Überwachung deiner Kommunikation

frei 16.02.2006 21:47 Themen: Freiräume Medien Netactivism Repression
Die "Vorratsdatenspeicherung" ist im Bundestag unter scharfer Kritik aller Oppositionsparteien heute mit den Stimmen der grossen Koalition aus SPD und CDU beschlossen worden. Was bedeutet das konkret?
"On the internet, nobody knows you're a dog'', hiess es mal in einem Cartoon über Anonymität im Internet aus den Neunzigern. Dieser Satz gilt spätestens ab heute in Deutschland nicht mehr.

Die "Vorratsdatenspeicherung" ist im Bundestag heute unter scharfer Kritik aller Oppositionsparteien mit den Stimmen der grossen Koalition aus SPD und CDU beschlossen worden.

Was bedeutet das konkret, für dich?

Alles, was du im Netz oder am Telefon getan hast, alle Informationen darüber, mit wem du Verbindungen aufgenommen hast, und wer mit dir (bei Email nicht vom Inhalt trennbar!), müssen die jeweiligen Unternehmen, bei denen du deinen Telefonvertrag, dein DSL oder sonstiges Internet hast, künftig 6 Monate bei sich speichern.

Die Kosten für all das trägst praktischerweise auch gleich du. Eigentlich wird das als Maßnahme im "Kampf gegen den Terror" dargestellt, allerdings gibt es scheinbar bereits Pläne, diese Daten auch bei allen anderen möglichen Delikten zu verwenden.

Kritiker sehen schon solche Szenarios:

- du hast dich als Arbeitnehmer anonym über Arbeitsbedingungen in deiner Firma geäussert:

Der Arbeitgeber könnte wegen "übler Nachrede" auf Herausgabe der Daten klagen, dich identifizieren, dann feuern

- du hast Musik aus Tauschbörsen heruntergeladen

Die Musikindustrie könnte zukünftig, auch um die Staatsanwaltschaft zu entlasten, gleich selber einen Auskunftsanspruch über deine Daten beim Provider anmelden - in Litauen bereits Realität

- du hast eine politische Meinung jenseits der Partei-Linien von SPD, CDU, GRÜNE, FDP geäussert

...?

Es wird bereits kritisiert, daß die Maßnahmen vor allem die normale Bevölkerung mit geringem Wissenstand über technische Details treffen.
Wer als Terroriost hochkonspirativ kommunizieren wolle, fände sicher auch zukünftig andere Wege dafür.

Unter vielen Computerinteressierten haben diese Beschlüsse bereits einen kollektiven Aufschrei der Empörung hervorrgerufen, auch Datenschützer sind alarmiert. Dass dagegen in der Durchschnittsbevölkerung bisher keinerlei Proteste laut wurde, wird auf die mangelnde Information in der Bevölkerung, und auf eine kaum stattfindende Berichterstattung der Presse zurückgeführt.

Ohne grosse Übertreibung lässt sich sagen, dass die Tragweite und die Folgen dieser Überwachungsmassnahmen (u.a. Unsicherheit, Einschüchterung, Schere im Kopf, Internet als Angstraum statt als Freiraum), die einst so umstrittene Volkszählung von 1984 dagegen wie ein harmloses Kaffekränzchen wirken lassen. Mancher fühlt sich gar schon an DDR-Zeiten erinnert, als man Kritik nur durch die Blume, zwischen den Zeilen zu äussern wagte, und die Stasi immer mithörte - die Zahl der Telefonüberwachungen ist laut Studien bereits in den letzten Jahren dramatisch angewachsen, ob wegen massenhafter Verwendung von Handykarten bei Kriminellen, oder aus anderen Gründen.

Der Konflikt zeigt aber auch, wie wichtig die freie direkte Kommunikation im Internet geworden ist, und wer sich von ihr scheinbar bedroht fühlt.

Mit Foren, Weblogs, Email-Verteilern und einem länder- und kulturenüberschreitenden Netz sind die einst so mächtigen unilateralen Medien (BILD, TV, früher Volksempfänger) bereits um einen Teil ihrer Macht beraubt.


