BMW Motorrad muss Qualitätsprobleme zugeben

Henk Stuhr 22.11.2007 03:12 Themen: Medien Weltweit
BMW Group muss wegen Indymedia-Report Qualitätsprobleme zugeben. ADAC fordert Rückruf.

Am 11. November erschien bei Indymedia ein Enthüllungs-Report mit dem Titel „Wieder Russisch Roulette bei BMW Motorrad?“, der detailliert Qualitätsprobleme beim Hersteller BMW Motorrad aufzeigte. In der Folge wurde dieser Indymedia-Artikel bei den kommerziellen journalistischen Projekten Bikersjournal und Autogazette/Netzeitung zitiert und in diversen Internet-Foren heiß diskutiert.

Sogar im Boxer-Forum wird auf den Indymedia-Artikel verlinkt, eine Community, die den Erlebnisbericht eines Verunglückten entfernt hatte (PDF, 220K). Am 19. Juni war von dem geschockten Fahrer zu lesen, dass der Defekt an einer (stabilen) Bremsleitung am ABS-Steuergerät aufgetreten ist. Durfte das niemand wissen?

Der Motorrad-Hersteller BMW hat in der Folge am 13. November gegenüber Autogazette zugegeben, dass die technischen Probleme mit seinen Bremsanlagen tatsächlich an der Verbindung zum Druckmodulator auftreten. Vor dem Indymedia-Report hieß es noch lapidar: „Woran der Fehler liegt, steht noch nicht fest.“

Dabei geht es ausschließlich um Motorräder, die mit dem aktiven Fahrerassistenzsystem Integral-ABS von Continental Teves ausgestattet sind. Nach Angaben des Herstellers wären nur Boxer-Modelle betroffen, tatsächlich finden sich aber im Internet Berichte von Besitzern, die den Defekt an K-Modellen erlebt haben.

Die Ursache für die Defekte liegt in mangelhafter Qualität bei Konstruktion, Fertigung oder Material bei BMW. Vielleicht eine glückliche Mischung aus allen drei Faktoren. Vertraut man Beurteilungen der kommerziellen, aber offensichtlich nicht völlig korrumpierten Fachpresse, so sieht es ohnehin sehr, sehr düster bei der Qualität von BMW Motorrädern aus. In einem aktuellen Sonderheft lamentiert der Chefredakteur, die Redaktion habe sich vor Zuschriften kaum retten können, noch nie in seiner beruflichen Laufbahn habe eine Leseraktion solchen Zuspruch erfahren. Gemeint war seine Aufforderung an die Leser, sie mögen sich zur Qualität bei BMW äußern, nachdem er selbst das Management in München verbal geohrfeigt hatte.

Nun sieht es so aus: Der ADAC sieht dringenden Handlungsbedarf für einen Rückruf, da es sich bei Bremsen um sicherheitsrelevante Bauteile an Motorrädern handle. Der zuständige Ingenieur erkennt den Nachbesserungsbedarf auch dann, wenn es sich, wie von BMW nur behauptet, um "Einzelfälle" handle. Schon früher engagierte sich der ADAC für genarrte BMW-Kunden (PDF, 28K).

Der Indymedia-Artikel ist bis zum 17.11.2007 mehrfach ergänzt worden und zeigt mit Bildern / Fotos exakt die Problematik auf. Demnach könne die Lösung des mutmaßlichen Konstruktionsfehlers in Stahlflex-Segmenten (eine Unterbrechung der Bremsleitungen) liegen, um Vibrations- und Spannungsrisse auszuschließen.

Der Motor-Journalist Wilhelm Hahne (Motor-Kritik) schreibt in einer Geschichte „Neue Mannschaft mit alten Problemen“: "..., hierbei können wohl Spannungen auftreten, die dann durch das Schwingungsverhalten des Motors zu Haarrissen führen. Wohl exakt an der Bördelung der Leitung, die beim fertigen Fahrzeug von einer Überwurfmutter verdeckt wird." Und weiter: "Es gibt ... sowohl ein 'Zerbröseln' als auch 'Haarrisse'. ... Nach Aussagen von Fachleuten gibt es durchaus nicht nur eine Art (Form) der Bördelung. Es gibt auch unterschiedliche Bearbeitungsmaschinen dafür. In unterschiedlichen Preisklassen. - Sollte man vielleicht auch diese Arbeiten einer taiwanischen oder chinesischen Firma übertragen?"

Als faszinierend darf die offensichtliche Rechtslage in Deutschland betrachtet werden: Bremsen an Motorrädern müssen von Gesetz wegen nicht zuverlässig sein. Sie können beliebig ausfallen. Das gilt übrigens auch für die ABS-Funktion. Für die Legalität im Sinne des Geräte- und Produktsicherheitsgesetzes (GPSG) scheint eine Mindestverzögerung von 2,5 m/s2 ausreichend zu sein, ein Verzögerungswert, der mit der Funktion der Hinterradbremse alleine sichergestellt wird. Insofern hat das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) wohl keine Handhabe, einen Rückruf anzuordnen.

Ein Abfallen auf ¼ der normalen Bremsleistung ist legal, das muss nicht repariert werden. Und das bei einem Assistenzsystem, bei dem die Zielgruppe (Anfänger, Wiedereinsteiger und Senioren) überhaupt nicht gewohnt ist, die Hinterradbremse zu benutzen! Weil der der Handbremshebel auch auf die Hinterradbremse wirkt… Das spezifische Sicherheitskonzept von BMW Motorrad für diese naturgemäß ungeübte, wenn nicht unbeholfene Zielgruppe wurde schon am 8. November der Öffentlichkeit stolz bekannt gegeben:

"... bevor es zu einer kritischen Situation kommen kann, bemerkt es der
Kunde, weil sich der Druckpunkt beim Betätigen des Bremshebels verändert.
Zudem kann er im Kunststoffbehälter am Lenker sehen, dass die Füllmenge der
Bremsflüssigkeit abnimmt ..."

