Wieder Russisch Roulette bei BMW Motorrad?

Henk Stuhr 11.11.2007 04:22 Themen: Weltweit

Nur zwei Tage nach dem Erscheinen eines Indymedia-Artikels über technische Defekte an BMW Motorrädern publizierte der Chefredakteur der Autogazette einen Artikel mit dem Titel „Undichte Bremsleitungen an BMW Motorrädern“. Die Darstellungen des Kraftfahrt-Bundesamtes, des BMW Motorrad Pressesprechers und des Chefredakteurs machen eine Nachbehandlung notwendig.

Am Dienstag, den 6. November 2007, erschien bei Indymedia ein Artikel über Bremsversagen an BMW Motorrädern. Betroffen sind Modelle, die seit August 2006 produziert werden, dabei ausschließlich solche, die mit dem 1.080 EUR teuren aktiven Fahrerassistenzsystem Integral-ABS von Continental Teves ausgestattet sind.

Nur zwei Tage nach dem Erscheinen dieses Indymedia-Artikels publizierte der Chefredakteur der Autogazette einen Artikel mit dem Titel „Undichte Bremsleitungen an BMW Motorrädern“. Dieser Text aus dem Hause der Netzeitung weist nun ein paar Besonderheiten auf, die eine Nachbehandlung erforderlich machen.

++ Die Stellungnahme des KBA ++

Nach Angaben eines KBA-Sprechers habe das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) die BMW Group „bereits“ zu einer Erklärung aufgefordert. Eine Antwort sei bislang nicht erfolgt.

Das Kraftfahrt-Bundesamt hat es vielleicht versäumt, mitzuteilen, dass es spätestens seit dem 22. Juni Kenntnis von den defekten Bremsleitungen an BMW Motorrädern mit der Ausrüstung Integral-ABS des Herstellers Continental Teves hat (PDF, 220K). Mit Datum vom 12. Juli ist das KBA dann tätig geworden. Offenbar wartet die Behörde nun schon seit vier Monaten geduldig auf eine Antwort des Herstellers BMW Motorrad!

++ Die Aussagen des Pressesprechers ++

Der Pressesprecher behauptet im Wortlaut: «Doch bevor es zu einer kritischen Situation kommen kann, bemerkt es der Kunde, weil sich der Druckpunkt beim Betätigen des Bremshebels verändert. Zudem kann er im Kunststoffbehälter am Lenker sehen, dass die Füllmenge der Bremsflüssigkeit abnimmt»

Hier könnte der Eindruck entstehen, dass der Versuch unternommen wurde, eine „ernste Gefahr“ im Sinne des GPSG in der Öffentlichkeit abzustreiten. Die Logik, die dahinter stehen könnte, ist folgende: Der Hersteller ist dem KBA gegenüber meldepflichtig, wenn eine „ernste Gefahr“ nach GPSG besteht. Die etwaige Beseitigung „erheblicher Mängel“ für die Verkehrssicherheit auf der Basis von § 35 ABS. 2 Nr. 1 StVG ist hingegen etwas ganz anderes, ein „erheblicher Mangel“ nach StVG hat in der juristisch gar nichts mit einer „ernsten Gefahr“ nach GPSG zu tun! Die Vorstellung des Pressesprechers, die Benutzer müssten permanent während der Fahrt den Bremsflüssigkeitsstand im Behälter am Lenker kontrollieren, sowie sich beim Bremsen, wenn es darauf ankommt, auf eine Druckpunktänderung konzentrieren, wirkt jedenfalls praxisfern. Es entbehrt auch jeder Lebenserfahrung, dass Bremsversagen angeblich nicht zu kritischen Situationen führt.

Ferner verhalte es sich - nach Angaben des Pressesprechers - so, dass von dem Problem nur Maschinen der so genannten Boxerbaureihe betreffen wären.

Diese Einschränkung ist bemerkenswert, da bereits Fälle an den K-Modellen mit Höchstgeschwindigkeiten um die 270 km/h, konkret K1200S (PDF, 239K) und angeblich auch K1200GT, bekannt geworden sind. Zumal da die Hinterradbremse ausgefallen ist. Nur – wie soll der Fahrer den Bremsflüssigkeitsstand des hinteren Bremskreises während der Fahrt überwachen, so praxisfern die Kontrolle für die Vorderradbremse schon erscheint, hier ist es schlichtweg unmöglich.

