Schwarzer Block im Rückblick.

saul 28.06.2007 14:10 Themen: Repression
Wozu dieses Posting? Nun im Zusammenhang mit G 8 wo der Schwarze Block fett durch die Medienlandschaft ging. Als 80 der Begriff Schwarzer Block in die Welt gesetzt wurde, ahnte noch niemand, welches mediale Eigenleben das führen würde und das der Begriff um die Welt gehen würde. Entstanden ist das alles in Frankfurt und nach einigen Aktionen die diesen Schwarzen Block zugeschrieben wurden gab s Festnahmen. Einer konnte die Klappe nicht halten und das führte zu Verhaftungen von vier Leuten. Gegen die Kriminalisierung wurde zu einer Demo mobilisiert und am 10.8.81 demonstrierten ca 2000 durch Frankfurt. Hier wieder mal unveröffentlichte Pics.
Diesmal hatte der Asta mitaufgerufen und auch die Spontis beteiligten sich. Was bei den Autonomen zu einigen Mißtrauen führte. Man hatte die Spontis bisher als ablehnend erlebt und das die sich auf einmal recht hilfsbereit gaben, na man traute dem Frieden nicht. Zumal von dieser Seite die Aufforderung kam, stillzuhalten um die Verhafteten nicht zu gefährden. Das sahen einige anders umd meinten, es darf keine Ruhe geben, sonst haben sie mit der Verhaftung ja erreicht was sie wollten.
Die Spontis hatten dazu aufgerufen sich schwarz auszustatten, taten einige auch, die Autonomen dagegen, wie sie halt immer rumliefen. Diesmal waren es also mehr als die gewohnten 300 die durch die Stadt demonstrierten. Am Eschenheimer Turm wurd der Verehr blockiert und der Asta wollte ab hier keine Verantwortung mehr für die Demo tragen. Wiegt ja auch was so ne Verantwortung. Nun es ging weiter ins Westend, etwas Bullenstress gab s, einige Scheiben mußte dran glauben und nachdem sich das beruhigt hatte, suchten die Grünen noch im Park nach Leuten die sich mitnehmen könnten. Unterm Strich gesehen aber eher ne friedliche Demo. Im Rückblick zeigen die Pics ein etwas ungewohntes Bild. Das soll der Schwarze Block gewesen sein? Das ist eben die Wirkung von Bildern. Man hat sich an das Medienbild von den Hasskappenautonomen gewöhnt und mit der Zeit wurden die Autonomen dem Medienbild auch immer ähnlicher. Doch gelegentlich zeigen scheinbar unspektakuläre Pics eine andere Realität.

PS: Etwas später im Zusammenhang mit dem Hungerstreik der RAF und dem Versuch, deren Politverständniss den Leuten aufzudrücken, brach die Szene auseinander. Die Verhafteten wurden als Geiseln der Staatsanwaltschaft unwichtig und kamen wieder frei. Reste der Autonomen retteten sich in die Startbahnbewegung und damit schien der Schwarze Block Geschichte. Na gelegentlich geht die Geschichte ihre eigenen Wege.

Siehe auch:
 http://de.indymedia.org/2003/04/48299.shtml
 http://de.wikipedia.org/wiki/Schwarzer_Block
 http://de.wikipedia.org/wiki/Autonome
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Ergänzungen

Generationenwechsel.

saul 01.07.2007 - 00:40
Zwei Chronisten, drei Meinungen. Kennt man ja. Die Spontizeit wurde nachdem einige es zu Amt und Würden geschafft hatten, etwas idealisiert. Klar, die Sieger schreiben die Geschichte. Doch es gibt auch eine andere Story. Als sich Ende der 70iger erste Gruppen bildeten aus denen schließlich die Autonomen hervorgingen, war der Häuserkampf der 70iger längst Geschichte und ihre Vertreter in die Jahre gekommen.

Die Alternativen und Müslihippies schienen das Feld zu bestimmen doch nicht alle zog es aufs Land oder in die alternative Töpferei.

Es gab etliche, die noch jung genug waren und noch nicht von allem die Nase voll hatten. Die Spontis dagegen hatten der Militanz abgeschworen und sie in der Vergangenheit ein Museum errichtet, da waren sie dabei gewesen. Das war ihre heldenhafte Kampfzeit von der sie mal ihren Enkeln erzählen würden (Welche Enkel? Die wenigsten hatten überhaupt Kinder). Daher verkündeten sie, nun ist Schluß mit Putz und Straßenschlacht.

Daher kam ihr Hass auf alle die auf einmal wieder Häuser besetzten und es nicht bei friedlichen Latschdemos beließen. So erlebten die Autonomen in Frankfurt die Spontis mit ihren Alternativstrukturen als feindlich. Man war eben auf sich allein gestellt, mit denen als Helfern war nicht zu rechnen. Zudem waren viele autonome auch anders drauf als die Spontis. Man wollte nicht alte Fehler wiederholen und hatte die Nase voll von Politikformen in denen die Menschen nur ausführende Organe sind und noch mehr vom ideologischer Predigt. Das Motto lautete, versuch nicht erst die Massen zu überzeugen ob es gerechtfertigt ist ein Haus zu besetzen, tu es einfach. Die Spontis dagegen waren in ihrer Ideologie keineswegs so weit von den verhassten K Gruppen entfernt wie sie hinterher verkündeten. Lässt sich in der Wir Wollen Alles locker nachlesen. Doch die lernten aus ihrem Scheitern und vor allem aus ihren müde gewordenen Knochen eines. An die Zukunft denken, an ihre versteht sich. So war vieles wohl als Altersvorsorge zu verstehen und dabei störten einige Bekloppte die noch 81 für volle Auftragsbücher der Glaser sorgten. Erinnerten sie zwar an ihre Jugend, kamen aber recht ungelegen. Zu allem Überfluß war mit vielen einfach nicht zu reden. Jedenfalls nicht in der gewohnten Art. Die hatten nicht das Kapital auswendig gelernt und linke Buchläden konnten an denen auch nix verdienen, nicht mal klauen wollten sie die Bücher. Das waren einfach Arbeiterjugendliche. Schon ein Treppenwitz, da hatten auch! die Spontis mal versucht die Arbeiter zu agitieren, einige gingen deswegen sogar in die Betriebe (Opel z.B.), das überließen sie keineswegs nur den K-Gruppen. Das endete zwar wie zu erwarten, nicht allzu erfolgreich. Doch mit den Arbeiterjugendlichen die dann aktiv wurden, konnten sie nichts mehr anfangen. Bei denen reichte es für einen Piratensender (Radio Isnogud), schrauben hatten sie gelernt, einige verstanden sogar was von Schaltplänen. Flugblattschreiben war nicht ihr Ding. Das übernahmen die Germanistikstudentinnen, die Prolos waren mit gesprühten Sprüchen und Bullenklopperei weniger überfordert. So klappte zunächst die Arbeitsteilung. Was es gebracht hat? Einige Hausbesetzungen und Räumungen, ein pauschales Demoverbot des Oberbürgermeisters das regelmäßig ignoriert wurde und zu regelmäßigen Schlagzeilen in der Lokalpresse führte. Das klappte einige Zeit bis die Autonomen auseinanderbrachen. In der Startbahnbewegung machten sie weiter und sorgten für die erste radikale Aktion, als sie einen Zaun mit dem Seil öffneten. In weiteren Aktionen waren die Autonomen so erfolgreich, das sie sich überflüssig machten. Die Jugendlichen aus der Region übernahmen deren Aktionsformen und ohne die wäre die Startbahnbewegung schnell versandet. Genutzt wurde die Bewegung dann von den Spontis die sich als Obergurus der Grünen von dieser Welle tragen ließen. Ohne Startbahn mit Sicherheit kein hessischer Umweltminister Fischer. Nun das kann man sich eben nicht aussuchen. Oft erreicht man sogar was, aber nicht unbedingt das was man wollte.

Als wegen den Benzinflaschen von 76 und einigen geklauten Fotos die Geschichte wieder hochkochte, weil Fischer ja mittlerweile Außenminister war, wurden Fischer und Anhang im nachhinein zu Militanten hochgehypt die sie tatsächlich schon lange nicht mehr waren, schon lange vor der Entstehung der Grünen.


PS: Was die lausigen Bilder angeht, zu der Zeit zu fotografieren konnt schnell zu Ärger führen und kaum einer schleppte ne Kamera auf Demos mit. Fotografieren war Sache der Agentur und Zeitungsknipser oder der Polizei. Wenn man heut die G 8 Videos sichtet, wie exzessiv da gefilmt und abgelichtet wurde, das wäre zu der Zeit auf ne Mutprobe hinausgelaufen.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Danke für den Artikel ;-)

black bloc 28.06.2007 - 16:34
Danke für die vielen interessanten Fotos und den Bericht. Mehr davon.

Danke

blocker 28.06.2007 - 17:43
Danke für die Geschichtsstunde...
Zum glück ham wir heute deutlich mehr style ;)

style alter*gähn*

marion musterfrau 28.06.2007 - 20:45
ja zum glück mit mehr style!
das ist ja auch das einzige was zählt schließlich will man ja auch gut aussehen wenn die mainstream medien allet auf video festhallten bzw. die cops auch. scheiß auf den style, action ist was zählt! und das bitte schön nicht stumpf...
viel cooler wäre es wenn die black block leute sich als normalos verkleiden würde, so mit angeklebten bärten und buntfalltenhose, ganz klar einkaufstragetasche dabei oder aktenkoffer;-)))

viva la revolution!!!

Danke für die Bilder

jajajanenene 28.06.2007 - 21:09
und zum Glück sind keine Nackten dabei. Das gäb dann wieder Reflexe...

style

murphy 28.06.2007 - 21:17
over content!

hm

nichtidentisches 28.06.2007 - 21:59
Aber was doch wirklich juckt: Warn die damals schon so infantil und scheiße?

