Naziprozesse in Berlin #4

Paul 10.10.2007 22:42 Themen: Antifa
Am 9.Oktober 2007 fand in Berlin ein Naziprozess statt, der das Interesse der überregionalen Presse erregte. Dafür gab es zwei Gründe. Die Tat, die verhandelt wurde, stand im Zusammenhang mit den Protesten gegen die geplante Moschee in Berlin-Heinersdorf und die Zusammensetzung der Täter zeigt deutlich die Verknüpfungen des lokalen NPD-Verbandes mit militanten Kameradschaftsnazis.
Die Tat
Am 11. Juli fand im Berliner Bezirk Pankow eine Demonstration der Bürgerinitiative IPAHB gegen den Bau einer Moschee statt. Von den ca. 600 Demonstrationsteilnehmern, war etwa jeder vierte als Neonazi zu erkennen. Dementsprechend selbstbewusst traten die Neonazis auch auf, und konnten beim Passieren einer antifaschistischen Kundgebung nur mit Mühe daran gehindert werden, diese anzugreifen. Schon dort vorne mit dabei: René Theobald. Als die IPAHB-Demonstration in der Nähe des Pankower Rathauses mit der Abschlusskungbebung begann, löste sich eine Gruppe von 15-20 Neonazis von den Teilnehmern und begann auf Höhe eines kleinen Parks zu sprinten, um die aufmerksam gewordenen Polizisten abzuhängen. Die Gruppe bahnte sich so den Weg bis zum Garbaty-Platz am S-Bhf Pankow. Als sie von dort in die Berliner Straße abbogen, entdeckten sie eine Gruppe von sechs Jugendlichen, die sie für Linke hielten.
Sofort wurden die Jugendlichen umringt, dabei vermummte sich ein Teil der Neonazis. Die Jugendlichen, denen der Weg in alle Richtungen abgeschnitten war, wurden von den Angreifern angeschriehen und bedroht. Mehrere der Neonazis schlugen und traten dabei auf die Jugendlichen ein, bis zwei Zivilbeamte der PMS mit gezogenen Schlagstöcken den Angriff unterbrachen. Anschließend wurden 15 Angreifer festgenommen. Unter den Festgenommenen befand sich nicht nur der Anführer der verbotenen Kameradschaft Tor Björn Wild, sondern auch der aktuelle Vorsitzende der Pankower NPD.

Die Angeklagten
Bereits im August wurden in einen abgetrennten Verfahren vier Neonazis zu Strafen von 11 bis 16 Monaten verurteilt von denen drei zur Bewährung ausgesetzt wurden. Am Dienstag fand nun der erste Prozesstag des zweiten Verfahrens zu dieser Tat statt. Die Angeklagten dieses Verfahrens sind dabei keine Unbekannten. Daniel Steinbrecher (25) und Diego Pfeiffer (23) gehören dem Vorstand des Pankower NPD-Verbands an, Steinbrecher ist gar dessen Vorsitzender. Beide sind sind in der Vergangenheit mehrfach mit Bedrohungen und Gewalttaten gegen politische Gegner in Erscheinung getreten. Der Hauptangeklagte René Theobald (25) ist in die Nachfolgestrukturen der verbotenen Kameradschaft Tor, "Freie Kräfte Berlin", eingebunden. Auch die drei weiteren Angeklagten, Kai Milde (25), Robert Winkler (23) und Marco Kühnauer (41) hatten Mühe, ihre Verpflechtungen in die Berliner Naziszene zu verbergen. Kühnauers 15-jähriger Sohn Tobias, der ebenfalls festgenommen wurde, verfügt über gute Kontakte zur Berliner Kameradschaftsszene.

Das Vorfeld des Prozesses
Der Hauptangeklagte René Theobald sitzt seit der Tat im Juli im Gefängnis. Für ihn organisierte die Berliner Kameradschaftsszene eine kleine Solidaritätskampagne. Auf Aufklebern und Plakaten wurde "Freiheit für René" gefordert. Im August fand am Gerichtsgebäude in Moabit ein Neonaziaufmarsch mit ca. 50 Teilnehmern statt. Das alles wurde von dem Zusammenhang der "Freien Kräfte Berlin" organisiert und durchgeführt.
Die Pankower Naziszene entschied sich für eine andere Strategie. Wie die Nebenklage während des ersten Prozesstages ausführte, wurden in der vergangenen Woche in Pankow Aufkleber der "Autonomen Nationalisten Berlin [ANB]" verklebt, auf denen den Prozesszeugen offen gedroht wurde. Die Frage der Nebenklage, ob Daniel Steinbrecher im Zusammenhang mit den ANB schon aufgefallen sei, konnte ein befragter Polizist nicht verneinen. Die Namen, so die Anwältin, kann nur durch die Prozessakten an die lokale Naziszene gelangt sein.

