Genua 17.11.2007 - Ein Demonstrationsbericht

Reisender Libertärer 20.11.2007 18:07 Themen: G8 Soziale Kämpfe Weltweit
Die Geschichte sind wir! Zurück nach Genua!
Pünktlich um drei Uhr zog der Demonstrationszug los. Die genaue Demonstrationszahl war schwer abzuschätzen. Die offiziell von den VeranstalterInnen genannte Zahl von 50.000 Demonstierenden erscheint subjektiv betrachtet als etwas überhöht.

Viele Menschen verschiedener Altersstufen hatten sich der Demonstration angeschlossen. Es gab auch einige mehr oder weniger feste Blöcke, in denen Fahnen geschwenkt und Transparente präsentiert wurden. Obwohl sicherlich wenig Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen politischen Spektren gab, blieben Spannungen untereinander aus. Das offene Motto „die Geschichte sind wir“, ein Leitsatz der auch auf dem Fronttransparent aufgedruckt war, schien konsensfähig.

Als Angehörige einer Regierungspartei beteiligte sich hauptsächlich die kommunistischen Parteien Rifondazione Comunista PCR (Partei der kommunistischen Erneuerung und die Sinistra Critica (Kritische Linke), die eine Strömung innerhalb der PCR darstellt, am Protestmarsch. .

Bereits im Vorfeld gab es allerdings Kritik an den Medien, wo in den Berichten immer wieder suggeriert wurde, das VertreterInnen dieser Pateien u.a Vittorio Agnolettos (Europaabgeordneter der Sinistra Critica) und Heidi Gulliani die geistigen Köpfe dieser Demonstration seien. Die Mutter von Carlo rückte am 12.10.2006 als parteilose Linke für die Rifondazione Comunista (PRC) in den italienischen Senat nach. Auch dem ehemaligen bekanntesten Vertreter der inzwischen aufgelösten Disobbedienti, Luca Cassaniri wurde diese Rolle als ein Sprecher und Stellvertreter dieser Protestbewegung zugesprochen.

Die meisten TeilnehmerInnen waren außerparlamentarischen Gruppen zuzuordnen. So waren verschiedene Antirepressionstiniativen vertreten z.B. das Comitato verita' e giustizia per Genova (Komitee für Wahrheit und Gerechtigkeit in Genua). Außerdem war das „Supporto Legale“ zusammen mit Indymedia für den Aufbau des Mediencenters verantwortlich.

Einen eigenen Wagen stellt die „Communita San Benedetto al Porto“ eine katholische „etwas andere Gemeinde“ aus Genua deren Gründer der Priester Don Gallo sich selbst als „engelhaft anarchistisch.“ bezeichnet und sich von Beginn an für die von der Repression Betroffenen einsetzt.

Weiterhin gab es z.B. einen größeren Block des Networks Antagonista. Hier war der rote Stern mit Hausbesetzersymbol (Kreis mit schrägem N-förmigen Blitz) häufig auf den Fahnen zu finden , die mit dem Schriftzug „Autonomia Contropotere“ unterschrieben waren. Innerhalb dieses Netzwerks sind verschiedene kommunistische, antiimperialistisch ausgerichtete Autonome organisiert. Beteiligt haben sich einige Soziale Zentren z.B. CSOA Akatsasuna, Csa Murazzi(beide aus Turin sympathisieren sehr mit dem baskischen Seperatismus), , die Gruppe Crash Bologna (deren Squat erst vor kurzem geräumt wurde) Antifas, antirassistische Fußballfans (Ultras) und einer Reihe autonomer Studierendenorganisationen. In dem Aufruf des antagonistischen Blocks wird darauf hingewiesen, dass sie es waren, die im Jahre 2001 die Barrikaden gebaut, sich die Straßenkämpfe geliefert haben, Feuer gelegt, Angriffe auf konkrete Symbole des Kapitalismus durchgeführt haben und jetzt mit erhobenen Hauptes nach Genua zurückkehren werden.

