Billigung von Straftaten im Internet

GangOf3 19.02.2007 17:47 Themen: Medien Netactivism Repression
Am 02.08.2006 wurden morgens um 6:00 Uhr bei drei Personen im Kreis Ludwigsburg (BaWü) zeitgleich die Wohnungen durchsucht. Vorgeworfen wurde ihnen die Billigung von Straftaten und der Verstoß gegen die Impressumspflicht im Zusammenhang mit einem Artikel, der etwa ein halbes Jahr zuvor auf der Website des Infoladen-Ludwigsburg erschienen war. Die Ermittlungen wurden nun eingestellt...
Am 02.08.2006 wurden morgens um 6:00 Uhr bei drei Personen im Kreis Ludwigsburg (BaWü) zeitgleich die Wohnungen durchsucht. Vorgeworfen wurde ihnen die Billigung von Straftaten und der Verstoß gegen die Impressumspflicht im Zusammenhang mit einem Artikel, der etwa ein halbes Jahr zuvor auf der Website des Infoladen-Ludwigsburg [1] erschienen war.

Die Internetseite des Infoladen-Ludwigsburg ist ein dynamisches, offenes Webprojekt, das auf dem "open-posting“ Prinzip basiert. Das heißt, Artikel und Kommentare können von NutzerInnen selbst und anonym veröffentlicht werden.

Am 03.12.2005 erschien auf der Seite ein Artikel über einen Vorfall während einem Neonazi-Doppelaufmarsch in Karlsruhe/Raststatt, bei dem verschiedene PKWs zum Teil stark beschädigt wurden. Ein bundesweit und behördlich bekannter Neonazi erstattete daraufhin über seinen Anwalt Anzeige gegen den/die VerfasserIn des Artikels und gegen den/die AutorIn eines dazugehörigen Kommentars.

Die Staatsanwaltschaft leitete daraufhin umfassende Ermittlungsschritte ein, mit dem Ziel der Identitätsfeststellung von ArtikelschreiberIn, KommentarschreiberIn sowie der BetreiberInnen der Seite (wegen Mitverantwortung für deren Inhalte).
Da dies auf dem direkten Weg nicht möglich war, zeigen die Akten des Falls sehr anschaulich wie die weiteren Ermittlungsschritte aussahen. Zuerst wurden die so genannten "Log-Dateien" vom Internetprovider der Website verlangt, in denen sämtliche digitalen Spuren die mensch auf der Seite hinterlässt, festgehalten sind. Dadurch verschafften sich die Beamten Zugriff auf die IP-Adressen ("digitaler Fingerabdruck") sämtlicher Vorgänge die zur "Tatzeit" auf der Seite stattfanden, wie z.B. das Einfügen des Kommentars. Über die Feststellung der IP-Adresse wurde bei der Telekom die Postadresse des jeweiligen Internetanschluss geprüft. Bis hierher recht unspektakuläre und inzwischen "normalisierte" Vorgänge - Big Brother ermittelt in der gläsernen Welt des Internet.

Was folgt, erinnert jedoch eher an einen schlechten Tatort. Nachdem der vermeintliche Kommentarschreiber auf diese Weise ausfindig gemacht werden konnte, wurde am 13.04.2006 mit dem Segen des Amtsgerichts Stuttgart seine Wohnung durchsucht und einige Flyer sowie sein Computer beschlagnahmt [2]. In einer Gerichtsverhandlung am 07.11.2006 wurde das Verfahren gegen Zahlung von 500,- Euro Geldstrafe eingestellt [3].

Die "Log-Dateien", die zur Ermittlung des vermeintlichen Kommentarschreibers geführt hatten, gaben jedoch keinen Aufschluss über die Identität des/der ArtikelschreiberIn.

Um im Folgenden die "BetreiberInnen" oder Verantwortlichen der Infoladen-Seite festzustellen, gingen die Cops folgendermaßen vor: Die Bankverbindung, über welche die Kosten für die Internetseite beim Provider bezahlt worden sind, wurde überprüft. Eine Anfrage der Staatsanwaltschaft bei der betroffenen Bank genügte, um in einem automatisierten Verfahren (gegen eine Aufwendungsgebühr von 18,- Euro) die Namen und damit Wohnsitze der Verfügungsberechtigten für das Konto festzustellen. Dabei handelte es sich um das Bankkonto eines politisch-kulturellen Vereins. Für die ErmittlerInnen ein klarer Fall: Verantwortlich für das Konto = Verantwortlich für die Seite = Verantwortlich für den Artikel.

