1000 Erdbeben durch span. Staudamm erzeugt

Ralf Streck 25.06.2007 13:37 Themen: Weltweit Ökologie
Der Streit um den Staudamm von Itoiz geht in eine neue skurrile Runde. Nach einem Kongress mit 370 Experten stellte die Wasserbehörde CHE ( http://www.chebro.es) fest, die "Technologie zur Stabilisierung einer Talseite" stehe zur Verfügung. Erstaunlich, da das Abrutschen der linken Talseite, in der zudem die Staumauer verankert ist, jahrelang negiert wurde. Ein Gutachten verschwand in der Bauphase im Giftschrank. Erst als es am benachbarten Staudamm Yesa an der linken Talseite 3,5 Millionen Kubikmetern Erde abgerutscht sind, wird die die Gefahr ernster genommen, dass eine Flutwelle unterhalb des Staudamms von Itoiz vielen Menschen das Leben kosten kann. Das Problem wird verstärkt, da der Staudamm seit dem Beginn der Befüllung ständig Erdbeben induziert. Namhafte Gutachter haben die "nicht zu korrigierenden Mängel" schon vor Jahren festgestellt und vor den Katastrophen gewarnt, die über die Befüllung entstehen könnten.
Das kleine Dorf Itoiz ( http://de.indymedia.org/2005/08/125316.shtml) ist längst in der Wassersäule des umstrittensten spanischen Staudamms verschwunden. Mit ihm verschwanden acht weitere Dörfer, 1100 Hektar Wald und Ackerfläche in der Provinz Navarra in einer Wassersäule, die etwa so hoch wie der Kölner Dom sein soll, wenn der See bis zum Anschlag gefüllt ist. Dann werden auch Teile von drei wertvollen Naturschutzgebieten und zwei Vogelschutzzonen in den Tälern des Irati und Urubi, in denen fast 100 vom Aussterben bedrohte Tierarten siedeln, geflutet sein.

Der Staudamm ist ein Beispiel für die spanische Art, ein Projekt mit allen Mitteln durchzusetzen. Sogar ein Urteil vom Obersten Gerichtshof, der das Projekt annullierte, konnten dessen Betreiber nicht stoppen. Dazu lief die Maschinerie zu geschmiert. So mussten einst sogar hohe sozialistische Politiker abtreten, weil sie in Korruptionsskandale verwickelt waren und Schmiergeld von Siemens annahmen. Der Regierungschef Gabriel Urralburu ( http://es.wikipedia.org/wiki/Gabriel_Urralburu_Tainta) und sein Bauminister Antonio Aragon wurden sogar zu Haftstrafen verurteilt und genau sie waren es, die das Projekt Itoiz einst vorantrieben.

Doch auch die Konservativen, welche die Sozialisten (PSOE) ablösten, fanden mit deren Unterstützung immer einen Dreh, um den Widerstand und negative Urteile auszuhebeln. So wurden die Naturschutzgebiete nachträglich per Regionalparlamentsbeschluss verkleinert, damit nur noch Gebiete geflutet werden, die nun nicht geschützt waren. Dass dieses rückwirkende Vorgehen sogar den Segen der Verfassungsrichter erhielt, ist eines der besonderen spanischen Merkmale für Demokratieverständnis.

Die Hoffnung, dass der Widerstand gegen den Staudamm erlahmt, wenn die gewaltsam geräumten Dörfer in den Fluten verschwunden sind, erwies sich als falsch. Der hat sich seither zwar verändert, ist aber eher stärker geworden. Denn statt auf die wenig bevölkerten Gebiete oberhalb der Staumauer wird er nun von den dichter besiedelten Gebiete unterhalb der Mauer getragen, denn hier sitzt vielen Menschen die Angst im Nacken. Früher glaubte eine Mehrheit dort zunächst an den Segen, den das Wasser zur Bewässerung für trockene Gebiete haben sollte.

