Mehr als nur Solidarität gefragt

Solidari@s con Itoiz 17.08.2005 00:32 Themen: Ökologie
Mehr als nur Solidarität gefragt
- Der Staudamm von Itoiz

Geschichte eines Kampfes gegen die Katastrophe - Solidari@s con Itoiz
Seit der Protest gegen den Staudamm von Itoiz vor mehr als 20 Jahren begann, haben wir schon jede Menge über Itoiz und angrenzende Themen geschrieben.
Bevor wir, Solidari@s con Itoiz (Solidarisiert Euch mit Itoiz) anfingen, als Gruppe zusammen zu arbeiten, waren wir alle bereits – jede und jeder auf ihre und seine Art – im Protest gegen diesen monströsen und baufälligen Staudamm aktiv.

Itoiz ist ein von Iruñea (Pamplona) 20 km entferntes Dorf. Dieses Dorf befindet sich im westlichen Teil der Pyrenäen. Seine Lage ist für einen der Gründe gegen diesen Wahnsinn aktiv zu werden wichtig, den ich später noch erläutern werde.

Franco begann vor vielen Jahren in seinem Größenwahnsinn, der ägyptischen Pharaonen glich, eine Serie von großen Wasserspeicheranlagen u.a. mit der Idee, Millionen von Kubikmetern Wasser von einem Teil der Iberischen Halbinsel zum anderen Teil zu leiten. Dafür benötige er natürlich riesige Staudämme, die er ohne jegliche offizielle Gegenstimme erbauen lassen konnte. Einer dieser geplanten Staudämme war der Staudamm von Itoiz. Bereits damals, vor mehr als 30 Jahren, wurde in den Gutachten berichtet, die vor der Erbauung veröffentlicht wurden, dass die Berge der Gegend um den Stausee herum sehr instabil sind. Franco kam nicht mit dem Bau voran.

Trotz der bekannten Informationen über die Beschaffenheit der nahe liegenden Berge kehrte die Sozialistische ArbeiterInnenpartei Spaniens (PSOE) viele Jahre später zu jenem Plan von Franco zurück, große Wassermengen von Nord- nach Südspanien zu leiten. Nachdem sie die Konservative Partei (PP) bei den letzten Wahlen abgelöst hatte, verfolgte die SPOE die Pläne weiter. Um die Idee der Wasserleitung von Nord nach Süd zu verwirklichen, planten und entwarfen sie viele neue Staudämme und planten den Staudamm von Itoiz weiter. Diesmal jedoch war die Situation jedoch nicht wie im faschistischen Franco-Regime. Als die PSOE-Regierung von damals dem Bau des Itoiz-Staudamms zugestimmt hatte, begannen die Menschen aus der unmittelbaren Umgebung, die am meisten Betroffenen, sich zu einer Art BürgerInneninitiative gegen diesen Staudamm zusammen zu schließen. Diese nannten sie Coordinadora por Itoiz. Diese „Coordinadora“ bestand aus allen Gemeinderäten und praktisch 100% der Bevölkerung. Diese koordinierende Protestvereinigung wurde in verschiedenen Bereichen tätig: von legalen Untersuchungen hinsichtlich der Berechtigung des Baus des Staudamms bis zur Organisation von Demonstrationen in den Orten der Gegend und später auch in der Hauptstadt von Navarra.

Der Protest der Menschen aus den betroffenen Orten und Tälern trug schon bald Früchte: nun war das irrsinnige Projekt auch spanienweit bekannt. Betrachtet mensch die Handlungsweise der Regierung, muss mensch wieder einmal feststellen, dass die Regierung ihre eigenen Gesetze nicht eingehalten hatte und viele Prozesse gegen den Staudamm hat die Regierung bis heute immer wieder verschoben.

Einer der offenen Prozesse gelangte sogar bis Strassburg, bis zur Umweltkommission der EU. Dennoch wurde mit der Zeit klar, dass all diese Prozesse und die Unterstützung der Menschen den Bau zwar verzögerten, aber dass er niemals ganz aufgehalten werden würde. Um das Jahr 1994 wurde klar, dass der tatsächliche Beginn des Baus vor der Tür stand. Die jahrelangen Prozesse waren sehr ernüchternd: viele RichterInnen hatten zuerst ihr Urteil gefällt, dass der Staudamm illegal sei und später – „ganz demokratisch“ – die eigene Entscheidung revidiert und den Bau nicht aufgehalten. Ungefähr in der Zeit, als die PSOE-Regierung entschieden hatte, nun die Wälder und die Natur der Berge zu zerstören sowie die Zementmasse einzulassen (Stauseeboden), hatte die Umweltkommission der EU zu entscheiden, ob der Staudamm von Itoiz illegal sei oder nicht. Leider enthielt sich diese Kommission, wie so oft, der Stimme und fand keinen Grund, den Staudamm auf zu halten. Diese Entscheidung war ein furchtbarer Schlag ins Gesicht der Protestbewegung gegen den Staudamm. Die ersten Bauarbeiten hatten begonnen.

