Defekt an BMW ABS Motorrad: Fälschung?

beautiful mind 30.01.2008 14:14
Emotionale Diskussionen um den Fall eines schwerverletzten BMW Motorrad Fahrers, dessen Motorrad mit dem Integral-ABS des Herstellers FTE automotive ausgestattet war.

Prolog:

Veröffentlichungen über Defekte an modernen Motorrädern der Marke BMW Motorrad, die mit einem Antiblockiersystem (ABS) ausgestattet waren, hatten in der jüngsten Vergangenheit Auswirkungen auf die Berichterstattung kommerzieller journalistischer Projekte. Also auf mediale Plattformen, die von Anzeigen der Industrie und anderen Einflüssen, die mit hierarchischem Machtgefälle zusammenhängen, abhängig sind.

Die besten Beispiele sind die Indymedia-Artikel „Todesfälle – BMW Motorrad - Zensur“ vom 6.11.2007, „Wieder Russisch Roulette bei BMW Motorrad?“ vom 11.11.2007 und „BMW Motorrad muss Qualitätsprobleme zugeben“ vom 22.11.2007.

In deren Folge kam es zu mehreren Veröffentlichungen bei der Autogazette/Netzeitung und bei Bikers Journal – und zwar mit konkretem Bezug auf Indymedia-Artikel. Es folgten Artikel bei Auto-Reporter und anderen, wie beispielsweise Yahoo.

Selbst Europas größte Fachzeitschrift Motorrad (Motor Presse Stuttgart GmbH & Co. KG) sah sich offenbar darauf genötigt, den neuen Pressesprecher des Geschäftsfeldes BMW Motorrad der BMW Group zu interviewen (siehe Ausgabe Motorrad 01/2008 vom 21.12.2007, Seite 50-51). Das ist insofern besonders der Hervorhebung wert, da diese Zeitschrift am 12.09.2006 eine Maßnahme des Deutschen Presserates wegen Verstoß gegen die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit (Ziffer 1 Pressekodex) erhalten hatte, und zwar wegen des Artikels „BMW-ABS-Rückruf – Blend-Wirkung“. Nach Ansicht des Gremiums wäre es nämlich notwendig gewesen, nach der Mitteilung über die Einstellung des Strafverfahrens gegen drei BMW-Manager die Leser darüber zu informieren, dass danach Ermittlungen gegen Unbekannt aufgenommen wurden. „Dadurch wäre dem Leser klar geworden, dass lediglich die Ermittlungen gegen drei konkrete Personen eingestellt wurden“, so die Erwägungen des Beschwerdeausschusses 2. Die Rechtsabteilung der Motor Presse Stuttgart sah jedenfalls seitens der Motorrad-Redaktion keine Verpflichtung, über ein Strafverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung gegen Unbekannt zu informieren. Die Aufnahme eines solchen Strafverfahrens in einen Artikel sei nicht durch eine Rechtsvorschrift geboten und stünde im alleinigen Ermessen der Redaktion. Man darf in den Zusammenhang auch nicht vergessen, dass der Chefredakteur dieser Zeitschrift in eine politische Kampagne, die u.a. vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) unterstützt wurde, eingebunden war (siehe „Was Verbände durch Kommunikationskampagnen erreichen können“). Hauptsponsor war der Bremsenhersteller FTE automotive. Diese Information war einmal sehr leicht zugänglich, nachdem sie aber entdeckt wurde, ist das nicht mehr so leicht zu recherchieren!

Nun ging es aber bei den oben erwähnten Indymedia-Veröffentlichungen um ein ABS Bremssystem bei BMW Motorrädern, das eine Neuentwicklung darstellen soll, das nach Angaben des damaligen Pressesprechers die Defizite des alten Systems – eine Gemeinschaftsentwicklung der Firma FTE automotive/Ebern und des Geschäftsfeldes BMW Motorrad der BMW Group/München – abstellen sollte (siehe Zeitschrift „Sonderheft BMW Motorräder 13“, Seite 50, MO-Verlag Stuttgart).

Fälschung?

