Solidarität mit Venezuela?

montemaria 12.03.2004 17:32 Themen: Repression Soziale Kämpfe Weltweit
Gruppen und Personen rufen zu Solidaritätsaktionen mit dem venezolanischen Reformprozess auf
Zwei Jahre nach einem von Madrid und Washington unterstützten Putschversuch gegen die Chávez-Regierung in Venezuela haben Einzelpersonen und Gruppen aus dem Internationalismus und Betriebslinken-Spektrum eine Solidaritätsinitiative mit dem Reformprozess in dem südamerikanischen Land gestartet. Die InitiatorInnen wollen Venezuela bei den Anti-Sozialabbau-Demonstrationen am 2. und 3.April als Exempel für eine konkrete nicht-neoliberale Politik ins Bewusstsein der Linken bringen. Außerdem will die Initiative aufzeigen, dass die Veränderungen in Venezuela keineswegs nur von der Chávez-Regierung, sondern auch von linken Gewerkschaften, Stadtteilorganisationen und Basisgruppen aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen getragen werden. (u.a. beispielsweise auch von einem neu gegründeten Zusammenschluss venezolanischer Homosexueller für die Bolivarianische Revolution).

Die Initiative betont die Bedeutung Venezuelas für die weltweite antikapitalische und Anti-Globalisierungsbewegung und stellt sich gegen die Intervention von EU und USA. Die putschistische Opposition in Venezuela erhält u.a. von der Konrad-Adenauer-Stiftung finanzielle Unterstützung.
Geplant sind außerdem eine Veranstatltung am 5.7. und eine Kundgebung am 7.7. (beides in Berlin).

Der UnterstützterInnen-Aufruf ist angehängt und kann (bei  kolumbienkampagne@emdash.org) auch noch unterzeichnet werden.


Zwei Jahre nach dem rechten Putschversuch –
Solidarität mit Basisorganisationen und Regierung in Venezuela

In Venezuela findet seit einigen Jahren ein tiefgreifender Reformprozess statt. Die Bewohner von Armenvierteln organisieren sich in Stadtteilversammlungen und können, dank eines neuen Mitbestimmungsgesetzes, über die Vergabe von öffentlichen Haushaltsmitteln mitentscheiden. Auf dem Land besetzen Sin Tierras brachliegende Ländereien von Großgrundbesitzern und erhalten bei der Gründung von Kooperativen staatliche Unterstützung. Ein neues Mediengesetz erleichtert die Gründung von alternativen Radio- und Fernsehstationen; staatliche Kultureinrichtungen stellen für solche Bürgerradios bisweilen Geräte zur Verfügung. Mit Alphabetisierungs- und Gesundheitskampagnen werden die Lebensbedingungen gerade in den Slums verbessert. Die Regierung hat die Tobin-Steuer eingeführt, die lateinamerikanische Wirtschaftskooperation vertieft, sich kritisch zu den von EU und USA vorgeschlagenen Freihandelsmodellen geäußert und Mitbestimmungsgesetze in der Elektrizitäts- und Erdölindustrie erlassen. Über die Verwendung der Einnahmen des staatlichen Ölkonzerns PDVSA wird erstmals seit 30 Jahren öffentlich debattiert. Arme Staaten des Südens beziehen venezolanisches Erdöl zum Vorzugspreis. Zudem sind die Rechte von Indigenen und Afro-Venezolanern in der neuen Verfassung von 1999 ausgebaut worden.

