Bundesweite Herbstdemo 2007 gegen Sozialabbau

Bernd Kudanek alias bjk 15.10.2007 23:44 Themen: Globalisierung Repression Soziale Kämpfe
Die Initiatoren, die "Koordinierungsgruppe Bundesweite Montagsdemonstrationsbewegung", riefen für Samstag, den 13. Oktober, zur 4. großen Herbstdemo in Berlin auf. Treffpunkt ab 11 Uhr war der Platz zwischen dem Roten Rathaus und dem Neptunbrunnen. Es kamen bei herrlich goldenem Oktoberwetter über 7.000 Menschen, die einig waren, daß der Raubbau an sozialen und demokratischen Rechten nicht nur zu beenden ist sondern daß ein menschenwürdiges Leben für alle wieder hergestellt werden muß - und zwar weltweit!
Delegationen der Montagsdemos von 120 Städten aus dem tiefsten Süden und dem höchsten Norden der BRD waren mit vielen kreativen Plakaten und kämpferischen Slogans auf Transparenten vertreten. Weil sich andere Parteien und Organisationen offiziell unverständlicherweise zurückhielten, bestimmten hauptsächlich MLPD-Flaggen das Erscheinungsbild, lediglich eine einzige Flagge von DIE LINKE fiel mir auf. Das war in 2006 (Fotobericht unter  http://www.carookee.com/forum/freies-politikforum/1/bundesweiter_Sternmarsch_2006_in_Berlin.12809869.0.01105.html ) noch anders, da wurden viele Flaggen der Linkspartei geschwenkt, dazu noch Fahnen von WASG-, attac- und Gewerkschaften in großer Zahl.

Konterkarierender elitärer Dogmatismus innerhalb der Linken mit einer gehegten und gepflegten Dauer-Feindschaft gegenüber der MLPD, schwächt das gesamte linke Spektrum ganz erheblich und legt unserem eigentlich gemeinsamen Ziel, ein menschenwürdiges Leben für alle zu erreichen, bedauerlicherweise fast unüberwindbare Hürden in den Weg. Gemessen an der Einwohnerzahl Berlins und den vielen hunderttausenden ALG2-EmpfängerInnen und anderen Prekären war wie eigentlich fast immer die Berliner Beteiligung sehr sehr mäßig.

Umso bemerkenswerter war deshalb, daß sich doch noch ein Mini-Internationaler Block gefunden hat, wo kämpferisch Revolution-, Antifa- und Totenkopf-Flaggen (St. Pauli) geschwenkt und türkische ILPS-Transparente getragen wurden. Die Bullerei sah in ihnen offenbar keine Staatsgefährdung, die sich niederzuknüppeln lohnte, und war wohl deshalb ohnehin kaum präsent.

In diesem Zusammenhang verdienen auch meine Freunde von der Hannoveraner Montagsdemo eine besondere Erwähnung, verbunden mit der Bitte um finanzielle Unterstützung bei ihrem Kampf gegen Polizeiwillkür. Am 22. Januar und am 5. Februar ist ihre allwöchentliche Demo brutal von Bullen überfallen worden, weil sie ein Offenes Mikro betrieben haben. Angeblich verstoße der Betrieb des Offenen Mikro gegen die öffentliche Ordnung, wenn sich auf der Demo weniger als 50 Personen befänden. Statt daß die staatsmachtlichen Prügelbullen, die nachweislich über- und unverhältnismäßig reagiert und erhebliche Verletzungen der DemonstrantInnen in Kauf genommen haben, selber vor Gericht angeklagt wurden, erhielten meine Hannoveraner Freunde mittlerweile Strafbefehle von jeweils über 900 Euro. Sie haben natürlich Widerspruch eingelegt. Der gesamte Vorgang ist nachzulesen unter  http://www.carookee.com/forum/freies-politikforum/1/Modemo_Hannover_erste_Strafbefehle_draussen.18431830.0.01105.html

Die, wie in den drei Jahren zuvor, sehr beeindruckende Demo verlief durchweg friedlich und führte über die Touristenmeile, Unter den Linden, bis zur Abschlußkundgebung gegen 13:30 Uhr am Brandenburger Tor. Dort sorgte ein furioser Mike Stout aus den USA mit seiner Rockband für einen klasse Demo-Sound. Die ersten zwei, drei Redebeiträge, darunter von Fred Schirrmacher, dem Gründer der Berliner Montagsdemo, verfolgte ich noch, machte ein paar letzte Fotos und begab mich dann auf den Heimweg. Leider hatte ich nicht mehr daran gedacht, daß ja noch Prof. Dr. Fink als Redner angesagt war, ihn hätte ich mir ganz gerne noch angehört. Er soll nämlich, wie ich später erfuhr, die erwartet gute Rede gehalten haben.

Abschließend und am Rande sei nicht vergessen, zu erwähnen, daß der "rasende (Fernseh-)Reporter" Frank vom "Offenen Kanal Berlin" (OKB) die Demo auf Video festgehalten und mich, was ich nicht ablehnen konnte, interviewt hat - bei laufender Kamera! Bin ja gespannt, wie dämlich ich später aus der Glotze schauen und Euch Zuschauer ankrächzen werde.