Aber interessant

Dov Landau 29.06.2007 - 09:36
ist der Artikel allemal. Wenn mir doch nur jemand den Unterschied zwischen Spontis und Autonomen erklären könnte!

Danke, Saul!!!

Libertärer 29.06.2007 - 11:41
Als Enddreißiger und gebürtiger Frankfurter freue ich mich sehr über Fotobeiträge aus den 80er Jahren, da man über diese für die Bewegung doch sehr interessante Zeit (häuserkampf,Startbahnwiderstand,Sare) LEIDER auch bei Indy viel zu wenig findet.

Kannst du noch weitere Fotobeiträge aus dieser Zeit posten??
Mich würden z.B. insb. die Startbahnsachen interessieren (Großdemo im Januar 82 trotz verbotes bei eisiger kälte, ich war als schüler vor ort)

gruss aus rhein main

*** VIELEN DANK! ***

aldasakk 29.06.2007 - 15:00
...für die pics SAUL! Das war mein "Anfang" (mit 17), ich krieg richtig Summseln im Bauch ;-)) Weitere wären echt spitze!

Putzgruppe

Wikipedia 30.06.2007 - 16:43
Putzgruppe (auch: Putztruppe, oft interpretiert als Abkürzung für Proletarische Union für Terror und Zerstörung) war eine Gruppe junger Männer im Frankfurt am Main der frühen 1970er Jahre mit circa zwei Dutzend Mitgliedern, die mit Helmen und Knüppeln bewaffnet Polizisten im Straßenkampf angriffen. Laut Daniel Cohn-Bendits Aussage von 2005 habe sich dieser Personenkreis "mit Helmen gegen die Staatsmacht schützen wollen, die die Auseinandersetzung gesucht" habe. Der Terminus Putzgruppe wurde der breiten Öffentlichkeit erst im Jahr 2000 im Rahmen des Strafprozesses gegen den Terroristen Hans-Joachim Klein bekannt, obwohl die Mitglieder der Putzgruppe in den späten 1970er Jahren in linken Szenekneipen permanent "szeneöffentlich" mit ihren Gewalttaten prahlten.


Berühmte Mitglieder der Putzgruppe mit ihren jeweiligen "Kampfnamen" (soweit bekannt):

Der ehemalige deutsche Außenminister und Vizekanzler Joschka Fischer ("Commandante"), der Frankfurter Kneipen-Tycoon Ralf Scheffler ("Onkel Ralle"), der spätere Terrorist Hans-Joachim Klein ("Klein-Klein"), der spätere Sonderbeauftragte des UN-Generalsekretärs für Afghanistan und Frankfurter Kämmerer Tom Koenigs, der Europa-Abgeordnete der Grünen, Daniel Cohn-Bendit, der ehemalige Tigerpalast-Direktor Johnny Klinke, der spätere Chef des Planungsstabs des Auswärtigen Amts Georg Dick, Raoul Campagna, der 2002 verstorbene spätere Kabarettist Matthias Beltz.

Die Putzgruppe soll unter anderem für die Verwendung von Molotow-Cocktails bei einer Demo im Mai 1976 verantwortlich gewesen sein, bei der ein Polizist schwere, 60prozentige Hautverbrennungen erlitt. Joschka Fischer wird das Zitat zugeschrieben: Wir haben Steine geworfen. Der Journalist Klaus Rainer Röhl legte 2003 Außenminister Fischer in einem Artikel in der Neuen Revue wegen dessen Rolle in der seiner Meinung nach antisemitischen Gruppe den Rücktritt nahe.

 http://de.wikipedia.org/wiki/Putzgruppe

Frankfurter Häuserkampf

Black is beautiful 30.06.2007 - 16:46
Der um 1880 erbaute „Livingstonesche Pferdestall“ an der Ecke Ulmenstraße/ Kettenhofweg entging nur knapp dem Abriss für ein Bürohochhaus. Er wurde 1978 von der Stadt erworben, ist heute Sitz der Aktionsgemeinschaft Westend und dient als Bürgertreff und Restaurant.Der Frankfurter Häuserkampf umfasste Protestbewegungen, Kundgebungen und Demonstrationen der Frankfurter Spontiszene in den frühen 1970er Jahren. Die Proteste richteten sich in erster Linie gegen die Grundstücksspekulationen im Frankfurter Westend und die damit verbundene Verdrängung der Wohnbevölkerung.

Der Häuserkampf markiert den Beginn der deutschen Hausbesetzerbewegung und den Anfang vom Ende einer bürgerfernen Stadtplanung. Die Entwicklung partizipativer Planungsmodelle erhielt durch den „Frankfurter Häuserkampf“ entscheidende Impulse. Im betroffenen Stadtteil Westend selbst konnte die Bewegung dagegen nur einen teilweisen Erfolg erzielen: Während viele der abrissbedrohten Gründerzeitvillen gerettet und der Bau weiterer Bürohochhäuser gestoppt werden konnte, setzte sich die Vertreibung der Bewohner durch Büromieter weiter fort.

Ausgangssituation

Das schwer kriegszerstörte Frankfurt am Main übernahm nach dem Zweiten Weltkrieg anstelle Berlins zahlreiche Hauptstadtfunktionen für den westdeutschen Teilstaat. Vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht wurde Frankfurt zur wichtigsten Stadt der Bundesrepublik. Mit diesem Bedeutungssprung verband sich ein enormer Schub für die Stadtentwicklung. Die zahlreichen sich in Frankfurt ansiedelnden Unternehmen lösten einen Flächenbedarf aus, der weit über die Wiederherstellung der Vorkriegsbestände hinausging.

Nachdem gegen Ende der 50er Jahre die meisten Freiflächen innerhalb der eigentlichen City (der zentrale und westliche Teil der Neustadt innerhalb der Wallanlagen) bebaut waren, stellte sich die Frage nach der Erschließung von so genannten City-Erweiterungsgebieten. Wegen der seit Mitte des 19. Jahrhunderts (Bau der Westbahnhöfe) enstandenen „Westlastigkeit“ der Frankfurter City boten sich hierfür die zwei westlich an die Neustadt angrenzenden, gründerzeitlichen Innenstadtbezirke an: das Bahnhofsviertel und das Westend. Beide waren durch die Nähe des Bahnhofs, breit ausgebaute Straßen und eine gute Verbindung zum Flughafen gut erschlossen.

Das Bahnhofsviertel war und ist ein hochverdichtetes, sehr urbanes Innenstadtviertel mit gründerzeitlicher Blockbebauung. Die Nutzungsdichte war durch die fünf- bis sechsgeschossigen Vorderhäuser und die verbreitete Hinterhofbebauung bereits sehr hoch und kaum erweiterbar. Die Einwohnerzahl war bereits stark rückläufig, die Zahl der Arbeitsplätze stieg stark an. Im Bahnhofsviertel entstanden so unter anderem die Konzernzentralen der Dresdner Bank AG und der Philipp Holzmann AG. Diese beiden Unternehmen waren auch die einzigen, die im Bahnhofsviertel der 60er und 70er Jahre Hochhäuser errichteten.

Für Handel, Banken und Versicherungen war das benachbarte Westend interessanter als das bereits weitgehend geschäftlich genutzte Bahnhofsviertel. Wie das Bahnhofsviertel wies auch das Westend vergleichsweise geringe Bombenschäden auf. Es war im 19. Jahrhundert jedoch nicht als innerstädtisches Geschäftsviertel, sondern als Wohnviertel des Großbürgertums entstanden. Für eine erheblich kleinere Stadt geplant, lag es aufgrund der folgenden rasanten Stadtentwicklung nun mitten in der Großstadt. Durch die Inflationszeit, die Ermordung der Frankfurter Juden, die Kriegs- und Nachkriegswirren und die einsetzende Suburbanisierung des Bürgertums war die ursprüngliche Sozialstruktur weitgehend abhanden gekommen, um 1960 war das Westend zum großen Teil ein „einfaches“ Wohngebiet.

Die zwei- bis dreigeschossigen klassizistischen, Gründerzeit- und Jugendstilvillen mit ihren großen Gärten waren jedoch, wenn auch oft in schlechtem baulichen Zustand, weitgehend erhalten geblieben. Dieser Umstand machte das Westend einerseits zu einem der schönsten und historisch wertvollsten Frankfurter Stadtteile, andererseits – angesichts der sehr zentralen Lage und der auffallend geringen Nutzungsdichte – in den Augen der Stadtplanung und der Politik zum idealen City-Erweiterungsgebiet.

Bereits 1962 hatte Oberbürgermeister Bockelmann in seiner Festrede zur Eröffnung des Zürich-Hochhauses am Opernplatz genau dies angekündigt. Es wurde auf einem Grundstück der Familie Rothschild errichtet, das die Stadt Frankfurt 1938 in der Zeit des Nationalsozialismus in ihren Besitz gebracht und nach langem Widerstand 1960 zurückerstattet hatte. Zwei Drittel, den heutigen Rothschildpark, behielt sie, ein Drittel ging an die Erben, wobei zum Ausgleich eine hohe Ausnutzung zugestanden wurde. Diese verkauften das zurückgegebene Gelände an die Zürich-Versicherung und die Berliner Handelsgesellschaft, die dort Bürohochhäuser errichteten. Der Bau des markanten Zürich-Hochhauses am Anfang der Bockenheimer Landstraße auf ehemals jüdischem Boden bildete den Auftakt zum Ansturm von Bauherren und Investoren auf das Westend[5] und wurde von einer Welle der Bodenspekulation gefolgt.


Investoren, Stadtplaner und der „Fünffingerplan“

Getrieben von einem massiven Investoreninteresse entwickelte die sozialdemokratische Stadtverwaltung, vertreten durch den Baudezernenten Hans Kampffmeyer und den Leiter der Stadtplanung Hans-Reiner Müller-Raemisch, 1968 ein informelles Planwerk zur Erweiterung der Citynutzungen in das Westend hinein: den sogenannten Fünffingerplan. Er sah vor, das Westend nicht flächendeckend umzugestalten, sondern die Büronutzungen in neuzubauenden Hochhäusern entlang fünf Entwicklungsachsen zu konzentrieren. Vom Opernplatz als „Handteller“ ausgehend sollte dies (im Uhrzeigersinn) die Taunusanlage / Mainzer Landstraße, den Kettenhofweg, die Bockenheimer Landstraße, die Oberlindau und den Reuterweg betreffen.

