Du hast mehr verdient... zum Tod von Sascha K

LRN-News 27.04.2007 22:24 Themen: Medien Repression Soziale Kämpfe
"Von Arbeit muß man leben können - ohne Arbeit auch"


Ludwigshafen: Du hast mehr verdient... Mahnwache zum Tod von Sascha K.

Frei nach dem Brecht-Zitat "..und die im Dunkeln sieht man nicht"
hat in Ludwigshafen eine Mahnwache anlässlich des in Speyer
verhungerten Jugendlichen und seiner fast verhungerten
Mutter stattgefunden
Gestern morgen (26.04.07) um 10.00 Uhr begann bei sommerlichen Temperaturen die Mahnwache zum Tod von Sascha K. - es versammelten sich rund 40 Leute, die in Redebeiträgen (und Gedichten von Kurt Tucholsky und Erich Kästner) die Bürgerinnen und Bürger im Land dazu aufforderten, bei den sozialen Problemen in der Gesellschaft nicht mehr wegzusehen und
solidarisch Verantwortung zu tragen. Nach dem Motto "Von Arbeit muß man
leben können - ohne Arbeit auch" lautete die zentrale Forderung: Hartz IV muß weg!

Die kommunalen Arbeitsgemeinschaften (ARGE) in der "Metropolregion Rhein-Neckar" und und speziell die GfA Vorderpfalz-Ludwigshafen wurden per Megaphon mehrmals dazu aufgefordert, ihre Menschen verachtende Bestrafungsaktionen (Sanktionen) gegen Hartz IV-Betroffene umgehend einzustellen und die verletzten Menschenrechte im Lande wieder herzustellen.

Die Ludwigshafener Mahnwache wurde dazu genutzt, die dunklen Seiten der
Hartz IV Gesetze ans Licht zu bringen. Dazu meldeten sich ALg II-Betroffene
persönlich zu Wort, Mitglieder vom Sozialen Netzwerk Deutschland
verteilten ein Flugblatt mit Anti-Hartz-Forderungen". Am "Offenen Mikro" meldeten sich spontan Erwerbslose zu Wort, die an diesem Tag bei der GfA Ludwigshafen ihre Alg II-Angelegenheiten zu klären hatten.

Eine der ersten Rednerinnen war eine Stadträtin aus der Schwesterstadt
Mannheim: Gudrun Kuch (Linke Liste) prangerte die grassierende
Kinderamut in der Region an und betonte, dass seit der Einführung von
"Hartz IV" die Suizid- bzw.Sterberate gestiegen ist. Erinnert wurde an den
Mannheimer Hans-Jürgen H., der als über 50-Jähriger Behinderter und ehemaliges aktives SPD-Mitglied bereits im ersten Hartz IV-Jahr obdachlos wurde. Er bekam keine Alg II Leistungen und war im Winter 2005 derart körperlich geschwächt, dass er in der
Biblothek der Uni-Mannheim an Herzversagen verstarb.

Zur dieser ersten Mahnwache und Kundgebung anlässlich des tragischen
Hartz IV-Vorfall in der Bischofsstadt Speyer, hatte kurzfristig der in Ludwigshafen
im Jahre 2006 gegründete Verein Soziales Netzwerk Deutschland aufgerufen. Es gab
mehrere Initiativen, die sich spontan angeschlossen haben und gemeinsam mit Plakaten,
Flyer, einer Lautsprecher-Anlage, Sonnenschutz-Zelten, Getränken usw.engagierten. Eine spezielle "Mahnstelle" mit Kerze erinnerte an den Hungertod von Sascha K.

Zu Besuch war aber auch ein Baby, das vor einigen Monaten in Ludwigshafen geboren
wurde und vor Weihnachten gleich in existenzielle Not geraten ist: Mutter und Vater
sollten keinen "Penny" an Alg II-Leistungen erhalten. Darüber sprach Petra Karl
von "Tachels -im Namen des Volkes", die durch massive Protestaktionen (u.a. mit
Hilfe der rheinlandpfälzischen Landesregierung) die Ludwigshafener GfA erst einen
Tag vor Weihnachten 2006 dazu bewegen konnte, die Auszahlung einer Grundleistungen kurzfristig durchzuführen.

