteil vom 04.04.2006) ausgeführt, dass dies das höhere Risiko in sich birgt, das bestimmte Personen, in dem Fall waren es Ausländer bestimmter Herkunft mit muslimischem Glauben, Ziel von strafrechtlichen Untersuchungen werden und dies zu einer Stigmatisierung der Gruppe im öffentlichen Leben führt. Bei den europäischen Datenbanken stammen die gespeicherten Personendaten überwiegend von Einwanderern oder Personen mit Migrationshintergrund. Diese werden mit erhöhten strafrechtlichen Ermittlungen und Verdächtigungen zu kämpfen haben.
In der zweiten Harmonisierungsphase soll weiter die praktische Zusammenarbeit in den Mitgliedsstaaten besser aufeinander abgestimmt werden. Die Entscheidungspraxis in Asylverfahren soll vereinheitlicht werden. Auch die Arbeit an der Fortsetzung des Haager Programms bezüglich weiterer Maßnahmen im Zeitraum von 2010 bis 2014 soll in Angriff genommen werden. Ein beratendes Gremium in Zusammenarbeit mit der EU-Kommission beschäftigt sich bereits mit diesem Thema.

Umsetzung der elf EU-Richtlinien im deutschen Aufenthaltsrecht
Die Veränderungen auf europäischer Ebene haben sich auch im deutschen Aufenthaltsrecht bemerkbar gemacht. Mit dem im Jahr 2004 eingeführten Zuwanderungsgesetz wurde das deutsche Ausländerrecht grundlegend verändert. Das Ausländergesetz wurde zum etwas positiver klingenden Aufenthaltsgesetz umbenannt. Bis dahin war die gefahrenabwehrrechtliche Prägung dieses Rechtgebiets maßgeblich. Mit dem Zuwanderungsgesetz kam es zu einer Neuorientierung hin zu einer positiven Steuerung der Migration und auf die Festlegung einer aktiven Integrationspolitik. Der Kompromisscharakter dieses Gesetzes wurde zwar oft kritisiert, aber nach Jahrzehnten des Nichtstuns war das Zuwanderungsgesetz ein wesentlicher Schritt in die richtige Richtung. Die ins deutsche Recht übergegangenen elf Richtlinien, acht davon im einwanderungspolitischen Bereich und drei im Asylbereich, standen bereits im Jahr 2005 zur Umsetzung bereit. Die politische Lage in Deutschland nach der Auflösung des Bundestags und die Ankündigung von Neuwahlen im September 2005 verzögerte die Umsetzung der Richtlinien, so dass die EU-Kommission neun Vertragsverletzungsverfahren und vier Klageverfahren wegen Verletzung der Umsetzungsfrist der Richtlinien gegen die Bundesrepublik Deutschland auf den Weg brachte.
Ende August 2007 sind die im Rahmen der ersten Harmonisierungsphase erlassenen, elf EU-Richtlinien in Kraft getreten. Das kurz „Richtlinienumsetzungsgesetz“ genannte Gesetz ging aber über die EU Vorgaben im Bereich der inneren Sicherheit, des Ausländerzentralregisters, des Familiennachzugs, der Integration, der Zurückweisungs- und Abschiebehaft sowie der Altfallregelung hinaus. Für den Bereich der inneren Sicherheit wurden die Maßnahmen zur Identitätsfeststellung im Visumsverfahren verschärft, § 49 AufenthG. Die Sicherheitsbehörden und Nachrichtendienste überprüfen im Vorfeld den Visumantragsteller, den Einlader sowie alle von dem Antragssteller angegebenen Referenzpersonen, § 73 AufenthG. Auch wenn nach Erteilung des Aufenthaltstitels Versagungsgründe oder sonstige Sicherheitsbedenken entstehen, haben die Sicherheitsbehörden unverzüglich dies an die zuständigen Ausländerbehörden bekannt zu geben. Diese Verschärfungen im sicherheitspolitischen Bereich waren im Referentenentwurf eigentlich noch nicht enthalten. Erst nach den gescheiterten Bombenattentaten in deutschen Bahnhöfen wurden diese Neuerungen mit in das Gesetz aufgenommen. Als weitere Auswirkungen bringt dies die Speicherung sämtlicher Angaben zum jeweiligen Antrag mit sich. Die Daten werden im Ausländerzentralregister (AZR) oder beim Bundeskriminalamt (BKA) gespeichert. Durch die Änderung des § 15 AZRG werden die gespeicherten Daten an die Polizeivollzugsbehörden und Staatsanwaltschaften weiter übermittelt. Sie erhalten überdies einen erleichterten Zugriff auf die gespeicherten Informationen. Die im AZR enthaltenen Daten eines zurückgewiesenen, abgeschobenen oder ausgewiesenen Ausländers, der das Inland verlassen hat, werden erst nach Vollendung des 90. Lebensjahres gelöscht. Der Kritik des Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit zu diesen Änderungen wurde nicht Rechnung getragen. Die Speicherung von Daten der Flüchtlinge und Einwanderer ist, wie bereits ausgeführt, Kernbestandteil des Haager Programms. Die Veränderungen im deutschen Recht sind darauf zurückzuführen.
Beim Familiennachzug, der ca. 30 Prozent der jährlichen Zuwanderung ausmacht, kam es auch zu Verschärfungen der umzusetzenden Richtlinien. Der deutsche Gesetzgeber führte, wie andere Mitgliedsstaaten auch, ein Mindestalter und den Nachweis einfacher Deutschkenntnisse beim Ehegattennachzug ein. Die Pflicht zum Erlernen von Deutschkenntnissen gilt jedoch nicht für bestimmte Berufsgruppen und für Bürger von priviligierten Herkunftsländern nach § 30 Absatz 1 AufenthG, wie z.B. Israel, Australien, Neuseeland, Japan, Republik Korea, USA und Kanada, da deren Staatsbürger visumsfrei nach Deutschland einreisen können. Insgesamt gibt es dreizehn verschiedene Ausnahmetatbestände. Das Problem für die betroffenen Personen einen geeigneten Deutschkurs im Herkunftsland zu finden, wurde dabei weitgehend offen gelassen. Hier wird jedoch das Prinzip der Chancengleichheit nach Art. 3 Absatz 1 GG tangiert. Bei der Integration liegt die neue Zielrichtung des Gesetzes nicht mehr auf dem Fördern, sondern auf dem Fordern. § 44a Absatz 1 AufenthG regelt die Teilnahmeverpflichtung an den Integrationskursen. Weiter wurden ein Sanktionskatalog und ein Bußgeldtatbestand aufgenommen. Neu ist hierbei das die Sanktionen nicht nur bei Verletzungen der Teilnahmepflicht greifen, sondern auch bei erfolglosem Abschluss der Schlussprüfung. Dies betrifft etwa 45 Prozent der Teilnehmer an den angebotenen Kursen. Zwar ist der Erwerb von Sprachkenntnissen des Landes sinnvoll und für eine gelungene Integration unerlässlich. Ob die Lernbereitschaft durch Sanktionen erhöht und die vorhandenen Defizite damit gesenkt werden können, ist unwahrscheinlich.