Wohl im Rausche dieses vermeintlichen Ermittlungserfolges beantragte die Staatsanwaltschaft Stuttgart über ein halbes Jahr nach der "Tat", ohne die Einleitung jedweder "konventioneller" Ermittlungsschritte (wie beispielsweise die Vorladung oder Befragung von Beschuldigten), drei weitere Durchsuchungsbefehle beim Amtsgericht. Die Haupt- und Nebenwohnsitze der drei KontohalterInnen sowie ein PKW wurden schließlich am 02.08.2006 um 6.00 Uhr morgens zeitgleich durchsucht. Das Hauptinteresse der Beamten richtete sich dabei auf Computer und digitale Datenträger. Dennoch wurden auch diverse Schriftstücke und andere möglicherweise strafrechtlich relevanten Gegenstände beschlagnahmt, die mit dem Verfahren nichts zu tun hatten. In einer der durchsuchten Wohnungen wurde auch das Zimmer des Mitbewohners durchstöbert, gegen den überhaupt kein Durchsuchungsbefehl vorlag. Bei einer der anderen beiden Durchsuchungen - der Beschuldigte war nicht zu Hause - wurden die Vermieter aus dem Bett geklingelt, mussten die Wohnung öffnen und als Zeugen der Durchsuchung zugegen sein.

Bei keiner der drei Durchsuchungen kamen brauchbare Beweismittel ans Licht, und die Ermittlungen gegen alle drei Betroffenen wurden schließlich am 21.11.2006 eingestellt.

Die Verhältnismäßigkeit bzw. Rechtmäßigkeit der Maßnahme, gemessen am Vorwurf, bleibt für uns dabei höchst fragwürdig. Es drängt sich zudem die Frage auf, ob es der Staatsanwaltschaft wirklich um einen Artikel in einem "Online-Forum" ging (der sowie nicht offen zur Gewalt aufrief). Wieso veranlasst die Staatsanwaltschaft aufgrund der Anzeige eines behördlich bekannten Neonazis die Durchsuchung von 4 Wohnungen?

Vorgänge wie dieser sind längst keine Seltenheit, sondern vielmehr ein weiteres Beispiel dafür, wie Polizei, Staatsschutz und Ermittlungsbehörden dazu übergegangen sind, polizeistaatliche Maßnahmen (d.h. präventiven Charakters) selbstverständlich und automatisch anzuwenden: Verdachtsunabhängige Kontrollen, willkürliche Platzverweise, Gewahrsamnahmen, Einkesselungen, Wohnungsdurchsuchungen und nicht zu vergessen auch die Arbeit im Stillen wie zum Beispiel die Datenvorratsspeicherung und Abhörmaßnahmen. Stellt sich die jeweilige Maßnahme dann als unverhältnismäßig und willkürlich, also unrechtmäßig heraus, ist deren eigentliches Ziel längst erreicht: Einschüchterung und Einschränkung von Grundrechten. Unabhängig davon ob ein Verfahren vor Gericht eingeleitet wird oder nicht.

In diesem Zusammenhang heißt es in einem Artikel eines Rechtsanwalts in der der Roten Hilfe Zeitung (4. Quartal 2006): "Moderne Strafverteidigung (...) muss auch die Polizei in ihre Schranken weisen." Auch wenn die jüngsten Entwicklungen größtenteils eher ernüchtern, sind auch Erfolge zu verbuchen, in denen Widersprüche und Beschwerden schließlich Erfolg hatten. Hier einige Beispiele:

// Online- Demo gegen Lufthansa:
Freispruch für Libertad: Nach einer "Online-Demo" gegen die Abschiebepraxis der Lufthansa mit dem Ziel deren Server zu blockieren wurden umfassende Ermittlungen gegen die Libertad-Gruppe eingeleitet, u.a. Hausdurchsuchungen und Beschlagnahme von Rechnern etc. Verurteilte das Frankfurter Amtsgericht die Beschuldigten noch zu 900 € Geldstrafe erreichten sie nach 5 Jahren vor dem OLG Frankfurt schließlich Freispruch. [4]