Um 12.00 Uhr läuteten die Glocken einer nahen evangelischen Kirche - es wurden
für Sascha K (und seine Mutter) zwei Schweigeminuten eingelegt; alle Anwesenden
standen - den Rücken symbolisch zum Hauptgebäude gewendet - vor der GfA Vorderpfalz-Ludwigshafen.

Zwischen 10.00 und 16.00 Uhr - danach fand eine die Kundgebung statt - gab es
ein "Kommen und Gehen". Solidarischen Besuch gab es aus den umliegenden Städten.
So kam aus Worms eine Anti-Hartz IV-Gruppe, es waren Leute aus Karlsruhe,
Heidelberg, oder Speyer da, und die Mannheimer Montagsdemo "glänzte" mit
personeller Unterstützung. Es wurde z.B. eine Grußbotschaft aus Höxter
vorgelesen, hier und in weiteren bundesdeutschen Städten fanden zeitgleich
ebenfalls spontan organisierte "Hartz IV-Hungertod -Mahnwachen" statt.

Natürlich waren auch die örtlichen Pressevertreter neugierig, und es
reiste ein ZDF-Kamerateam an. Übrigens waren es Journalisten,
die darüber informierten, dass Sascha K. in dieser Woche "still
und heimlich" in Speyer auf dem Friedhof beigesetzt wurde. Selbst in
der Tageszeitung wurde darüber nicht berichtet!

Nachmittags wurde eine 30-minütige Trauerrede von Diana H.gehalten, die
als Betroffene selbst existenziell in Bedrängnis geraten ist und einige
Prozesse bezüglich der Wohnungsmiete vor dem Sozialgericht Mannheim gegen
die ARGE Rhein-Neckar erfolgreich geführt hat.

Auf der Kundgebung redete ein Attac-Vertreter, Montagsdemo-Leute aus
verschiedenen Städten, Vereinsmitglieder und ein Vertreter vom
Mannheimer "Bündnis gegen Abschiebung". Zu Wort kam auch
"die Linke" aus Ludwigshafen. Unter den Zuhörern befanden
sich auch Frauen und Männer, die als Betriebsräte und Vertrauensleute
in führenden Unternehmen der Rhein-Neckar-Region beschäftigt sind.

Viele Leserinnen und Leser werden am 1. Mai unter der Losung "Du hast
mehr verdient. Mehr Respekt. Soziale Gerechtigkeit. Gute Arbeit." auch an
Sascha K. denken, dem jungen Mann, der mitten in Deutschland, in einem
der reichsten Länder der Erde, dank "Hartz IV" und einer unsozialen
Regierungspolitik , zusammen mit seiner Mutter über Wochen und Monate
hungerte - bis er starb.

Mit solidarischen Grüßen

Hans-Joachim


(Bertold Brecht in der Dreigroschenoper, 1930: Denn die einen sind im
Dunkeln / Und die anderen sind im Licht / Und man siehet die Lichte / Die
im Dunkeln sieht man nicht.)
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Sterben mit HartzIV

Kölner Erwerbslosen-Anzeiger 28.04.2007 - 11:38
Ausgabe Mai (mit freundlicher Genehmigung von Autor und Redaktion):

Sterben mit HartzIV !!!

In der Nacht zum 12. April, 2007, starb in Speyer Sascha K. im Alter von 20 Jahren an Unterernährung. Seine 48jährige Mutter wurde ebenfalls im kritischen Zustand ins Krankenhaus eingeliefert. Die Polizei fand in der Wohnung keinerlei Nahrungsmittel.

Es ist erwiesen, wer keine Nahrung zu sich nimmt, stirbt und wer sagt, „Wer nicht arbeitet, muss nicht essen.“, und zudem in der Regierungsverantwortung steht, nimmt diesen Hungertod billigend in Kauf!

