Essen-Frohnhausen, Geisterstadt

Einige von IMC NRW 17.04.2005 01:00 Themen: Antifa
Am 16.4.05 fanden in Essen ein Nazi-Aufmarsch und zwei Gegendemos statt. Der Nazi-Aufmarsch lief unter dem Motto "Keine Waffen für Israel", mit 250 Nazis. Dagegen bildete sich das Bündnis "Essen stellt sich quer", und organisierte eine der Gegendemos (mit ca.1000 Leuten). Weiterhin fand eine antideutsche/antifaschistische Demonstration statt (300 Leute).

Hier findet ihr zwei Berichte von Leuten (Ronja und Lim). Dabei wird die Stimmung an diesem Tag dargestellt, speziell die Situation an dem Kundgebungsort der Nazis und die Reaktionen der Anwohner.

Weitere Berichte:

Bericht: Antifa-Demo |Bilder: Antifa-Demo | EA-Bericht ||Bilder: Nazi-Aufmarsch (1) - (2)

In der gleichen Zeit wie der Nazi-Aufmarsch in Essen geschahen folgende Morde: Erklärung zum Nazi-Mord in Dortmund am Ostermontag ||Mord in Schwerte (NRW) - Antifa Spontandemo

Essen-Frohnhausen, Geisterstadt
IMC-NRW/ ronia + ?

"Gestern ging es denen wirklich darum, das Demorecht der Nazis in einer Geisterstadt durchzuboxen", sagt ein Antifaschist einen Tag nachdem die so genannten "Freien Kameradschaften" - militante Neonazis - mehrere Stunden durch Essen-Frohnhausen marschierten. Unter dem Motto "Keine Waffen für Israel" hatten sie schon vor Monaten zu diesem Aufmarsch aufgerufen.
Nur wegen des immens großen Polizeiaufgebots inklusive zweiHubschraubern und Polizeiwagen an jeder Ecke, die alle Menschenkontrollierten, die nicht in ihr Raster vom "Normalbürger" passten,konnten am vergangenen Samstag etwa 250 Neonazis stundenlang durch dendicht besiedelten Stadtteil laufen. Bemüht, uns dem polizeilichenVorstellungen vom Nicht-Nazikritiker anzupassen, haben wir uns andiesem Morgen mal in Frohnhausen umgesehen.

Schon der Weg nach Frohnhausen ist mit Hürden vollgestellt: Hinterjeder Kreuzung mindestens ein Mannschaftswagen der Polizei. Manchmalauch ein ganzer Parkplatz voll. Am Hauptbahnhof werden zwei Punks vomBundesgrenzschutz weggeschickt, als sie Rolltreppen hochfahrenwollen.Auch der Bahnhof in Essen-West ist zugeparkt von allerhandPolizeigerät. Wer rein will, wird gefilmt, die Kamera ist demonstrativauf dem Vordach plaziert. Wenige Menschen sind auf der Straße.

Unsicherheit, Angst und Wut imStadtteil
"Die sollen einfach zu Hause bleiben", sagt ein älterer Mann auf demMarkt in Essen-Frohnhausen. Es ist Samstag, und genau an diesem Ortsoll die Demo-Route des "Aktionsbüros Westdeutschland", einermilitanten Gruppe von Rechten, vorbeiführen. Der Marktplatz ist vollerMenschen. Sieben Jahre sei er alt gewesen, sagt der Mann, als derZweite Weltkrieg vorbei und Nazi-Deutschland besiegt war. Schrecklichsind seine Kindheitserinnerungen, und deswegen machen ihn die Rechtenauch so wütend.

Über Frohnhausen kreisen an diesem Samstag Vormittag zwei Hubschrauber,einer vom Bundesgrenzschutz und ein Polizeihelikopter. Aber auch zuLande ist die Polizei offenbar auf "Nummer Sicher" gegangen. DieStraßen sind voll mit Mannschaftswagen der Polizei. Alle paar Meter,auf den meisten Kreuzungen stehen Polizisten neben ihren Wagen, vielebesonders stark gepanzert. Dass so viel Polizei unterwegs ist,schüchtert auch die Anwohner merklich ein. Es sind kaum Menschen aufder Straße.

Ein 13-jähriges Mädchen fühlt sich sehr unsicher, auf den Aufmarschangesprochen. Sie geht gerade alleine über den Marktplatz: "Ich glaube,ich würde die gar nicht beachten, weil ich soviel Schiss habe." DerMarktverkäufer ein paar Meter weiter hat ein ganz anderes Problem: Erärgert sich zunächst darüber, dass keine Kunden kommen. Ob er alsMensch Angst hat? "Ja, ich fühle mich bedroht", sagt er dann. "Ich weißja gar nicht was sie vorhaben. Und ich denke mal, die werden eheraggressiv, wenn die einen Ausländer sehen."