Am 17. Januar 2008 um 09:33 Uhr meldete sich die mutmaßliche Freundin eines BMW R1200GS-Fahrers mehrmals in einem Internet-Forum zu Wort. Ihren Schilderungen nach habe sich ihr Freund bereits am Sonntag, den 13. Januar 2008, schwer verletzt, „weil plötzlich das Vorderrad völlig blockierte, ohne das er gebremst“ habe. Ein Zeuge habe darüber hinaus am Unfallort beobachtet, dass es „aus der Bremse gedampft“ habe. Nach ihren Informationen habe die Maschine das Merkmal Baujahr März 2004, und sei mit ABS ausgestattet. Es handelt sich also um das umstrittene und defektanfällige Integral-ABS von FTE automotive (siehe Lexikon-Artikel „Integral-ABS“ bei Motor-Kritik).

Dabei handelt es sich um eine Motorrad-Bremsanlage mit dem weltweit einzigartigen konstruktiven Merkmal eines elektrischen Bremskraftverstärkers. Diese ist spätestens seit Sommer 2005 Gegenstand starker medialer Kritik aufgrund ihrer Defektanfälligkeit, in deren Folge es auch zu Unfällen kam [TAGESSCHAU]. Über dieses System sagte der zuständige und leitende Qualitätsingenieur schon am 13. September 2004 aus, es sei in seinen Rückfallebenen und Auswirkungen unzureichend konzipiert! Den einzigen Ausweg sähe er in einer Neuentwicklung, einem Nachfolgesystem [SZ, SPIEGEL].

Die Freundin des Schwerverletzten suchte jedenfalls in diesem Internet-Forum nach Hilfe. Es sei ihnen – so der Wortlaut – sehr wichtig, Informationen zu bekommen. Denn ihr Freund habe „die Maschine immer gewartet und alle Checks machen lassen“. Ob denn schon mal jemand „von so einem technischen Defekt bei diesem Modell gehört“ habe, fragte sie. Und sie wäre über jeden Hinweis dankbar, so schloss sie ihren Hilfeaufruf.

In zwei Internet-Foren, die BMW Motorräder mit so genannten Boxer-Motoren zum Gegenstand haben, wird nun genau dieser Fall eines Schwerverletzten mit vielen Emotionen und hauptsächlich unsachlich diskutiert. Einer der Ansatzpunkte in der Debatte ist, dass der Polizei-Bericht (PDF, 22 KB) gefälscht sei. Das aber wirkt albern, da dieser Polizeibericht von der Pressestelle des Polizeipräsidiums Fulda übermittelt wurde. Die Authentizität des Dokuments kann sich darüber hinaus jeder bei der Polizeistation Hünfeld bzw. der Pressestelle des Polizeipräsidiums Fulda bestätigen lassen, sofern er daran irgendwelche Zweifel hat.

Und - teilweise sind sogar äußerst üble Diffamierungen über den Geschädigten in den Internet-Foren zu finden. Das Phänomen, dass Geschädigte im Rahmen von Bremsendefekten an BMW Motorrädern, die mit ABS ausgestattet waren, von anderen BMW Motorrad Besitzern beleidigt und angepöbelt werden, gab es aber schon in 2005. Damals meldete sich ein verunfallter BMW Motorrad-Besitzer zu Wort, dessen Räder auf einem ADAC-Sicherheitstraining blockierten. In der Folge stürzte dieser Mann und zog sich schwere Verletzungen zu. Diese Verletzungen waren in der Sendung M€X vom 9.06.2005 mit dem Titel „Sicherheitsrisikio BMW – Wenn Premium-Motorräder von der Straße abkommen“ für ein Massenpublikum eindrucksvoll zu bestaunen.

Der Gipfel des Bizarren an dem Theater mit den ABS-Bremssystemen bei BMW Motorrädern ist nun jedenfalls, dass offizielle Polizei-Berichte über Unfälle mit Schwerverletzen wegen Bremsendefekten als Fälschung dargestellt werden!

Keine Hilfe!

Die Freundin des Schwerverletzten, der inzwischen aus dem Krankenhaus entlassen zu sein scheint, erhielt jedenfalls keine Hilfe in Form von angefragten Informationen. Und das, obwohl ähnlich gelagerte Fälle, auch am Nachfolgesystem, in der Vergangenheit bekannt geworden sind.

Jedoch haben Nachforschungen mögliche Ursachen für ein offensichtliches Heißlaufen der Vorderrad-Bremse an der BMW R1200GS mit Integral-ABS (FTE automotive) und der offenbar darauf folgenden Radblockade ergeben.