Das sind die Veränderungen, die in den Medien als „linkspopulistisch“ und „autoritär“ bezeichnet werden. Man muss die venezolanische Regierung Chávez nicht verherrlichen – auch unter ihr gibt es Korruption, Borniertheit und Machtkonzentration. Doch eines lässt sich nicht leugnen: Venezuela ist heute eines der wenigen Länder der Welt, in denen Alternativen zu Neoliberalismus und Medienkonzentration angegangen werden. Und dieser Prozess wird – anders als in den bürgerlichen Medien dargestellt – nicht nur von der Regierung, sondern von einer breiten Basisbewegung getragen: vom linken Gewerkschaftsverband UNT, von selbstorganisierten Stadtteilkomitees, Bauernorganisationen, alternativen Medienprojekten ...
Die Regierung Chávez und ihre Politik sind seit 1998 sechs Wahlen und landesweiten Referenden unterworfen worfen, sie hat alle gewonnen. Ihr entscheidendes Manko: Im Gegensatz zur bürgerlichen Opposition verfügen die Anhänger der Regierung über keine Finanzmittel und kaum eigene Medien.

Das venezolanische Experiment steht wie das Chile Salvador Allendes 1973 unter massivem ausländischem Druck. Im April und im Dezember 2002 hat die bürgerliche Opposition mit Hilfe Madrids und Washingtons versucht, Chávez mit Gewalt zu stürzen. In beiden Fällen scheiterten die Putsche an der Mobilisierung der Bevölkerung und am Verhalten einer Armee, die selbst von den gesellschaftlichen Veränderungen erfasst worden ist.

Ende 2003 hat die Rechtsopposition, die auch aus Deutschland u.a. von der Konrad-Adenauer-Stiftung finanzielle Unterstützung erhält, nun ein Abwahlreferendum gegen Präsident Chávez gestartet. Die Oberste Wahlaufsichtsbehörde hat jedoch 400.000 (von 3,4 Millionen eingereichten Unterschriften) als ungültig gewertet (weil von Toten, Kindern oder nicht-wahlberechtigten Ausländern unterzeichnet) und eine weitere Million Unterschriften als problematisch bezeichnet. Entgegen der von der Wahlaufsichtsbehörde im Vorfeld aufgestellten Richtlinien wurden eine Million Eintragungen offensichtlich von Wahlhelfern gemacht – ganze Fragebögen sind in der gleichen Handschrift ausgefüllt. Weil Unterschriften und Fingerabdrücke auch aus elektronischen Datenbanken kopiert worden sein können (und die Unterschriftenlisten von der Opposition vor der Übergabe an die Wahlaufsichtsbehörde fast einen Monat lang zurückgehalten wurden), ist nicht ersichtlich, ob die Unterschriften von den betreffenden BürgerInnen geleistet oder von den Organisatoren des Bürgerbegehrens gefälscht worden sind. Ende März müssen eine Million Menschen nun in einem neuerlichen Verfahren bestätigen oder dementieren, ob die Unterschriften von ihnen stammen.

Medien wie CNN und El País haben diese Entscheidung als Beleg für den Autoritarismus in Venezuela bezeichnet. Die Opposition hat gewalttätige Straßenschlachten provoziert. Als die Guardia Nacional dagegen vorgegangen ist, wurde dies als besondere Brutalität bezeichnet. Keine Rede davon, dass die Guardia Nacional im Unterschied zu früher keine Schusswaffen eingesetzt hat und der Angriff eindeutig von den Rechten ausging. (Spitzenpolitiker von Christ- und Sozialdemokratie sind auf Fotos neben Vermummten und an Barrikaden zu sehen).
Offensichtlich herrscht nur dann Demokratie, wenn diejenigen regieren, die immer regieren, und mit ihrer Medienkontrolle oder offenem Wahlbetrug dafür sorgen, dass sie alle vier Jahre an der Macht bestätigt werden.