Sämtliche 184 Fotos unter:
Teil 1  http://www.carookee.com/forum/freies-politikforum/1/18628377#18628377
Teil 2  http://www.carookee.com/forum/freies-politikforum/1/18628870#18628870
Teil 3  http://www.carookee.com/forum/freies-politikforum/1/18630031#18630031
Teil 4  http://www.carookee.com/forum/freies-politikforum/1/18631262#18631262

bjk
ALG II-Unterschichtler

Forum:  http://freies-politikforum.carookee.com
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Ergänzungen

Wichtiges Thema

A 16.10.2007 - 02:23
Das Thema Arbeit rund um Hartz IV und ALG II wird leider von wirklich zu wenigen der radikalen Linken als wichtig wahrgenommen. Verknüpfungen stellen Aktionen der "Überflüssigen" dar, sowie die revolutionären 1. Mai-Kundgebungen.
Eine gemeinsame, antikapitalistische Perspektive zu entwickeln, aus der Bevölkerung heraus,
begleitet von der Erfahrung aus der radikalen Linken ist ein gutes Ziel.
Leider hat die Distanzierung oder die Vereinnahmung (je nach Perspektive) der Montags-Demos durch die MLPD dazu geführt, dass Viele der Wenigen, die das Thema sehr interessiert, auf Distanz gegangen sind. Schade.
Ein anderer Grund ist die geringe Resonanz der direkt Betroffenen bei Aktionen wie
"Agenturschluss" (Einführung von HartzIV und ALGII) zu Anfang letzten Jahres.
Ein weiterer Grund ist auch die Erfahrung des Ausbleibens direkt zu verzeichnender Erfolge des Kampfes. 100.000 in Berlin auf der Strasse gegen Hartz IV und ALGII und "irgendwie ändert sich nichts"...
Jede Woche am Montag traditionalisiertes Gelatsche durch die Innenstadt und "nix passiert/ändert sich wahrnehmbar"..
In der Analyse können wir feststellen, dass es Erfolge gibt. Diese sind kleinst, aber zumindest sickert jetzt ein Hauch der Proteste ins parlamentarische Bundestagsgekasperl.
Eine Almosendebatte um Rentnerkohle, ein Erstarken der Linkspartei und ihrer Themen, mehr Druck in Verdi und IGM.
Erfolg??? Klar, -was interessiert uns der Scheiss Bundestag. Dennoch sickert etwas. Auch in die "Mitte" der Gesellschaft. Und durch ihre Medien. Der Protest ist nicht mehr auf "kaputte" Individuen reduzierbar, er wird breit registriert.Langsam verstehen immer mehr, dass zumindest "irgendwas" nicht ganz richtig koordiniert wird "aus dem Parlament".
Die "Montagslatschdemos" und "offenen Mikrofone" auf den Kundgebungen derselben haben zu einer politischen Kontaktierung mit den Betroffenen beigetragen, bzw. haben mehr Menschen einen ersten Kommunikations/Artikulationsraum für sich entdeckt, bzw. sind darauf aufmerksam geworden ("wurden politisiert").
Es bleibt also nichts anderes übrig als uns kräftig einzumischen obwohl im Gegensatz zu Feldern wie Antifa/Antira/Nuklear/etc.. nicht mit direktem (erfolgreichem) Feedback zu rechnen ist.
Um nicht Steckenzubleiben in einer "langweiligen Schlaufe mit wenig Spass und wenig direkten Erfolgen" müssen neue Ideen her.
Gute Ansätze sind die Aktionen der Überflüssigen und Actions bei den Arbeitsämtern.
Überflüssige vielleicht in Zukunft bei Streiks/Streikkundgebungen (wär´auch mal was)..
Klar hört man des öfteren auch etwas vom Standortnationalismus und ne Menge Politsektengeseier. Doch da muss CONTRA durch, bzw. Mittenrein !

Make Capitalism History !

Free all political prisoners !

Weg mit §129a !

Niedriglohn und Zwangsarbeit, -dafür haben wir keine Zeit !



Nachtrag

bjk 16.10.2007 - 05:58
diese beiden "Überflüssigen" hätte ich doch tatsächlich fast vergessen ;)

@ A: make capitalism überflüssig!

ü_berraschungsei 16.10.2007 - 11:22
zustimmung, lieber A.
bei der berliner demo waren z.b. auch drei überflüssige
aus münchen inklusive überflüssigen-fahne vor ort.
gerade im authentischen zusammenhang mit den anti-hartzlern
sind die aktionsformen der überflüssigen sehr zündend
und bringen die leute eher auf adrenalin als die
versteinernden diskussionen über mlpd-dogmatik und dominanz.

es lebe der kreative widerst@nd.
[infos&inspiration bei  http://ueberfluessig.tk/]

Bericht der berliner Polizei

Astro 18.10.2007 - 14:54
Hier sind auch die rechtsextremen Übergriffe der letzten Tage gelistet:

Eingabe: 17.10.2007 - 15:05 Uhr
Auto angezündet
Friedrichshain
# 2980

Unbekannte zündeten gestern Abend in Friedrichshain einen „Renault“ an. Anwohner bemerkten kurz nach 21 Uhr in der Niemannstraße den brennenden Wagen der Firma „Siemens“ und löschten ihn noch vor dem Eintreffen der Feuerwehr.