Es erscheint zum einen möglich, dass aufgrund der Ausstattung mit einem Antiblockiersystem (ABS) und zusätzlich der besonderen (weltweit einzigartigen) Ausstattung mit einem elektronischen Bremskraftverstärker (BKV) die Bremsanlage „Integral-ABS“ von FTE automotive sicher auch blockieren kann – denn schließlich ist da ausfallträchtige Elektronik mit im Spiel. Darüber hinaus behauptet die Rechtsabteilung der BMW Group in einer Stellungnahme, die in einer Akte mit dem AZ 111 UJs 6203/06 der Staatsanwaltschaft Kempten (Allgäu) abgelegt ist, dass sporadische Fehler an der Bremsanlage vorkommen können. Da wurden Ermittlungen wegen Verkehrsunfalls mit Todesfolge geführt. Es erscheint für Betroffene lohnend, sich das in der Akte enthaltene Gutachten des beauftragten Sachverständigen zu beschaffen, denn insbesondere dessen Aussagen über das Fehlermanagement an diesem Bremssystem sind einfach sagenhaft! Weitere Informationen zum defektanfälligen Integral-ABS von FTE automotive:

http://www.motor-kritik.de/common/07011804.HTM

Zum anderen ist es denkbar, dass aus irgendeinem Grund sich die Bremsen nach einer Applizierung nicht von den Bremsscheiben gelöst haben, im konkreten Fall also an der Vorderradbremse. Und zwar dergestalt, dass es (noch) nicht zu einer Radblockade bei dem Motorrad in Bewegung kam, und der Fahrer die möglichen Effekte nicht bemerkte. Darauf haben sich die Scheiben erhitzt (in der Darstellung der Freundin des Geschädigten "dampfte es aus der Bremse") und in der Folge hat sich die Bremsflüssigkeit erhitzt, was zu einer Volumenausdehnung führte. Dokumentiert ist, dass die Ausgleichsbohrung des Hauptbremszylinders dem Ausgleich von temperaturabhängigen Volumenschwankungen in den Bremsleitungen dient (z.B. Kraftfahrttechnisches Handbuch). Diese Ausgleichsbohrung des Hauptbremszylinders könnte durch einen Span (oder eine andere Ursache, vielleicht Verunreinigung) verschlossen worden sein. Diese Darstellung (Späne in Bremsleitungen) gab es jedenfalls bereits in ähnlichen Fällen an Bremsanlagen desselben Typs in 2005. Der Fall ist bei der Staatsanwaltschaft München I aktenkundig und wurde damals noch unter dem AZ des ersten Strafverfahrens geführt.

Der Hersteller FTE automotive bietet auf seiner Homepage jedenfalls ein Dokument an, in dem auf Seite 5 möglichen Fehlerursachen für heißlaufende Bremsen aufgeführt sind (Thema: "Bremse wird bei der Fahrt heiß"). Als Fehlerquelle ist u.a. aufgeführt: "Ausgleichsbohrung vom Hauptbremszylinder zugerostet, verschlossen bzw. verstopft."

http://www.fte.de/upload/Fehlersuche_723.pdf

Und nicht zuletzt ist aus der Praxis der Werkstätten auch bekannt, dass es eine relativ einfachste Variante als Ursache geben könnte: Das „Hydraulikschlauchroblem“. Nicht korrekt vulkanisiert oder überaltert löst sich der Hydraulikschlauch innen auf und eine Gummizunge legt sich wie eine Venenklappe gegen die zur Druckentlastung zurückfließende Flüssigkeit. Die Bremse läuft auch in diesem Fall heiß und blockiert urplötzlich!

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Ergänzungen

Staatsanwaltschaft ermittelt

beautiful mind 30.01.2008 - 22:15
Zur weiteren Abklärung und vor dem Hintergrund, dass der Justiz deutschlandweit mehrere Fälle blockierender Bremsen bei BMW Motorrädern mit der Ausstattung Integral-ABS mit Personenschaden bekannt sind, liegt der vorliegende Fall (BMW R1200GS, BJ März/2004, Integral-ABS FTE automotive) bei der Staatsanwaltschaft.

Diese hat Ermittlungen eingeleitet.

Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) ist zwar informiert, die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft haben aber immer Vorrang in Fällen mit Personenschäden (hier: Schwerverletzter).