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Ergänzungen

Wo sind in dem Artikel die neuen Fakten?

das grins 22.11.2007 - 14:35

Bringt etwa die Aufklärung über längst bekannte Qualitätsprobleme beim BMW Motorrad eine grundlegend neue Erkenntnis? Dazu muss man doch auch nicht die erwähnten Sonderhefte BMW Motorräder (Nr. 22 & 23) aus dem MO-Verlag lesen, die im Text (nicht explizit) erwähnt werden. Auch wenn im Leitartikel der Ausgabe Nr. 22 das Qualitäts-Desaster sehr zutreffend auf nur einer Seite vom Chefredakteur dargestellt wird. Von lockeren Hinterrädern bis zur weltweiten Katastrophe mit dem Integral-ABS von FTE automotive wird da nämlich nichts ausgelassen.

Und was soll der Hinweis, dass in Deutschland Bremsanlagen, auch mit ABS, nicht zuverlässig arbeiten müssen, und dass eine Mindestverzögerung von 2,5 m/s2 den Verordnungen genügt? Genau das war doch immerhin die Lehre, die aus der Katastrophe mit dem FTE-Bremssystem zu ziehen war. Auch da kann das KBA bis heute nichts machen. Das kann man viel besser darstellen: Selbst Sicherheitssyseme (z.B. ABS) dürfen immer defekt sein. Es muss nur eine Warnlampe leuchten.

Und wenn im Artikel schon von der „unbeholfenen Zielgruppe“ die Rede ist, dann sollte doch auch bitteschön auf deren mutmaßliche Geisteshaltung hingewiesen werden. Nach der Tagesschau im Sommer 2005 (Tagesschau, 09.05.2005, 2-Minuten) haben 40.000 Kunden weltweit weiterhin dieses von der Anlage her unsichere Bremssystem gekauft.

Dann wird auch noch der Artikel von Wilhelm Hahne / Motor-Kritik zitiert, in dem aus der Akte einer Staatsanwaltschaft wegen Verkehrsunfalls mit Todesfolge im Zusammenhang mit dem FTE-System spekuliert wird. Aber da muss man sich doch die Frage stellen: Verunfallen und sterben diese Kunden nicht mit Fug und Recht? Die haben doch wissentlich dieses Zeug gekauft. Es gibt doch keinen Zwang, das zu tun.

Dass in Deutschland gerne geprotzt wird, das ist eine allgemeine Lebenserfahrung. Aber einen gesetzlichen Schutz, wegen dieser Irrationalität nicht zu Schaden zu kommen, muss es doch nun wirklich nicht geben. Hier ist die Eigenverantwortung der Käufer gefragt.

Belege für Bremsenausfälle an K-Modellen

Henk Stuhr 22.11.2007 - 16:36

Am 30.07.2007, 10:13 Uhr gab es im K1200S-Forum folgenden Eintrag:

"Letztes WE ist meine hintere Bremse komplett ausgefallen. Die Leitung zum Druckmodulator war undicht. (K1200S Bauj. April/07)

Leider gibt es weder für hinten noch für vorne eine Kontrollampe für den Füllstand. Lediglich das ABS wird überwacht. ... man würde es nur an der Veränderung des Hebelwegs und der nachlassenden Bremswirkung erkennen können wenn die Bremsflüssigkeit verloren geht.

Fazit: Die Füllstände immer im Auge behalten!"

Direktlink

Screenshot

Anmerkung: Wie kann ein K1200S-Fahrer bei 270 Km/h den Bremsflüssigkeitsbehälter in der Nähe der Sitzbank permanent kontrollieren? Und was sollen die anderen Verkehrsteilnehmer, vielleicht auch Passanten, denken, wenn solche Maschinen dann völlig unkrontrolliert wie Raketen einschlagen?

Risse in Bremsleitungen explizit erwähnt!

der_aktenkopierer 22.12.2007 - 10:42
MOTORRAD 01/2008 vom 21.12.2007, Seite 50-51, Interview zu Undichtigkeiten an BMW-Bremsen mit BMW-Pressesprecher Rudolf Probst

Der Pressesprecher gibt in dem Interview (erneut) zu, dass es in Einzelfällen zu Undichtigkeiten im Bereich der Verschraubungen am ABS-Druckmodulator gekommen sei. Es handle sich dabei um Risse an den Bremsleitungen. Derzeit wären die Analysen vor dem Absschluss und es würde an Lösungen gearbeitet. Eine Umrüstaktion für die Modelle ab August 2006 mit Continental-Teves Integral-ABS wird derzeit nicht ausgeschlossen, aber auch nicht bestätigt. Bereits Mitte Juli habe das Kraftfahrt-Bundesamt in Flensburg BMW Motorrad aufgefordert, eine Stellungnahme zur Problematik abzugeben. Aufgrund der "Komplexität" wären aber bis jetzt die Untersuchungen noch nicht beendet. BMW Motorrad seien bisslang keine Unfälle mit Personenschaden bekannt geworden, so lautet - verkürzt - die Antwort auf die Interviewfrage, ob es bereits zu "kritischen Situationen" gekommen wäre.

MOTORRAD berichtet, dass es vorläufiger Kennstnisstand sei, dass die Rissbildungen ggf. auf verspannten Verbau der starren Bremsleitungen mit anschließender Schwingbelastung zurückzuführen sein könnte.

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