BMJ und Ex-Verfassungsrichter stimmen Jung zu

close reading 20.09.2007 13:02 Themen: Militarismus Repression
Eine Zwischenbilanz über die Flugzeug-Abschuß-Diskussion nach der gestrigen Bundestags-Debatte


Wer/welche oberflächlich liest, müßte meinen, die Jung-Pläne seien nach der gestrigen Bundestags-Debatte vom Tisch. Wer/welche genau liest merkt, daß in der Sache praktisch gar kein Dissens besteht, sondern SPD und zumindest auch Teile der parlamentarischen Opposition Jung nur übel nehmen, daß er ausspricht, was alle denken. Nach einem Bericht der Welt hat auch das SPD-geführte Bundesjustizministerium (BMJ) eine Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage zu den Jung-Äußerungen mitgezeichnet; in der Antwort heißt es: „Den Worten des Bundesverfassungsgerichts kann nicht entnommen werden, dass es der Bundesregierung untersagt ist, terroristische Angriffe abzuwehren, die auf die Beseitigung des Gemeinwesens und die Vernichtung der staatlichen Rechts- und Freiheitsordnung gerichtet sind. Darauf nimmt die Ministeräußerung Bezug.“ Auch der Richter, der im BVerfG für die Vorbereitung des Urteils zu dieser Frage zuständig war, soll nach dem Welt-Bericht Jung mehr oder minder zugestimmt haben.
Die Bundestagsdebatte

Wer/welche oberflächlich liest – insbesondere die SPD-nahe Frankfurter Rundschau – müßte meinen, die Jung-Pläne seien nach der gestrigen Bundestags-Debatte vom Tisch: „Die FDP darf es auf den Punkt bringen: ‚Die Mehrheit des Deutschen Bundestages steht nicht hinter den Aussagen des Verteidigungsministers’, resümiert Guido Westerwelle am späten Mittwochnachmittag die aktuelle Stunde des Bundestags. ‚Ja, nicht einmal die Mehrheit der Regierung steht zu den Worten Franz Josef Jungs.’“ Und ein paar Sätze weiter unten in dem gleichen FR-Bericht: „viele aus Reihen der SPD und selbst einige Unionsabgeordnete [würden] beim Auftritt des Verteidigungsministers am liebsten vor Scham im Boden versinken.“ (1) Ähnlich formuliert die Süddeutsche Zeitung. (2) Und auch die taz frohlockt: „Jungs erneute Abschussvisionen stießen im Lager der Opposition, aber auch beim Koalitionspartner SPD umgehend auf Empörung.“ (3) Selbst die FAZ betitelt ihren Bericht über die Bundestags-Debatte über die Jung-Äußerungen mit der Überschrift: „Alleingelassen“ (4)

Wer/welche nicht nur die Überschriften und die ersten paar Sätze der Berichte liest, erhält allerdings genauere Informationen. Bei der FAZ bspw.: „Die Debatte förderte auch das Ringen in der großen Koalition über die Einbeziehung der Bundeswehr in den inländischen Kampf gegen den Terror zutage. Die SPD ist von ihrer alten Haltung, dass die Bundeswehr im Inland keine militärischen/hilfspolizeilichen Sicherheitsaufgaben wahrzunehmen habe, abgerückt, aber der Union reicht das Entgegenkommen gegenüber ihrer langjährigen Forderung nicht. […]. Die SPD sieht, dass die Union in der Sache nicht unbegründet redet – die Gefahr, die heute noch nicht besteht, kann morgen schon gegenwärtig sein. […].“

Nur konsequent ist es da, daß – nach einem Bericht der Welt – auch das SPD-geführte Justizministerium eine die Jung-Äußerungen verteidigende Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage zu den Jung-Äußerungen mitgezeichnet hat. In dem Welt-Bericht heißt es:

„Er könne doch nicht, sagte Jung mehrmals, tatenlos zusehen, wenn ein entführtes Passagierflugzeug in ein voll besetztes Fußballstadion gesteuert werde. Justizministerin Brigitte Zypries widersprach diesem Ansinnen, ließ sich aber auf Gespräche mit Jung und Schäuble über ein ‚Luft- und Seesicherheitsgesetz’ auf Arbeitsebene ein. Ein WELT ONLINE vorliegendes Papier aus dem Innenministerium vom Mai 2007 listet den bisherigen Diskussionsstand auf. Brisant ist dabei die geforderte Neuregelung des Grundgesetz-Artikels 87 a, Absatz 2. In dem internen Papier heißt es: ‚Das BMI will durch Schaffung einer neuen rechtlichen Kategorie (Einsatz zur unmittelbaren Abwehr eines Angriffs auf die Grundlagen des Gemeinwesens) die Grundlage für Maßnahmen der Streitkräfte zur Abwehr terroristischer Bedrohungen schaffen, bei der notfalls auch das Leben Unbeteiligter geopfert werden soll (Abschuss Passagierflugzeug).’ Zypries ist gegen diesen Schritt. Doch ihr Ministerium hat sich jetzt erstaunlicherweise hinter Jung gestellt. Das ergibt sich aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Frage des FDP-Abgeordneten Rainer Stinner. Für das Kabinett antwortete der Parlamentarische Verteidigungs-Staatssekretär Thomas Kossendey (CDU): ‚Den Worten des Bundesverfassungsgerichts kann nicht entnommen werden, dass es der Bundesregierung untersagt ist, terroristische Angriffe abzuwehren, die auf die Beseitigung des Gemeinwesens und die Vernichtung der staatlichen Rechts- und Freiheitsordnung gerichtet sind. Darauf nimmt die Ministeräußerung Bezug.’ Nach Informationen von WELT ONLINE ist diese Antwort vom Justizministerium und vom Innenministerium intern gegengezeichnet worden. Stinner hatte gefragt, ob die Bundesregierung folgende Ansicht Jungs teile: ‚Wenn eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben der Bevölkerung besteht, würde ich aufgrund übergesetzlichen Notstandes den Befehl geben, das Flugzeug abzuschießen.’“ (5)

Und wenn wir in dem oben schon zitierten FR-Bericht noch etwas weiterlesen, erfahren wir: Am Ende entscheidet sowieso nicht der Minister, sondern ein einzelner General wird machen, was er will: „Gerade Militärpraktiker sind es, die den Vorstoß des Hessen nicht verstehen. Schließlich habe sich Jung dazu verstiegen, einen extrem hypothetischen Fall zu konstruieren und daran eine konkrete Ministerentscheidung festzumachen. Ein früheres Regierungsmitglied wundert sich, weshalb der Verteidigungsminister das Thema überhaupt aufgebracht hat. Schließlich ordne ein Minister in der Praxis in solchen Situation ohnehin schon aus Zeitgründen gar nichts an. Der zufällig Dienst habende General habe zu entscheiden. Vielleicht, so eine wohlmeinende Deutung, wolle Jung ja der Generalität für den Notfall ein etwas sichereres Gefühl zu verschaffen. Per vorauseilendem Versuch, die eigene Gewissensentscheidung zu simulieren.“ Müssen wir da nicht Minister Jung fast dankbar sein, daß er den BürgerInnen reinen Wein einschenkt?