Doch die Menschen werden, seit mit der Befüllung vor gut drei Jahren begonnen wurde, täglich massiv an den Staudamm und seine Gefahr erinnert. Mehr als 1000 Erdbeben wurden seither in und um den Staudamm herum registriert. Das stärkste Beben erreichte eine Stärke von 4,6 auf der Richterskala. Allein am 15. Juni zwischen 0 Uhr und 10 Uhr in der Früh waren es sechs Erdstöße, welche das Instituto Geográfico Nacional (IGN/  http://www.ign.es/ign/es/IGN/home.jsp) registriert hat. Von Freitag bis heute früh waren es erneut 19 Beben und es ist deutlich, dass ihre Zahl zunimmt, umso höher die Wassersäule hinter der Mauer wächst. 142 waren es allein im Juni und insgesamt ist die Grenze von 1000 Erdbeben seit dem Beginn der Befüllung nun überschritten worden. Bei den letzten Beben liegen die Epizentren zu fast 40 % direkt unter dem See und zu fast 70 % in einem Radius von nur 5 Kilometern um ihn herum.

Kaum jemand traut sich nun noch ernsthaft, den Zusammenhang zwischen den Erdbeben und der Befüllung zu negieren, wie es die Regionalregierung von Navarra und die Wasserbehörde zunächst versuchten. Die sozialistische Zentralregierung zog sich elegant aus der Affäre, nannte den Zusammenhang unwahrscheinlich, wollte aber nichts definitiv ausschließen und ließ deshalb untersuchen ( http://www.gara.net/idatzia/20060301/art153849.php). Sehr ernst nahm man die Lage nicht, denn die Befüllung wurde nicht gestoppt, obwohl sie bisweilen wegen technischer Probleme mehrfach außer Kontrolle geriet und der Damm weit über die jeweils bestimmten Probemarken befüllt wurde.

Dabei hatten namhafte Geologen und Staudammbauer schon in der vor Bauphase auf das Problem hingewiesen und den Zusammenhang in zwei Gutachten vor zwei Jahren noch einmal in aller Deutlichkeit aufgezeigt ( http://de.indymedia.org/2005/03/110566.shtml). Offenbar hatten die Betreiber den Untergrund genauso untersucht, wie einst die unsichere linke Talseite.

In einem Gutachten, das der Geologieprofessor der Universität von Zaragoza Antonio Casas schon 1999 für die Staudammgegner erstellt hatte, warnte er davor, dass die Region "eine signifikante seismische Aktivität aufweist, die normalerweise mit Erdfalten im Untergrund in Verbindung steht". Im "Umfeld um den Staudamm von Itoiz befänden sich historische Epizentren", die beim Bau des Sees nicht beachtet worden seien.

Für Casas war es deshalb kein Zufall, dass sich mit der Befüllung eine "seismische Krise" einhergeht und die Epizentren im Bereich des Sees liegen. Vor zwei Jahren bestätigte auch sein Kollege Joaquín García Sansegundo, Professor an der Universität von Oviedo, dessen Vorhersagen. Fünf Kilometer unter dem See befänden sich Erdfalten, erklärte der Geologe, die sich durch den Druck des gestauten Wassers "in Bewegung gesetzt" hätten. Sansegundo wies in seinem Gutachten darauf hin, dass mit den Beben die Gefahr für die instabile linke Hangseite wachse, auf die sich der Damm ebenfalls stützt.

Dabei dauerte es bei der Wasserbehörde CHE und die konservative Regionalregierung bis 2006, bis sie sich auch offen dem Problem einer unsicheren linken Talseite stellten ( http://www.gara.net/idatzia/20060530/art166593.php). Jahrelang hatten sie dieses Problem negiert, obwohl ihnen darüber Gutachten vorlagen. Eines davon wurde den Gegnern einst zugespielt, dass ausdrücklich vom Abrutschen der linken Seite berichtete. Es war von den Behörden jahrelang unter Verschluss gehalten worden. Dass dieser Fakt zugegeben wurde, stand, so war damals allerdings noch nicht bekannt, mit dem Abrutschen der linken Talseite am benachbarten Staussee Yesa in Verbindung, die sich gerade ereignet hatte, aber acht Monate geheim gehalten wurde ( http://www.yesano.com/noticias2007/20070221_NPdeslizamiento.htm)

Es wird nur anerkannt, was nicht mehr zu bestreiten ist.

Doch die offizielle Anerkennung für die Tatsache fehlt noch immer, dass die riesige Wassersäule auch die Erdbeben induziert. Nach dem Erdrutsch am Stausee von Yesa kaum also auch, im wahrsten Sinne des Wortes, Bewegung in das Problem der abrutschenden Talseite von Itoiz. So wurden Experten bemüht und kürzlich trafen sich gleich 370 Experten zu einem Arbeitstreffen, um auf Einladung der CHE über die Sicherheit der Talseiten von Stausseen zu sprechen. Die Konferenz wurde in Zaragoza abgehalten.