// Castor: Nahrendorfer Kessel rechtswidrig - Geld zurück!:
"März 2001-der erste Castor nach dem Transportstopp. In der Widerstandschronik ist dies der erste Transport mit massenhaften Kesseln und Ingewahrsamnahmen. Zum ersten Mal besaß die Polizei die Unverschämtheit, mittels Heranziehungsbescheiden, also Rechnungen an Betroffene für Transport und Unterbringung im Gewahrsam, die Kosten für ihren Einsatz einzufordern. Einige von diesen Maßnahmen werden jetzt, Jahre später, von den Gerichten für unrechtmäßig erklärt (...)“. [5]

// Freispruch im Tübinger Hakenkreuz-Prozess“:
Am Landgericht Tübingen wurde ein Student freigesprochen. Er war in der vorherigen Instanz wegen "Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen" verurteilt worden, weil er einen Button mit einem durchgestrichenen Hakenkreuz getragen hatte”. [6]

Wegen der stark anwachsenden Kontrolle von jedweder digitalen Kommunikation wollen wir an dieser Stelle dringend auf die Notwendigkeit „sicherer“ Internet- Telefon und Computernutzung hinweisen. Sämtlicher Datenverkehr soll nun durch das neue Vorratsdatenspeicherungs- Gesetz [7] bis zu einem halben Jahr auf Vorrat gespeichert und den Behörden dann für ihre Ermittlungen quasi zur Verfügung gestellt werden. Auch jenseits von gezielter Überwachung ist vor allem die Kommunikation im Internet nicht sicher. Von daher ist es dringend notwendig sich genau über die begrenzten Möglichkeiten der anonymen und intelligenten Nutzung der neuen Kommunikationstechnologien zu informieren, zum Beispiel im Internet bei der Bunten Hilfe Stuttgart [8] oder der Rosa Antifa Wien [9].


1:  http://www.infoladenludwigsburg.de.vu
2:  http://de.indymedia.org/2006/04/144153.shtml
3:  http://infoladenludwigsburg.plentyfact.net/infoladen4/sections/news/news_show.php?id=1191
4:  http://www.libertad.de/inhalt/projekte/depclass/verfahren/index.shtml
5:  http://www.anti-atom-aktuell.de/archiv/171/171nahrendorf.html
6:  http://germany.indymedia.org/2006/03/141506.shtml
7:  http://vorratsdatenspeicherung.de/
8:  http://bunte-hilfe.fasthoster.de/pc/pc.html
9:  http://raw.at/compsec/index.htm

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Kontakt-Adresse:  billigung@hushmail.com
Website:  http://www.infoladenludwigsburg.de.vu
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Ergänzungen

Dresden-Lubu....

Susanne 19.02.2007 - 20:44
Haben in Dresden nicht die Cops in großem Stile für die Nazis ermittelt, so dass die Nazis eine komplette Anti-Antifa-Akte mit über 100 Personen damit anlegen konnten...? Scheint irgendwie in mehreren Städten ganz ähnlich abzulaufen...

Meine Empfehlung:

lala 19.02.2007 - 20:47
 http://www.chip.de/downloads/c1_downloads_13002700.html

JAP - Open Source IP Blocker um quasie "unsichtbar" surfen zu können. Wie mensch am Beispiel oben sieht ist sowas echt nützlich.

@lala

- 19.02.2007 - 21:15
Auf keinen Fall (!) JAP benutzen.
Hierbei handelt es sich um ein Projekt der TU Dresden, dessen Betreiber vor einiger Zeit bekannt gegeben haben, dass sie Verbindungsdaten erfassen und Repressionsorganen zugänglich machen.