Es würde angeblich, so behautet zumindest der Pressesprecher, nicht feststehen, woran der Fehler liegt. Es sei aber «definitiv» auszuschließen, dass der Fehler im Zusammenhang mit dem Sicherheitssystem Integral-ABS von Continental Teves stehe.

Das ist immerhin eigenartig. Ausschließlich BMW Motorräder mit dem aktiven Sicherheitssystem Integral-ABS von Continental Teves sind betroffen – aber mit diesem hat es nichts zu tun? Es verhält sich doch nach übereinstimmenden Berichten so, dass im Falle eines Defekts das Verbindungsstück der festen Bremsleitung zum ABS-Druckmodulator (unter dem Tank), einen (Haar-)Riss aufweist und Bremsflüssigkeit leckt. Dieses Rohr wird bei der Montage im Werk in den ABS-Druckmodulator eingepresst. Infolge eines Konstruktions-/Montagefehlers kommt es ganz offensichtlich zu dem Defekt und in der Folge zu Bremsversagen.

++ Die Darstellungen des Chefredakteurs ++

Er stellt dar, dass es beim Vorgängersystem von FTE automotive „in Einzelfällen zum Ausfall des elektrohydraulischen Bremskraftverstärkers und des ABS“ gekommen wäre. Dieses Problem sei „durch eine technische Änderung“ an der Handbremsarmatur behoben worden.

Richtig ist, dass eine technische Maßnahme gegen das so genannte „Überdrücken“ (analog dem „Bremsschlag“ beim BMW Typ E 39) mit der Folge des ABS-Ausfalls durchgeführt wurde, die einen solchen Ausfall nun unwahrscheinlicher macht.

Es ist aber nicht richtig, darzustellen, dass die Ursachen für den Ausfall der Aktivbremse, gemeinhin als „Ausfall des Bremskraftverstärkers“ oder „Ausfall BKV“ bezeichnet, behoben worden ist. Das Gegenteil ist der Fall. Nach wie vor kommt es genau aus diesem Grund zu Ausfällen. Wie aufgrund von Ermittlungen in einem Todesfall bekannt geworden ist, kommen diese Ausfälle der Aktivbremse auch sporadisch vor. Zu den bekanntesten Ursachen gehören defekte Bremslichtschalter, defekte Radsensoren, defekte Pumpen, defekte Steuergeräte und bei älteren Geräten auch der Fehlercode 19 EMV. Ausnahmslos jeder Fehler am System deaktiviert jedenfalls die Aktivbremse.

++ Fazit ++

Es könnte die Frage bei Lesern des Autogazette-Artikels auftauchen, wie der Motorrad-Hersteller BMW mit der Sicherheit seiner Kunden eigentlich umgeht. In der Vergangenheit war es jedenfalls so, dass die Staatsanwaltschaft München I bei Abschluss des ersten Ermittlungsverfahrens gegen BMW Manager im Falle des Integral-ABS von FTE automotive darlegte, BMW habe erst nach Beginn staatsanwaltlicher Ermittlungen die Benutzer umfassend informiert. Ergänzend hatte der Leiter der Abteilung Rückrufe/Produktsicherheit des Kraftfahrt-Bundesamtes gegenüber Spiegel Online dargestellt, BMW habe „offenbar ein paar Dinge dazugelernt“.

Fakt ist: Undichte Bremsleitungen gab es schon beim Vorgänger-System (FTE), jedenfalls an Polizei-Motorrädern vom Typ R1200RT. Die Polizei hatte darauf sofort alle Polizisten von den Einsätzen zurückgerufen und die Motorräder in den Werkstätten überprüfen lassen (Meldung vom 26. Juli 2006). Und beim Otto-Normal-Kunden? Nachdem die Fälle schon spätestens seit Juni 2007 bekannt sind, will man nun in zwei bis drei Wochen die Händler unterrichten, um sie darüber zu informieren, ob überhaupt Nachbesserungen notwendig sind.

Das ist eine Haltung. Eine bemerkenswerte.


Kontakt:

Kraftfahrt-Bundesamt (KBA)
AZ: 414-771-1851-07
24932 Flensburg
Telefon: 0461/316-0
Telefax: 0461/316-1495

Staatsanwaltschaft München I
AZ: 490 UJs 702755/06
Postfach
80997 München
Telefon: 089/5597-07
Telefax: 089/5597-4131

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Ergänzungen

Bremsleitungen am ABS-Druckmodulator (1)

Henk Stuhr 11.11.2007 - 15:25
Anbei eine Abbildung der Stelle, an der der Defekt (Riss in Bremsleitung) auftritt.

