MarsTV vor Gericht

Effbee 23.07.2007 13:58 Themen: Atom Medien Repression

Am vergangenen Dienstag fand in Lüneburg ein Prozess gegen die niedersächsische Bereitschaftspolizei statt. Hintergrund waren mehrere Polizeimaßnahmen u.a. gegen AktivistInnen des kreativen Straßentheaters "MarsTV". EinE Magdeburger AktivistIn hatte die Klage vor dem Verwaltungsgericht angestrebt.

Polizei behinderte Versammlungs- und Kunstfreiheit

Sommer-Wendland-Camp 2006. Am 25. Juli ziehen mehrere Dutzend AktivistInnen vor das Tor des Zwischenlagers für hochradioaktive Abfälle in Gorleben, um dort zu protestieren. Es ist eine bunte Gruppe, die dort agiert - einige demonstrieren nur, andere machen ein "Die-In", wieder andere führen ihren eigenen Schabernack mit der die Atomanlagen bewachenden Polizei. Eigentlich eine Situation, wie sie häufiger während des Camps war. Einige AktivistInnen überlegen sich, gemeinsam das Straßentheater "MarsTV" machen zu wollen.

Vor Ort ist die Polizei - wie so oft - mit der Situation überfordert und lässt erstmal alles zu, regelt den fast nicht vorhandenen Verkehr um die recht flächendeckende Blockade. Die MedienaktivistInnen "vom Mars" interviewen einige DemonstrantInnen, "stürzen" sich dann aber vor allem auf die PolizeibeamtInnen, die überwiegend erfolglos versuchen vorzuschreiben, was die Leute hier tun und lassen sollen. Eine Gruppe AktivistInnen beginnt auf dem BesucherInnen-Parkplatz eine "Dekontamination" vorzunehmen - Fahrzeuge und auch die Schuhe von PassantInnen werden mit Lappen von kontaminierten radioaktiven Staub symbolisch gereinigt.

Die Polizei meint nun, durchgreifen zu müssen und versucht die Aktion zu unterbinden. MarsTV interviewt weiter, fragt die PolizistInnen zu ihrem Tun aus und nervt offensichtlich auch nicht unwesentlich. So kommt auch die Fernsehtruppe vom Mars in den Fokus der "OrdnungshüterInnen". Sie werden festgehalten, ihre Identität wird festgestellt (entnervte PolizistInnen sollen später in den Protokollen festhalten, dass sie auf die Frage, woher die Leute kämen, mehrfach die Behauptung "vom Mars" vorgesetzt bekommen hätten) und später erhalten sie einen Platzverweis für den Einfahrt-Bereich und den BesucherInnen-Parkplatz. EinE AktivistIn wird sogar bis in die Lüchower Polizeikaserne verschleppt, wo sie ihre Rolle unbeeindruckt weiterspielt und die BeamtInnen halb in den Wahnsinn treibt.

MarsTV begibt sich nun - in neuer Besetzung - nach Lüchow, tritt dort noch mehrfach auf, AktivistInnen besuchen die Kaserne und fordern die Freilassung der Gefangenen. Ein Transparent in den Bäumen vor der Polizei macht auf die dummen Polizeimaßnahmen aufmerksam. Die AktivistIn wird inzwischen freigelassen, nachdem ein intelligentes Polizeiwesen den Sprachcode "knackt" und statt nach dem Personalausweis nach einem Hologramm oder ähnlichem fragt. Plötzlich zeigt sich, dass die vorher mit ihr befassten BeamtInnen einfach nur unfähig waren, aus einem Portemonnaie einen Ausweis herauszunehmen, sie hatten dieses bereits in der Hand gehabt.

