Europa protestiert gegen Sozialabbau

Gerold Schwarz 25.09.2004 02:07 Themen: Globalisierung Repression Soziale Kämpfe
Überall in Europa das gleiche Bild: umfangreicher Sozialabbau, Abbau von sozialen Rechten und Erhöhung der Repression. Kein Wunder, dass sich auch der Widerstand europaweit regt: nur eine europäische Kooperation kann die neoliberalen Angriffe auf unsere Lebensgrundlagen abwehren.
In Deutschland jedoch gehen Emanzipation und Linke auch im Rahmen der Montagsdemonstrationen offenbar lieber ihrer bevorzugten Beschäftigung nach: Zersplitterung und gegenseitige Denunziation. Im europäischen Kontext entwickeln sich jedoch erste Anzeichen einer solidarischen Kooperation.

So finden zeitgleich zur großen Demonstration gegen Hartz IV am 2. Oktober in Berlin auch in unseren Nachbarländern entsprechende Großveranstaltungen gegen Sozialabbau statt: in Amsterdam, in Paris, Montpellier und Marseille sowie, nach bisher unbestätigten Berichten, auch in London und Kopenhagen.

Wie kommt es zu dieser Synchronizität der Ereignisse?

Gemeinsame unmittelbare Ursache für die gegenwärtige Zunahme von Sozialabbau und Repression ist die im Jahre 2000 beschlossene Lissabon-Agenda 2010. Diese soll Europa bis 2010 zum "dynamischsten Wirtschaftsraum der Erde machen". Nach neoliberaler Lesart bedeutet dies zunächst die Schleifung der jeweiligen nationalen sozialen Sicherungssysteme gefolgt von umfangreicher Prekarisierung und Ausbau sozialer, militärischer, polizeilicher und juristischer Repression. Dieses Motiv lässt sich gegenwärtig in allen europäischen Ländern beobachten. Trotz nationaler Differenzen ähneln sich die Details allerdings frappierend: Rentenkürzung, Verlängerung der Wochen- und Lebensarbeitszeit, Lohnkürzungen aller Art, massiver Abbau der solidarischen Gesundheitssysteme, "Aussteuerung" der Jugend aus Ausbildung und Arbeitsmarkt, um nur einige der "Maßnahmen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit" aufzuzählen. Von allen Regierungen Europas ist allerdings nur die deutsche Regierung so einfallslos, dass sie sich nicht einmal einen Tarnnamen zur Umsetzung der Lissabon-Agenda 2010 ausdenkt: sie nennt ihre neoliberale Einheitskost daher vollkommen fantasielos lediglich "Agenda 2010". Es liegt jedoch sicher nicht am Namen, dass sich zwangsläufig Widerstand dagegen formiert.

Wie sieht denn der Widerstand aus?

Schon kurz nach den ersten Montagsdemonstrationen im Osten Deutschlands gingen auch im Westen zigtausende auf die Straße. Stießen die Demonstrationen auch international als "exotisches Ereignis" zunächst noch auf ein gewisses Medieninteresse, war sich das neoliberale Meinungskartell aus Politik, Wirtschaft und Medien allerdings überall in kürzester Zeit einig, wie damit umzugehen ist: verschweigen, und wenn das nicht geht, dann verharmlosen, und wenn selbst das nicht mehr geht, dann eben denunzieren. Das fiel nicht nur in Deutschland auf, so dass in den Nachbarländern schon nach wenigen Wochen erste Solidaritätskundgebungen aus dem Boden schossen: zuerst in Wien, Montpellier und Paris, später dann (auch) in anderen Städten. Aus diesen heraus bildete sich jedoch in den vergangenen Wochen ein wachsendes europäisches Netzwerk, das dem europaweit koordinierten Vorgehen neoliberaler Eliten einen ebenfalls europaweit koordinierten Widerstand entgegensetzt. Hierzu zählen symbolische und solidarische Akte, abgestimmte und synchronisierte Aktionen in den einzelnen Ländern sowie eine europaweite "Informationsbewegung", welche die dreisten Kampagnen der neoliberalen Eliten über die angebliche Wirksamkeit "schmerzhafter Reformen" in den jeweils anderen europäischen Ländern überführt.

Und in der Praxis?