BMW prüft Material- und Verarbeitungsfehler

Henk Stuhr 13.11.2007 - 18:46
Unbenannte Seite

Mit Verweis auf den vorstehenen Artikel (Zitate über die Ursache der Defekte!) bei Indymedia hat der Chefredakteur der Autogazette heute folgenden Artikel um 12:08 Uhr veröffentlicht:

BMW prüft Material- und Verarbeitungsfehler

Darin gibt der BMW Pressesprecher nun zu, dass der Defekt bei der Anbindung zum Druckmodulator entstehen kann. Der ADAC sieht dringenden Handlungsbedarf für einen Rückruf.

Foto Bremsleitungen

Henk Stuhr 15.11.2007 - 02:51
Die Leckage tritt in dem Teil der Bremsleitung auf, der durch die Überwurfmutter verdeckt ist. Konkret unten an der Bördelung.


tradition of brake failures

Robert 15.11.2007 - 15:37

facts:

8 recalls for the power-assisted integral-brakes in the past.

4 of them are dealing with the abs function: http://www.r1200gs.info/misc/recalls.html.

the problem with the residual brakes was the new continental teves system.

now the say that loosing one brake circuit does not create an emergency.

are they nuts?

Reaktionen auf Indymendia-Veröffentlichungen

Henk Stuhr 15.11.2007 - 19:03

Die Veröffentlichungen bei Indymedia vom 06.11.2007 und 11.11.2007 um die technischen Probleme an BMW Motorrädern, die mit ABS-Bremssystemen ausgestattet sind, haben zu zahlreichen Veröffentlichungen an anderer Stelle geführt. Sie haben dazu geführt, dass BMW Motorrad die Defekte an den Bremsleitungen am ABS-Druckmodulator zugegeben hat.

Bemerkenswert sind dabei die Mutmaßungen zur konkreten Fehlerursache im heute erschienenen Artikel von Wilhelm Hahne bei Motor-Kritik. Stichworte sind u.a. lange freiliegende Bremsleitungen, Bördelung (Typ) und Fertigung, Montage sowie - ganz wichtig - typische Motor-Vibrationen bei BMW:

NEU: 15.11.2007: "Was das neue BMW-Motorrad-Management noch lernen muss: Der Tod nimmt keine Rücksicht auf's Motorrad-ABS"

http://www.motor-kritik.de/common/07111506.HTM

Literaturliste: Alles zu den Defekten des BMW Motorrad Integral-ABS von Continental Teves (chronologisch)

06.11.2007: http://de.indymedia.org/2007/11/198692.shtml

08.11.2007: http://www.autogazette.de/Undichte-Bremsleitungen-an-BMW-Motorraedern/artikel_803390_9.htm

11.11.2007: http://de.indymedia.org/2007/11/199023.shtml

12.11.2007: http://www.bikersjournal.de/news/allgemein/ansicht/datum/2007/11/12/bremst-sie-oder-bremst-sie-nicht.html

13.11.2007: http://www.autogazette.de/BMW-prueft-Material--und-Verarbeitungsfehler/artikel_808210_9.htm

15.11.2007: http://www.motor-kritik.de/common/07111506.HTM

Konstruktive Lösung einer Fehlkonstruktion?

Henk Stuhr 17.11.2007 - 01:56
Es gibt Hersteller, die verbauen an allen Bremsleitungen, die an den ABS-Druckmodulator angeschlossen sind, Stahlflex-Segmente. Mit dieser spezifischen Konstruktion wird sichergestellt, dass es nicht zu Vibrations- und Spannungsrissen kommt, und in der Folge zu gefährlichem Bremsversagen aufgrund einer Leckage. Das ist sicher aufwändiger und damit teurer, als es nicht zu tun.

Rückblick: Auch beim Vorgänger-Bremssystem, das BMW gemeinsam mit FTE automotive entwickelte, gab es eine konstruktive Besonderheit. Vor Einführung der CAN-BUS Modelle war die Restbremskraft so wenig wirkungsvoll und in der Praxis von den Benutzern kaum handhabbar, dass der Eindruck entstanden war, hier wäre etwas aus Kosteneinparungsgründen komplett weggefallen, die Rückfallebene nämlich. Tatsächlich hätte es nämlich eine Reihe von technischen Lösungen gegeben, die die Rückfallebene nicht so "tief" hätten werden lassen. Diese Lösungen wären teurer geworden.