Erwähnenswert ist auch ein recht überschaubarer, aber sehr stimmungsgewaltiger Block von Rash-Skinheads (Skinheads against racial prejudice – Skinheads gegen Rassendiskriminierung)

Als Gewerkschaft waren u.a. die Cobas (Basisgewerkschaften) recht zahlreich vertreten. Auch Mitgleider der FIOM , einer Mitallarbeitergewerkschaft, die dem größten italienischen Gewerkschaftsbund CGIL angehört, schlossen sich dem Demonstrationszug an. .

Mitgegangen sind auch Aktivisten der No-TAV Bewegung, die sich für die Beendigung eines Hochgeschwindigkeitsprojekts zwischen Turin und Lyon einsetzen. Auch Fahnen von NoDalMolin, deren Protest sich gegen den Bau neuer Militärbasen in Vicenca richtet, waren auf der Demonstration zu erkennen. .

AnarchistInnen gingen entweder in kleinen Einzelgrüppchen oder zusammenhängend im Block der FAI (Federazione Anarchica Italiana) mit , eine Sektion der „Internationalen der anarchistischen Föderation“. Außerdem nahm noch eine kleine Gruppe anarchistischer HausbesetzerInnen aus Turin mit eigenem Transparent an der Demo teil. In Turin gibt es mit dem EL Paso einen sehr bekannten anarchistischen Freiraum.

Vor allen AnarchistInnen nutzen die Demo, um die längst überstrichenen Parolen an den Gebäuden von Genua zu erneuern.

Die Stimmung auf der Demo war nicht sehr kraftvoll. Alles schien guter Laune. Nicht einmal besonders laut zogen die Massen durch die Straßen. Selbst der Alkoholgenuss zahlreicher TeilnehmerInnen (vor allem Wein) hatte keinerlei Aggressionsschub zur Folge. Von den verschiedenen Lautsprecherwagen ertönten immer wieder einige Revolutionslieder, auf einem Wagen spielte eine Livepunk Band und es gab eine Blaskapelle.

Die Demonstration geriet teilweise ins Stocken, weil zuerst die zahlreich entstandenen Lücken geschlossen werden sollten. Außerdem gab es viele Nachzügler, die erst spät am Bahnhof angekommen waren. So wurde für die relativ kurze Route von wenigen Kilometern drei Stunden Stunden benötigt, die Abschlusskundgebung erreichten viele erst verspätet. Sie fand auf der Piazza die Ferrari, dem Verkehrsmittelpunkt von Genua statt. Auch hier gab es keine direkt sichtbare Polizeipräsenz, nicht einmal die zahlreich vertretenden Banken wurden geschützt. Es gab eine dem Anlass entsprechende groß dimensionierte Bühne mit entsprechender Technik. Es kam u.a. der Priester Don Gallo zu Wort. Danach gab es Live Musik u.a. von Roy Paci, Assalti Frontal und Bisca und zum Abschluss ein DJ der Regga-Klänge erschallen ließ.

Am Ende kam dann bei einigen Menschen noch richtige Party Stimmung auf, als ein Demobegleitfahrzeug, ein Transporter mit Ladeflächemit wehender Piratenflagge den Abschlusskundgebungsplatz erreichte. Es begann eine Beschallung mit blechernen, wüsten Punk-Klängen aus der Konserve, die zu euphorischen Tanz- und Pogoeinlagen einluden. Nach Ende der Veranstaltung begleiteten dann noch an die zwanzig Menschen diesen Wagen einige Kilometer durch Genua. Dieser spontane Umzug führte dann noch zu einem längeren Verkehrsstau, weil alle, wie es sich gehört, auf der Straße blieben. Auch hier trat die Polizei nicht in Erscheinung.

Die Demonstrationen schien überregional sehr erfolgreich mobilisiert zu haben. Den "historischen" Anspruch wieder grenzübergreifend „Zurück nach Genua“ zu kommen, konnte sie nicht gerecht werden. Die Verlautbarungen der Demonstrierenden waren ausnahmslos in italienischer Sprache, selbst die Reden auf der Abschlusskundgebung wurden nicht übersetzt. Das wäre aber erst dann problematisch gewesen, wenn mehr Menschen aus anderen Teilen Europas oder darüber hinaus den Aufrufen gefolgt wären.