Vor allem der „Zeigefinger“ und „Ringfinger“, also Kettenhofweg und Oberlindau, waren jedoch schmale Wohnstraßen, die bisher von innerstädtischen Nutzungen unberührt waren. Auch die Bockenheimer Landstraße galt dank ihrer zahlreichen eleganten Villen als eine der schönsten und vornehmsten Straßen der Stadt. Alle drei Straßen waren also für eine massive Verdichtung durch Hochhausbebauung denkbar ungeeignet. Es war schnell absehbar, dass der Plan nur um den Preis erheblicher Stadtzerstörung umzusetzen war.

Dieser Gefährdung des (durch die Kriegszerstörungen ohnehin arg geminderten) architektonischen und städtebaulichen Erbes der Stadt wurde in der Stadtverwaltung wesentlich weniger Bedeutung zugemessen als in der Öffentlichkeit. Die Verwaltung verfolgte seit der Amtszeit von Kampffmeyers Vorgänger Ernst May (1925-30) und dessen Bauprogramm „Neues Frankfurt“ eine konsequent an der städtebauliche Moderne orientierte Planungspolitik, die den baulichen Zeugnissen der reichhaltigen Stadtgeschichte erkennbar wenig Respekt zollte. Oberstes und ausdrücklich so benanntes Prinzip der Frankfurter Stadtplanung war seit den 50er Jahren zudem die autogerechte Stadt. Die zahlreichen Projekte zur Bekämpfung der Wohnungsnot beschränkten sich seit etwa 1960 nach Abschluss des Wiederaufbaus der Innenstadt und der Aufhebung der Zwangsbewirtschaftung des Wohnraums auf den Neubau von Wohnvierteln am Stadtrand, z.B. der Nordweststadt. Die Erhaltung preiswerten Wohnraums im Altbestand spielte in der Frankfurter Wohnungspolitik keine erkennbare Rolle, obwohl in der Bevölkerung ein großes Interesse an zeitgemäßer Wohnraumversorgung im angestammten Quartier bestand.

Die gesamte Bedeutung des Fünffingerplans für die bauliche und soziale Umgestaltung des Westends ist schwer einzuschätzen. Der Interessenkonflikt zwischen städtischer Wohnungspolitik und den Interessen der alteingesessenen Bürgern entstand schon Anfang der 1960er Jahre, und auch nach 1968 lagen viele der umstrittenen, aber genehmigten Bauprojekte außerhalb der fünf im Plan genannten Entwicklungsachsen. Auf jeden Fall trug der Plan dazubei, die aufkommenden Proteste politisch zu legitimieren.

Besonders eine Passage des Fingerplans entfaltete eine erhebliche Wirkung: Als Voraussetzung für eine hohe Ausnutzung eines Grundstücks durch den Bau eines Bürohochhauses war eine Mindestgröße von 2.000 Quadratmetern festgelegt. Private Eigentümer von Wohnhäusern versuchten daraufhin, Nachbargrundstücke zu erwerben und zu einem großen Areal zu verbinden, um dann durch Verkauf an einen Bauherren an der Wertsteigerung des Bodenpreises zu verdienen. Im ersten Jahr nach der Verabschiedung des Fingerplans kam es so zu den intensivsten Bodenaufkäufen im Westend. Nach Angaben des Frankfurter Planungsdezernates[9] waren es 7 Einzelkäufer bzw. Käufergruppen, insgesamt weniger als 30 Personen, die einen großen Teil der Grundstücke kauften. Sie erhielten dafür von sieben Banken Kredite über mehr als eine Milliarde DM. Dass auch die Hessische Landesbank, die zur Hälfte dem damals sozialdemokratisch regierten Land Hessen gehörte und in deren Vorstand der Frankfurter Oberbürgermeister Rudi Arndt war, ebenfalls solche Kredite vergab, wurde von den Hausbesetzern stark kritisiert.

Konflikte und Widerstand

Die Zerstörung des Westend durch die Immobilienspekulation nahm im Laufe der späten 60er Jahre bedenkliche Formen an. Die Zahl der Wohnungen nahm rapide ab, allein im Jahr 1968 ging die Zahl der Wohnräume um mehr als 4.000 zurück. Sie wurden überwiegend in Büros umgewandelt oder es wurden Wohngebäude abgerissen und durch Bürobauten ersetzt. Räume für Bürozwecke liessen sich zu deutlich höheren Mieten vermieten als zu Wohnzwecken. Dazu kam die spekulative Aussicht, von den Stadtbehörden die Genehmigung zu einem Neubau mit wesentlich höherer Fläche zu erhalten.

Die Methoden zur Vertreibung der Mieter waren drastisch. Notwendige Reparaturen wurden bewußt unterlassen, bereits entmietete Wohnungen mit damals so genannten Gastarbeitern belegt. Die katastrophale Überbelegung, bei der in jedem Raum viele Menschen zusammengepfercht waren, führte zur Verwahrlosung der Wohnhäuser. Die sanitären Anlagen reichten nicht aus, Rattenplagen entstanden. Nicht auszugswillige Bewohner wurde mit teilweise kriminellen Methoden aus ihren Häusern vertrieben. Hauseigentümer machten ihre Wohnungen vorsätzlich unbewohnbar: Heizungen fielen plötzlich aus, Rohre brachen und massiver, teilweise nächtlicher Baulärm entnervte die Mieter. Nach Auszug der Bewohner wurden zahlreiche bauhistorisch wertvolle Altbauten abgerissen und durch Bürogebäude im Stile der Zeit ersetzt. Vor allem die Bockenheimer Landstraße änderte ihr Bild radikal, vom ehemaligen großbürgerlichen Boulevard blieb praktisch nichts erhalten. Auch in vielen Nebenstraßen erreichten Bauspekulation, Mietervertreibung und Abriss ungeahnte Ausmaße. Innerhalb von vier Jahren halbierte sich die Einwohnerzahl des Westends auf etwa 20.000.

Erstmals in der jüngeren deutschen Bau- und Planungsgeschichte entwickelte sich im Westend jedoch Widerstand. Die Ereignisse fielen zeitlich in die allgemeine Aufbruchs- und Proteststimmung der Studentenbewegung und lösten eine Widerstandsbewegung aus, die bis in die Gegenwart reichende Folgen haben sollte, nicht nur für das Frankfurter Westend, sondern auch für das allgemeine Selbstverständnis der Stadtplanung in Deutschland.

Als eine der ersten Bürgerinitiativen gründeten rund 700 Bürger 1969 die Aktionsgemeinschaft Westend (AGW). Die AGW erklärte als Ziel: Die AGW setzt sich für die Erhaltung einer funktionalen, sozialen und architektonischen Mischstruktur im Westend der Stadt Frankfurt ein. Sie fordert, der Umwandlung des Stadtteils vom Wohngebiet zur erweiterten City Grenzen zu setzen, der Vertreibung der vielschichtigen Bevölkerung Einhalt zu bieten und nicht noch mehr alte Bausubstanzen ohne Rücksicht auf soziale Gesichtspunkte und Stadtbildpflege zu zerstören[12]. Die Kastanienbäume der Bockenheimer Landstraße, die nach den U-Bahn-Bauplänen verschwinden sollten, hielten AGW-Helfer in einer Trockenperiode demonstrativ am Leben. Mit rund 12.000 Fragebogen verschaffte die AGW sich Unterlagen über die Wohnverhältnisse im Westend und stellte sie der Stadt zur Verfügung.

Angesichts der zahlreichen trotz Wohnungsnot leerstehenden Häuser kam es im Herbst 1970 zu den ersten Hausbesetzungen in der Geschichte der Bundesrepublik (Eppsteiner Straße 47, Liebigstraße 20 und Corneliusstraße 24). In diese Häuser zogen Studenten und Familien von Gastarbeitern ein. Zahlreiche Besetzungen folgten. Das leerstehende Haus im Grüneburgweg 113 war das erste Haus, das nur von Studenten besetzt wurde.

Obwohl Teile der Bewegung im Stile der Zeit und der damaligen politisch-gesellschaftlichen Strömungen eine klassenkämpferisch-linksradikale Rhetorik gegen das „Großkapital“ im allgemeinen verfolgten, wurde der Widerstand im Westend von einer breiten Koalition völlig unterschiedlicher Betroffener und Gruppierungen getragen, die sich von der „linken Jugend“ und der sehr politischen Studentenbewegung über Kirchen und Gewerkschaften bis hin zu den betroffenen „Gastarbeitern“ und den kleinbürgerlichen Anwohnern erstreckte. Auch in der Öffentlichkeit, großen Teilen der Presse und sogar in Teilen der Regierungspartei SPD genoss die Bürgerbewegung im Westend große Sympathien.

Im Herbst 1971 beschloss die Stadtverwaltung auf Druck der Grundstückseigentümer, keine weiteren Hausbesetzungen zu dulden. Bei der polizeilich durchgesetzten Räumung des besetzten Hauses Grüneburgweg 113 kam es zur ersten von zahlreichen Straßenschlachten im Westend. Die Auseinandersetzung wurde in der Folge von beiden Seiten mit großer Härte geführt.

Eine am 5. Januar 1971 nach einer Forderung der Stadtverordnetenversammlung erlassene Veränderungssperre zur Vorbereitung eines Bebauungsplans sowie die 1972 erlassene Hessische Verordnung gegen Wohnraumzweckentfremdung führten zunächst zur Beendigung der wilden Grundstücksspekulation im Westend. Durch das hessische „Gesetz zum Schutze der Kulturdenkmäler“ (Denkmalschutzgesetz) vom 23. September 1974 und eine von der Aktionsgemeinschaft Westend erstellte Liste denkmalschutzwürdiger Häuser konnten zahlreiche Gebäude vor künftigen Abrissplänen geschützt werden.