Auf dem Markt treffe ich noch zwei Menschen, Anne und Annette: DieTochter 20 Jahre alt, die Mutter 52 und als Betreuerin vonAuszubildenden tätig. "Mich macht das aggressiv", sagt die 52-Jährige,angesprochen auf die Nazi-Demo. "Ich habe gemischte Gefühle. Ich mussmeine eigene Wut sehr stark kontrollieren, um nicht auszuflippen." Denneigentlich meint sie, man dürfe sich nicht von den rechtenDemonstranten provozieren lassen, und müsse demokratische Werteverteidigen. Es gebe sehr viele Menschen in Frohnhausen, die hier seitJahrzehnten wohnen und sich bedroht fühlen, so Annette. Ihre TochterAnne hat auch eine genaue Vorstellung von einer Strategie gegen dieNazis: "Natürlich muss man Gegenaktionen organisieren und friedlichdemonstrieren. Man darf sich aber nicht provozieren lassen."

Repression gegen alle, die "anders" aussehen
Friedlich oder nicht - viele, der genau während dieses Gesprächs"anders" aussehen, als die überwiegende Marktkundschaft, FrohnhauserBürger oder nicht, wurde mit Platzverweisen belegt oder von Polizisteneingekesselt und weg gebracht.

Wir brauchen ewig, um die Nazi-Demo zu finden. Wir gehen durch dieStraßen des Stadtteils, auf der Suche nach Anhaltspunkten. Was wir aufdem Weg sehen, macht uns froh: Die "deutsche Jugend", wie sich diegewaltbereiten Rechten auch gerne nennen, ist in Frohnhausen spürbarnicht willkommen: Viele haben Plakate ins Fenster geklebt oderTransparente an die Hauswand gehängt. "No Nazis" steht darauf, oder"Nazis haut ab". Auf der Demo-Route ist an vielen Stellen derMittelstreifen und der Bürgersteig mit bunter Kreide vollgemalt, allesBotschaften gegen den rechten Besuch. Und das obwohl sie versuchen, mitanti-amerikanischem "Pazifismus" ihren Antisemismus zu verbergen.

Lange gesucht, schließlich gefunden: Die Nazi-Demo

Lim / IMC NRW
Stunden, nach dem wir uns an dem morgen aufgemacht haben, finden wirdie nach allen Seiten mit Polizeiabsperrungen - teilweise sogar doppelt- abgeschirmte Abschluss-Kundgebung der Nazis. Wir stehen an einerHauswand, neben einem Kiosk. Ein paar Anwohner haben sich auf derStraße eingefunden, um sich das Spektakel anzugucken. Einige scheinensehr genau zu wissen, wie sie einen Fotografen einzuordnen haben, dervon allen Umherstehenden Fotos macht, und ganz patzig wird, als erdarauf angesprochen wird. "Der gehört bestimmt zu denen. Und dannsitzen sie hinterher beisammen und sind ganz stolz darauf, wen sienicht alles fotografiert haben", sagt eine ältere Dame. Ein jungesMädchen beruhigt wenig später ihre ängstliche Mutter: "Du brauchstkeine Angst zu haben, da sind auch Kollegen von mir dabei. Da passiertnichts." Die Menschen stehen aus den unterschiedlichsten Gründen hier.

Um ca. 13.30 Uhr kommt die Nazi-Demo am Rüdesheimer Platz inEssen-Frohnhausen an. Bevor Christian Worch und später noch Axel Reitzmit ihren "Reden" beginnen, haben sie alle Mühe, 'ihre Leute' nacheinem kleinen Tumult wieder zur Ruhe zu bringen und müssen ihnen immerwieder einbläuen, wo sie sich denn nun hinzustellen haben. Bei derKundgebung und der anschließenden Fortsetzung ihres Aufmarsches könnenwir knapp 150-200 Nazis sehen, während es Polizei- und Naziangabenzufolge 270-280 DemonstrantInnen sein sollen.

Trotz dem einschüchternden und überzogenen Polizeiaufgebot beobachteneinige GegnerInnen und BürgerInnen die Demo aus sehr dichter Nähe undkontern immer wieder mit vereinzelten Zwischenrufen und gemeinsamenSprechchören wie "Nie wieder Deutschland", "Ihr habt den Kriegverloren" und "Nazis raus", sowie kleinen Trillerpfeifenkonzerten. Überden Kameradschafts-Nasen hängt ein Transparent, auf einer Leine querüber die Straße gespannt, gegen die Nazis gerichtet.