Schlussbetrachtung
Die zweite Novelle des Zuwanderungsgesetzes umfasst daher im wesentlichen Maßnahmen, die auf eine Abgrenzung gegenüber den Ausländern gerichtet sind, die die Anforderungen des deutschen Rechts nicht erfüllen. Von einer freiwilligen Integration und einem gegenseitigen Aufeinanderzugehen kann nicht mehr die Rede sein, wenn die Anpassung der Zugewanderten an die rechtlichen Vorgaben erzwungen werden soll. In der Wirklichkeit handelt es sich hierbei um Assimilation. Der europäische Trend zur Verschärfung der Anforderungen der Einwanderung ist auch im novellierten Aufenthaltsrecht klar erkennbar. Erstmals werden im Zuwanderungsrecht Deutschkenntnisse vor der Einreise verlangt.
Der Wegfall der Kontrollen an den Binnengrenzen der Mitgliedsstaaten der EU hat diese dazu veranlasst, die Außengrenzen vor illegalen Einwanderern so zu bewachen, dass wir tatsächlich in einer Art Festung leben. Reingelassen werden in die wohlhabenden EU-Staaten nur die Hochqualifizierten unter den Einwanderern, also diejenigen die einen volkswirtschaftlichen Vorteil bieten. Die Zuwanderung aus anderen Schichten soll weitestgehend vermieden werden. Die wachsende Arbeitslosigkeit in Europa, die Hetze gegenüber ausländischen Straftätern und die terroristische Bedrohung lassen die Abschottungspolitik in den Augen der öffentlichen Meinung und den Medien als gerechtfertigt erscheinen. Als Folge hiervon werden Flüchtlinge und Asylbewerber stigmatisiert und kriminalisiert. Das geschürte allgemeine Misstrauen gegenüber diesen Menschen lässt nicht zu, dass man sich ernsthaft mit den Verfolgungserlebnissen der Flüchtlinge, den Fluchtgründen oder den Problemlösungen befasst. Dass Flüchtlinge durch die UN-Flüchtlingskonvention geschützt sind und dass das politische Asyl Teil des allgemeinen Menschenrechtsschutzes ist, interessiert die Staaten nicht wirklich, zumal die Flüchtlinge zu den Schwächsten unserer Welt zählen und über keine Lobby verfügen.
Das Migrationsproblem kann unter dem Sicherheitsaspekt allein nicht gelöst werden. Die menschlichen Schicksale und die zerstörten Existenzen, die sich hinter dem Flüchtlingsstrom verbergen, werden durch die EU-Maßnahmen keiner dauerhaften Lösung zugeführt. Auch die Verbarrikadierung der EU hat die Ströme der Menschen nicht aufgehalten, sondern anwachsen lassen. Diejenigen die unter menschenunwürdigen Verhältnissen in den Durchgangsstaaten festsitzen, sind dabei die Opfer dieser europäischen Politik. Es wird ihnen auf lange Zeit leider nichts anderes übrig bleiben als auf Schlauchbooten in eine ungewisse Zukunft zu treiben. Das Projekt „Mittelmeerunion“ muss daher im Lichte dieser Gesamtsituation gesehen werden.
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Ergänzungen