Klage gegen die Polizei

Eine MarsTV-AktivistIn erhob kurz nach den Polizeimaßnahmen Klage gegen die Identitätsfeststellung und den Platzverweis. Die schriftliche Auseinandersetzung dauerte fast ein Jahr - da wurde Akteneinsicht genommen, die Polizeiverwaltung versuchte zu rekonstruieren, warum die Maßnahmen doch rechtmäßig gewesen sein könnten. Am vergangenen Dienstag, den 10. Juli fand in Lüneburg die Hauptverhandlung statt. Es sollte ein Prozess werden, der die Aktionsform MarsTV bekannter macht und die Lügen und Straftaten-Konstruktionen der Polizei aufdeckt. Davon war das Verfahren reichlich gespickt, wie allein schon die Akten zeigten.

Die Polizeimaßnahmen, insbesondere der Platzverweis, waren rechtswidrig, da sie einen unerlaubten Eingriff in eine Versammlung darstellten. Erst vor kurzem hatte das Bundesverfassungsgericht in einem anderen Fall geurteilt: "Maßnahmen, die die Teilnahme an einer Versammlung beenden - wie ein Platzverweis oder eine Ingewahrsamnahme - sind rechtswidrig, solange nicht die Versammlung gemäß § 15 Abs. 3 VersG aufgelöst oder der Teilnehmer auf versammlungsrechtlicher Grundlage von der Versammlung ausgeschlossen wurde." (BVerfG - 1 BvR 1090/06 vom 30. April 2007)

Das musste auch die Polizei wissen und war nun in der Situation sich rechtfertigen zu müssen. Meistens wehren sich die Opfer von Polizeiattacken nicht, so ist der Polizeialltag gefüllt mit Platzverweisen ohne Rechtsgrundlage und anderem. Wenn sich jemand dagegen zur Wehr setzt - wie hier mit einer Klage - wird der Lügenapparat aktiv. Da werden Straftaten erdacht, Protokolle gefälscht und Tatsachenbehauptungen erfunden. So auch in diesem Fall:

  • Es lag keine "Gefahr" vor, die aber sowohl das niedersächsische "Sicherheit und Ordnung Gesetz" (SOG) als auch die Strafprozessordnung (StPO) für die Vornahme von Maßnahmen voraussetzen. Das bestätigten die ausführenden BeamtInnen bereits am 25. Juli 2006, als sie auf die Nachfrage, welche Gefahr sie hier sehen würden, keine Antwort gaben. Auch der Vermerk im Protokoll der Gewahrsamnahme ist hier deutlich: "polizeilicher Anlass: Sommercamp 2006 in Gedelitz". Wenn das nicht mal ein wasserfester Grund ist.
  • Die Erteilung eines Platzverweises ist auch ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Polizei die Einfahrt und den Parkplatz des Zwischenlagers als öffentlichen Raum betrachtete, ansonsten wäre ein "Hausverbot" ausgesprochen worden. Nun aber lautet die Begründung der Polizeiangriffe: "Hausfriedensbruch" (§ 123 StGB)
  • Da die Polizei weiß, dass sie rechtswidrig gehandelt hat, denkt sie sich einen Strafantrag aus: Der Betreiber des Zwischenlagers hätte einen "mündlichen" Strafantrag gestellt, daher sei sie tätig geworden (ohne kann die Polizei einen Hausfriedensbruch gar nicht so einfach verfolgen, da es sich um ein sogenanntes "Antragsdelikt" handelt - es muss also ein Strafantrag von der "Geschädigten" vorliegen). Komisch nur, dass die Akte nichts dergleichen hergibt. Es gibt auch kein Ermittlungsverfahren und keine Vorladungen. Ein Schreiben der Gesellschaft für Nuklearservice, das zum Inhalt hat, dass kein Strafantrag gestellt wird, gibt einen weiteren Hinweis darauf, dass hier ein Verfahren ausgedacht wurde. Die Idee mit dem "mündlichen Strafantrag" ist allerdings geschickt, da nicht beweisbar. Die wichtigste Grundlage für die Strafermittlung ist nicht aktenkundig gemacht worden - unglaubwürdig, aber es funktioniert. So wurde zwar angeregt, die Person vorzuladen, die den Antrag gestellt haben soll und dazu zu befragen, das Gericht ging darauf jedoch nicht ein.
  • Am 28. Februar 2007 log die Polizei sogar recht offensichtlich, als sie erklärte, es handele sich hier um ein "laufendes Ermittlungsverfahren". Das Schreiben der GNS lag bereits seit Mitte August 2006 vor, aus der Akte ist nicht erkennbar, dass es überhaupt jemals ein solches Verfahren gegeben haben könnte. - Aber die Polizei braucht etwas, um sich aus dem Schlamassel ihrer rechtswidrigen Arbeitsweise herauszumanövrieren, und erfindet daher die Straftat.
  • Die Polizei behauptete in den Akten, die AktivistInnen hätten den "juristischen Zaun" überstiegen, was suggeriert, ein Hindernis sei gezielt überwunden worden. Tatsächlich gibt es in der Einfahrt keine konkrete Stelle, die als Grundstücksgrenze gekennzeichnet wäre.
  • Bereits im schriftlichen Vorverfahren halluzinierte die Polizei etwas davon, "dass keine Versammlung erkennbar" gewesen sei. Klar - ein Demonstrationszug, kostümierte Personen, politische Aktionen sind alles kein Hinweis auf eine Versammlung, wenn keine Transparente mitgeführt werden. Diese Tatsachenverdrehung erscheint als reine Schutzbehauptung, sie hat natürlich die Versammlung als solche erkannt, aber versucht sich nun aus der für sie ungünstigen Rechtslage herauszureden.