Der Charakter der Demonstration war friedlich, die Polizei trat nur zur Verkehrsregelung in Erscheinung. Die Präfektur von Genua schien sehr um Deeskalation bemüht. Zivilbeamte waren nicht erkennbar, selbst auf das „offene“ Abfilmen der Demonstrierenden wurde verzichtet. Obwohl vorher Panik machende Arktikel in den Gazetten zu finden waren und Stimmen laut wurden die vehement aufforderten diese Demonstration zu verbieten , waren keine verbarrikadierten Geschäfte in der Stadt zu erkennen. Nicht vergessen werden sollte, dass die Repression hier mit großer Härte zuschlägt. Den Fünfundzwanzig sind von unglaublich hohen Haftstrafen bedroht, dass die Möglichkeit bestand, dass vielleicht nicht wenige Protestierende am 17. November in Genua ihre Empörung in Widerstandsaktionen umwandeln würden. Also entschieden sich die Verantwortlichen, dass sich die Exekutive völlig raus zuhalten habe, damit hier nicht noch Öl in Feuer gegossen wird.

In Deutschland hätte sich mit uns mit Sicherheit ein anderes Bild gezeigt. Ein Protestmarsch dieser Größenordnung, die Medienhetze und der Anlass der Demonstration hätten zu hektischer Betriebsamkeit in den Planstellen der Polizeizentrale geführt. In Genua gab es im Jahre 2001 sicherlich einen Polizeieinsatz der ohne weiteres als faschistisch zu bezeichnen ist und viele beteiligte Polizisten bekannten sich auch offen zu ihren rechtsextremen Wurzeln. Das ständige Aushöhlen des Demonstrationsrechts in in Deutschland sollte demgegenüber nicht verharmlost werden. Bei der parallel stattfindenden Antirepressionsdemonstration in Rostock kam es z.B. zu brutalen Übergriffen der Polizei, weil Transparente zu hoch gehalten worden sind. Soch ein kleinkarriertes, selbstherrliches Auftreten hätte in Genua sicherlich zu heftigen Gegenreaktionen geführt.
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Ergänzungen

Ergänzung

Reisende Kommunistin 20.11.2007 - 19:54
Dem Artikel ist nur wenig hinzu zu fügen. Doch bezüglich der internationalen Beteiligung an der Demonstration hatte ich einen anderen Eindruck. Besonders deutschsprachige DemonstrantInnen, vor allem aus Süddeutschland und der Schweiz, könnten immer wieder getroffen werden. Zudem habe ich auch einige Schriftzüge an den Wänden entlang der Demonstration gesehen, die etwa Freiheit für die Angeklagten von Rostock und die drei in Haft sitzenden berliner Antimilitaristen gefordert haben. Die waren zwar in italienischer Sprache, aber deutsche Parolen in einer italienischen Stadt machen schließlich keinen Sinn.

"Die Verlautbarungen der Demonstrierenden waren ausnahmslos in italienischer Sprache..."

Was hast du erwartet? Bei auf deutsch gröhlenden, linken Tourigruppen hättest du dich sicher genauso aufgeregt wie ich.

Fotos

Libertärer Reisender 20.11.2007 - 19:54
Hier noch ein weiteres Foto und zusätzlich den Rash-Block in besserer Auflösung, wäre nett wen dieses noch in den Haupttext eingebunden werden könnte.

FAI Block

Libertärer Reisender 21.11.2007 - 07:39
Weil das Bild, das einen Ausschnitt des anarchistischen FAI-Blocks zeigt in der Überschrift etwas mickrig wirkt gibt´s hier das Ganze noch einmal als Anhang....

skinhead-block

mein name 26.11.2007 - 21:42
um das richtig zu stellen: RASH bedeutet RED AND ANARCHIST SKINHEADS; nicht SKINHEADS AGAINST RACIAL PREJUDICE, wofuer naemlich SHARP steht.

Libertärer Reisender

Rasch 29.11.2007 - 14:33
Das ist richtig, dem Originaltext und dem Bild ist zu entnehmen, dass es sich um einen Sharp-Block handelt, bei der Ergänzung ist dann die Verwechselung passiert. Danke für den Hinweis....

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