Es war grausam, hunderte von Maschinen zu sehen, die mit einer erstaunlichen Leichtigkeit von einem Tag auf den anderen das zerstörten, was die Natur tausende von Jahren erschaffen hatte. In jener Zeit, nach Beginn der Bauarbeiten, starb ein Teil von uns. Wir hatten so sehr gekämpft, um die Dörfer zu retten und die Menschen, die in ihnen lebten; die Art des ländlichen Lebens und seine Geschichte, genauso wie die mehr als eine Million Bäume, die die Errichtung dieses Staudamms zerstören würde – mit allem, was das bedeuten würde: tausende von toten Tieren, Lebensräume verschwunden, die in keinem anderen Gebiet Europas vorkommen; die Zerstörung von Naturschutzgebieten (von der EU deklariert) und die enorme Gefahr für all diejenigen, die zu tausenden flussabwärts leben, hunderte von Kilometern vom Staudamm entfernt.

Wir sahen ein, dass weder die Mobilisierung allein, noch die Gerichtsprozesse dieses schreckliche Megaprojekt aufhalten würden. So beschlossen wir, dass direkte Aktionen – öffentlich und gewaltfrei – ein anderer Weg sein könnte, den Bau für immer zu stoppen. So gründeten wir 1995 Solidari@s con Itoiz.

Wenig später gaben RichterInnen den GegnerInnen des Staudamms recht und erklärten ihn für ILLEGAL. Natürlich hielten die PolitikerInnen die Bauarbeiten nicht eine einzige Minute auf. Im Prinzip war der Grund, das Objekt als null und nichtig sowie für illegal zu erklären, folgender: Der Stausee würde fünf Naturschutzgebiete überschwemmen und zerstören, von denen drei besonders geschützt waren (aufgrund der Einzigartigkeit der vorkommenden Arten). Die offiziellen Gründe für die Erbauung waren zwei: Das Wasser wäre dafür bestimmt, einen Teil von Navarra zu bewässern, dafür müsste mensch einen Riesenkanal erbauen, der 177 km durch ganz Navarra gehen würde. Die Gewinnung von Elektrizität wurde als zweiten Grund genannt.

Die Coordinadora por Itoiz gab Prof. Dr. Pedro Arrojo der Wirtschaftsfakultät der Universität Zaragoza den Auftrag, zunächst eine Beurteilung der wirtschaftlichen Rentabilität des Staudamms darzulegen, um offiziellen Stellen klar zu machen, dass das Projekt nicht nur ein ökologischen und soziales Desaster ist, sondern auch unrentabel ist. Prof. Dr. Arrojo kam nach seinen Untersuchungen zu dem Schluss, dass der Itoiz-Staudamm “ökonomisch gesehen ein absoluter Verlust ist“. Uns, Solidari@s con Itoiz, beschäftigten ganz andere Fragen: Welche weiteren Folgen hat dieser Irrsinn? Warum wurde dieser Riesenstaudamm gebaut? Die Antwort auf die letzte Frage kam von der Mittelmeerküste. Der Tourismus. Das Wasser des Flusses Irati (an dem sich auch der Stausee befindet), der keine stabile Wassermenge hat, sollte in den Ebro geleitet werden, der wiederum das Wasser an die Mittelmeerküste bringt.Etliche Golfplätze sollen damit vesorgt werden. Ein einziger Golfplatz an der Mittelmeerküste braucht 10 Millionen Liter Wasser. Die unzähligen Einfamilienhäuser mit ihren Gärten und Swimmingpools verbrauchen auch viel Wasser.

Der zweite offizielle Grund, warum der Staudamm gebaut werden sollte, ist leicht zu dementieren. Auch vorher wurde bereits Strom mit dem Flusswasser erzeugt. Ungefähr die gleiche Menge, die nun mit dem Riesenstaudamm, der für mehrere Millionen Kubikmeter Wasser konzipiert ist, produziert werden soll.