Nicola, einer der Organisatoren der Montagsdemos in Avignon in Südfrankreich, berichtet:

"Seit dem 13. September finden auch in Avignon (Südfrankreich) Montagsdemonstrationen statt.
Die ungefähr siebzig Demonstranten, die sich schon zum zweiten Mal zusammengefunden haben, bekunden ihre Solidarität mit den deutschen Demonstranten, aber auch mit allen, die sich in Europa für eine sozialere und humanere Politik einsetzen. Arbeitslosigkeit, massive Auslagerungen und antisoziale Projekte und Gesetze (Krankenkasse, Renten, Schulbildung, Arbeitslosengeldstreichungen usw.) dürfen nicht länger stillschweigend hingenommen werden. Deshalb rufen auch hier Bürgerinitiativen, Globalisierungsgegner und Gewerkschaften zu Demonstrationen auf."

Neben solchen Aufrufen werden gemeinsame Artikel erstellt, um unseren Nachbarn die "landestypischen Sozialkürzungen" zu erläutern (Beispiele:  http://www.altermonde.levillage.org/article.php3?id_article=1308 oder  http://www.altermonde.levillage.org/article.php3?id_article=1343). Ferner werden zu den unterschiedlichen Veranstaltungen (schwerpunktmäßig natürlich am 2. Oktober) wechselseitig Redner aus den Nachbarländern eingeladen, um auch in diesem Rahmen zu verdeutlichen, dass die Menschen in ganz Europa gegenwärtig dieselbe Auseinandersetzung führen, die man gemeinhin "die soziale Frage" nennt.

Und wie geht es weiter?

Weitere Aktionen, insbesondere im Gefolge des Europäischen Sozialforums in London, sind in Vorbereitung. So wird z. B. die "Halbzeitbilanz" der Lissabon-Agenda 2010 im Frühjahr 2005 auf dem Gipfel in Großbritannien vom Europäischen Widerstand gebührend gewürdigt. Bis dorthin wird sich einerseits im Januar mit Inkrafttreten der Hartz IV-Gesetze in Deutschland, erneut ein Zeitfenster öffnen, um die europäische Kooperation in der Praxis weiter zu vertiefen. Daneben sind für den Spätherbst mehrere gemeinsame Aktionen geplant, auf nationaler Ebene etwa zum 17. November, auf internationaler Ebene Ende Oktober mit der anstehenden Ratifizierung der EU-Verfassung, die in dieser Form von allen Kooperationspartnern konsequent abgelehnt wird.

Der Verfasser freut sich über jegliche konstruktive Mitarbeit an dieser europäischen Kooperation.
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Ergänzungen

Internationale Gegenwehr !!!

Winfried Meyer 25.09.2004 - 12:03
Internationaler "Widerstand" gegen die Zinseszins-Ausbeutung !!!

(klick)
 http://www.attac.de/forum/viewtopic.php?p=20975#20975

ApoInternetClub , Saarbrücken

Montags in Europa

Jimi H. 25.09.2004 - 16:11
Ich glaube sehr daran, das es eine gute Idee ist die Montagsproteste,auch in unterschiedlicher örtlicher Form, europaweit zu machen. Bin auch ziemlich sicher das es so passieren wird.
Auch aus diesem Grund werden bei uns die Montagsproteste weitergehen. Wer davon träumt sie würden eingehen hat sich gewaltig geschnitten. Da rollt eine Lawine noch ganz leise heran, ist meine Meinung.
Für ein friedliches, soziales und ziviles Europa lässt sich die Zustimmung sich 60, 70% der Menschen gewinnen. ( siehe Anti-Irak-Kriegs-Stimmung Anfang 2003, weltweit) Mehr wollen wir alle ja gar nicht erreichen. Ob nun am 2.10 oder am 3.10. in Berlin! Da ist gerade der "Tag der deutschen Einheit" mehr als geeignet, zu zeigen in welche Richtung WIR wollen. Ciao

Montagsdemos im Netz - Ausland

detlef_mue 25.09.2004 - 20:18
Aktualisiere z.Zt. die Infos über Proteste in Europa. Gibt aber bisher nicht viel darüber.

 http://detlefmue.goto-my.de/portal-075/html/modules.php?op=modload&name=News&file=article&sid=74&mode=thread&order=0&thold=0