Reiner Wein – nicht jedermann/frau/s Sache

Und genau dies stört die meisten Jung-KritikerInnen – daß er reinen Wein einschenkt:

Hören wir den SPD-Sicherheitsexperten Arnold: „‚Man soll nicht über Dinge reden, die nicht geregelt werden können’, sagte SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold. Die Diskussion schade der großen Koalition.“ (taz) Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Reinhold Robbe (SPD), warnt bei Fortsetzung der Debatte könnte „hier ein Loyalitätsverlust entsteh[en]“ (5a).

So ähnlich hört es sich laut Berliner Tagesspiegel bei Sabine Leutheusser-Schnarrenberger an: „Jungs Äußerungen erweckten den Eindruck, ‚als hätte es das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht gegeben’, wonach das rot-grüne Gesetz zu Luftsicherheit gegen die Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes verstößt. Es sei nach diesem Urteil ‚undenkbar’, den Fall gesetzgeberisch zu regeln; den ‚übergesetzlichen Notstand’, auf den Jung sich berufen wolle, dürfe man nicht antizipieren.“ (6) Man/frau darf es nicht regeln; es gibt den „übergesetzlichen Notstand“, aber man/frau darf ihn nicht antizipieren? Aber machen soll man/frau ‚es’ (den Abschuß) schon? Wird er gemacht werden?

Bei der taz erfahren wir dazu immerhin: „Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) bleibt dabei, im Notfall ein Passagierflugzeug unter Berufung auf ‚übergesetzlichen Notstand’ abschießen zu lassen. Er habe den Amtseid geschworen, ‚Schaden vom deutschen Volk’ abzuwenden, sagte Jung am Mittwoch in einer Aktuellen Stunde im Bundestag.“ Da die Bundeskanzlerin Jung nicht durch Köhler entlassen läßt, wird es dann wohl gemacht werden – es sei denn es formiert sich noch Widerstand, der nicht auf schaumschlägerischer Empörung, sondern auf einer präzisen Analyse der Lage beruht.

Das Verfassungsgerichts-Urteil

Und: Die Jung-KritikerInnen scheinen alle an einer Leseschwäche zu leiden:

Die FR zitiert den niedersächsischen CDU-Landesvorsitzenden Wulf: „Nach dem Karlsruher Urteil könnten Verkehrsflugzeuge nicht abgeschossen werden.“ Laut FAZ hatte der SPD-Chef Beck schon kürzlich verkündet: „Jungs Äußerung sei in keiner Weise mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz in Einklang zu bringen.“ „Auch Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) zeigte keinerlei Verständnis für ihren Kabinettskollegen ‚Wir haben eine Verfassungsgerichtsentscheidung, die uns solcher Diskussionen völlig enthebt’.“ (7) Ähnliche Glaubenssätze können wir auch in der Süddeutschen und der FR lesen (8).

Auch die taz, die vor ein paar Tagen schon mal ziemlich genau über den tatsächlichen Inhalt des Verfassungsgerichts-Urteil berichtet hatte (9), formuliert nun wieder verwaschen: „Einhellig verwiesen sie auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar dieses Jahres. Damals hatte Karlsruhe eine Regelung des rot-grünen Luftsicherheitsgesetzes beanstandet, die den Abschuss entführter Flugzeuge explizit erlaubte.“ Was soll das heißen? Es darf nicht „explizit“ erlaubt werden? – aber implizit schon?!

Wer/welche das Urteil genau liest wird sehen: Das Bundesverfassungsgericht selbst hat Minister Jung seine Argumentation mehr oder minder nahegelegt: Sowohl der „übergesetzliche Notstand“ als auch Jungs Argumentation mit einer „gemeine[n] Gefahr […] oder […] Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ (10) sind dort vorgedacht (s. dazu die Analyse bei  http://delete129a.blogsport.de/ [11]).

Laut Welt hat dies auch der Richter, der im Bundesverfassungsgericht für die Vorbereitung des Urteils zum Flugzeug-Abschuß zuständig war, bestätigt. Die Welt schreibt in dem schon zitierten Bericht: Dem SPD-Politiker „Arnold wäre es lieber, in einem solchen Fall würde der Verteidigungsminister ohne entsprechende Rechtsgrundlage entscheiden. So argumentierte unlängst auch der jüngst ausgeschiedene Bundesverfassungsrichter Dieter Hömig, der als Berichterstatter das Urteil gegen das rot-grüne Luftsicherheitsgesetz vorbereitet hatte. Trotzdem, so sagte er, hoffe er darauf, dass es schließlich ein Verantwortlicher auf sich nehme, das Notwendige zu vollziehen und die Last eines Rechtsverstoßes persönlich auf sich zu nehmen. Ein Verfassungsrichter also, der hofft, dass seine Urteile im Falle des Falles ignoriert werden – Jung ist zu verstehen, wenn er Klarheit verlangt.“

Und etwas Weiteres wird in dem genannten Bericht bei delete129a deutlich: Während Leutheusser-Schnarrenberger in der Bundestags-Debatte vor einer „Amerikanisierung des deutschen Rechts“ warnte, ist die Berufung auf einen übergesetzlichen Staatsnotstand vielmehr ein deutsche Tradition, die weitaus älter als „Guantánamo“ ist und die sich mindestens bis zu Carl Schmitt, einem wichtigen und wohl der bekannteste Jurist sowohl der Weimarer als auch der Nazi-Zeit, der im Hintergrund auch für die Nachkriegs-Rechtswissenschaft der BRD prägend blieb, zurückverfolgen läßt. (Den Vergleich zwischen den Positionen von Jung und Schmitt hat im übrigen auch Ex-Innenminister Baum [FDP] aufgemacht – allerdings mit etwas anderer Argumentation als bei delete129a. [12]).