sarkozy denkt zu kurz

tagmata 17.05.2008 - 19:28
das problem an sarkozys plan ist, daß er davon ausgeht daß die globalstrategischen dynamismen des 20. jahrhunderts unverändert bleiben. not so. in 20 jahren werden die klimaflüchtlinge aus südfrankreich in den banlieues von paris rumhängen, und spanien dürfte zumindest kurz vor dem zerfall stehen.

die heutigen "schwellenländer" sind der politische motor der welt im 21. jahrhundert; get used to it. für linke öffnen sich da natürlich ungeahnte möglichkeiten - wenn wir seite an seite mit der abgefuckeden perspektivlosen urbanen bildungsjugend brasiliens, chinas, indiens, indonesiens, des maghreb... kämpfen - wer kann dem etwas entgegenhalten?

wer als erstes die hand ausstreckt und sagt: willkommen, freunde; wir haben lange auf euch gewartet aber endlich seit ihr da! - der hat gewonnen. die erfahrungen, der mut und die stärke dieser menschen sind etwas, was uns retten kann: die powers that be haben es ihnen nicht leicht gemacht, aber sie sind dabei sich gleiches recht zu erkämpfen. während wir's uns gerade fortnehmen lassen.

Sehr guter Artikel - Danke!

(muss ausgefüllt werden) 17.05.2008 - 19:36
Ein ganz wichter Aspekt bei der Mittelmeerunion fehlt:

das in Europa ökonomisch alle anderen Staaten dominierende Deutschland drängt mit seiner Wirtschaftsleistung im Exportsektor und seiner neoliberalen Wirtschaftspolitik alle anderen EU Staaten, vor allem Frankreich, direkt an den ökonomischen Rand und Ruin.

Italien, Spanien, Frankreich und alle anderen EU Staaten haben der Dominanz des deutschen Konzerne nichts entgegen zu setzen. Deutschland hat faktisch eine privilegierte Energie- und Rohstoffpartnerschaft mit Russland, über dessen Qualität und Quantität kein anderes europäisches Land verfügt und die politischen und ökonomischen Expansionen deutscher Konzerne in Osteuropa sind nahezu abgeschlossen: Osteuropa gehört faktisch deutschen Konzernen.

Um diesen okönomischen Druck auf ihre eigenen Konzerne zu mildern waren, die französischen Eliten daher gezwungen in Richtung Mittelmeer und deren Anrainerstaaten auszuweichen. Frankreichs Eliten haben nun mit der Mittelmeerunion die Zustimmung von Deutschland, direkt die Mittelmeerstaaten an Ihre Ökonomie zu binden.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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@ "Festung Europa" — Kleine Ergänzung

jaja — sread