Da ein politischer Hintergrund nicht ausgeschlossen werden kann, hat der polizeiliche Staatsschutz die Ermittlungen übernommen.

Eingabe: 15.10.2007 - 09:50 Uhr
Jugendliche pöbelten und schlugen zu
Pankow
# 2963

Mehrere unbekannte Jugendliche schlugen am Samstag früh auf zwei 18- und 19-jährige Männer ein und beschimpften sie sowie ihre Begleiterinnen als „Zecken“.

Die beiden ihrem Äußeren nach der linken Szene zugehörigen Paare liefen gegen 2 Uhr über die Pankebrücke an der Walter-Friedrich-Straße in Buch und wurden aus der sechs- bis siebenköpfigen Gruppe heraus angepöbelt. Anschließend schlugen die Täter die jungen Männer zu Boden, traten auf sie ein und raubten dem 19-jährigen das Handy. Beide erlitten leichte Gesichtsverletzungen, ihre Freundinnen wurden nicht verletzt. Weil ein politischer Hintergrund nicht ausgeschlossen werden kann, übernahm der Staatsschutz die Ermittlungen.

Eingabe: 14.10.2007 - 13:50 Uhr
Polizei löst Versammlung auf - mit Flaschen beworfen
Friedrichshain-Kreuzberg - Mitte
# 2955

Eine nicht angemeldete Versammlung, die gestern unter dem Motto „Schnitzeljagd gentrifiziert und verharz(4)t“ begann, endete mit Flaschenwürfen auf Polizeibeamte.

Etwa 150 bis 200 Personen, die vier Teams bildeten, versammelten sich gegen 15 Uhr in Kreuzberg und Mitte zu diesem „Geländespiel“. Die Teams zogen über die Köpenicker Straße zum Mariannenplatz, von der Skalitzer Straße zur Wrangelstraße sowie in die Alexanderstraße. Ziel der „Schnitzeljagd“ war gegen 18 Uhr 25 die Oberbaumbrücke. Dort wurde Alkohol getrunken und Musik über mitgebrachte Anlagen gespielt. Ein 21-jähriger Teilnehmer meldet einen Spontanaufzug an, der untersagt wurde, da kein Zusammenhang erkennbar war. Einem anderen 28-jährigen Mann wurde ebenfalls eine spontane Demonstration untersagt. Gegen beide ermittelt die Polizei wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz. Kurz nach 19 Uhr wurden Platzverweise an ca. 60 Personen im Bereich der Mühlen- Ecke Warschauer Straße ausgesprochen.
Zu einem erneuten Polizeieinsatz kam es gegen 19 Uhr 45, nachdem sich erneut etwa 60 Personen unterhalb der Warschauer Brücke versammelten und Musik abspielten. Während des Einsatzes kam es zu Unmutsäußerungen und Beleidigungen gegen die Polizeibeamten. Eine zufällig vorbeikommende und sich mit den Versammlungsteilnehmern solidarisierende Personengruppe bewarf die Beamten mit Flaschen. Zwei Polizeifahrzeuge wurden getroffen und leicht beschädigt. Verletzt wurde niemand. Nach Platzverweisen und einer Durchsage löste sich die Veranstaltung auf.

Eingabe: 11.10.2007 - 12:10 Uhr
Rechtsextremistisches Lied gesungen – Passant schritt ein
Steglitz-Zehlendorf
# 2926 Rechtsextremistisches Lied gesungen – Passant schritt ein

Entschlossen ist gestern Abend gegen 19 Uhr am Teltower Damm ein Passant gegen zwei Männer eingeschritten, die Texte einer verbotenen rechtsextremistischen Musikgruppe grölten. Der 31-Jährige hörte auf dem Weg zum S-Bahnhof Zehlendorf, wie die betrunkenen 23 und 31 Jahre alten Männer einen volksverhetzenden, antiisraelischen Titel von sich gaben, ging auf sie zu und forderte sie auf, den Gesang zu unterlassen.
Er wurde sofort beschimpft und einer versuchte, ihn mit der Faust zu schlagen. Der Angegriffene, der nicht getroffen wurde, setzte sich mit Pfefferspray zur Wehr und flüchtete auf den Bahnsteig des S-Bahnhofs. Er wurde von dem gleichaltrigen Angreifer verfolgt und setzte auch gegen ihn das Spray ein. In einem Betriebshäuschen der S-Bahn konnte er sich bis zum Eintreffen der Polizei in Sicherheit bringen. Die Betrunkenen wurden festgenommen. Der 23-Jährige hatte laut Atemalkoholmessung 1,6, sein Begleiter 2,4 Promille. Beide sind mit politisch motivierten Delikten polizeilich noch nicht in Erscheinung getreten.