Zur Einschätzung

Nicht verhehlt sei, daß die Position von Ex-Richter Hömig, SZ-Kommentator Prantl (s. noch einmal FN 6) u.a. durchaus etwas für sich hat. Wenn der Abschuß gesetzwidrig (und zivilrechtlich u.U. schadenersatzpflichtig) bleibt und nur aufgrund einer übergesetzlichen Konstruktion die individuellen Täter (Soldaten und anstiftender Minister) ausnahmsweise straffrei bleiben, ist dies etwas anderes und gemahnt vielleicht zu vorsichtigerem Handeln, als wenn der Abschuß legalisiert wird und der Staat offiziell eine entsprechende Kompetenz bekommt.
Aber: Wenn sich der ganze Streit auf diese Differenz reduziert, dann sollte dies doch bitte sehr auch den BürgerInnen genau erklärt werden (Prantl macht es ziemlich genau) und Jung mit weniger Empörung kritisiert werden.
Und noch ein Aber: Auch gegen die ‚individualistische’ Lösung bleibt immer noch ein gewichtiger Einwand, und das Verfassungsgericht hatte dieses Problem in seinem Urteil (13) durchaus durchgesehen (aber trotzdem Jung die beiden genannten Wege gewiesen):

„Die Vereinigung Cockpit hält die Verfassungsbeschwerde für begründet. Geeignetheit und Erforderlichkeit des § 14 Abs. 3 LuftSiG, der den Einsatz von tödlicher Gewalt auch gegen Unbeteiligte erlaube, seien zweifelhaft. Der terroristische Erfolg eines Renegade-Angriffs sei von zahlreichen Unwägbarkeiten abhängig. Schon die Feststellung eines erheblichen Luftzwischenfalls im Sinne des § 13 Abs. 1 LuftSiG sei im Hinblick auf die tatsächlichen Abläufe des Flugverkehrs äußerst schwierig und nur selten mit Gewissheit möglich. Die bei der Überprüfung von Luftfahrzeugen nach § 15 Abs. 1 LuftSiG gewonnenen Erkenntnisse seien selbst bei idealer Wetterlage allenfalls vage. Die mögliche Motivation eines Flugzeugentführers und die Ziele einer Flugzeugentführung blieben bis zuletzt spekulativ. Eine auf gesicherte Tatsachen gestützte Entscheidung über einen Einsatz nach § 14 Abs. 3 LuftSiG komme angesichts des zur Verfügung stehenden knappen Zeitfensters im Zweifel zu spät. Deshalb funktioniere die Konzeption der §§ 13 bis 15 LuftSiG nur, wenn von vornherein im Übermaß reagiert werde.“ (Absatz-Nr. 68)

„Die Unabhängige Flugbegleiter Organisation UFO teilt die mit der Verfassungsbeschwerde vorgetragenen Bedenken. Der Abschuss eines Zivilflugzeugs sei unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt gerechtfertigt. Das Ziel des Luftsicherheitsgesetzes, die Sicherheit des Luftverkehrs und den Schutz der Zivilbevölkerung vor terroristischen Angriffen zu erhöhen, werde zwar unterstützt. Dafür seien aber noch lange nicht alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft. Zudem bestehe die Gefahr, dass von der Erde aus die Situation an Bord falsch eingeschätzt werde. Dort könne praktisch nicht beurteilt werden, ob die Voraussetzungen des § 14 Abs. 3 LuftSiG vorlägen. Die Informationen, die der Bundesminister der Verteidigung für seine Entscheidung benötige, den Abschuss eines Flugzeugs anzuordnen, stammten nicht aus der direkten Gefahrenzone an Bord des Flugzeugs. Es seien nur indirekte Informationen, die der Pilot vom Kabinenpersonal erhalten habe, das sich womöglich in der Gewalt von Terroristen befinde. Abgesehen davon könne sich die Lage an Bord in Sekundenschnelle ändern und dies wegen der langen Kommunikationswege möglicherweise nicht schnell genug dem Boden mitgeteilt werden.“ (Absatz-Nr. 69 f.)