Weil sehr viele Häuser und Wohnungen aus Spekulationsgründen leerstanden, für die es aber weder Abrißgenehmigungen noch Genehmigungen für eine Zweckentfremdung von Wohnraum gab, erhielt die städtische Wohnheim-GmbH von der Stadt den Auftrag, sich um ihre zeitweilige Nutzung zu bemühen. Die Wohnheim-GmbH verwaltete damals neunzehn Wohnheime und zwei Flüchtlingswohnheime, insgesamt 9.500 Wohnungen. Sie schloss daraufhin mit vielen Hauseigentümern zeitlich begrenzte Überlassungsverträge ab und überliess die Wohnungen denen, die dort einziehen wollten oder schon als Hausbesetzer eingezogen waren. Es liefen jedoch erhebliche Mietrückstände auf und nach Ablauf der Überlassungsverträge zogen die Bewohner oft auch nicht aus. Die Wohnheim-GmbH erwirkte Räumungsurteile und liess die Polizei die Häuser räumen.


Nachwirkungen

Einige Beteiligte des Frankfurter Häuserkampfs erlangten später bundespolitische Bekanntheit. Auf Seiten der Hausbesetzer gehörten die späteren Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit und Joschka Fischer zu den Wortführern. Unter den Grundstücksspekulanten spielte der spätere Vorsitzende des Zentralrat der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, eine wichtige Rolle. Bubis kaufte Häuser, die für die geplanten Neubauprojekte abgerissen werden sollten, und vermietete sie bis zur Erteilung der Baugenehmigung an Studenten. Auch Fischer wohnte zeitweise in Häusern, deren Eigentümer Bubis war. Bubis gehörte in unmittelbarer Nachbarschaft der Frankfurter Universität ein Block von vier dreistöckigen Gründerzeit-Häusern an der Ecke Bockenheimer Landstraße/Schumannstraße, der längere Zeit besetzt war und bei dessen Räumung es 1974 zu einer der größten Straßenschlachten zwischen Demonstranten und Polizei in der Geschichte der Stadt kam. Mitte 1972 hatte der Bauausschuß der Stadt den Bau eines Bürogebäudes auf diesem Grundstück genehmigt und den Bau von 50 Sozialwohnungen in der Altkönigstrasse, wo Bubis ein weiteres Grundstück besass, als Ersatzwohnraum zur Auflage gemacht. Dieses Gelände lag nach dem Abriss der Bebauung mangels Bauinteressenten jahrelang brach und verursachte erhebliche finanzielle Nachteile für seinen Eigentümer.

Die Hausbesetzerbewegung breitete sich schnell auf andere westdeutsche Großstädte aus. Am bekanntesten waren hier der ebenfalls durch eine bewohnerfeindliche und verkehrsfixierte Stadtplanung in seiner Existenz bedrohte Stadtteil Berlin-Kreuzberg, später die Konflikte um die Hamburger Hafenstraße und als vorläufig letzter Höhepunkt die Hausbesetzungen im Ostteil des wiedervereinigten Berlin zu Beginn der 90er Jahre.

Das letzte besetzte Haus im Frankfurter Westend, die seit 1971 besetzte Siesmayerstraße 6, wurde 1986 an den neuen Eigentümer, die Deutsche Bank, übergeben. Die Hausbesetzer hatten den geplanten Abriss verhindert und erreicht, dass die dreigeschossige Gründerzeitvilla unter Denkmalschutz gestellt wurde.

In der Stadtplanung ersetzten im Laufe der späten 70er und frühen 80er Jahre partizipative Modelle und Bürgerbeteiligung das gescheiterte technokratische und von einer Unfehlbarkeit des Planers ausgehende Planungsverständnis. Auch die gewachsene Wertschätzung historischer Bausubstanz kam ab Mitte der 70er Jahre durch den gesetzlich gestärkten Denkmalschutz zum Ausdruck.

Die in Frankfurt seit Kriegsende regierende SPD verlor bei den Kommunalwahlen 1977 die Macht an die bisher oppositionelle CDU, die eine absolute Mehrheit errang. Der neue Oberbürgermeister Walter Wallmann leitete eine Wiederentdeckung des historischen Stadtbilds ein, die sich unter anderem durch den Wiederaufbau der Alten Oper und der Ostzeile des Römerbergs ausdrückte.

Der Hochhausbau in Frankfurt verlagerte sich aus dem Westend auf die großen Achsen der westlichen City wie die Mainzer Landstraße und die Friedrich-Ebert-Anlage, seit dem Hochhausrahmenplan 1990 in das engere Bankenviertel beiderseits der Neuen Mainzer Straße.

Die Bausubstanz im Westend konnte nach Ende des Häuserkampfs weitgehend bewahrt bleiben, die Verdrängung der Wohnbevölkerung ging jedoch weiter. Internationale Banken, Anwaltskanzleien und sonstige Dienstleister zogen statt in neugebaute Bürohäuser in aufwendig sanierte Gründerzeitvillen. Die Einwohnerzahl des Stadtteils sank zwischen 1965 und 1987 von 40.000 auf 18.000 Menschen. Die hessische Verordnung über Zweckentfremdung von Wohnraum von 1972 wurde 2004 aufgehoben.

Die Uraufführung des 1975 entstandenen und vom Frankfurter Häuserkampf inspirierten Theaterstücks Der Müll, die Stadt und der Tod von Rainer Werner Fassbinder am Schauspiel Frankfurt wurde am 31. Oktober 1985 von Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde Frankfurt und anderen Demonstranten verhindert, indem sie die Bühne besetzten und Schauspieler und Publikum in Diskussionen verwickelten, so dass die Vorstellung schließlich abgebrochen wurde. Die Protestierenden glaubten in der Hauptfigur des Stückes, einem reichen jüdischen Immobilienspekulanten, den damaligen Vorsitzenden der Frankfurter Gemeinde, Ignatz Bubis, wiederzuerkennen. Dem 1982 verstorbenen Fassbinder wurden posthum antisemitische Einstellungen vorgeworfen. Bis heute konnte das Stück an keinem deutschen Theater gespielt werden. Dem Fassbinder-Stück lag Gerhard Zwerenz' Roman Die Erde ist unbewohnbar wie der Mond von 1973 zugrunde, das bereits die Stereotype des reichen jüdischen Immobilienspekulanten einführte. Dies wurde als Anspielung auf Bubis verstanden und löste bei Erscheinen ähnliche Vorwürfe aus wie später Fassbinders Theaterstück.

Die Aktionsgemeinschaft Westend erhielt 1973 als vorbildliche Bürgerinitiative die Theodor-Heuss-Medaille überreicht, ihr Hauptinitiator und langjähriger stellvertretender Vorsitzender Otto Fresenius das Bundesverdienstkreuz am Bande.

Spontis - der erste schwarze Block ?!

Zig-Zag 30.06.2007 - 16:50
Spontis nannte man in den 1970er Jahren eine Gruppe linksradikaler politischer Aktivisten in der Nachfolge der Außerparlamentarischen Opposition (APO) und der 68er-Bewegung. Sie hielten die „Spontaneität der Massen“ für das revolutionäre Element der Geschichte und grenzten sich damit von den K-Gruppen der APO ab, die dem traditionellen kommunistischen Gedanken anhingen, für die Revolution sei eine Partei vonnöten, die die Führung in eine bessere Zukunft übernehmen müsse.

Entsprechend waren nicht Theorieschulungen und Parteiaufbau wie bei den K-Gruppen das Lebenselixier der Spontis, sondern „spontane“ (nichtsdestoweniger abgesprochene) Aktionen in der Öffentlichkeit, die einen beispielhaften, fantasievollen und mitreißenden Charakter haben sollten. Dabei wurde z. B. auch auf das Mittel des Straßentheaters zurückgegriffen.

Sehr beliebt waren auch die so genannten Sponti-Sprüche, die zu hunderten in den Medien verbreitet wurden (z. B.: „Freiheit für Grönland! Nieder mit dem Packeis!“ oder „Gestern standen wir noch vor einem Abgrund. Heute sind wir schon einen großen Schritt weiter.“) oder die Verkürzung und Verniedlichung von Substantiven, die sich bis heute in Kreisen der Jugendkultur erhalten hat, wie z. B. „Konsti“ statt Konstablerwache (ein Platz in Frankfurt am Main) oder „Venti“ statt Ventilator. Weiterhin zeichneten sich die Spontis durch ihren antiautoritären Ansatz aus und das Bestreben, ein linkes „Gegenmilieu“ zu schaffen.

Verbreitet war die „Sponti-Szene“ insbesondere in den Studentenstädten; hier besonders in Münster, Berlin und in Frankfurt am Main, wo sie mit Hausbesetzungen z. B. im Westend-Viertel gegen die Immobilienspekulanten und dessen Umstrukturierung zum Versicherungen- und Bankenviertel kämpfte. Teilweise konnten besetzte Häuser bis zu 20 Jahre gehalten werden und wurden später von Grund auf saniert und zu teuren Eigentumswohnungen in noblen Wohngegenden (wie dem Frankfurter Westend), aber immerhin nicht abgerissen, zumal sich inzwischen auch in der breiten Bevölkerung ein Interesse an der Erhaltung von alter Bausubstanz gebildet hatte.

Damals prägende Gestalten aus dem Umfeld der Berliner Kommune 1 (die sich allerdings eher aus der 1968er Vergangenheit speiste) und die heute nicht mehr im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehen, sind u. a. Rainer Langhans, Uschi Obermaier und Fritz Teufel.

Das Sprachrohr der Frankfurter Spontis war die Zeitschrift Pflasterstrand, die der Nachfolger von Wir Wollen Alles war.

Das Ende und einen späten Höhepunkt der Sponti-Bewegung markiert der Tunix-Kongress, an dem kurz nach dem Deutschen Herbst 15-20.000 Menschen teilnahmen.