[b]Arbeitsminister Müntefering: „Wer nicht arbeitet, muss nicht essen.“
Befehl ausgeführt ![/b]


Frau Elisabeth K. aus Speyer, die ebenfalls fast verhungerte Mutter des Todesopfers, kann nunmehr dem Arbeitsminister Müntefering (SPD) Vollzug melden.
Er war es, der jenen denkwürdigen Spruch, „Wer arbeitet, braucht was zu essen, wer nicht arbeitet, muss nicht essen.“, im Rahmen einer Bundestags-Fraktionssitzung am 9. Mai 2006 äußerte. Damit geht er weiter als das Bibel-Zitat aus dem Paulus-Brief (2. Brief an die Thessalonicher 3.10), wo nämlich explizit nur die angesprochen sind, die selbst nicht arbeiten WOLLEN, statt dessen "Untergebene" für sich arbeiten LASSEN wollen.
Dass also spätestens mit HartzIV der Hungertod zu den recht vielen Möglichkeiten gehört, aus der Statistik so genannter Hilfebedürftiger zu verschwinden, ist ein Trauerspiel; dass es auf der Ideologie einer vorgeblich sozialdemokratischen Partei basiert, setzt dem Irrsinn die Krone auf. Tatsächlich kokettierte bereits das sozialdemokratische Urgestein August Bebel 1879 mit diesem Zitat.

Womöglich liegt es ja daran, dass sich die SPD als Arbeiter-Partei versteht und „Arbeit“ als solches zum existenziellen Fetisch stilisiert. Münteferings Aussage heißt: „Ohne Arbeit – kein Leben!“ ... Mal Hand auf's Herz, wie geistig arm muss man sein, das eigene Leben nach seiner zufälligen Geburt auf diesem Planeten ausschließlich über Arbeit definieren zu wollen ? Wenn der Mensch sich also dank seines Intellekts, seiner Kreativität und technologischen Möglichkeiten von Arbeit BEFREIT, muss er sich gemäß dem Dogma der SPD von den Arbeitslosen mit befreien. Ohne „Arbeit“ (im herkömmlichen Sinn) scheint die SPD, respektive Arbeitsminister Müntefering, ideell und programmatisch überfordert. HartzIV ist Ausdruck dieser Hilflosigkeit.

Dem Todesopfer Sascha K. wurden im September 2006 die Regelleistungen zunächst gekürzt, am 1. Dezember gänzlich eingestellt. Mindestens zwei Punkte in der Argumentation der für Sascha zuständigen „Gesellschaft für Arbeitsmarktintegration“ stinken zum Himmel: Einerseits bestätigte man Sascha und seiner Mutter ein gespanntes Verhältnis, zwingt die beiden andererseits aber per HartzIV-Gesetz, sich eine Wohnung zu teilen. Einerseits unterstellte man Sascha psychische Probleme, weshalb man ihm zum Amtsarzt vorladen ließ, andererseits reagierte man auf sein Fernbleiben mit mutmaßlich klammheimlicher Freude und schloss quasi mit der Total-Sanktionierung seine Akte, schon bevor er tot war. Darf man eine psychisch kranke Person auf Null kürzen ? ... Ja, HartzIV macht dies möglich! Spätestens ab dem 1. Dezember 2006 also begann Sascha zu sterben ! Das wird sein persönlicher Ansprechpartner auf dem Amt vielleicht nicht gewusst haben, ... aber es war ihm, verdammt nochmal, scheißegal !

Ein anderes Bibel-Zitat aus "Das Buch der Könige 19, Elia am Horeb" meint hierzu:

"Elia ging hin in die Wüste ... und wünschte sich zu sterben und sprach: Es ist genug, aso nimm nun, HERR, meine Seele ... Und er legte sich hin und schlief unter dem Wacholder. Und siehe, ein Engel rührte ihn an und sprach zu ihm: STEH AUF UND ISS!"

An "ich"

softlabhennef 28.04.2007 - 11:39
Was ist denn weniger als NULL Euro zum Leben? Liegt hier ein kleines Informationsdefizit vor?