„(1) Vor allem die Vereinigung Cockpit hat darauf hingewiesen, schon die Feststellung, dass ein erheblicher Luftzwischenfall im Sinne des § 13 Abs. 1 LuftSiG vorliegt und dieser die Gefahr eines besonders schweren Unglücksfalls begründet, sei je nach Sachlage von großen Unsicherheiten geprägt. Diese Feststellung könne nur selten mit Gewissheit getroffen werden. Neuralgischer Punkt bei der Lagebeurteilung sei, inwieweit die möglicherweise betroffene Flugzeugbesatzung den Versuch oder den Erfolg der Entführung eines Luftfahrzeugs den Entscheidungsträgern am Boden noch mitteilen könne. Gelinge das nicht, sei die Tatsachengrundlage von Anfang an mit dem Makel einer Fehlinterpretation behaftet. Auch die Erkenntnisse, die durch Aufklärungs- und Überprüfungsmaßnahmen nach § 15 Abs. 1 LuftSiG gewonnen werden sollen, sind nach Auffassung der Vereinigung Cockpit selbst bei idealer Wetterlage allenfalls vage. Der Annäherung von Abfangjägern an ein auffällig gewordenes Luftfahrzeug seien im Hinblick auf die damit verbundenen Gefahren Grenzen gesetzt. Die Möglichkeit, die Situation und die Geschehnisse an Bord eines solchen Luftfahrzeugs zu erkennen, sei deshalb selbst bei - zudem oft nur schwer herstellbarem - Sichtkontakt eingeschränkt. Die auf den ermittelten Tatsachen beruhenden Einschätzungen hinsichtlich Motivation und Zielen der Entführer eines Luftfahrzeugs blieben unter diesen Umständen im Allgemeinen wohl bis zuletzt spekulativ. Die Gefahr bei der Anwendung des § 14 Abs. 3 LuftSiG liege infolgedessen darin, dass der Abschussbefehl auf ungesicherter Tatsachengrundlage zu früh erteilt werde, wenn der Einsatz von Waffengewalt im Rahmen des zur Verfügung stehenden, im Regelfall äußerst knappen Zeitfensters überhaupt noch rechtzeitig mit Aussicht auf Erfolg und ohne unverhältnismäßige Gefährdung unbeteiligter Dritter vorgenommen werden solle. Damit ein solcher Einsatz wirkungsvoll sei, müsse deshalb von vornherein in Kauf genommen werden, dass die Maßnahme möglicherweise gar nicht erforderlich sei. Es werde mit anderen Worten häufig wohl mit Übermaß reagiert werden müssen.
(2) Anhaltspunkte dafür, dass diese Einschätzung auf unrealistischen und daher unzutreffenden Annahmen beruhen könnte, sind im Verfahren nicht hervorgetreten. Im Gegenteil hat auch die Unabhängige Flugbegleiter Organisation UFO nachvollziehbar ausgeführt, dass die vom Bundesminister der Verteidigung oder seinem Vertreter nach § 14 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 3 LuftSiG zu treffende Entscheidung auf der Grundlage weitgehend ungesicherter Informationen gefällt werden müsse. Wegen der komplizierten und fehleranfälligen Kommunikationswege einerseits zwischen Kabinenpersonal und Cockpit an Bord eines in einen Luftzwischenfall involvierten Luftfahrzeugs und andererseits zwischen Cockpit und den Entscheidungsträgern am Boden sowie im Hinblick darauf, dass sich die Lage an Bord des Luftfahrzeugs innerhalb von Minuten, ja Sekunden ändern könne, sei es für diejenigen, die auf der Erde unter extremem Zeitdruck entscheiden müssten, praktisch unmöglich, verlässlich zu beurteilen, ob die Voraussetzungen des § 14 Abs. 3 LuftSiG vorliegen. Die Entscheidung könne deshalb im Regelfall nur auf Verdacht, nicht aber auf der Grundlage gesicherter Erkenntnisse getroffen werden. Diese Bewertung erscheint dem Senat nicht zuletzt deshalb überzeugend, weil das komplizierte, mehrfach gestufte und auf eine Vielzahl von Entscheidungsträgern und Beteiligten angewiesene Verfahren, das nach den §§ 13 bis 15 LuftSiG durchlaufen sein muss, bis es zu einer Maßnahme nach § 14 Abs. 3 LuftSiG kommen kann, im Ernstfall einen nicht unerheblichen Zeitaufwand erfordern wird. Angesichts des verhältnismäßig kleinen Überfluggebiets Bundesrepublik Deutschland besteht deshalb nicht nur ein immenser zeitlicher Entscheidungsdruck, sondern damit auch die Gefahr vorschneller Entscheidungen.“ (Absatz-Nr. 126-129)

Wenn trotz alldieser Unsicherheit ein Abschuß mit welcher Konstruktion auch immer juristisch legalisiert oder meta-juristisch legitimiert werden soll, dann scheint also das Hauptmotiv der VerfechterInnen derartiger Lösungen nicht der Schutz der Bevölkerung am Boden zu sein, sondern um jeden Preis Handlungsfähigkeit des (Rechts)staats beweisen zu wollen: „Nichts stellt den Rechtsstaat mehr in Frage als die Feststellung, er sei einer derartigen Bedrohung wehrlos ausgeliefert.“ (Minister Jung lt. TSP). Und genau dieses Problem – daß es im deutschen Rechtsstaat wieder einmal nicht um den Schutz der Individuen vor dem Staat, sondern um den Schutz des Staates geht – wird in der bisherigen Debatte viel zu wenig gesehen.


Weitere Informationen:
Grundgesetz:
 http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/gg/gesamt.pdf

Strafgesetzbuch:
 http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/stgb/gesamt.pdf

BVerfG-Urteil zum Luftsicherheitsgesetz:
 http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20060215_1bvr035705.html

Wikipedia zum „übergesetzlichen Notstand“:
 http://de.wikipedia.org/wiki/%C3%9Cbergesetzlicher_Notstand

delete129a zum „übergesetzlichen Notstand“:
 http://delete129a.blogsport.de/category/uebergesetzlicher-notstand/

Wikipedia zu Carl Schmitt:
 http://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Schmitt

Informationen bei dejure.org zu Notwehr und Notstand (§§ 32 - 35 StGB) sowie Schuldunfähigkeit (§§ 19 – 21 StGB):
 http://dejure.org/gesetze/StGB

Zu den jüngsten Flugzeug-Abschuß-Plänen von Ministerin Zypries (SPD):
„Zypries will Abschuss unbemannter Flugzeuge ermöglichen“ ( http://www.tagesspiegel.de/politik/Deutschland-Innere-Sicherheit-Terrorismus;art122,2383388); „Zypries will unbemannte Terror-Jets zum Abschuss freigeben“ ( http://fr-online.de/top_news/?em_cnt=1213481); Zypries: Flugzeug-Abschuss in bestimmten Fällen ( http://www.sueddeutsche.de/,ra1l1/deutschland/artikel/4/133753/); „Auch Zypries will Abschuss von Terror-Jets ermöglichen“ ( http://www.welt.de/politik/article1198303/Auch_Zypries_will_Abschuss_von_Terror-Jets_ermoeglichen.html)



Quelle:

(1)  http://fr-online.de/top_news/?em_cnt=1213145.

(2) „Die Forderungen von Bundesinnenminister Schäuble und Verteidigungsminister Jung, in Terrorabsicht entführte Passagierflugzeuge notfalls abschießen zu dürfen, sind in der Großen Koalition höchst unterschiedlich aufgenommen worden. Heftige Kritik kam von Seiten der SPD – aber auch in der CDU regte sich Widerstand.“ ( http://www.sueddeutsche.de/,tt2l2/deutschland/artikel/991/133741/).

(3)  http://www.taz.de/index.php?id=start&art=4911&id=deutschland-artikel&src=AR&cHash=23e21dae42.

(4)  http://www.faz.net/s/Rub7FC5BF30C45B402F96E964EF8CE790E1/Doc~EC99433AC76224B719165E3CAE5B3FAAF~ATpl~Ecommon~Scontent.html.

(5)  http://www.welt.de/politik/article1197231/Das_geplagte_Gewissen_des_Ministers_Jung.html.

(5a)  http://fr-online.de/top_news/?em_cnt=1213481.