Die Alternativbewegung ging zu großen Teilen aus der Sponti-Bewegung hervor. Wesentlich beeinflusst von den Inhalten und der Kultur der Spontis wurden die „Autonomen“.

 http://de.wikipedia.org/wiki/Autonome

Teile der ehemaligen Frankfurter Sponti-Bewegung um Joschka Fischer übernahmen in der zweiten Hälfte der 1980er zunehmend die damals noch radikal-oppositionellen Grünen und brachten sie auf einen Realo-Kurs der Kompromisse und Regierungsbeteiligungen, was später von Jutta Ditfurth scharf kritisiert wurde.

 http://de.wikipedia.org/wiki/Sponti



Autonome in Frankreich

Marie 30.06.2007 - 17:09
Situationistische Internationale

Konzept

Die Situationisten operierten an der Schnittstelle von Kunst und Politik, Architektur und Wirklichkeit und setzten sich für die Realisierung der Versprechungen der Kunst im Alltagsleben ein. Sie forderten unter anderem die Abschaffung der Ware, der Arbeit, der Technokratie und der Hierarchien, und entwickelten ein Konzept der „theoretischen und praktischen Herstellung von Situationen“, in denen das Leben selbst zum Kunstwerk werden sollte. Einige Situationisten sind in den Ausbruch der Studentenunruhen vom Mai 1968 verwickelt, die auf ganz Frankreich übergriffen und dort, anders als in Deutschland, auch Arbeiter und Angestellte erfassten. Situationistische Ideen waren in den folgenden Jahren sehr verbreitet und haben international in Kunst, Politik, Architektur und Pop Spuren hinterlassen, die sich bis in die Gegenwart ziehen. Ihre Formen wurden im Fluxus und der Performance aufgegriffen.

Der S.I. werden einige bekannte Slogans der Zeit zugeschrieben:

„Verbieten ist verboten!“ (Il est interdit d’interdire, stammt in Wirklichkeit aber von Jean Yanne)
„Unter dem Pflaster – der Strand.“ (Sous les pavés, la plage)
„Arbeit? Niemals.“ (Ne travaillez jamais)

Vorgeschichte

Die Geschichte der situationistischen Bewegung beginnt Anfang der 50er Jahre im Frankreich von Sartre oder Camus, sie ist eng verbunden mit der Person von Guy Debord. Debord war die zentrale Figur in der Entwicklung der situationistischen Theorie und so etwas wie die graue Eminenz der Gruppe. Mit 19 Jahren fallen ihm 1951 beim Cannes Film Festival zunächst die avantgardistischen Lettristen auf, eine Künstlergruppe in der Tradition der Surrealisten, die man sonst spät nachts in heruntergekommenen Pariser Cafes antraf. Sie nahmen wegen der Uraufführung eines Filmes von Isidore Isou am Festival teil. Als sehr junge Vertreter eines radikal romantischen Bohème-Lebensstils verursachten sie durch ihr Auftreten und der Film wegen der postulierten und eindrücklich zelebrierten Zerstörung des herkömmlichen Kinos in Cannes einen Skandal. Debord war fasziniert und schloss sich ihnen bald danach an.

Die Lettristen gaben eine Zeitschrift namens Potlach heraus, in der sich spätere Thesen und Ideen der Situationisten bereits abzeichneten. Einige Lettristen, u.a. Debord, schlossen sich nach einer Spaltung der Gruppe zur politischeren „Lettristischen Internationale“ zusammen, dem Vorläufer der S.I. Legendär waren öffentliche Provokationen der Lettristen wie beim Ostergottesdienst 1950, als ein falscher Mönch in der Kathedrale Notre Dame den Tod Gottes verkündete, und dafür von der Menge der Gottesdienstbesucher fast gelyncht wurde. Yves Klein kannte die Lettristen seit dem Beginn der 50er, René Magritte korrespondierte mit ihnen.


Gründung [Bearbeiten]Die eigentliche Situationistische Internationale wurde dann im Jahr 1957 in Cosio d'Arroscia in Norditalien gegründet. Es vereinigten sich dabei die vom Maler Asger Jorn gegründete „Bewegung für ein Imaginäres Bauhaus. Mouvement pour un Bauhaus Imaginiste“ (die die Rolle des Künstlers in der Industriegesellschaft erforschte), die „Londoner Psychogeographische Gesellschaft“ von Ralph Rumney und die zuvor genannte „Lettristische Internationale“, mit dem Ziel der Schaffung einer Organisation zur praktischen Aufhebung der Trennung zwischen Kunst und Leben.

Mitglieder der S.I. waren Künstler und Künstlerinnen aus 10 Ländern wie etwa der Ungar Attila Kotányi, Jacqueline de Jong, Hans Platschek, Ivan Chtcheglov, Raoul Vaneigem, Alexander Trocchi, Uwe Lausen, Dieter Kunzelmann (Kommune 1) sowie die Mitglieder der Münchner Künstlergruppe SPUR (die in München 1959 nach erbitterten Diskussionen über die Rolle der Malerei mit der S.I. fusionierten, aber 1961 wieder ausgeschlossen wurden), oder Michèle Bernstein, Mustapha Khayati aus Tunesien, Abdelhafid Khatib aus Algerien, Rene Vienet und Gretel Stadler.


Aktivitäten

Die S.I. beschäftigte sich mit Malerei, Theorie, Geschichte, Stadtplanung.

Bei ihrer traditionelleren künstlerischen Arbeit nutzten Situationisten neben der Malerei (Tachismus, Informel) häufig auch das Mittel der Collage, arbeiten viel mit vorgefundenem Material, das sie leicht abänderten, übermalten oder neu kombinierten. Bilder wie die „Lockung“ von Asger Jorn (ein „umgestaltetes“ romantisches Landschaftsbild, in das Jorn grobe, angedeutete, freundliche Figuren in den Farbtönen der Landschaft hineinmalte), erzielen heute Preise bis zu 800.000 Euro. Debord erstellte radikale Filmcollagen und Filme wie „Durchgang einiger Personen durch eine kürzere Zeiteinheit“.

In der Zeit ihres Bestehens wanderte der Fokus der Arbeit immer mehr von der Kunst zur Politik, künstlerische Arbeiten verstanden sich mehr und mehr als Visualisierungen geschichtlicher und kultureller Prozesse.

Immer wieder kam es zu Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Gruppe, die zu Austritten, Ausschlüssen, Abgrenzungen und Abspaltungen führten: Jede Konzession an herrschende Normen, jedes Zurücktreten hinter die Maximalforderungen galt als Verrat. Das Verhältnis von Kunst und Politik, die Rolle der Malerei wurden immer wieder diskutiert. Die Gruppe hatte zu keiner Zeit mehr als 40 Mitglieder.


Constant

Es wurden von 1957 an verschiedene Aktionen und Ausstellungen geplant und teils realisiert, von denen z.B. „New Babylon“ von Constant (mit vollem Namen Constant Nieuwenhuys) große Aufmerksamkeit erregte: Er konzipierte eine Stadt für einen „spielerischen“, mobilen Menschen, den die Automatisierung aus seiner geregelten Berufswelt geworfen hat, und der nun seine Kreativität entfalten kann, Constant entwarf damit eine moderne Gegenwelt zu den Konzepten von Le Corbusier. 1959 bereits schlug er vor, die Börse von Amsterdam niederzureißen, um an ihrer Stelle einen Spielplatz zu errichten. Für eine befreundete Gruppe von Sinti und Roma entwarf er moderne mobile Gebäude für ihr Camp. Constants Arbeiten bewegten sich zwischen Malerei und Architektur. Seine sehr konkreten Vorschläge, und sein Konzept, nur neue Gebäude zu verwenden, stießen in der Gruppe auch auf Kritik. Debord war beispielsweise eher an den Ablagerungsspuren der Zeit in der Stadt, an den Schichten von Erinnerung interessiert. Es kam daraufhin zum Bruch mit der Gruppe, Constant wurde sein künstlerischer Erfolg zum Vorwurf gemacht, ihm wurden egoistische Strategien unterstellt.


Die Welt als Labyrinth

Über ein Projekt in den Niederlanden 1960 („Die Welt als Labyrinth“), ein Labyrinth im Auftrag des Amsterdamer Stedelijk Museums, entstand ebenfalls eine Kontroverse. Das Labyrinth war geplant als „kombinierte, noch nie gesehene Umwelt durch Verquickung innerer und äußerer Züge…“, wohnlicher Innenraum und städtischer Außenraum gingen ineinander über. Nebel, Regen oder Wind würden künstlich erzeugt, Klänge von Tonbändern, Türen sollten Gelegenheiten zum Verirren vermehren. Das Projekt scheiterte schließlich an den Sicherheitsbedingungen des Museums – nur ein Vorwand nach Ansicht der Situationisten, die bereits Aktionen im Rahmen des Labyrinths geplant hatten, die die Ausstellungsbedingungen selbst thematisieren sollten.


Galerie Van de Loo [Bearbeiten]Die Münchner Galerie „van de Loo“ organisierte Ausstellungen von einigen Situationisten. Dabei wurden Vorwürfe gegenüber dem Galeristen laut, er versuche die Gruppe in „wirkliche Künstler“ und „Theoretiker“ zu spalten, indem er individuelle Künstlerkarrieren förderte und die dahinterstehende Theorie ignoriere.


Finanzierung

Finanziert wurden die Situationisten über lange Zeit hauptsächlich über den Verkauf der Arbeiten von Asger Jorn und anderen Künstlern; des Weiteren waren viele unter ihnen nebenerwerbstätig.


Theorie

Es wurden von der Gruppe regelmäßig internationale Konferenzen abgehalten, Theorien wurden dabei ausgearbeitet, diskutiert und ausprobiert.