Wassich die BerichterstatterInnen gewünscht hätten:
Es gibt jedoch keine durchgängige und laute Gegenbeschallung, so dassdie Anwesenden große Teile der Redebeiträge über sich ergehen lassenmüssen. Hier wäre es angenehmer gewesen, die direkten AnwohnerInnenhätten uns allen mal etwas von ihrer Lieblingsmusik vorgespielt. Beider nächsten Nazi-Demo wäre es gut, wenn man es schaffen könnte, mitden AnwohnerInnen spontan vor Ort mehr zu kommunizieren, um gemeinsamekreative Störmethoden zu finden.


Was wollten sie uns eigentlichmitteilen?
Inhaltlich sind die Reden erwartungsgemäß schwach, da keinernachvollziehbaren Logik folgend: Einzelne sich gegenseitigwidersprechende Thesen und Parolen, die mal eingefleischteAntisemitInnen, mal eine "gemäßigte" allgemein-diffuseAusländerfeindlichkeit ansprechen sollen, werden bunt gemischtaneinandergereiht. Das richtet sich wohl auch an die BürgerInnen undversucht, an Mainstream-Vorurteile anzuknüpfen. Offensichtlich sollhier zudem der Eindruck vom harmlosen Nazi, der sich schließlich gegenKrieg und Waffen (wenngleich beschränkt auf den Staat Israel)ausspreche, geweckt werden.
Einige vereinzelte eher positiv-"neutrale" Reaktionen auf vordergründig plausible Thesen der Nazis machten hiernoch einmal deutlich, wie wichtig es für alle AntifaschistInnen undDemokratInnen ist, die Anwohner nicht als neutrale oder unwichtigeGröße wahrzunehmen und sich mit den Leuten vor Ort auseinanderzusetzen.Insgesamt aber sind die Reden auch einfach ziemlich langweilig. Dochwie gesagt ist ihr Ziel offensichtlich eher, dass allen, die zuhören,einfach nur der Teil im Gedächtnis bleibt, der ihnen in den Kram passt.

Ein Nazi-Aufmarsch geht zu Ende
Im Anschluss machte sich der Trupp wieder Richtung Bahnhof auf und kann von wenigen GegnerInnen, die zuvor nicht von der Polizei eingekesselt und festgehalten worden sind, begleitet und beschimpft werden.

Der S-Bahnhof Essen-West blieb noch für gut eine Stunde blockiert, derWeg zu den Haltestellen der Straßenbahn abgeschnitten. Das maßlos hohePolizeiaufgebot wurde noch für die Abreise der Rechten aufrechterhalten. Auch alle Menschen, die Straßenbahnen benutzenwollten, mussten wegen der Sperrungen der Fußgängerwege lange Umwege in Kauf nehmen.

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Ergänzungen

yosen!

wallsofjericho 20.04.2005 - 12:37
vielen dank für den text zur demo.in zeiten, in denen es anscheinend wichtiger ist seitenweise fotos zu veröffentlichen (by the way, weil es mir immer öfter auffällt, heißt antifa und die störung von fascho-demos eigentlich mittlerweile:wer die meisten fotos macht hat gewonnen?)ist jeder text zu einer demo eine verdammte bereicherung, denn mir zum beispiel geht es viel mehr darum, wie anwohner reagiert haben, was an direkten störungsaktionen passierte, wie die bullen agiert haben, etc.

Jaollja!

Acht Cola Acht Bier 20.04.2005 - 14:21
Jo, shr nett gemachter Artikel, auch dadurch, dass der Autor Passanten befragt hat.. Danke! Bin auch am Bahnhof abgefangen worden (allerdings ohne Personalienfeststellung), hab mich dann in Essen - Mitte beteiligt...
Grüße
VKP

(muss ausgefüllt werden)

(muss ausgefüllt werden) 20.04.2005 - 19:56
ein wirlich gut geschriebener text, muss ich schon sagen. ich kenne euch zwar nicht aber eure journalistischen fähigkeiten scheinen ja nicht schlecht zu sein. ein problem habe ich nur: ihr schreibt das eine antifaschistische/antideutsche demonstration stattfand, doch sind antideutsche etwa keine antifaschisten? ich denke die trennung hätte nicht sein müssen. also danke nochmal für den guten artikel, ich wünsche mir mehr davon