(6)  http://www.tagesspiegel.de/politik/Innere-Sicherheit;art771,2383224; auf der gleichen Linie argumentiert auch SZ-Kommentator Herbert Prantl:  http://www.sueddeutsche.de/,tt2m2/deutschland/artikel/948/133698/,  http://www.sueddeutsche.de/deutschland/artikel/948/133698/2/M; vgl. dazu die Erläuterungen bei  http://delete129a.blogsport.de/2007/09/19/flugzeug-abschuss-ein-streit-um-nichts/. Ebenso Bundesjustizministerin Zypries: „Abgelehnt wird eine so weit gehende Grundgesetzänderung nach wie vor von der SPD, allerdings aus unterschiedlichen Gründen. Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz hält eine Verfassungsänderung für überflüssig, weil die Bundeswehr heute schon aus dem Ausland kommende Flugzeuge “zur Verteidigung” abschießen dürfe. Justizministerin Brigitte Zypries lehnt dagegen jede Ausweitung und Neuinterpretation des Verteidigungsfalles ab. Ein Verteidigungsminister könne sich beim Abschuss eines Jets nur auf sein Gewissen berufen. Wie das Franz Josef Jung gestern ankündigte.“ ( http://www.taz.de/index.php?id=start&art=4728&id=deutschland-artikel&src=SZ&cHash=1130d1b845).

(7) Beide Äußerungen (Beck und Zypries) laut:
 http://www.faz.net/s/Rub594835B672714A1DB1A121534F010EE1/Doc~EB92A92E841834C4080EED56B289783B3~ATpl~Ecommon~Scontent.html.

(8) „Zwischen den Äußerungen von Struck und Jung aber liegen vier Jahre, ein Regierungswechsel und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2006. Die Richter haben damals unmissverständlich klargemacht, dass das noch von Minister Struck initiierte Luftsicherheitsgesetz mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sei. Es könne keinen von der Verfassung gedeckten Befehl zum Abschuss einer mit Passagieren besetzten Maschine geben, urteilten die Richter, - auch wenn das Flugzeug von Terroristen in ein Hochhaus oder in ein Atomkraftwerk gesteuert werden soll.“ ( http://www.sueddeutsche.de/deutschland/artikel/453/133205/). „Die ‚verfassungsrechtliche Klarstellung’, die Jung jetzt erneut einfordert, hat Karlsruhe damals gegeben. Unmissverständlich. Es sei ‚schlechterdings unvorstellbar’, heißt es im Urteil, dass der Staat unschuldige Menschen vorsätzlich töte. Wer ein entführtes Flugzeug zum Abschuss freigebe, degradiere dessen Passagiere und Besatzung zu bloßen Objekten einer Rettungsaktion, verletze also ihre Menschenwürde nicht weniger als die Täter.“ ( http://fr-online.de/in_und_ausland/politik/meinung/kommentare/?em_cnt=1211284&).

(9) „Mit seiner Äußerung verstößt Jung nicht gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Die Richter haben keine Anweisung für den Fall gegeben, dass ein entführter Passagier-Jet gezielt in ein AKW oder ein vollbesetztes Fußballstadion gelenkt werden soll. Sie haben nur eine gesetzliche Regelung verboten, die einen Abschuss in solchen Fällen ausdrücklich erlaubt. Schon in ihrer Entscheidung von 2006 deuteten die Richter an, dass ein Verteidigungsminister und die Piloten nach einem Abschuss straflos ausgehen könnten – wenn ein ‚übergesetzlicher Notstand’ vorliegt. Viele halten das Karlsruher Urteil deshalb für scheinheilig.“ ( http://www.taz.de/index.php?id=start&art=4728&id=deutschland-artikel&src=SZ&cHash=1130d1b845). Auch die FR war schon einmal dicht an der Wahrheit dran: „Franz Josef Jung ist nicht blöd, und dass es in seinem Verteidigungsministerium versierte Juristen gibt, dürfen wir annehmen. Man wird dem Mann also keineswegs gerecht, wenn man annimmt, er laufe ohne Sinn und Verstand Amok gegen das Grundgesetz mit seinem neuen Vorstoß zum Abschuss gekaperter Flugzeuge. Das tut er nicht, […].“ ( http://fr-online.de/top_news/?em_cnt=1211823&).

(10)  http://www.focus.de/politik/deutschland/flugzeugentfuehrung_aid_132959.html.

(11)  http://delete129a.blogsport.de/2007/09/19/aamazone-uebergesetzliche-staatsnotwehr-a-eine-deutsche-tradition/ (html);  http://delete129a.blogsport.de/images/UebergesetzlicheStaatsnotwehr.pdf (pdf).

(12) „sueddeutsche.de: Sie haben gesagt, das erinnere Sie an den Nazi-Juristen Carl Schmitt. Warum?
Baum: Schmitt hatte die Vorstellung, dass im Ausnahmezustand nicht das Recht entscheiden könne. Das Recht befinde sich dann nach seiner Auffassung auch im Krieg und wird ein Teil davon. Das ist eine fatale Entwicklung, die neben Jung noch von einem anderen Bundesminister vorangetrieben wird, nämlich von Wolfgang Schäuble. Der hat die gezielte Tötung von Verdächtigen in die Diskussion gebracht. Das ist alles nicht mehr rechtsstaatlich. Das ist Kriegsrecht.“ ( http://www.sueddeutsche.de/,tt2l3/deutschland/artikel/843/133594/).
Baum ist allerdings leicht zu korrigieren. Schmitt hatte nicht „die Vorstellung, dass im Ausnahmezustand nicht das Recht entscheiden könne.“ Vielmehr hatte Schmitt die Vorstellung, daß im Ausnahmezustand nicht das Gesetz entscheiden könne und daß es ein Ausnahmerecht gebe, ein „Recht des übergesetzlichen Notstandes“ wie sich Jung ausdrückt, das über dem Gesetz steht.

(13)  http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20060215_1bvr035705.html.
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Ergänzungen

I C H H A B E N I C H T R E C H T !

close reading 20.09.2007 - 19:09

egal gibt mir zwar recht, habe ich habe nicht recht! Ich habe mich auf die Schnelle vertan, sorry.

Erst denken, dann schreiben geht also an mich selbst.


Eine Notstandshandlung nach § 34 StGB (rechtfertigender NotSTAND) ist nicht nur entschuldigt, sondern rechtmäßig.