In ihrer Zeitschrift „internationale situationniste“ präsentierte die S.I. ihre Ideen, kommentierte die Weltlage und persönliche Affären, und beschimpfte und verhöhnte die gesamte politische und kulturelle Elite der Zeit, darunter oftmals besonders diejenigen, die öffentlich mit ihnen sympathisierten oder scheinbar ähnliche Ideale hatten wie etwa den Regisseur Godard. Die Zeitschrift wurde 1961 in Deutschland beschlagnahmt, Mitglieder wurden verhaftet. Intimfeinde der Situationisten waren Soziologen und Kybernetiker wie Abraham Moles, aber auch die vielen dogmatischen, teils stalinistischen kommunistischen Gruppierungen der Zeit.

Debord verfasste 1957 den „Rapport über die Konstruktion von Situationen und die Organisations- und Aktionsbedingungen der Internationalen Situatonistischen Tendenz.“ und die „Vorschläge für ein Aktionsprogramm der SI“. Als sein Hauptwerk und eines der ersten Werke der Postmoderne gilt „Die Gesellschaft des Spektakels“ (1967). Die Erlebnisse und Diskussionen mit den Lettristen in Paris sind Thema von Debords „Mémoires“, einem Künstler-Buch, dessen erste Auflage nach Debords Anweisungen in Sandpapier gebunden werden sollte.

Raoul Vaneigem betonte in seinem „Handbuch der Lebenskunst für die jungen Generationen“ von 1967 besonders die Wichtigkeit der Gabe, der Subjektivität, der Poesie und des Spiels. Für ihn bot die Moderne nur noch eine würdelose rationalisierte Form des „Überlebens“, kein wirkliches „Leben“.

Asger Jorn verfasste u.a. das Buch „Open Creation and its Enemies“ (in Anlehnung an Poppers „The Open Society and its Enemies“), in dem er ein Ideal freier menschlicher schöpferischer Tätigkeit und Gestaltung entwickelte, und untersuchte, was dieser heute entgegensteht.


Der „Straßburg-Skandal“

1966 erschien in Straßburg ein Pamphlet namens „Über das Elend im Studentenmilieu, betrachtet in seinen ökonomischen, politischen, psychologischen, sexuellen, und vor allem intellektuellen Aspekten, und einige Mittel zur Abhilfe“, das Studenten vom lokalen Büro der „UNEF“ auf Kosten der Universität Straßburg in einer 10000er-Auflage gedruckt hatten. Darin übten Situationisten eine fundamentale Kritik am Studenten als unmündig und abhängig gehaltenem Mitglied der Gesellschaft, am Studentenstatus, an der Selbstherrlichkeit einer studentisch-alternativen Subkultur, an Religion, und am ganzen Wirtschaftsystem. Sie verspotteten die Blindheit gegenüber der Ökonomisierung der Bildung in der Broschüre, für die eine angebliche „Gesellschaft zur Würdigung des Anarchismus“ als Herausgeber fungierte:

„Dem Studenten wird nicht einmal bewußt, daß die Geschichte auch seine lächerliche ‚abgeschlossene‘ Welt verändert. Die berühmte ‚Universitätskrise‘, Detail einer allgemeineren Krise des modernen Kapitalismus, bleibt Gegenstand eines tauben Dialogs zwischen verschiedenen Spezialisten. In ihr kommen ganz einfach die Schwierigkeiten einer verspäteten Anpassung dieses besonderen Produktionssektors an die Umwandlung des gesamten Produktionsapparates zum Ausdruck. Die Überreste der alten Ideologie einer liberal-bürgerlichen Universität werden in dem Augenblick nichtssagend, wo ihre gesellschaftliche Basis verschwindet. Die Universität konnte sich in der Epoche des Freihandelskapitalismus und seines liberalen Staates als autonome Macht verstehen, da er ihr eine gewisse marginale Freiheit gewährte. Sie hing in Wirklichkeit eng von den Bedürfnissen dieser Art von Gesellschaft ab: der privilegierten studierenden Minderheit eine angemessene Allgemeinbildung zu vermitteln, bevor sie sich wieder in die herrschende Klasse einreiht, die sie kaum verlassen hatte.“

Die für den Druck verantwortlichen Studenten wurden daraufhin von der Hochschule exmatrikuliert, die Broschüre aber fand weite Verbreitung unter den 1968 revoltierenden Studenten, und wurde auch in andere Sprachen übersetzt, obwohl der Rektor der Straßburger Universität ihren Verfassern empört noch eine psychiatrische Behandlung nahegelegt hatte.


Mai 1968

„Eine neue Studentenideologie verbreitet sich in der Welt - es ist die entwässerte Version des jungen Marx, die sich ‚Situationismus‘ nennt.“

– Daily Telegraph vom 22. April 1967

Im Frühling 1968 kam es in Frankreich zu den Mai-Unruhen. Aus einer Besetzung der Pariser Universität Sorbonne entwickelt sich am Ende ein Generalstreik.

Rene Vienet, der wie 2 weitere Mitglieder der S.I. direkt an den Besetzungen an der Sorbonne beteiligt war, schreibt über diese Zeit:

„Die kapitalisierte Zeit stand still. Ohne Zug, ohne Metro, ohne Auto, ohne Arbeit holten die Streikenden die Zeit nach, die sie auf so triste Weise in den Fabriken, auf den Straßen, vor dem Fernseher verloren hatten. Man bummelte herum, man träumte, man lernte zu leben.“

Von der Verwicklung in die Studentenunruhen, und ein paar Kunstskandalen abgesehen blieben die weitaus radikaleren Forderungen der Situationistischen Internationalen allerdings größtenteils Theorie.


Ende

1972 löste sich die Gruppe auf, nach eigenen Angaben, um nicht zu erstarren und selbst zum Klischee zu werden, nicht zuletzt aber wohl auch aus Enttäuschung über die internationale Studentenbewegung und das von ihr Erreichte. Zu dieser Zeit bestand die Gruppe nur noch aus einem kleinen Kreis um Debord.

Im angelsächsischen Raum existierten noch längere Zeit situationistische Gruppen wie King Mob oder das Bureau of Public Secrets von Ken Knabb. Bekannt sind Aktionen wie der falsche Weihnachtsmann von King Mob, der zur Weihnachtszeit in Kaufhäuser ging und dort das Spielzeug aus den Regalen direkt an Kinder verschenkte. Die herbeigerufene Polizei musste den Kindern die Waren wieder abnehmen, die dann ungläubig dabei zusahen, wie der Weihnachtsmann verhaftet wurde.


Ziele

Kunst und Leben [Bearbeiten]Die Situationisten versuchten, ästhetische Konzepte auf die Gesellschaft zu übertragen, ähnlich wie z.B. auch Joseph Beuys, Fluxus, Konzeptkunst und andere zeitgenössische Strömungen in der Kunst: „Schön“, „ästhetisch“ interessant waren, bezogen auf ihren Kunstbegriff, Situationen, in denen sich Menschen unmittelbar frei und gleichberechtigt begegnen, austauschen, sich selbst verwalten, kreativ sein, sich ihren Leidenschaften hingeben, keinerlei unnötigen Zwängen mehr unterliegen würden.

„Wir meinen zunächst, daß die Welt verändert werden muß. Wir wollen die am weitesten emanzipierende Veränderung von der Gesellschaft und dem Leben, in die wir eingeschlossen sind. Wir wissen, daß es möglich ist, diese Veränderung durch geeignete Aktionen durchzusetzen. Es ist gerade unsere Angelegenheit, bestimmte Aktionsmittel anzuwenden und neue zu erfinden, die auf dem Gebiet der Kultur und der Lebensweise leichter zu erkennen sind, aber mit der Perspektive einer gegenseitigen Beeinflussung aller revolutionären Veränderungen angewandt werden.“

– Rapport über die Konstruktion von Situationen

Die Situationisten agierten somit in der Tradition von Dada und dem Surrealismus: „Der neue Künstler protestiert“, schrieb Tristan Tzara 1919, „er malt nicht mehr symbolistische und illusionistische Reproduktion, sondern handelt unmittelbar schöpferisch“. Der situationistische Slogan „Nimm deine Wünsche für Wirklichkeit“ verweist direkt auf die Beschäftigung der Surrealisten mit der Psyche und wurde später von Deleuze und Guattari im Begriff der „Wunschmaschine“ weiterentwickelt. Ein weiterer Slogan lautete: „Leben ohne tote Zeit!“

Geprägt sind ihre Anfänge aber auch von der Philosophie des Existentialismus der 1950er Jahre. Und auch wenn sich Situationisten nicht ausdrücklich auf ihn bezogen, hatte bereits Friedrich Schiller in seiner Schrift Über die ästhetische Erziehung des Menschen moralphilosphische Überlegungen angestellt, nach denen etwa der Zustand der Freiheit, verbunden mit ästhetischer Erziehung, den Menschen dazu bringe, aus eigenem Antrieb in „edler“ Weise moralisch zu handeln (23. Brief). Solche humanistischen Ideen lassen sich weiter bis in die antike Philosophie zurückverfolgen.

Die Kunst selbst sollte nun durch ihre Verwirklichung im Leben „aufgehoben“ werden, was bedeutete, dass Poesie oder künstlerisches Denken und Handeln nicht mehr nur auf Leinwänden, sondern in der Gestaltung der alltäglichen Lebenswelt Aller stattfinden sollte. Dies bedeutete dann das „Ende der Kunst“ - als Kategorie wäre der Begriff dann sinnlos, denn er würde keinen speziellen Ort für etwas bezeichnen, das anderswo nicht stattfände, sondern „alles“ wäre (auch) Kunst.

Ähnlich beabsichtigten sie mit der Grenze zwischen Arbeit und Freizeit zu verfahren. Arbeit als Mühsal, Fron, „entfremdete“ Lohnarbeit wurde als unnötig und dem menschlichen Wesen nicht gemäß empfunden, das Umhervagabundieren oder sich Verlaufen, sich Betrinken dagegen wurde mit dem Ernst von Wissenschaftlern künstlerisch erforscht und dokumentiert.