Der "Hausfriedensbruch" ist eine nachträgliche Schutzbehauptung der Polizei, um ihre Rechtsbrüche zu verschleiern. Zu keinem Zeitpunkt war die Polizei an die AktivistInnen herangetreten, sie hatte sich überhaupt nicht interessiert gezeigt. Die Polizei dagegen behauptet immer irgendwas, schließlich muss sie im Recht sein.

Allerdings konnte gar kein Hausfriedensbruch vorliegen, da es sich bei dem strittigen Bereich um die Einfahrt des Zwischenlagers handelte, die nicht eingezäunt ist (der Straftatbestand "Hausfriedensbruch" erfordert eine Einfriedung), sondern eine offene Einmündung zum Tor und zum BesucherInnen-Parkplatz bildet. Hilfsweise konstruiert sie einen "juristischen Zaun", der erst die virtuelle Linie sein soll, die die Grundstücksgrenze darstellt. Vor Gericht weicht die Darstellung der Polizeidirektion Lüneburg dann davon wieder ab (war womöglich zu absurd), dafür wird suggeriert, die AktivistInnen seien über einen anderen Zaun geklettert.

Der Verhandlungsverlauf war recht unspektakulär. Im Verlauf von etwa einer Stunde wurden die Vorwürfe an die Polizei vorgetragen, die recht entrüstet reagierte. Das Gericht (drei hauptamtliche RichterInnen und zwei weitere ehrenamtliche) wirkte - zumindest auf der persönlichen Ebene - aufgeschlossen, den kritischen Zurechtweisungen an die Polizei seitens der KlägerIn folgte von einigen RichterInnen immer wieder auch amüsierte Zustimmung.

Für die Urteilsbildung war das allerdings egal. Denn das stand schon fest. Der Vorsitzende Richter machte das dadurch deutlich, dass er in seiner abschließenden Bewertung der dargestellten Positionen der Erörterung, dass das Gericht nicht zuständig sein könnte, erhebliches Gewicht zukommen ließ. Darauf hatte die Polizei spekuliert: wenn Strafverfahren mitspielen, kann das Verwaltungsgericht sich für nicht zuständig erklären. Damit hätte dann die Polizei gewonnen, denn vor dem Amtsgericht wird es zu keiner öffentlichen Verhandlung kommen. Und ein eigenes Strafverfahren führt diese - logischerweise - nicht.