Eine bloße Entschuldigung tritt dagegen im Falle des § 35 StGB (entschuldigender NOTSTAND) ein, der in Bezug auf den Flugzeugfall in aller Regel nicht interessant ist, weil es beim § 35 StGB um einen Angriff auf die eigene Person, "eine[n] Angehörigen oder eine andere [...] nahestehende Person" handeln muß. Für die eigene Person kommt - unter engeren Voraussetzungen - auch noch der § 32 (NotWEHR) in Betracht; in dem Fall ist die Tat wiederum gerechtfertigt (und nicht nur entschuldigt).


Ich hatte den § 34 StGB mit einer Konstruktion von Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung verwechselt, der zusätzlich zu den beiden gesetzlichen Notstandsfällen (die für das Zug/GleisarbeiterInnen-Problem von egal völlig ausreichen) noch einen ÜBERgesetzlichen Notstand annehmen will - und zwar für bestimmte Fälle, in denen die von § 34 geforderte Abwägung nicht zugunsten des Täters / der Täterin ausgeht ("handelt nicht rechtswidrig, WENN bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt"). Bei dem Flugzeugfall liegt das Problem mindestens bei dem "Grad der [...] drohenden Gefahren"; der Abschuß ist auf jedem Fall tödlich. Was die hypothetischen Flugzeug-EntführerInnen wollen, dürfte dagegen bis zum letzten Moment ungewiss sein.

S. dazu  http://delete129a.blogsport.de/2007/09/19/flugzeug-abschuss-ein-streit-um-nichts/

(einleitende Erklärung, dann kommt erst eine Kurzmeldung aus der FR und dann der fragliche Artikel von Prantl aus der Süddeutschen. Ist nicht meine Position, was Prantl da schreibt, aber er erklärt gut den Unterschied zwischen seiner und Jungs Position!).

Für die Prantl-Konstruktion gilt genauso wie für gesetzlichen Regelung: Der Strafanspruch des Staates wird begrenzt; aber keine Kompetenz des Staates geschaffen.

Mods, löscht mal bitte diese juristischen

Ausführungen 20.09.2007 - 21:13
Ist ja schlimm, mit welcher Arglosigkeit und welchen Fehlinterpretationen, hier von einigen Panik verbreitet wird!


@ close reading


Lies die Entscheidung des BVerfG richtig 135/136/137/138/139 richtig : eine Einstandspflicht des Bürgers, dass eine Hinnahme und Duldung eines staatlichen Eingriffs (hier das sich abknallen lassen müssen), außerhalb der Regelungen der Notstandsverfassung, besteht in den Fällen des Mißbrauchs eines Flugzeugs als Waffe nicht, da in diesem Einzel/Unglücksfall der Staat als Ganzes in seinem Bestand nicht beseitigt werden kann.

Ein Passagier dieses Flugzeugs, der in diesem Unglückfall, einen anfliegen BW Abfangjäger, abschiessen würde (alles tatsächlich total unwahrscheinlich) würde rechtmässig handeln und müsste den staatlichen Eingriff auf sein unschuldiges Leben nicht dulden: er müsste sich nicht abknallen lassen. Seine Handlung wäre nach § 32 StGB gerechtfertigt, da der staatliche BW Abfangjägers das Leben des unschuldigen Passagiers zu schützen hat und ein Angriff des BW Abfangjägers auf das Flugzeug und ihn rechtswidrig ist.

Und noch etwas: einen übergesetzlichen Notstand gibt es nicht: dieses politische Instrument, dass so oft in der deutschen Geschichte mißbraucht wurde, tritt in immer dann in Erscheinung, wenn politische Ereignisse außerhalb der staatlichen Rechtsordnung erzwungen werden sollen.



Mods: löscht bitte diese ganzen, auch falschen, juristischen Ausführungen: sie verwirren mehr, als sie klären.

@Ausführungen: Erkläre uns doch mal bitte,

Neugierig 22.09.2007 - 07:21

w a r u m du anderer Ansicht bist:

„Mit seiner Äußerung verstößt Jung nicht gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Die Richter haben keine Anweisung für den Fall gegeben, dass ein entführter Passagier-Jet gezielt in ein AKW oder ein vollbesetztes Fußballstadion gelenkt werden soll. Sie haben nur eine gesetzliche Regelung verboten, die einen Abschuss in solchen Fällen ausdrücklich erlaubt. Schon in ihrer Entscheidung von 2006 deuteten die Richter an, dass ein Verteidigungsminister und die Piloten nach einem Abschuss straflos ausgehen könnten – wenn ein ‚übergesetzlicher Notstand’ vorliegt. Viele halten das Karlsruher Urteil deshalb für scheinheilig.“ (  http://www.taz.de/index.php?id=start&art=4728&id=deutschland-artikel&src=SZ&cHash=1130d1b845).

Auch die FR war schon einmal dicht an der Wahrheit dran: „Franz Josef Jung ist nicht blöd, und dass es in seinem Verteidigungsministerium versierte Juristen gibt, dürfen wir annehmen. Man wird dem Mann also keineswegs gerecht, wenn man annimmt, er laufe ohne Sinn und Verstand Amok gegen das Grundgesetz mit seinem neuen Vorstoß zum Abschuss gekaperter Flugzeuge. Das tut er nicht, […].“ (  http://fr-online.de/top_news/?em_cnt=1211823&).

Hattest du das eigentlich gelesen, bevor du deine "Ergänzung" geschrieben hast?!

Koalitionsstreit - viel Lärm um nichts

delete129a 22.09.2007 - 09:04


Warum der “Streit” in der Regierungskoalition nur Schall und Rauch ist - Keine Entwarnung hinsichtlich der Pläne von Schäuble, Jung & Co.
Administrator am 22. September 2007 in Diskussion 0 Kommentare