Die Gesellschaft des Spektakels

Bekanntestes literarisches Werk aus dem Umfeld der S.I. ist Debords Buch „Die Gesellschaft des Spektakels“, eine radikale Abrechnung mit dem Kapitalismus und dem Ostblock-Sozialismus zugleich. Dabei nimmt Debord u.a. Bezug auf die Geschichte des Anarchismus, aber auch auf Motive von Hegel und auf Texte von Karl Marx, sowie Georg Lukács. Es zeigt aber auch den Blick der Situationisten auf die Welt: Seit den 20er-Jahren habe sich in Ost und West gleichermaßen die Wirtschaft verselbstständigt, sei zu einer autonomen Macht geworden, die mit ihren Gesetzen das Leben der Menschen beherrsche. Das Spektakel transportiere verschiedene Ideologien, denen aber allen die Entfremdung des Menschen gemeinsam sei.


„Sei realistisch, verlange das Unmögliche“
Aus dem Widerspruch zwischen eigenen Idealen und der vorgefundenen Realität entstand die situationistische Kritik.

Die Situationisten waren allerdings nie an einem Zurück zu vermeintlich besseren alten Zuständen oder Mythen wie Religion, Ideologie oder „Natürlichkeit“ interessiert. Sie vertrauten u.a. auf die befreienden Wirkungen von Technik und hatten die Zweckentfremdung und Umgestaltung der modernen Industriegesellschaft durch Liebe, Subjektivität, Kunst und Fantasie zu einem Ort, an dem Genuss, Zufall und Menschlichkeit wieder ihren rechtmäßigen Platz bekämen, vor Augen. Sie sahen ihre Revolte gegen die Technokratie und die erhoffte Revolution als ein Fest an. Eine ihrer Strategien war, den Kapitalismus mit seinen Glücksversprechen einfach beim Wort zu nehmen, dieses versprochene Glück also ganz real und sofort einzufordern, wodurch sich dann eine Diskrepanz zwischen Versprechen und Realität auftäte, die eine Überwindung des Kapitalismus befördern würde. Ihre politischen Vorstellungen für ein Danach sahen vage eine Rätedemokratie vor.

Die politischen Gruppen ihrer Zeit sahen sie als engstirnig, dogmatisch und ungebildet an, und teilten ihnen dies auch immer wieder mit. Ideelle Verbündete waren die Zengakuren-Bewegung in Japan, oder die Rocker, denen sie jedoch ein mangelndes Bewusstsein attestierten, durch das sie am Ende doch nur zu bloßen Konsumenten in einem rebellischen Outfit würden.

Titel eines späteren Films von Debord ist das lateinische Palindrom „In girum imus nocte et consumimur igni“ („Wir gehen des Nachts im Kreise und werden vom Feuer verzehrt“). Hier findet sich die Gruppe vielleicht in ihrer Grundstimmung auch zutreffend beschrieben, sie ahnten immer die Aussichtslosigkeit ihres Unterfangens. Sie betrachteten es (auch) als Spiel.

Sie verehrten Baltasar Gracián, alte Anarchisten, Charles Fourier, den jungen Marx und die Pariser Kommune, lehnten aber den Ostblock-Sozialismus genauso ab wie den westlichen Kapitalismus. Ihnen zufolge war es egal, ob man in der kapitalistischen oder kommunistischen Fabrik monotone Arbeit verrichtete oder sich in der standardisierten modernen Wohnung beim Fernsehen langweilte, ob marxistische Führer und Parolen oder Werbung für Produkte auf den Werbetafeln erschienen, sie betonten die Ähnlichkeiten der beiden damals maßgeblichen Systeme im Alltagsleben des Einzelnen, und waren immer mehr an Subversion, Metaebenen und Verwirklichung von Leidenschaften interessiert als an der Tagespolitik, den Ideologien, Moden oder Parteien, die sie alle als Teil des Spektakels ablehnten. Nicht nur in den Befürwortern und Vertretern der bestehenden Ordnung, sondern besonders in einer verwässerten, konsumierbaren (Schein-)Kritik am Bestehenden, die letztlich nur sein Fortbestehen ermöglicht, sahen sie ihre Opponenten.

Dem Menschenbild Homo oeconomicus stellten die Situationisten das des Homo ludens gegenüber. Sie wandten sich somit gegen jede Verfestigung, Erstarrung, Absolutierung. Dabei betonten sie immer wieder, dass es keinen „Situationismus“ als „-ismus“, als starre Ideologie gebe: Sie behaupteten, der Begriff Situationismus sei eine Erfindung ihrer Gegner. Sie wendeten sich auch gegen ihre eigenen Fans und Bewunderer, denen sie vorwarfen, ihre Bewunderung stelle nur eine Form von Konsum und Mystifikation dar, keine „aktive“ Teilnahme an ihrem Projekt.

„Die kapitalistische bzw. angeblich antikapitalistische Welt organisiert das Leben spektakulär … Es kommt nicht darauf an, das Spektakel der Verweigerung auszuarbeiten, sondern das Spektakel selbst abzulehnen. Die Elemente der Zerstörung des Spektakels müssen gerade aufhören, Kunstwerke zu sein, damit ihre Ausarbeitung KÜNSTLERISCH im neuen und authentischen von der S.I. definierten Sinne ist. Es gibt weder einen ‚SITUATIONISMUS‘, ein situationistisches Kunstwerk noch einen spektakulären Situationisten. Ein für allemal.“

– Raoul Vaneigem

Zeitgenossen äußerten sich über so viel Radikalität teils spöttisch, teils hysterisch. Situationistische Ideen wurden aber populär, Autoren wie Henri Lefebvre sympathisierten in Blättern wie Arguments offen mit ihnen.


Arbeitsweise

Situationisten gingen immer vom subjektiven Erleben des Einzelnen, seinen Wünschen und Begierden aus. Dies war für sie der Angelpunkt jeder politischen Forderung.


Psychogeographie

Ziel war die Auflösung der Grenze zwischen Kunst und Leben ebenso wie eine grundlegende Umgestaltung der Stadtstrukturen und der gesellschaftlichen Normen. Die S.I. agierte sowohl mittels künstlerischer Aktionen als auch politisch und „psychogeographisch“. Der Begriff „Psychogeographie“ bezog sich auf Bewegung und Leben in Städten, aber auch auf Stadtplanung und Organisation der psychischen Potentiale. Es ging den Situationisten um die Erfindung neuer Bedingungen des Lebens, die neue Möglichkeiten menschlichen Verhaltens („Abenteuer“) bieten würden, jenseits von wirtschaftlichen Sachzwängen.


Medien

Mit umgestalteten Comics, in denen die Texte ausgetauscht und mit situationistischen Ideen ersetzt wurden, mit ihren Postern, Grafiken, Publikationen und Aktionen stellten sie auch eine frühe Form der Kommunikationsguerilla dar. Sie arbeiteten zugleich auf theoretischer, symbolischer und praktischer Ebene. Interessiert verfolgten sie die Berichterstattung über sich selbst in den Medien und druckten gerne Verrisse ihrer Gruppe in ihrer eigenen Zeitung ab. Sie waren sich immer über das Bild bewusst, das sie vermittelten, und spielten damit.


Stil

Entscheidend waren für Situationisten immer auch die Fragen des Stils, von ähnlichen politischen Bestrebungen grenzten sie sich u.a. auch durch ihre zelebrierte Eleganz ab, die z.B. in ihrer Sprache, den Inszenierungen ihrer Konferenzen oder der klaren und minimalen Ästhetik ihrer Publikationen Ausdruck fand. Die Ästhetik der Hippie-Bewegung wiesen sie zurück.


Wichtige Begriffe:

„Trennung“ (die Atomisierung der menschlichen Beziehungen unter den Bedingungen des „Spektakels“

„Situation“

„Dérive“ (das Erkunden einer Stadt durch zielloses Umherschweifen)

„Détournement“ (die Zweckentfremdung von beispielsweise Filmsequenzen, Fotos, Comicbildern, Gebäuden durch veränderten

Text/Kommentar/Schnitt/Gebrauch)

„Negation“

„Rekuperation“ (die jedes Mal stattfindende Vereinnahmung oder Simulation von Rebellion, Rebellion als Ware)

Zitate [Bearbeiten]„Sobald ein mythisches Gebäude in Widerspruch zu der sozioökonomischen Wirklichkeit tritt, öffnet sich ein leerer Raum zwischen der Lebensweise der Menschen und der herrschenden Erklärung der Welt, die plötzlich unangemessen wird, auf dem Rückzug ist.“

„Die Liebe ist niemals von einem gewissen heimlichen Widerstand abgerückt, den man Intimität getauft hat. Sie wurde von dem Begriff des Privatlebens geschützt, aus dem hellen Tag vertrieben (der der Arbeit und dem Konsum vorbehalten ist) und in die verborgenen Winkel der Nacht, in das gedämpfte Licht verdrängt. Auf diese Weise ist sie der großen Integrierung der Aktivitäten des Tages entgangen“

– aus dem Handbuch der Lebenskunst für die jungen Generationen

„Der Dadaismus wollte die Kunst aufheben, ohne sie zu verwirklichen; und der Surrealismus wollte die Kunst verwirklichen, ohne sie aufzuheben. Die seitdem von den Situationisten erarbeitete kritische Position hat gezeigt, daß die Aufhebung und die Verwirklichung der Kunst die unzertrennlichen Aspekte ein und derselben Überwindung der Kunst sind.“

„Mit der Automation, die der fortgeschrittenste Bereich der modernen Industrie und zugleich das Modell ist, in dem sich deren Praxis vollkommen zusammenfaßt, muß die Warenwelt den folgenden Widerspruch überwinden: die technische Instrumentierung, die objektiv die Arbeit abschafft, muß gleichzeitig die Arbeit als Ware und als einzigen Geburtsort der Ware erhalten. Damit die Automation oder jede andere weniger extreme Form der Produktivitätssteigerung der Arbeit, die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit wirklich nicht verkürzt, müssen neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Der Tertiärsektor, die Dienstleistungen sind das ungeheure Ausdehnungsfeld für die Etappenlinien der Distributions- und Lobpreisungsarmee der heutigen Waren; gerade in der Künstlichkeit der Bedürfnisse nach solchen Waren findet diese Mobilisierung von Ergänzungskräften glücklich die Notwendigkeit einer solchen Organisation der Nachhut-Arbeit vor.“