Hartz IV: Hungertod durch Leistungsentzug Teil 1 + 2

nochmal:

softlabhennef 28.04.2007 - 11:48
Jetzt wird übrigens gegen die Mutter des Verhungerten von der Staatsanwaltschft wegen unterlassene Hilfeleistung ermittelt. Hartz IV: Hungertod durch Leistungsentzug Teil 1 + 2

Saschas Tod

Peter 28.04.2007 - 11:56
Saschas Tod zeigt uns auf besonders krasse Weise, dass es sich mit Hartz IV nicht leben lässt, erst recht nicht wenn eine Leistungssperre oder gar der völlige Ausschluss der Leistungen erfolgt. So etwas ist also möglich, ein Hartz-Empfänger nimmt z.B. einen Termin nicht wahr, aus welchen Gründen auch immer oder er/sie erfüllt eine sonstige Auflage nicht und schon wird das sehr geringe Alg II auch noch gekürzt bzw. ganz versagt. Darin liegt das eigentliche Verbrechen, dass in diesem Lande Menschen regelrecht ins Bodenlose fallen können, es also weder eine Reissleine noch ein Auffangnetz gibt, das ist der eigentliche Skandal.
Hinzu kommt die Tatsache, dass bei fehlender Erfüllung von repressiven Auflagen kein Sozialarbeiter mal bei dem Gedeckelten vorbeischaut, um zu schauen, was eigentlich los ist.
Im Falle Sascha wurden lediglich irgendwelche Amtsschreiben zugeschickt, mit dem natürlich ein desperater Mensch nichts anfangen kann.
Unter solch menschenverachtenden Zuständen mutet es wie ein Hohn an, wenn dieser Staat sich als "sozialer Rechtsstaat" geriert und was von einer stets vorhandenen "Menschenwürde" daherschwafelt. ("doch die Verhältnisse, die sind nicht so",Brecht)
Sascha ist wohl nicht der erste Mensch, der durch Hartz IV verstarb, es wurde hier bei indy von einem Mann berichtet, der 2005 an Herzversagen starb. Er ist jedoch der erste bekannte Fall, dass ein Mensch durch diese Sozialkürzung(en) verhungerte! Dies stellt daher gewissermassen eine neue Dimension da und sollte nicht nur aufhorchen lassen, sondern massiv wachrütteln.
Es wird in dem Zusammenhang wohl so sein, dass es in Zukunft immer mal wieder den einen und anderen Hungertoten geben wird. Dies schon deshalb, weil einige Hartz-Empfänger/innen psychische Probleme haben, sei es bedingt durch ihre Biographie, sei es durch die Hartz Demütigung hervorgerufen, so dass sie nicht die Kraft haben werden, den strengen gesetzlichen Auflagen Rechnung zu tragen. Irgendwelche Hilfe von Aussen ist von staatlicher Seite nicht zu erwarten, so dass eigentlich nur noch Selbsthilfegruppen als eine Art letzte Instanz helfen könn(t)en, so sie denn da sind und von den Betroffenen Kenntnis haben.

also informiert euch mal in den medien

jdfklajf 28.04.2007 - 22:42
aber gut hier ...
Ein 20-jähriger Arbeitsloser ist in seiner Wohnung verhungert. Besonders verwirrend ist die Tatsache, dass der Mann nicht alleine, sondern mit seiner Mutter zusammenlebte.

Ein 20 Jahre alter Mann ist in Speyer vor den Augen seiner Mutter verhungert. Der Arbeitslose habe offensichtlich seit Monaten keine ausreichende Nahrung zu sich genommen, teilten Polizei und Staatsanwaltschaft mit. Die Polizei hatte den jungen Mann am Sonntagabend tot in seiner Wohnung gefunden. Eine Obduktion des stark abgemagerten 20-Jährigen ergab Herz- und Kreislaufversagen als Todesursache. Seine 48 Jahre alte Mutter, die mit in der Wohnung lebte, musste in ein Krankenhaus gebracht werden. Bei ihr wurden ebenfalls Mangelerscheinungen festgestellt. In einer ersten Befragung gab sie an, die beiden hätten nicht genug Geld gehabt, um Lebensmittel zu kaufen.