Wir rufen dazu auf, den venezolanischen Reformprozess gegen den Druck von Medienkonzernen, EU und USA zu verteidigen. In dem südamerikanischen Land werden heute zwei Dinge verhandelt, die weltweit von Bedeutung sind:

- In Venezuela gibt es Basisbewegungen und eine Regierung, die damit begonnen haben, Vorstellungen der Anti-Globalisierungsbewegung in die Praxis umzusetzen und Alternativen zum neoliberalen Kapitalismus wieder konkret zu machen.
- In Venezuela entscheidet sich, ob parlamentarische Wahlen von den Herrschenden einfach zur Farce gemacht werden können. Immer wieder haben v.a. US-Regierungen (aber auch ihre europäischen Verbündeten) dafür gesorgt, dass demokratisch gewählte Reformregierungen per Putsch, Mord und Entführung beseitigt wurden. Der wohl bekannteste Fall war der Sturz Salvador Allendes 1973.
Das darf sich nicht wiederholen! Der Reformprozess in Venezuela ist ein wichtiges und von der Bevölkerung getragenes Experiment.

Am 11. April jährt sich der rechte, von Madrid und Washington unterstützte Putschversuch in Venezuela zum zweiten Mal. Zu diesem Anlass rufen wir zu Solidaritätsaktionen mit Venezuela auf.

Keine Finanzierung putschistischer Gruppen durch Konrad-Adenauer-Stiftung, Friedrich-Ebert-Stiftung, EU und Bundesregierung!
Für eine Alternative zur kapitalistischen Ausplünderung der Welt!

In Berlin:
Kommt zur Kundgebung vor dem Sitz der EU (Unter den Linden) ... 7. April 2004 17 Uhr

Veranstaltung zum Putsch (mit Film) ... 5. April 20 Uhr (vermutlich Buchladen B-Books)

ErstunterzeichnerInnen:
Kolumbienkampagne Berlin, Beatrix Sasserman (Gewerkschaftsaktivistin Bayer-Wuppertal), Raul Zelik (Autor), Bildungsoffensive Brandenburg, Hermann Dierkes (stellv. Betriebsratsvorsitzender IG METALL), Günter Pohl (Lateinamerikakorrespondent), Dietrich Höper (Vorsitzender – Verband für Entwicklungspolitik Niedersachsen VEN), Christine Klissenbauer (Pax Christi Solidaritätsfonds Eine Welt)
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Ergänzungen

Das venezolanische Experiment

Maja 12.03.2004 - 19:55
sollte unsere ganze Aufmerksamkeit und Solidarität erhalten.
Ob Chavez eher kommunistisch oder sozialdemokratisch eingeschätzt werden kann, finde ich erst einmal nicht so relevant, wichtig ist der Reformkurs, der dort zur Zeit stattfindet. Spannend ist doch die Frage, ob die sogenannten sanften Revolutionen als Alternative zu blutigen Revolutionen und anschließenden Bürgerkriegen Erfolg haben könnten oder nicht.
Einen guten, wenn auch sehr emotionalen Bericht gab es kürzlich in der Jungen Welt:
www.jungewelt.de/2003/11-13/004.php
von Sarah Wagenknecht

Die bolivarische "Revolution" verteidigen!

Kommunist 12.03.2004 - 23:07
In Venezuela geht es nicht darum, grundlegende Verbesserungen durchzusetzen. Dazu ist eine bürgerliche Regierung gar nicht in der Lage. Als KommunistInnen beurteilen wir eine Regierung und eine Bewegung nach ihrem Nutzen für den internationalen Klassenkampf und für den Kampf für den Kommunismus.

In diesem Zusammenhang ist die bolivarische "Revolution" zu unterstützen. Denn es gibt hier Ansätze von Klassenorganisierung in der Bevölkerung z.B. in den bolivarischen Zirkeln und in den Stadtteilkommittees. Diese Ansätze wurden durch die Regierung/Bewegung Chavez teils erst ins Leben gerufen und unterstützt, während solche Ansätze früher soweit vorhanden kriminalisiert und unterdrückt wurden.

Für die arme Bevölkerung in Venezuela gibt es auch konkrete Verbesserungen in ihren Lebensbedingungen wie z.B. die Alphabetisierungskampagne, die Verbesserung der medizinischen Versorgung, eine Landverteilung, Änderungen des Fischereigesetzes für Kleinfischer, und in der Verfassung verankerte Rechte für die indigene Bevölkerung. Das sind zweifellos alles gute Dinge. Der Chavez-Regierung sind aber dennoch die Hände gebunden: Um die Armut in Venezuela zu beseitigen und die Lebensbedingungen der Menschen wirklich zu ändern, so dass niemand mehr verhungern muss, müsste der Reichtum in Venezuela neu verteilt werden und die Bourgeoisie entmachtet werden.