– Guy Debord in Die Gesellschaft des Spektakels

„Nachdem man die Produkte der Avantgarde ästhetisch neutralisiert auf den Markt gebracht hat, will man nun ihre Forderungen, die nach wie vor auf eine Verwirklichung im gesamten Bereich des Lebens abzielen, aufteilen, zerreden und auf tote Gleise abschieben. Im Namen der früheren und jetzigen Avantgarde und aller vereinzelten, unzufriedenen Künstler protestieren wir gegen diese kulturelle Leichenfledderei und rufen alle schöpferischen Kräfte zum Boykott solcher Diskussionen auf. (…) Wir, die neue Werte schaffen, werden von den Hütern der Kultur nicht mehr nur lauthals bekämpft, sondern auf spezialisierte Bereiche festgelegt, und unsere Forderungen werden lächerlich gemacht.“

– aus einem Flugblatt der Gruppe SPUR vom Januar 1961

„Dieser Ausbruch ist hervorgerufen worden von einigen Gruppen, die sich gegen die moderne Gesellschaft auflehnen, gegen die Konsumgesellschaft, gegen die mechanische Gesellschaft, sei sie nun kommunistisch im Osten oder kapitalistisch im Westen. Gruppen, die (…) sich an der Negation, der Zerstörung, der Gewalt, der Anarchie ergötzen, die schwarze Fahne schwingen.“

– De Gaulle am 7. Juni 1968 in einer Fernsehansprache über die Studentenunruhen und den Generalstreik

„Alle in der SITUATIONISTISCHEN INTERNATIONALE veröffentlichten Texte dürfen frei und auch ohne Herkunftsangabe abgedruckt, übersetzt oder bearbeitet werden.“

– Text auf der ersten Innenseite jeder Ausgabe der „internationale situationniste“


Folgen bis heute

Die Situationisten stellen eine der letzten klassischen Avantgarden des 20. Jahrhunderts dar, ihr Ende markiert für manche Betrachter auch den Übergang zur Postmoderne. In Amerika etwa waren Künstler wie Andy Warhol schon längst dabei, mit einer seriellen Ästhetik der Ware zu arbeiten, oder ihre eigene Entfremdung zu genießen und somit zu negieren. Mit der Postmoderne kamen auch andere Arten des Sprechens auf, Strategien wie Ironie oder scheinbarer oder wirklicher Affirmation. Aus Sicht Debords bestand die Notwendigkeit einer radikalen Negation der bestehenden Verhältnisse jedoch fort. Pop-Art und andere Spielarten des Kunstbetriebs widerlegen aus situationistischer Sicht nicht das Ende der Kunst.


Heutige Rezeption

Die Rezeption der situationistischen Bewegung heute ist sehr unterschiedlich, und auch kontrovers: Die Spannbreite reicht von einer Wahrnehmung der Situationisten als rein avantgardistischer oder architekturtheoretischer Künstlergruppe mit (wort)radikalem Gestus, über verklärend-verharmlosende affirmative Aneignungen im Kunstbereich oder sogar in der Werbung, über Weiterentwicklungen und Hybridisierungen ihrer Theorie in Kunst wie in Politik, bis hin zu Darstellungen der S.I. als rein politischer linksradikaler Gruppierung, die die Kunst nur noch überwinden, und real ausschließlich eine politische Revolution verursachen wollte. Dabei werden häufig innere Heterogenität und Diskussionen der Gruppe übersehen. Die Situationisten selbst verstanden ihre Forderungen nachweislich von Anfang an auch politisch, das Verhältnis zur Kunst und Künstlerrolle wandelte sich dabei über die Zeit mit der Struktur der Mitglieder.

Viele ursprünglich situationistische Forderungen sind heute längst Allgemeingut geworden (etwa die Aufhebung der Trennung von Arbeit und Freizeit), oder werden heute diffus „den 68ern“ zugeschrieben. Andere gerieten wieder in Vergessenheit. Im Zuge etwa von Arbeitslosigkeit und der aktuellen Diskussion um eine „Neue Bürgerlichkeit“ haben Forderungen wie die nach radikaler Selbstverwirklichung nur wenig Konjunktur.

Verwandtschaften und selbsterklärte Nachfolger finden sich u.a. in:


Kunst

Die Fluxus-Bewegung hatte teils ähnliche Ziele und Methoden, war aber wesentlich weniger politisch orientiert und bewegte sich mit ihren Happenings eher auf sicherem Kunstterrain.

Auch in der zeitgenössischen Kunst bezieht man sich hin und wieder auf situationistische Forderungen, z.B. Park Fiction Projekt.

Das Zentrum für Kunst und Medientechnologie widmete Guy Debord 2001 eine große Ausstellung.

Tachistische Malerei findet sich fast nur noch als Design auf Kleidung, Autos und Gardinen.

Psychogeographische Fragestellungen werden u.a. in der Architekturpsychologie erforscht.

Das Museum Tinguely zeigt vom 4. April bis 5. August 2007 in Basel eine umfangreiche, in Kooperation mit dem Centraal Museum Utrecht entwickelte Ausstellung über die Situationistische Internationale unter dem Motto „In girum imus nocte et consumimur igni“.


Musik

Situationistische Ideen, bzw. eine radikale Ästhetik („radical Chic“) wurden von einigen Hardcore-Punk-Bands wie Nation of Ulysses, oder der schwedischen Band Refused aufgegriffen: In ihren beigelegten Booklets forderten sie die Aufhebung der Grenze zwischen Kunst und Leben, was ihrer Meinung nach nur durch revolutionäre Überwindung des Kapitalismus möglich sei. Ebenso wurden die Manic Street Preachers sowie Tocotronic vom Situationismus beeinflusst.


Politik

Die Zeitschrift Pflasterstrand verwies in ihrem Titel auf das berühmte Zitat, geriet inhaltlich aber bald in Widerspruch zu situationistischen Forderungen.

Im angelsächsischen Raum berufen sich verschiedene Gruppen auf situationistische Ideen, etwa Angry Brigade, Class War, Neoismus und die Reclaim the Streets, Adbusters-Kampagnen oder Libre Society.

Die Kritik an der Arbeit wird von Gruppen wie den Glücklichen Arbeitslosen fortgesetzt. Dabei wird die Kritik der Arbeit von der Notwendigkeit einer Kritik von Kapital und Staat getrennt, an diesem Zusammenhang hält die Arbeitskritik der Gruppe Krisis fest. Auch im Rahmen der Kritik am bestehenden Konsumismus wird auf den Situationismus Bezug genommen.

Im Zuge einer aktuellen Diskussion um eine Neubewertung der Bewegung von 1968 in Deutschland, ihrer Motive und Folgen, kommen die Situationisten und ihre Ziele bisher kaum vor, im Vordergrund stehen zeitgenössische Protagonisten in Deutschland wie Rudi Dutschke. Erst in jüngerer Zeit beginnt ein Teil der radikalen Linken in Deutschland den Situationismus zu debattieren. Biene Baumeister et. al. haben ein in diesen Kreisen beachtetes Einführungsbuch veröffentlicht. Darum gab es eine Diskussion in der Szenezeitschrift Phase II. Außerdem scheint sich die Berliner Gruppe „Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft“ locker auf die Situationistische Internationale zu beziehen, deren Texte sie auch verlegen. Interessant in dieser Hinsicht ist auch eine kaum beachtete Szenezeitschrift, die sich schlicht „MAGAZIN“ nennt und welche sich offensichtlich in der Tradition der Situationistischen Internationale verortet – wenn auch die Einflüsse dieser Zeitschrift vielfältig sind und bis zur deutschen Klassik und den französischen Aufklärern reichen. Die beiden letztgenannten Gruppen lehnen sogar das erwähnte Einführungsbuch vehement ab und beschimpfen dessen Autoren in sektiererischer Manier als „Anti-Situationisten“, wobei im Fall des „MAGAZIN“ nicht einmal davor zurückgeschreckt wird, die politischen Gegner öffentlich als „Klobürsten“ zu benennen. Wobei diese Geschmacklosigkeit ganz den Stil der S.I. kopiert.


Philosophie

Von situationistischen Ideen beeinflusst ist die Philosophie der Postmoderne (Poststrukturalismus), beispielsweise frühe Werke des Philosophen Jean Baudrillard („Die Agonie des Realen“), oder der Begriff des Simulacrum. Da Baudrillard die Ununterscheidbarkeit von Realität und Simulation behauptet, läuft seine Theorie auf die Unmöglichkeit von Kritik hinaus.

Der Schriftsteller Greil Marcus stellte in seinem Buch „Lipstick Traces“ geheime gedankliche Verbindungen zwischen manchen Traditionen der christlichen Mystik, der Kunstrichtung Dada, der Frankfurter Schule (Adorno), den Situationisten und Punk her.

Zu den Zeitschriften, die in Frankreich an die situationistische Kritik anknüpften, gehören die von Jaime Semprun geleitete Encyclopédie des Nuisances, zu der Debord einzelne Beiträge schrieb, und der 1997 gegründete Oiseau-tempête.


Subkultur

Malcolm McLaren gibt an, er habe Punk wegen der Situationisten erfunden. Weiters leben Situationistische Strategien und Überzeugungen fort in manchen Aktionen der Kommunikationsguerilla oder der Hacker-Kultur und auch das spätere Konzept der „temporären autonomen Zone“ des Schriftstellers Hakim Bey ähnelt dem der situationistischen Situation.


 http://de.wikipedia.org/wiki/Situationistische_Internationale