Natürlich verliert eine Regierung in einem halbdemokratischen Halbrechtsstaat keinen Fall wie diesen. Immer bleibt noch eine letzte oberste Instanz. In diesem Fall befolgte das Verfassungsgericht das Diktat der Oligarchie. Nachdem also fünf spanische Gerichte (u.a. der Oberste Spanische Gerichtshof) den Staudamm für illegal erklärt hatten, fällte das Verfassungsgericht das Urteil, dass die Regierung, nachdem sie ein Gesetz geändert hatte, doch rechtmäßig gehandelt hätte und dem Einlass des Wassers in den Stausee nichts mehr im Wege stünde. Ganz nebenbei wurden der Ministerpräsident von Navarra und der für die Baumaßnahmen zuständige Chef wegen Veruntreuung und Korruption festgenommen und verbrachten sogar einige Zeit im Gefängnis.

So vergingen die Jahre und wir planten Aktionen, die die Leute motivieren sollten und ihnen zeigen sollten, dass sie nicht auf Veränderungen von außen warten sollten. Unser Motto: Wenn dir der Stausee und Staudamm nicht gefällt, halte ihn auf, warte auf niemanden, der es für dich macht. Außerdem wollten wir den Unternehmen, die direkt am Bau beteiligt waren, zeigen, dass sie eine Verantwortung zu tragen haben. So besetzten wir ihre Büros als Blumen verkleidet, ein anderes Mal zementierten wir die Eingänge zu ihren Büros, bevor sie zur Arbeit kamen. Unser Ziel war natürlich auf lange Sicht, die Bauarbeiten für immer zu stoppen bzw. sie wenigstens so gut wie möglich aufzuhalten.
So fingen wir also an, richtig aktiv zu werden. Ihr könnt mehr über die Aktionen nachlesen unter:  http://sindominio.net/sositoiz

Bald spitzte sich die Situation zu und die Schichten der Bauarbeiten wurden auf drei erhöht, d.h. 24 Stunden täglich. Ein weiterer Schlag in unsere Gesichter. Falls irgendwann einmal doch ein Richter oder eine Richterin entscheiden sollte, dass das Projekt gestoppt wird, könnte mensch dennoch nichts von all dem, das jetzt zerstört wurde, wiederkehren lassen. Aber welcheR RicherIn würde sich schon trauen, die Bauarbeiten eines Staudamms aufzuhalten, der 200 Millionen Euro gekostet hat? Nachdem wir einsahen, dass alle vorherigen Strategien wenig geholfen hatten, bereiteten wir etwas vor, das die Bauarbeiten tatsächlich für eine lange Zeit aufhielt.

Die Aktion war wirklich gut durchdacht und vorbereitet. Es ging darum, ein System von Kabeln zu zerschneiden (mittels Winkelschleifer), das die Seilbahn mit großen Behältnissen mit Zement gefüllt zur Errichtung der Staumauer u.ä. transportierte - über die gesamte Länge der riesigen Staumauer. Die Aktion verlief an sich perfekt, nicht im Traum hätten wir uns vorstellen können, welche Folgen sie haben sollte: die Bauarbeiten wurden für ein ganzes Jahr aufgehalten! Die Antwort des „Rechtsstaates“ war brutal und radikal. Acht unseres Kollektivs wurden zu fünf Jahren Haft verurteilt. Bis zum heutigen Tag haben sie nicht geschafft, uns alle ins Gefängnis zu bringen. Sechs von uns sind untergetaucht. Einer von uns wurde in einer Verkehrskontrolle entdeckt und hat bis vor kurzem fast vier Jahre abgesessen. Leider ist immer noch einer von uns im Gefängnis. Er wurde vor einem Jahr auch in einer Verkehrskontrolle erwischt und ist nun im Gefängnis von Iruñea (Pamplona). Mensch kann ihm gern an folgende Adresse Solidaritätsbriefe schicken:

Ibai Ederra Miranda
Cárcel de Pamplona
Calle San Roque, s/n
Apdo. 250
31011 Iruñea (Pamplona)
Nafarroa
Spanien

Als klar wurde, dass wir der Strafe kaum entkommen können, planten wir, europaweit auf die Sinnlosigkeit dieses Staudamms aufmerksam zu machen, von unserem Protest und der Strafe zu berichten und so begannen wir eine Aktionstour durch ganz Europa. 1999 waren wir während dieser Tour auch in Deutschland. Und zwar gab es zwei Aktionen: eine war auf dem Brandenburger Tor und die andere am Fersehturm auf dem Alexanderplatz. Durch diese Aktionen erreichten wir viele Menschen, die tausende von Kilometern entfernt wohnten und nun davon erfuhren. Neun Monate waren wir unterwegs, machten 70 Aktionen verschiedenster Art und drehten ein Video. Danach hatten wir viel mehr Unterstützung.