Der Prozess
Zusammen mit den Angeklagten Pfeiffer und Steinbrecher fanden sich zehn Neonazis am Gericht ein, unter ihnen die bekannten Nazischläger Dennis Eister, Alexander Basil und Andy Fischer. Letzere versuchten anwesende Antifaschisten zu fotografieren. Weiteren Neonazis wurde der Einlass verwehrt, nachdem sie mit Prozessbeobachtern vor der Tür eine Rangelei anfingen.
Zu Beginn des Prozesse hatten die Angeklagten die Möglichkeit, Stellung zu den Vorwürfen zu beziehen. René Theobald ließ durch seinen Anwalt eine Erklärung verlesen, in der er zugab an dem Angriff beteiligt gewesen zu sein, jedoch keine Gewalt gegen die Opfer ausgeübt zu haben. Robert Winkler bestätigte, sich mit der Gruppe von der Demonstration entfernt zu haben, bestritt aber an dem Angriff beteiligt gewesen zu sein. Er sei mit seinem Freund Kai Milde, Marco Kühnauer und dessen Sohn Tobias erst dazugestoßen, als die Polizei schon die Angreifer von den Opfern trennte. Ähnlich äußerten sich auch Milde und Kühnauer, der angab schon gegenüber der Polizei umfassende Aussagen, über die Angreifer gemacht zu haben und sich von "diesen extremistischen Auswüchsen" distanzierte. Er hatte sich mit seinem Sohn und drei weiteren Neonazis am S-Bhf Lichtenberg getroffen, um mit dem Auto nach Pankow zu fahren. Steinbrecher und Pfeiffer (verteten durch Wolfram Narath, einem bekannten Neonazianwalt und ehemals Führungsfigur der verbotenen Wiking-Jugend) bestritten, dass sie an der Auseinandersetzung beteiligt gewesen seien und verweigerten weitere Aussagen.

Im Anschluss kam einer der Angegriffenen zu Wort, er schilderte das Geschehen an diesem Tag, beschrieb, wie er zwei Tritte und einen Schlag von den um ihn herum stehenden Neonazis abbekam und beobachtete, dass auch sein Bekannter neben ihm von einem Schlag getroffen ins Wanken geriet, bevor sie sich aus der Gruppe befreien konnten. Der Angriff sei aus dem Schutz der 15 köpfigen Gruppe passiert, der Rest der Gruppe hätte wild geschrieen und drohende Gesten gemacht. Bis heute hätte er Angstgefühle, wenn er in Pankow unterwegs sei.
Die nachfolgende Befragung zweier Polizisten, die damals als PMS links die antifaschistische Kundgebung beobachten sollten, bestätigten diese Version. Die Gruppe der 15 Neonazis sei geschlossen auf die Jugendlichen losgegangen, es wären keine Unbeteiligten gefolgt. Die Polizisten hätten aus ihrem Auto heraus in der Gruppe der Neonazis die Angeklagten Milde, Steinbrecher sowie Björn Wild erkannt, weil diese ihnen als Angehörige der rechten Szene bekannt waren. Trotz der gerufenen Aufforderung, sich zurückzuhalten, gingen die Neonazis zum Angriff über. Die Polizisten widersprachen somit den Aussagen der Neonazis.
Nachdem weitere Polizisten dazustießen wurden die Angreifer festgesetzt und wurden verhaftet.
Zu den Angeklagten befragt, äußerte ein Polizist, dass ihm besonders Steinbrecher als Mitglied der rechten Szene und dort im Zusammenhang mit der verbotenen Kameradschaft Tor bekannt wäre.

Die weiteren beiden Prozesstage sollen nun die Rolle des Haupttäters René Theobald klären und dann das Urteil über die sechs Neonazis fällen. Bis dahin wird er weiter in Haft bleiben und die anderen fünf Neonazis auf freiem Fuß.

Presse zum Prozesstag:
 http://www.welt.de/berlin/article1248488/Schwarz_gekleidet_und_vermummt.html
 http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=117464&IDC=5
 http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/print/berlin/692823.html&cid=1106418457
 http://www.tagesspiegel.de/berlin/%3Bart270%2C2396518&cid=1106418457
 http://www.taz.de/index.php%3Fid%3Dberlin-aktuell%26dig%3D2007/10/10/a0166%26src%3DUA%26id%3D820%26cHash%3D570a157976&cid=1106418457

Weitere Infos:
zu Steinbrecher und der NPD:  http://de.indymedia.org/2007/08/191440.shtml
zu der letzen Demonstration in Heinersdorf:  http://de.indymedia.org/2007/07/187651.shtml &  http://de.indymedia.org/2007/07/187659.shtml

Vergangene Naziprozesse:
Nummer 1:  http://de.indymedia.org/2007/03/171875.shtml
Nummer 2:  http://de.indymedia.org/2007/05/178021.shtml
Nummer 3:  http://de.indymedia.org/2007/06/185830.shtml