Das ist die Hauptstadt der Provinz Aragon, den Yesa liegt an der Grenze zwischen Navarra und Aragon, wozu der Stausee gehört. Allerdings ging der Erdrutsch in Yesa glimpflich ab und konnte deshalb acht Monate verheimlich werden. Denn dort soll der Staudamm erst vergrößert werden, weshalb die die mehr als drei Millionen Kubikmeter Geröll (noch) nicht in den See rutschten. Das Verschweigen des Vorfalls hat der CHE erneute Einbußen beim Vertrauen gebracht, zumal sie auch von diesem Vorfall scheinbar überrascht wurde.

Allerdings, das war das offensichtliche Ziel des Expertentreffens, sollte die beruhigende Prognose bestätigt werden, welche die gastgebende Wasserbehörde schon vorgegeben hatte. Der CHE-Präsident hatte schon vor Beginn der Konferenz erklärt, dass vom Stausee Yesa keinerlei Gefahr ausgehe. Selbst wenn die linke Seite "in den halbleeren See" gerutscht wäre, hätte dies nur eine "sehr kleine Welle" erzeugt, sagte José Luis Alonso ( http://www.diariodenavarra.es/actualidad/noticia.asp?not=2007061112504257&dia=20070611&seccion=navarra&seccion2=infraestructuras). Was wohl passiert wäre, wenn die Menge in einen prall gefüllten See rutscht, sagte er nicht. Ohnehin, so wurde auf dem Expertentreffen auch gewarnt, handelte es sich bei der bisher abgerutschten Menge nur um einen winzigen Teil von einer Gesamtmenge von etwa 100 Millionen Tonnen, die schon in Bewegung seien. Die Verantwortlichen mühten derweil weiter ab, die deutlich sichtbaren Risse im Umfeld des Stausees zu verbergen (Siehe Fotos).

Das Problem abrutschender Seiten ergebe sich auch an anderen spanischen Stauseen, warnte der Geologe Casas auf dem Treffen ( http://www.elperiodicodearagon.com/noticias/noticia.asp?pkid=328818). In einem Interview gab er auch an, dass die Auswirkungen deutlich dramatischer wären, wenn sich ein Erdrutsch in den vergrößerten und vollen Stausee ereignen würde ( http://www.yesano.com/noticias2007/20070613_DN_Jornadas_Casas.htm).

Im Fall vom Stausee Itoiz gehen sogar die Betreiber schon jetzt offiziell davon aus, dass gut die sechsfache Masse des Erdrutsches von Yesa, nämlich mindestens 20 Millionen Kubikmeter Masse, schon in Bewegung ist. Nach Angaben von Casas ist diese Menge in Itoiz aber technisch bisher "schlecht charakterisiert". Die Messgeräte seien zudem "schlecht positioniert" und ihre Ergebnisse würden außerdem "falsch interpretiert" griff Casas die Behörden erneut an. Dazu kommt, dass die Staumauer in Itoiz ausgerechnet in der abrutschenden Seite verankert ist und die Sicherheit durch die Erdbeben weiter beeinträchtig wird.

Wie erwartet, stellte die Wasserbehörde nach dem Treffen beruhigend fest, man verfüge über "ausreichende technische Möglichkeiten um die Seiten zu stabilisieren". Doch diesen Prognosen glauben viele Menschen unterhalb des Staudamms ohnehin nicht mehr. Sie erwarten nichts anderes von einer Behörde, die Jahre das Abrutschen der Talseite in Itoiz negierte und sogar über acht Monate den Erdrutsch in Yesa geheim hielt. Soll man also nun den Experten glauben, die auch die seismische Aktivität in der Region bei Bau offenbar übersehen haben oder doch lieber denen, die all diese Probleme schon früh aufzeigten?

So schließen sich viele der Meinung der Koordination gegen den Staudamm von Itoiz an, die seit langem fordert, den Damm sofort kontrolliert zu entleeren. Sie können sich dabei auch auf das Urteil eines der namhaftesten Staudammbauer in Spanien stützen. Der Geologe und Architekt Arturo Rebollo Alonso kam schon vor dem Befüllen und den auftretenden Erdbeben zu dem vernichtenden Ergebnis, dass die Untersuchungen im Vorfeld "lücken- und fehlerhaft" waren. "Das Risiko einer Katastrophe, die Szenarien zu denkbaren Störfällen, die mit dem Stauseeprojekt zusammenhängen, wurde in den Bauplänen und begleitenden Gutachten niemals erwähnt oder auch nur ansatzweise untersucht". Deshalb erklärte Rebollo: "Der Stausee von Itoiz darf nie gefüllt und in Betrieb genommen werden. Es bestehen schwerwiegende Probleme und Sicherheitsrisiken katastrophalen Ausmaßes."