Leider wurden unsere Dörfer dennoch einige Jahre später geräumt und unsere Lebensgrundlagen zerstört.
Später ergaben Berichte von Universitäten, dass der Staudamm brechen würde. Sie sagten nicht, dass er brechen könnte, sondern brechen wird. Der Grund, warum dieser Artikel die Überschrift trägt „Mehr als nur Solidarität gefragt“ ist, dass es sich im Fall von Itoiz nicht um ein Problem von anderen handelt, das sich durch die eine oder andere Solidaritätsbekundung löst, sondern uns alle betrifft! In diesem Fall handelt es sich um einen Todes-Staudamm, der viele Orte, Kulturen, unter Schutz stehende Zonen, hunderttausende von Bäumen einfach in ein zweites Chernobyl Europas verwandelt.

Der Grund für diese Annahme? Ganz einfach. 300 km flussabwärts befindet sich das Atomkraftwerk Ascó am Ebro, dem Fluss, der das Wasser des Staudamms von Itoiz anschwemmen würde. Wir sprechen hier von mehreren Millionen Kubikmetern Wasser, die mit allergrößter Wahrscheinlichkeit das AKW zu einem SuperGAU, sprich einer Kernschmelze mit Explosion der Reaktorkerne bringen würden. Das ist zwar kein Reaktor wie der in Chernobyl, sondern es handelt sich um zwei Reaktorblöcke, die sich praktisch am Flussufer befinden. Einer der Ingenieure bestätigt, dass, wenn der Staudamm jetzt vollständig gefüllt wird (er ist bereits zu 75% gefüllt), die Staumauer (früher oder später) auch brechen wird. Da die Fundamentskonstruktion des AKWs von Anfang an problematisch war, gäbe es dann auch gar keine andere Möglichkeit als die der sicheren Explosion der Reaktorblöcke. Die Konsequenzen dieser Katastrophe, die weit über die Grenzen gehen würde, können wir uns alle ausmalen.

Daher ist das Problem von Itoiz eines, das alle angeht. Es ist auch dein Problem, obwohl du 2000 km weit weg davon wohnst. Die aktuelle Situation ist absolut unglaublich. In der Zone um Itoiz gab es in den letzten drei Monaten mehr Erdbeben als nie zuvor. GeologInnen aus Spanien und Frankreich bestätigen, dass es keinen Zweifel darüber gibt, dass diese Erdbeben mit dem Füllen des Staubeckens zusammen hängt. Die 400 m lange und 130 m hohe Staumauer hat sich bereits bewegt, wie Meßgeräte anzeigten. Es gibt erste Komplikationen. Die Öffnungen für das Wasser sind teils durch schweres Geröll zugeschüttet und mehr und mehr Steine u.ä. der Berge kommen dazu. Die Antwort der Regierung darauf? – „Keine Gefahr im Verzug“. Wie damals beim Staudamm in Vaiont (Italien). Nur dass jener Staudamm viel kleiner als der von Itoiz war und als er brach, starben 2000 Menschen, eine Zahl, die im Fall von Itoiz bei weitem überschritten würde. Noch können wir es aufhalten. Wir brauche die Hilfe von allen. Bevor es zu spät ist. Der Countdown läuft.

Bericht von einem Aktiven der Gruppe Solidari@s con Itoiz,

Nachtrag:
Die Umweltministerin der spanischen Regierung Cristina Narbona hat nun zwei neue und unabhängige Untersuchungen mit Berichten über die Sicherheit des Staudamms von Itoiz angefordert. Das bestätigt, dass die Beteuerungen der Verantwortlichen des Baus für die Stabilität des Staudamms zweifelhaft sind, wenn sogar unabhängige Berichte aus dem Umweltministerium gefordert werden.
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Ergänzungen

Gora Itoiz

Paul 17.08.2005 - 20:29
Gora Itoiz!!!