“VON TISSY BRUNS - Am Ende einer lauten Woche herrscht Ruhe. Man hat sich getroffen, Fehler bekannt, gegenseitige Rügen ausgesprochen, weil der Ton zu grob und mancher Auftritt zu rüde war. Die Kanzlerin hat mit allen Streithähnen ein ernstes Wörtchen gesprochen, man ist wieder quitt, und SPD-Chef Kurt Beck befindet, dass die große Koalition bis 2009 halten wird. Das ist untertrieben. Denn heimlich hat man sich in der SPD-Spitze und noch heimlicher hat sich die Bundeskanzlerin mit dem Gedanken arrangiert, dass man sich nach Lage der Parteienlandschaft auch nach der nächsten Wahl wahrscheinlich in gleicher Konstellation wiederfinden wird. Dieses Land, schwant Angela Merkel, will im Ernstfall nicht Schwarz-Gelb werden, aus Sehnsucht nach Gerechtigkeit. Die SPD hat ihre liebe Not mit kleinen Partnern, bei der Linken hat sie sich selbst die Hände gebunden, und die Grünen exerzieren gerade vor, wie schnell sie vergehen kann, die Regierungsfähigkeit. […]. Die ungewissen Bedingungen einer Fünf-Parteien-Landschaft schwächen nicht nur den Ehrgeiz zu neuen Mehrheitsbildungen. Die Volksparteien sind politisch mattherzig geworden. Ihr Wettlauf zielt nicht mehr darauf, das Land zu irgendeinem Ufer zu führen. Er konzentriert sich darauf, wer wie viele Prozente vor dem Zwangspartner liegt, wenn das Volk, der unberechenbare Souverän, das nächste Mal zuschlägt. Die größte Gemeinsamkeit dieser Koalition ist inzwischen die Angst vor den Wählern.”
(Quelle: http://www.tagesspiegel.de/zeitung/Titelseite-Grosse-Koalition;art692,2384765)

Unterschiede machen

neugierig 22.09.2007 - 17:41
noch einmal @Dein Name (16:11 Uhr)


1.

Was du zu Art. 35, 87a, 115a ff. erklärst, ist ja alles schön und gut. Das ist IM MOMENT geltendes Verfassungsrecht.

Daraus folgt aber keine Grenze für VerfassungsÄNDERUNGEN.

Eine Grenze für Verfassungsänderungen ergibt sich allein aus Art. 79 III:

"Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig." ( http://bundesrecht.juris.de/gg/art_79.html).

Davon sind in Bezug auf das Flugzeug-Problem allein die "Grundsätze" (!) in Art. 1 GG relevant (d.h. 'nicht-grundsätzliche' Änderungen sind zulässig).

(Wir müssen hier nicht die Auslegung von Art. 1 GG durch das BVerfG diskutieren. Dass die durchaus nicht so toll ist, hat close reading in Bezug auf die Abtreibungs-Rechtsprechung des BVerfG schon angedeutet.)

Nehmen wir nur mal an, in Art. 1 GG stände das drin, was das BVerfG im ERSTEN Schritt sagt (Abschuss unzulässig), dann bleibt davon als Grenze einer Verfassungsänderung nichts übrig, wenn das BVerfG - wie von ihm selbst als Möglichkeit schon in den Raum gestellt - als ZWEITEN Schritt eine ÜBERverfassungsmäßige oder verfassungs-immanente, ungeschriebene (oder wie auch immer genannte) "Einstandspflicht", sich im Flugzeug-Fall abschiessen zu lassen, konstruiert.

Was mich anbelangt: Ich halte das für Quatsch. Ich hänge der 'altertümlichen' Auffassung an, das in der Verfassung nur das steht, was dort auch tatsächlich geschrieben ist.

Nur: Das BVerfG sieht das anders. Es operiert von Anbeginn mit ungeschriebenen "Leitbildern", "Prinzipien", blabla - und hätte deshalb mit SEINEM Methodenverständnis auch kein Problem selbst Art. 1 I und 79 III auszuhebeln.

Soweit so schlecht.


2.

Du schreibst: "der Abschuß an sich würde ein strafrechtliches Handlungsunrecht begründen: einen tatbestandmäßigen, rechtswidrigen Totschlag. Über die strafrechtliche Schuldfähigkeit damit Straflosigkeit kommt man in diesem Fall auch nur mit einer Konstruktion, die das geltende Gesetz nämlich so auch nicht vorsieht."

Da stimme ich dir mit meinem Methodenverständnis zu. Nur die Gerichte sehen das anders:

Die vom BVerfG zitierte Entscheidung OGHSt 1, 321 betrifft lt. Wikipedia einen Fall des ÜBERgesetzlichen Notstandes ( http://de.wikipedia.org/wiki/%C3%9Cbergesetzlicher_Notstand, Abschnitt "schuldausschließend Pflichtenkollision").

Und zu den Abhöraktionen 1975 - 77 im Stammheimer Knast sahen das die Gericht auch anders:
 http://delete129a.blogsport.de/2007/09/17/uebergesetzlicher-notstand-in-stammheim-1975-1977/ (am Ende des Textes von Bakker-Schut).


3.

Du fragst: "Was glaubst du, warum Rot/Grün den Fall genau über Art. 35 GG geregelt haben wollte:"

Aus dem gleichen Grund, aus dem Schmidt 1977 keinen Ausnahmezustand ausrufen wollen, während dies rechtsaußen Leute des parlamentarischen Spektrums forderten:

Ganz grob gesagt: Weil die sozialdemokratische Linie ist: Konflikte klein reden; Verpolizeilichung, Entpolitisierung.
Während die konservative Linie ist: Antagonismen nicht vertuschen, Militarisierung, den Feind als Feind und nicht als Kriminellen behandeln.

(Ist natürlich alles etwas komplizierter - aber tendenziell so.)

Was Linke, wenn sie zugleich RevolutionärInnen, von den beiden Linien halten sollen, ist im übrigen gar nicht so einfach zu sagen. Beide Linien habe ihre Vor- und Nachteile.






Jung & Schäuble v.a. auf pol. entgegentreten!

"Amazone 24.09.2007 - 07:58

Danke für die Blumen, aber bitte meine Kritik am BVerfG nicht vergessen!


Spiegel-Leser globalequity schreibt:

„Das BVerfG hat weder einen Abschuss von Passagierflugzeugen verboten, noch erklärt es solche per se als Verstoß gegen die Menschenwürde […], noch verwehrt es die Berufung auf übergesetzlichen Notstand – im Gegenteil: es lässt diesen Ausweg offensichtlich bewusst offen […]. Essentiell ist diese (neutrale!) Schilderung der Sachlage:  http://de.indymedia.org/2007/09/194779.shtml sowie horizonterweiternd:  http://delete129a.blogsport.de/2007/…che-tradition/)“ ( http://forum.spiegel.de/showthread.php?p=1493321#post1493321).