Er erklärte zudem, dass "keine technischen Lösungen existieren, welche die von mir genannten Sicherheitsprobleme heilen könnten". Eine Katastrophe, wie sie sich im norditalienischen Vajont 1963 ereignete, schließt weder Rebollo, noch Casas oder Sansegundo aus. 2600 Tote fielen dem von Menschenhand geschaffenen Tsunami zum Opfer, nachdem die südliche Talseite in den See abgerutscht war und die Flutwelle auslöste ( http://www.nerc-bas.ac.uk/tsunami-risks/html/HVaiont.htm).

Die Gegner des Stausees von Yesa ( http://www.yesano.com) halten die Aussagen der CHE über die mögliche Nachbesserungen für "unverantwortlich und leichtfertig" ( http://www.yesano.com/noticias2007/20070612_DN_Jornadas_CHE.htm). Die Itoiz-Gegner bezeichnen das Vorgehen als "kriminell". Man ist sich bewusst darüber, dass dies hart klinge, aber anders sei es kaum zu fassen, dass man "völlig unnötig tausende Menschen einer permanenten Gefahr aussetzt" ( http://www.gara.net/paperezkoa/20070613/23475/es/Califican-obras-Esa-e-Itoitz-propias-criminales).

Eine winzige Chance auf eine Veränderung der Politik im Fall Itoiz könnte sich daraus ergeben, dass die Konservativen bei den Regionalwahlen in der Region, die traditionell eigentlich zum Baskenland gehört, im Mai die absolute Mehrheit im Regionalparlament verloren haben. Noch stehen die Sozialisten (PSOE), die stets einen Machtwechsel forderten, in Verhandlungen mit der baskischen Koalition "Nafarroa Bai" (Ja zu Navarra/  http://www.nafarroabai.org), die kritisch zum Staudammprojekt steht. Da die Koalition aus moderaten Nationalisten zweitstärkste Partei wurde, müsste die PSOE ihr in einer Koalition die Präsidentschaft überlassen. Das könnte das Aus für Itoiz bedeuten. Allerdings sind die Sozialisten nach dem Ende der Waffenruhe der ETA ( http://de.indymedia.org/2007/06/183463.shtml) und dem schlechten Abschneiden bei den Wahlen in Spanien insgesamt so unter Druck der Rechten, dass sie in Erwägung ziehen, die Konservativen zu dulden. Der endlose Streit um Itoiz ginge dann in die nächste Runde.

Obwohl die Regionalregierung schon letzte Woche gebildet worden sein sollte, hat die PSOE die Regierungsbildung bis zum 4. Juli hinausgeschoben. Sie will weiter Zeit gewinnen. Nafarroa Bai hatte bis heute ein Ultimatum gestellt, dass sich die Sozialisten definitiv schriftlich auf eine Regierungsbildung festlegen. Man darf gespannt sein, ob die PSOE ihre Angst vor der PP nachgibt. Denn die Wahlaussischten, welche man sich für die Parlamentswahlen in Spanien im kommenenden März ausrechnet, entscheiden über die Regierungbildung in Navarra.

© Ralf Streck den 25.06.2007
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Ergänzungen

Widerstand soll mit Knast bestraft werden

Ralf 26.06.2007 - 10:49
Die Leute, die sich einst gegen die Räumung der Dörfer gewehrt haben, durch passiven Widerstand, mit Anketten und so, sollen nun sogar in den Knast, weil sie sich einst angekettet haben, um nicht aus ihren oder den Häusern von Freunden rausgeworfen zu werden. Es geht um 19 Leute die wegen "Widerstand" in den Knast sollen. Das ganze ist nun schon vier Jahre her, weshalb das Grundrecht auf einen zeitnahen Prozess nicht mehr gewährleistet ist. Zudem sollen sie auch ökonomisch ruiniert werden, zu dne Prozess und Anwaltskosten sollen sie fast 40.000 Euro für den Polizeieinsatz zahlen, da sind sogar die Brötchen zur Verpflegung eingerechnet.  http://de.indymedia.org/2003/06/54859.shtml