TOR scheint recht sicher zu sein.
 http://tor.eff.org/index.html.de

mal was zum gucken

egal 19.02.2007 - 21:39

Rechtsverstoß des Providers

meiner 19.02.2007 - 21:53
Der Provider hat mit der Speicherung der Nutzer-IPs in den Log-Files gegen das Teledienst-Datenschutzgesetz verstoßen. Dieses besagt u. a., dass Daten, die zu einer Identifizierung einzelner Nutzer führen kann, nur gespeichert werden dürfen, wenn dies zu Abrechnungszwecken o. ä. notwendig ist. Dies ist hier natürlich nicht der Fall, eine verdachtsunabhängige Speicherung aller IPs der Websitebesucher daher unzulässig (solange nicht eindeutig darauf hingewiesen wird). Siehe auch: Speicherung von IP-Adressen ist unzulässig – auch auf Websites

TOR

anonymous 19.02.2007 - 22:37
TOR ist zwar noch in der Entwicklung, aber schon jetzt echt gut.
Sehr zu empfehlen, hilft gegen Verbindungsdaten-Speicherung.
Funktioniert echt.

Problem derzeit ist, das die Anzahl der Nutzer stark zugenommen hat,
aber zu wenige Leute selbst TOR-Server betreiben. Dadurch ist TOR
momentan relativ langsam (mit DSL-Anschluss wirkt das wie Modem).

Es ist daher wichtig, das viele Leute TOR-Server betreiben.
Das geht schon an einem normalen DSL-Anschluss (Uplink >=160 kbit/sec).

JAP prinzipiell seriös

egal 19.02.2007 - 22:55
JAP scheint mir schon seriös zu sein. Vor dreieinhalb Jahren gab es einen (!) Fall, bei dem Logddateien im Zusammenhang mit Kinderpornografie gespeichert wurden. Da JAP ein Open Soece Projekt ist, konnte die Protokollierung auch sehr scbhnell öffentlich werden. Nähere Angaben indet ihr bei Heise:  http://www.heise.de/newsticker/result.xhtml?url=/newsticker/meldung/39531&words=JAP

Finger weg von JAP!!

IT-Jo 20.02.2007 - 16:28
JAP ist ein universitäres Projekt, und von wem die Universitäten abhängig sind ist ja wohl klar.
Im Zweifelsfall ist die angebliche Anonymität einen Scheissdreck wert, wie man auf
 http://anon.inf.tu-dresden.de/strafverfolgung/index_de.html nachlesen kann:

"Eine Überwachung zukünftiger Verbindungen setzt voraus, dass jeder Mix die Ein-Ausgabe-Zuordnung einer bestimmten Nachricht sofort online mitprotokolliert. Es wird die zu enttarnende Verbindung markiert. Dadurch kann unter Mitarbeit aller Mixe die Nachricht deanonymisiert werden. Diese Markierung kann lediglich von den beteiligten Mixen erkannt werden. Die Funktionsweise ähnelt der der Fangschaltung im Telefonnetz. Auf diese Weise ist es möglich, die Zugriffe auf eine bestimmte Webadresse zu protokollieren.

Die aktuelle Version der Mix-Software enthält eine entsprechende Strafverfolgungsfunktion, die dies erlaubt. Zur Aufdeckung einer Verbindung ist auch bei Aktivierung dieser Funktion die Mitarbeit aller Mix-Betreiber erforderlich. Momentan wird an einer möglichst datenschutzfreundlichen Überwachung gearbeitet."

Wie eine "datenschutzfreundliche Überwachung" aussieht steht hier:
 http://anon.inf.tu-dresden.de/publications/index.html#RevocableAnonymity

"Diese Signaturen können einer Nutzer-IP-Adresse zugeordnet werden, wenn eine Strafverfolgungsbehörde für alle Mixe einen gültigen Gerichtsbeschluss zur Überwachung der Zugriffe auf ein oder mehrere URLs vorweist, und der Nutzer auf eine dieser URLs zugegriffen hat, allerdings nur, wenn alle Mixe in der Kette zusammenarbeiten. Und auch dann wird nur eben diese eine IP aufgedeckt, welche nicht einmal die Mixbetreiber selber entschlüsseln können, sondern nur die Strafverfolgungsbehörde (Atomares Schwellwert-Proxy-Wiederverschlüsselungsschema). Die Aufdeckung kann in Echtzeit geschehen oder über früher geloggte Daten."

Also wenn der Überwachungsstaat Zugriff haben will, bekommt er ihn am Ende auch. Die frühere öffentliche Förderung für dieses Projekt ist nicht ohne Grund eingestellt worden.

Fazit: Finger weg von JAP und stattdessen TOR benutzen.

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Tor — Eule