Literatur zum BMW Integral-ABS seit Ende 2004

beautiful mind 31.01.2008 - 09:36

The Sunday Times

Nicholas Rufford: CURIOUS CASE OF THE BMW SUPER-BRAKES THAT DIDN’T STOP THE BIKE. In: The Sunday Times. 07.11.2004

ARD

Sven Herold: Sicherheitsrisiko BMW - Wenn Premium-Motorräder von der Straße abkommen. In: M€X. 09.06.2005
Sven Herold: Abgefahren - Sind BMW-Motorräder lebensgefährlich?. In: Plusminus. 05.07.2005
Sven Herold: Überprüfung von Motorrad-Bremssystem (Position 8:44 bis 10:44). In: Tagesschau. 09.07.2005 (18:00, 20:00)

Der Spiegel

Christian Wüst: BMW-Motorräder haben Probleme im Bremssystem. In: Der Spiegel 27/2005. (Vorschau SpOn: 02.07.2005)

Süddeutsche Zeitung

Jörg Reichle: Gefahr - Gebremstes Vertrauen. In: Süddeutsche Zeitung. 04.07.2005
dpa: Motorrad-ABS. Kein Recht auf Rückgabe. In: Süddeutsche Zeitung. 11.07.2005

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Gerd Gregor Feth: Die sicherste Bremse der Welt’ soll künftig besser informieren. In: FAZ. 29.07.2005

Berliner Morgenpost

dpa: Staatsanwaltschaft untersucht BMW-Motorräder. In: Berliner Morgenpost. 03.07.2005

Berliner Zeitung

N.N.: Staatsanwalt ermittelt bei BMW. Probleme mit Bremssystem. In: Berliner Zeitung. 06.07.2005

Netzeitung

Frank Mertens: Staatsanwaltschaft ermittelt gegen BMW. In: Netzeitung. 05.07.2005
Frank Mertens: BMW überprüft kostenlos ABS-Motorräder. In: Netzeitung. 08.07.2005
Frank Mertens: BMW-Motorradchef Diess garantiert für die Sicherheit des Bremssystems: In: Netzeitung. 19.07.2005
Frank Mertens: BMW kämpft um Vertrauen der Kunden. In: Netzeitung. 29.07.2005
Frank Mertens: BMW ruft Motorräder in Werkstätten. In: Netzeitung. 05.04.2006

Die Welt

Thomas Delekat: Wie ein Internet-Surfer BMW in Bedrängnis brachte. In: Die Welt. 18.12.2004
Thomas Delekat: BMW, die Hydraulik und die Lawine. In: Die Welt. 09.07.2005
Thomas Delekat: Für den Fall der Fälle. In: Die Welt. 16.07.2005
Thomas Delekat: BMW räumt Probleme bei Motorrad-Bremse ein. In: Welt am Sonntag. 17.07.2005

Spiegel Online

Jürgen Pander: BMW-Motorrad-ABS / Drosseln der Druckspitzen. In: SPIEGEL ONLINE. 07.04.2006

Münchner Merkur

Marion Englert: ABS-Ärger: BMW bietet kostenlosen Brems-Check. In: Münchner Merkur. 29.07.2005

Motor-Kritik

Wilhelm Hahne: Motorräder bauen und Motorradfahrer verstehen ist offenbar zweierlei. In: Motor-Kritik. 10.02.2004
Wilhelm Hahne: Arrogant - überheblich - kundenverachtend. In: Motor-Kritik. 27.05.2004
Wilhelm Hahne: DIE WELT schafft das Problem nicht tatsächlich aus der Welt. In: Motor-Kritik. 20.12.2004
Wilhelm Hahne: Umsetzen der bisherigen Praxis-Erfahrungen in ein einfacher strukturiertes System …. In: Motor-Kritik. 20.01.2005
Wilhelm Hahne u.a.: BMW unter Artenschutz? In: Motor-Kritik, 15.08.2005
Wilhelm Hahne: Vollkommene Perfektion mit BKV? In: Motor-Kritik. 15.08.2005
Wilhelm Hahne: Mit erweiterter Bedienungsanleitung aus der Verantwortung?: In: Motor-Kritik. 12.09.2005
Wilhelm Hahne u.a.: Aus einer Reihe von Nullen macht man leicht eine Kette. In: Motor-Kritik. 18.01.2007
Wilhelm Hahne u.a.: Der Tod nimmt keine Rücksicht auf's Motorrad-ABS. In: Motor-Kritik. 15.11.2007

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