Ein beliebter Trick bei Klageversuchen gegen Polizeimaßnahmen ist es, die Zuständigkeit von Verwaltungsgerichten zu verneinen. Üblich ist, die Polizeimaßnahme scheinbar auf die Strafprozessordnung zu stützen. Dabei reicht der Verdacht einer Straftat in der Regel aus - jedenfalls nach Meinung der Gerichte. Sprich: Die Polizei behauptet einfach, sie hätte im Moment der Festnahme, Kontrolle ... gedacht, die betroffene Person hätte irgendeine Straftat begangen - und schon ist nicht mehr das Verwaltungsgericht, sondern das Amtsgericht zuständig. Das aber hat gravierende Folgen, denn die Überprüfung des Polizeiverhaltens wird nun von AmtsrichterInnen durchgeführt. Die entscheiden aber am Schreibtisch, ohne Beweiserhebung, ohne Anhörung der Betroffenen, vielleicht in telefonischer Rücksprache mit der Polizei. Sie müssen ihre Entscheidung weder begründen noch überhaupt die Akten angucken. Sie entscheiden einfach und mensch bekommt einen Brief.
(Quelle: Sich beschweren - Polizei-/Amtsmaßnahmen überprüfen)

Das Urteil liegt noch nicht vor. Bekannt ist nur, dass die Klage abgewiesen wurde. Wahrscheinlich wurde genau die oben beschriebene nicht-Zuständigkeits-Logik angewendet.

Widerspruch: Herrschaftskritik und Nutzung der Instrumente der Herrschaft

Dass es widersprüchlich erscheint, Herrschaft grundlegend zu kritisieren und dann in der Auseinandersetzung mit ihren Institutionen auf ihre Instrumente zurückzugreifen, ist naheliegend. Das darf auch kritisiert werden. Die KlägerIn versteht in diesem Vorgang allerdings eine subversive Anwendung von Recht, da es eigentlich nicht darum geht einen Prozess zu gewinnen, sondern eine öffentliche Wahrnehmung für die Kritik an Repression und der angegriffenen Themen zu erreichen. Das ist - zumindest ansatzweise - durch die Öffentlichkeitsarbeit auch gelungen. Es gab verschiedene Sender und andere Medien, die berichteten. Die Verhandlung war auch Anlass für eine Verbreitung der Aktionsidee von "MarsTV" und mehrere Auftritte des Straßentheaters in Lüneburg.

Die Polizeibehörden haben durch die rechtliche Anfechtung ihrer Maßnahmen auch einen nicht unerheblichen Aufwand (einschließlich der ausführenden BeamtInnen, die nervige Berichte schreiben und ihr Handeln rechtfertigen müssen). Akteneinsichten, die über solche Verfahren möglich sind, verbessern das Verständnis von polizeilichem Handeln und ermöglichen manchmal neue, fundierte Angriffe auf dieses.

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Ergänzungen

Amtsgerichte befragen (manchmal) sehr wohl

hobbyjurist 23.07.2007 - 22:00
Also ich bin in der Hinsicht auch nicht der Super-Experte, aber hab schon öfter mitbekommen, dass Prozesse vor Amtsgerichten sehr wohl öffentlich stattfinden (die Presse also weiterhin - sofern sie's denn interessiert - die Möglichkeit zur Berichterstattung hat)und dort auch beide Seiten im Beisein der jeweiligen Gegenseite zu den Vorfällen befragt werden (siehe z.B.  http://de.indymedia.org/2007/07/188282.shtml ). Also wie vor ner höheren Instanz, halt nur in nem weniger pompösen Gebäude und nem kleineren Saal.
Den im letzten Absatz gestarteten Versuch einer Rechtfertigung der Anzeige find ich übrigens total unnötig. Welche anderen Möglichkeiten hat mensch denn, um wenigstens den Versuch zu starten, die Polzei für ihr rechtswidriges verhalten zur Rechenschaft zu ziehen? Seien wir realistisch - sowas wie Anarchie funktioniert vielleicht ansatzweise in der Auseinandersetzung mit Faschos, aber der Staat ist "uns" (abgesehen womöglich von der gesitigen Ebene) nunmal in allen Belangen überlegen.

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