Der Tod des jungen Mannes ist nach bisherigen Erkenntnissen der Ermittler auf eine Mangelversorgung seiner Organe zurückzuführen. Die Mutter habe ihren Sohn als depressiv und phlegmatisch beschrieben. Seit dem vergangenen Jahr habe er mehrmals den Wunsch geäußert, zu sterben. Die 48-Jährige, die ebenfalls ohne Job ist, hat nach den Angaben in früheren Jahren Sozialleistungen bezogen, seit einiger Zeit jedoch keinen Antrag mehr gestellt. Ihr Sohn habe nach derzeitigem Stand keine staatliche Unterstützung mehr bekommen, weil er Arbeitsangebote und Untersuchungen ausgeschlagen habe.
-------------------
also der typ ist leider verhungert weil er so depressiv war, das er sich nicht drum kümmern konnte. wahrscheinlich würde er noch leben, wenn es noch sozialhilfe gäbe, weil die ihm einen sozialarbeiter geschickt hätten.(ich erinnere mich aber als ehemaliger sozialhilfeempfänger, daß dort auch munter gekürzt wurde. essenz eines anderen stern artikels: hartz 4 ist mörderisch. ah hier gefunden, trifft den nagel auf den kopf:
Der Hungertod heißt Hartz IV
Von Rudolf Stumberger, Speyer

Ein psychisch kranker Hartz IV-Empfänger ist in Speyer verhungert. Er hatte nicht auf die Behördenbriefe reagiert und so den erbarmungslosen Mechanismus bis zur Leisttungsstreichung in Gang gesetzt. Bitter: Mit Sozialhilfe hätte er wohl überlebt.

Man kann es sehr hart ausdrücken: Das Gesetz, das als Hartz-IV bekannt ist, trägt nicht nur den Namen eines rechtskräftig verurteilen Straftäters, sondern kann auch zum Tode führen. Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen, lautet die Quintessenz dieser von der Schröder-Regierung eingeführten sozialpolitischen Umbau-Maßnahme. In Speyer konnte Hartz-IV auf grausige Weise seine finale Logik beweisen: Ein 20jähriger Arbeitsloser wurde am Sonntag, 15. April, verhungert in der Wohnung seiner Mutter aufgefunden. Die 48-jährige Frau selbst wurde mit Mangelerscheinungen in eine Klinik eingeliefert. Der stark abgemagerte arbeitslose Sohn hatte offensichtlich seit Monaten keine ausreichende Nahrung zu sich genommen, als Todesursache wurde Herz-Kreislaufversagen festgestellt. Beiden war von der zuständigen "Gesellschaft für Arbeitsmarktintegration" (GfA) vor vier Monaten das Arbeitslosengeld II gestrichen worden. Die Mutter hatte angegeben, sie hätten nicht mehr genug Geld gehabt, um Lebensmittel zu kaufen.


Das gab's zuletzt bei der Weltwirtschaftskrise
Dass in Deutschland Arbeitslose an Hunger zugrunde gehen, hat es zuletzt in den Jahren der Weltwirtschaftskrise um 1930 und vielleicht in der unmittelbaren Nachkriegszeit gegeben. Warum der Sonderschüler in der Domstadt verhungerte, ist allerdings wohl auf eine Kombination von Arbeitslosigkeit und psychischer Eintrübung zurückzuführen. Laut Polizeibericht beschreibt die Mutter ihren Sohn als depressiv und phlegmatisch, er habe seit 2006 den Wunsch geäußert, zu sterben. Der lernbehinderte junge Mann war bis zur Einführung von Hartz IV in einer Reha-Maßnahme vom Sozialamt betreut worden.
Ihre Meinung
Wie menschlich oder unmenschlich sind die Hartz-IV-Regeln? Sind Sie selbst betroffen? Erzählen Sie uns Ihre Erlebnisse!
Bisherige Leserbeiträge [85]Nach einer Presseinformation der Stadt Speyer habe die zuständige Behörde, die GFA, sich um beide Personen - die im amtsdeutsch eine sogenannte Bedarfsgemeinschaft bildeten - sehr bemüht. Dies betreffe sowohl die Vermittlung eines Ein-Euro-Jobs für die Mutter als auch entsprechende Angebote von Praktikumsplätzen an den Sohn. Dieser habe allerdings die Angebote nicht angenommen und auch nicht auf die Aufforderung reagiert, beim zuständigen "Fallmanager" vorzusprechen. Auch auf eine Vorladung zur Erstellung eines psychologischen Gutachtens reagierte er nicht. Damit trat eine gnadenlose Gesetzeslogik in Kraft, nach der zuerst die Bezüge für Langzeitarbeitslose um 10 Prozent, danach um 30 Prozent gekürzt wurden. Ende des Jahres wurden die Zahlungen schließlich vollständig eingestellt.