Die Fotos sind alle von der IPAHB-Demo am 11.7. in Pankow.
Quelle Bild 4: Stressfaktor August 2007
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Ergänzungen

"freie kräfte" & anb?

ernst 11.10.2007 - 09:44
sehr schöner bericht!
du schreibst, dass die pankower szene eine andere strategie verfolgt, als die tor/freie kräfte. gab es nicht ziemlich große überschneidungen zwischen tor und den anb? zugespitzt: war nicht anb lediglich die "signatur" bei propagandaaktionen der tor? oder sind das wirklich zwei unterschiedliche gruppen mit unterschiedlichen herangehensweisen?

Ergänzungen

____/\______ 11.10.2007 - 12:36
1) Die Junge Welt hat auch was geschrieben:  http://www.jungewelt.de/2007/10-11/059.php

2) [ANB] ist natürlich keine feste Gruppierung, sondern ein Label, dass Neonazis benutzen, wenn die Veröffentlichung für den eigenen Gruppennamen zu heikel ist (Outings, Bedrohungen,...). Zur Zeit der Schöpfung dieses Labels (vor 3-4 Jahren) konnten dem unter anderem Björn Wild (Lichtenberg), Daniel Meinel (Friedrichshain), Dirk Müller (Pankow) zugeordnet werden, also klar der Kameradschaft Tor und ihrem politischem Umfeld.
In Pankow lief [ANB] schon immer über Andy Fischer und sein Umfeld. Also auch Diego Pfeiffer, Martin Stelter, Alexander Kaminski und andere.

3) Join your local Antifa:
Antifa Kleinpankow //  http://www.antifakp.de.vu
Antifa Prenzlauer Berg //  http://antifa-pberg.de.vu/
Antifaschistische Initiative Weinrotes Prenzlauer Berg //  http://www.aiwp.de.vu
Antifaschistische Schüler_innen-Vernetzung //
Emanzipative & Antifaschistische Gruppe //  http://www.antifa-pankow.de.vu
North East Antifashists //  http://nea.antifa.de

Nächste Verhandlung

Richter 11.10.2007 - 15:19
Die nächste Verhandlung findet am 30.10.2007, 09.00 Uhr, im Saal 502 statt!

Die PMS Zivis waren tatsächlich mal ganz nützlich! Ich glaube auch wirklich wenn die nicht eingegriffen hätten, wären unsere Genossen schwerer verletzt worden. Außerdem wurden so 15 Nasen festgenommen!

Urteile

Bollmann 22.11.2007 - 22:13

Schläger nach Übergriff auf Linke verurteilt


Vier Monate nach den Ausschreitungen am Rande einer Kundgebung gegen den Bau einer Moschee in Pankow hat das Amtsgericht Tiergarten sechs rechte Schläger zu Bewährungs- und Haftstrafen verurteilt. Ein bereits wegen Gewaltdelikten vorbestrafter 25-Jähriger muss für 16 Monate ins Gefängnis.

Aktuelle Nachrichten - Berlin (ddp-bln). Vier Monate nach den Ausschreitungen am Rande einer Kundgebung gegen den Bau einer Moschee in Pankow hat das Amtsgericht Tiergarten sechs rechte Schläger zu Bewährungs- und Haftstrafen verurteilt. Ein bereits wegen Gewaltdelikten vorbestrafter 25-Jähriger muss für 16 Monate ins Gefängnis. Die restlichen Angeklagten im Alter von 23 bis 41 Jahren erhielten ebenfalls wegen gefährlicher Körperverletzung Bewährungsstrafen zwischen fünf und zwölf Monaten. Zwei der Angeklagten sollen Mitglieder der rechtsextremen NPD sein.

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Angeklagten nach einer Kundgebung gegen den Bau der Ahmadiyya-Moschee im Pankower Ortsteil Heinersdorf zwei linke Gegendemonstranten angegriffen haben. Die Männer hätten sich vermummt und aus einer Gruppe von rund 20 Personen ihre Opfer eingekreist, geschlagen und getreten. Der 18-Jährige und sein Freund wurden dabei leicht verletzt. Nur durch das Einschreiten der Polizei habe Schlimmeres verhindert werden können, betonte der Richter.

Drei Angeklagte müssen zusätzlich 200 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten. Der mit 41 Jahren älteste Angeklagte muss zudem je 1000 Euro Schmerzensgeld an die Opfer zahlen. Insgesamt 15 Personen konnten nach den Ausschreitungen festgenommen werden. Vier weitere Mittäter wurden bereits zu Bewährungs- und Haftstrafen verurteilt. Ein Verfahren gegen fünf Jugendliche steht noch aus.

(ddp) Quelle: ad-hoc-news 06.11.07

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