Der Motor-Journalist Wilhelm Hahne (Motor-Kritik) schreibt: "..., hierbei können wohl Spannungen auftreten, die dann durch das Schwingungsverhalten des Motors zu Haarrissen führen. Wohl exakt an der Bördelung der Leitung, die beim fertigen Fahrzeug von einer Überwurfmutter verdeckt wird." Und weiter: "Es gibt ... sowohl ein 'Zerbröseln' als auch 'Haarrisse'. ... Nach Aussagen von Fachleuten gibt es durchaus nicht nur eine Art (Form) der Bördelung. Es gibt auch unterschiedliche Bearbeitungsmaschinen dafür. In unterschiedlichen Preisklassen. - Sollte man vielleicht auch diese Arbeiten einer taiwanischen oder chinesischen Firma übertragen?"

Die Lösung könnte lauten: Stahlflex-Segmente, um Vibrations- und Spannungsrisse auszuschließen. So machen das schließlich jedenfalls andere Hersteller!

Rückruf des Integral-ABS nicht ausgeschlossen

Henk Stuhr 29.11.2007 - 01:00
Undichte Bremsleitungen an BMW Motorrädern, die mit Integral-ABS Bremsen ab Baujahr 2006 ausgestattet sind, lassen Zweifel über die generelle Zuverlässigkeit von ABS-Bremsen an Motorrädern aufkommen.

Der Defekt tritt am Druckmodulator des Integral-ABS auf, konkret an der Anbindung der Bremsleitungen. Neue Bremsleitungen sind in der Entwicklung, ein Rückruf für betroffene Maschinen wird aktuell nicht ausgschlossen.

Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) ist auf BMW zugegangen, und hat inzwischen eine als Zwischenbescheid bezeichnete Darstellung als Stellungahme vorliegen


Nachrichtenquelle:
 http://www.auto-reporter.net/artikel.las?artikel=23016
 http://motorzeitung.de/nc/6591/news/erneut-probleme-bei-bmw-motorraedern-mit-abs/
 http://de.cars.yahoo.com/28112007/422/probleme-bmw-motorraedern-abs.html

Bremsleitungen bei der Konkurren (hier: KTM)

Henk Stuhr 14.12.2007 - 04:46
Bremsleitungen an den ABS-Druckmodulatoren bei dem Motorradhersteller KTM (Österreich) sind flexibel, nicht starr wie bei BMW. Defekte, wie sie an Bremsleitungen an ABS-Druckmodulatoren des Herstellers BMW auftreten, sind damit bei KTM ausgeschlossen. (siehe Foto)

Risse in Bremsleitungen von BMW zugegeben!

der_aktenkopierer 22.12.2007 - 10:43
MOTORRAD 01/2008 vom 21.12.2007, Seite 50-51, Interview zu Undichtigkeiten an BMW-Bremsen mit BMW-Pressesprecher Rudolf Probst

Der Pressesprecher gibt in dem Interview (erneut) zu, dass es in Einzelfällen zu Undichtigkeiten im Bereich der Verschraubungen am ABS-Druckmodulator gekommen sei. Es handle sich dabei um Risse an den Bremsleitungen! Derzeit wären die Analysen vor dem Absschluss und es würde an Lösungen gearbeitet. Eine Umrüstaktion für die Modelle ab August 2006 mit Continental-Teves Integral-ABS wird derzeit nicht ausgeschlossen, aber auch nicht bestätigt. Bereits Mitte Juli habe das Kraftfahrt-Bundesamt in Flensburg BMW Motorrad aufgefordert, eine Stellungnahme zur Problematik abzugeben. Aufgrund der "Komplexität" wären aber bis jetzt die Untersuchungen noch nicht beendet. BMW Motorrad seien bisslang keine Unfälle mit Personenschaden bekannt geworden, so lautet - verkürzt - die Antwort auf die Interviewfrage, ob es bereits zu "kritischen Situationen" gekommen wäre.

MOTORRAD berichtet, dass es vorläufiger Kennstnisstand sei, dass die Rissbildungen ggf. auf verspannten Verbau der starren Bremsleitungen mit anschließender Schwingbelastung zurückzuführen sein könnte.

Keine Anklage von BMW Motorrad Managern

Roland Kahlschlag 21.03.2008 - 22:29
Siehe

"Keine Anklage von BMW Motorrad Managern"

 http://de.indymedia.org/2008/03/211071.shtml

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