Sozialhilfeempfänger wurden tatsächlich betreut
Der Skandal, der in dem Tod des arbeitslosen Sonderschülers liegt, wird freilich erst deutlich, wenn man sich die staatlichen "Bemühungen" vor Augen führt: Es waren Schriftstücke, die die Behörde abgesandt hat. Und der Skandal wird überdeutlich, wenn man Hartz-IV mit der Sozialhilfe vergleicht. Denn das Todesopfer bezog bis zum 31. Dezember 2004 Sozialhilfe. Das wiederum bedeutete, dass die zuständigen Sozialarbeiter ihre Klientel zu Hause besuchten, sich ein Bild von den Hilfebedürftigen machten und mitbekamen, wie sie lebten.
Mehr zum Thema
Tragödie: Zu Hause verhungert, einfach soDarüber hinaus verpflichtete das Sozialhilfegesetz die Behörde, auch dann tätig zu werden, wenn ihr ein Tatbestand der Hilfebedürftigkeit - wie auch immer - bekannt wurde: "Die Sozialhilfe setzt ein, sobald dem Träger der Sozialhilfe oder den von ihm beauftragten Stellen bekannt wird, daß die Voraussetzungen für die Gewährung vorliegen", heißt es im Gesetzestext. Die Sozialhilfe verkörperte also die Pflicht des Trägers zur öffentlichen Fürsorge, zur Hilfeleistung - auch wenn niemand einen Antrag gestellt hatte.


Bei Hartz IV wird vom Schreibtisch aus beurteilt
Dies gilt nicht mehr seit Hartz IV, jedenfalls für diejenigen Hilfsbedürftigen, die drei Stunden am Tag arbeiten können. Ohne Antrag - der alle sechs Monate zu stellen ist - kein Hilfeleistungen. Statt dem direkten Kontakt mit einem Sozialarbeiter, der die Verhältnisse vor Ort kannte und einzuschätzen wusste, urteilt nun ein Sachbearbeiter vom Schreibtisch aus und seine "Bemühungen" haben die Form von amtlichen Bescheiden. Statt Betreuung durch den allgemeinen Sozialdienst steht bei Hartz IV höchstens der Besuch durch den "Sozialdedektiv", der dem "Sozialbetrug" auf der Spur ist. Statt Kontakt mit Menschen gibt es bei Hartz IV Kontakt mit einer überforderten Behörde - die anonyme Automatenstimme, die einem bei einem Telefonanruf dort entgegenschallt, ist Symbol dafür.
Außer bei Verdacht auf Sozialbetrug "haben wir keine Möglichkeit, Wohnungen aufzusuchen", so Hans Grohe, Bereichsleiter der Arbeitsgemeinschaft. Man werde tätig und informiere den Sozialdienst, wenn Hinweise zum Beispiel auf Verwahrlosung vorlägen, aber in diesem Fall habe es keine Hinweise gegeben. Nach Ansicht des Sozialdezernenten von Speyer, Hanspeter Brohm, brachte Hartz IV dann eine "totale Änderung", eine Betreuung wie bei der Sozialhilfe sei nun nicht mehr gegeben.


Keiner kümmert sich mehr
Hartz IV hat das Prinzip der Fürsorge durch das Prinzip der bürokratischen Verwaltung ersetzt. Wer sich nicht um sich selbst kümmert, um den kümmert sich amtlich keiner mehr. Der Sozialhilfebezug hätte für das 20-jährige Todesopfer aus Speyer vielleicht die Chance einer Hilfestellung durch den zuständigen Sozialarbeiter bedeutet. Hartz IV aber bedeutete für ihn nur eine Serie von papierenen Bescheiden - bis zum Tod.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 8 Kommentare an

Scheiss wir... — Warhead

Was ist da passiert? — ahnungslos

Also mal ehrlich... — RiGoRos

hätte wäre wenn: @rigoros — reinhard friedrich

Paradox ja — Warhead

@ Warhead — Rio