Vielen Dank für die Blumen. Wir kommen zwar zu einer ähnlichen – wenn wohl auch nicht vollständig gleichen – Analyse des BVerfG-Urteils. Ich halte aber das Urteil für falsch. Globalequity hält es dagegen für richtig und hält es wohl auch für richtig, den dadurch entstandenen Spielraum für einen Flugzeug-Abschuss zu nutzen. Deshalb hier noch (einmal) Folgendes zur Klarstellung – unter I. zu den juristischen Fragen und unter II. zu der politischen Frage (Teil II. dürfte auch ohne vorheriger Lektüre von Teil I. verständlich sein):

I. Zur (Grund)gesetzeslage

[…]

8. Zusammenfassung

Um hier nach noch einmal meine Analyse von BVerfG-Urteil und Verfassungsrechtslage zusammenzufassen:

a) Wie bereits in meinem vorhergehenden Text ausgeführt, hat das BVerfG Jung seine beiden Argumente hinsichtlich „übergesetzlicher Notstand“ und „gemeiner Gefahr“ (Jung) bzw. Gefahr für das „Staatsganze“ (BVerfG) selbst in den Mund gelegt.

b) Beide Argumente sind aber falsch, weil es einen solchen Notstand im StGB und eine aus einer solchen Gefahr abgeleitete „Einstandspflicht“ nicht gibt. Übergesetzliche und übergrundgesetzliche Konstruktionen sind abzulehnen.

c) Selbst, wenn man/frau die Figur des „übergesetzlichen Notstandes“ akzeptiert, folgt daraus nur die Straffreiheit von Abschuss und Abschussaufforderung, aber nicht die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Abschusses.

d) Der Gesetzgeber ist keinesfalls gehindert, den Abschuss durch Verfassungsänderung nicht nur straffrei, sondern auch (verfassungs)rechtmäßig zu machen.

e) Ich tendiere zwar dahin, (als Schlussfolgerung aus Art. 102 GG) eine einfachgesetzliche Einführung des Abschusses für unzulässig zu halten. Mit einer erheblichen Wahrscheinlichkeit würde das BVerfG aber sogar ein neues einfaches Gesetz, das anders als das alte begründet ist (überverfassungsmäßige „Einstandspflicht“ statt Art. 35 GG) akzeptieren.

Das heißt: Den Plänen von Jung und Schäuble muss in erster Linie auf politischer Ebene entgegengetreten werden.

II. Zur politischen Beurteilung

An einer Stelle äußert sich globalequity nicht nur zur Rechtslage, sondern auch zu seiner eigenen politischen Position:

„Ich sehe eine gewisse Inkonsequenz und Doppelmoral darin, den Ernstfall nicht verfassungsrechtlich geregelt zu haben. Wenn Jung gestern sinngemäß meint, einem Rechtsstaat würde gut zu Gesicht stehen das Problem mit eigenen Mitteln zu lösen, anstatt auf außergesetzliche Normen zurückzugreifen (was geschehen würde), stimme ich ihm schon zu.“ ( http://forum.spiegel.de/showthread.php?p=1488409#post1488409)

Diese „Inkonsequenz und Doppelmoral“ entsteht überhaupt nur, wenn man/frau über(verfassungs)gesetzmäßige Lösungen akzeptiert. Nach den wirklichen, z.Z. gültigen Gesetzen wäre ein Abschuss nichts anderes als Totschlag (vielleicht sogar Mord). Statt zu außergesetzlichen Mitteln zugreifen, sollte sich Jung einfach an das Gesetz (§§ 212, 212 StGB) halten. Dann gibt es auch keine „Inkonsequenz und Doppelmoral“.

Auch in der Sache ist der Abschuss abzulehnen. Wie close reading bei indymedia ausführlich dargelegt hat, besteht praktisch keine Möglichkeit rechtzeitig sicher einschätzen zu können, ob es sich um eine normale Flugzeugentführung handelt oder ob das Flugzeug als Waffe eingesetzt werden soll ( http://media.de.indymedia.org/media/2007/09//194780.pdf, 4 f.). Bei einem Abschuss würde die Tötung von EntführerInnen, Besatzung und Passagieren also praktisch auf einen bloß Verdacht hin erfolgen. Daher kann ich mich auch dem Fast-Schlusssatz von close reading anschließen:

„Wenn trotz alldieser Unsicherheit ein Abschuß mit welcher Konstruktion auch immer juristisch legalisiert oder meta-juristisch legitimiert werden soll, dann scheint also das Hauptmotiv der VerfechterInnen derartiger Lösungen nicht der Schutz der Bevölkerung am Boden zu sein, sondern um jeden Preis Handlungsfähigkeit des (Rechts)staats beweisen zu wollen“ (S. 5).

PS.:

Lesenswert ist in der Tat die globalequity zitiert Presseerklärung des CDU-Abgeordneten Gehb. Hinsichtlich der auch von Gehb aufgemachten Unterscheidung ex ante – ex post gilt allerdings auch in dem Fall das oben in I.7. Gesagte:

„17.09.2007 | 17:47 Uhr

Gehb: Ex-Justizministerin unfähig, Urteil zu lesen

Berlin (ots) - Zu den heutigen Äußerungen der ehemaligen Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (Flugzeug-Abschüsse/Interview Bundesverteidigungsminister) erklärt der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Jürgen Gehb MdB:
Als Rechtspolitikerin hat sich die ehemalige Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger völlig disqualifiziert, da sie zum wiederholten Male die falsche Behauptung verbreitet, das Bundesverfassungsgericht habe einen Abschuss verboten. Wer als verantwortliche FDP-Rechtspolitikerin die Bürger so täuscht, weil man unfähig ist oder gar wissentlich falsch ein Urteil liest, sollte sich aus der Rechtspolitik verabschieden.
Das Bundesverfassungsgericht hat am 15.02.2006 die vom Gesetzgeber ex ante eingeräumte Erlaubnis für nichtig erklärt, aber damit nicht einen Abschuss verboten! Eine ex post Betrachtung unter politischen und strafrechtlichen Gesichtspunkten ist bewusst offen gelassen worden (Randnummer 130: „Dabei ist hier nicht zu entscheiden, wie ein gleichwohl vorgenommener Abschuss und eine auf ihn bezogene Anordnung strafrechtlich zu beurteilen wären“). […].“
( http://www.presseportal.de/pm/7846/1050532/cdu_csu_bundestagsfraktion)

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