Weblinks:

Artikel bei heise.de :  http://www.heise.de/newsticker/meldung/69734
Artikel bei Telepolis:  http://www.heise.de/tp/r4/artikel/22/22057/1.html

Wikipedia zum Thema:

 http://de.wikipedia.org/wiki/Vorratsdatenspeicherung
 http://de.wikipedia.org/wiki/Telekommunikations%C3%BCberwachung
 http://de.wikipedia.org/wiki/%C3%9Cberwachen_und_Strafen
 http://de.wikipedia.org/wiki/Macht
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Ergänzungen

Der Cartoon von 1993

frei 16.02.2006 - 23:09
 http://www.unc.edu/depts/jomc/academics/dri/idog.html

Der Cartoon von Peter Steiner erschien 1993 in der Zeitschrift "The New Yorker"

klagen

angsthase 16.02.2006 - 23:15
Wenn das Gesetz jetzt verabschiedet ist, kann man damit doch vors Verfassungsgericht? Läuft da schon was? Wie sind die Erfolgschancen?

Die Volkszählung

is doch egal 17.02.2006 - 10:20
war nicht 1984, sondern 86/87.

Alternative zur Vorratsspeicherung

Zem 17.02.2006 - 13:06
Die Alternative zu dem Gesetz heist 'Quick Freeze' und bedeutet,
das eine Speicherung der Daten nur im einzelfall vorgenommen
wird. Dieses Verfahren wird in den USA und anderen Staaten
praktiziert, nicht jedoch in Deutschland.

gruß
Hans

wie schon so oft erwähnt..

offtopicguy 17.02.2006 - 13:45
 http://www.gnupg.org/ - verschlüsselung
 http://tor.eff.org/ - netzwerkverkehr anonymisieren
auch nicht uninteressant ist der Aufbau von freien Funknetzen (  http://www.freenetworks.org/ ), die die Regulierung durch Provider zumin Strecckenweise untergraben.

nicht verabschiedet

Rickenharp 17.02.2006 - 18:08
Den Heise-Links zufolge ist ein entsprechender Antrag eingereicht worden, verabschiedet wurde das noch nicht. Auch nach  http://www.bundestag.de/bic/a_prot/2006/ap1616.html (siehe TOP 20) wurde ein entsprechender Antrag (BT-Drs. 16/545) "lediglich" an die zuständigen Ausschüsse verwiesen, der Rechtssausschuss hat laut telepolis wohl auch schon Stellung dazu genommen.

Ergänzung

frei 17.02.2006 - 18:51
Ja richtig, der Bundestag hat die Bundesregierung eigentlich nur aufgefordert, das zu beschliessen. Ich weiss nicht, inwieweit die Regierung an eine solche Aufforderung gebunden ist, kann mir aber schwer vorstellen, dass die Fraktionen und die Regierung dabei weit auseinanderliegen bzw. sich vorher nicht absprechen. Übrigens hat nichtmal die taz darüber berichtet.

Eine Google-News-Suche nach "Vorratsdatenspeicherung" bringt folgendes Ergebnis:

 http://news.google.de/news?hl=de&ned=de&q=vorratsdatenspeicherung&btnG=News-Suche

Zum Vergleich, die gestern ebenso beschlossene Föderalismusreform:

 http://news.google.de/news?hl=de&ned=de&ie=UTF-8&q=F%C3%B6deralismusreform&btnG=News-Suche

Liegt das jetzt am falschen Suchbegriff, oder haben wirklich nur 2, 3 Internetportale berichtet?

Eine Verfassungsklage ist wohl denkbar und, wenn ich es richtig verstehe, auch die letzte Möglichkeit, das zu verhindern, nachdem die Regierung es beschlossen hat, falls sie das tut.

Scheinbar hatte sich der Bundestag zuvor bereits einmal GEGEN die Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen, aber so ganz blicke ich langsam auch nicht mehr durch.

Weiterer Artikel bei heise dazu:

Proteste gegen Bundestagsbeschluss zur Vorratsdatenspeicherung

 http://www.heise.de/newsticker/meldung/69780

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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