Dies kann nur durch eine kommunistische Weltrevolution geschehen, die durch den Kampf der proletarischen Massen im weltweiten Maßstab angestoßen werden muss.

Wenn deutsche Linke (wie in diesem Indy-Artikel) versuchen den Prozess in Venezuela zu idealisieren oder gar auf Europa zu beziehen, zeigen sie damit nur, dass sie die Ursache des derzeit stattfindenden Sozialabbaus, der Kriege und die Funktionsweise des Kapitalismus nicht verstanden haben. Und vor allem zeigen sie, dass sie einen sozial gebändigten Kapitalismus haben wollen, der sowieso nur Illusion sein kann! So wie wir die bolivarische "Revolution" unterstützen, müssen wir auch ihre Beschränktheit erkennen und kritisieren!

Unsere Losung kann nur lauten: Nieder mit dem Lohnsystem!
Für den Kommunismus!

jenseits der ideologie

viki 12.03.2004 - 23:42
die medienberichte über venezuela (sowohl kommerziell als auch independent), die mir bisher begegnet sind, scheinen mir leider sehr weit von der tatsächlichen situation entfernt zu sein. ein freund von mir befindet sich momentan in venezuela und hat die ausschreitungen in caracas mitverfolgt, seine sicht der dinge widerspricht allem, was ich aus anderen quellen erfahren konnte. seiner aussage nach sind allein am letzten februar-wochenende geschätzte 400 menschen von der armee und polizei erschossen worden, in den tagen darauf geriet auch er zwischen die fronten, "die nationalgarde kam angerückt mit waffen, bomben und panzern. die menschen haben alles angezündet und die polizei hat vor meinen augen einen menschen erschossen." an jeder ecke befanden sich schwer bewaffnete einsatzkräfte, tränengas wurde eingesetzt und wiederum wurden wahllos menschen erschossen. "die menschen hier werden behandelt wie die tiere, sie werden zu hunderten in busse gestopft und in gefängnisse gebracht, wo sie grausam mißhandelt und vergewaltigt werden. auch kinder sind unterihnen." in den österreichischen medien war in gewaltigen zwei zeilen von acht toten die rede...
wenn ich nicht ganz falsch liege, gehören armee und polizei der regierung chavez an. politische alternative, anti-globalisierung, alles gut und schön, aber in meinem anscheinend beschränkten politikverständnis passen derartige gewalteskalationen nicht zu einer wahrhaftig alternativen form der politik, bitte klärt mich auf!!! kein zweifel an alternativen bzw linken idealen, doch wenn es um die wahllose verschleppung und tötung von menschen geht, zweifle ich stark daran, daß dies wirklich eine sinnvolle und ehrliche alternative darstellen kann...

Wieviele Tote?

Mac 13.03.2004 - 00:04
Bisher sind Indymedia-Argentinien zufolge 9 Menschen getötet worden. Zahlen von 400 sind unglaubwürdig. Kann sein, daß die Rechten diese Zahlen verbreiten. Psychologische Kriegsführung ist ja Bestandteil in solchen Situationen. Ein Teil der Polizei gehört zu den Rechten. Daher ist nicht zu sagen, warum der Polizist wen erschossen hat.
In Venezuela ist die Bevölkerung sehr stark gespalten. Wenn man bei reicheren Leuten lebt, bekommt man ganz andere Dinge mit, als wenn man bei irgendwelchen ärmeren Leuten lebt.

Chavez wird übrigens nicht als Alternative für "uns" betrachtet. Die meisten sehen ihn schon sehr kritisch. Er wird lediglich gegen die rechte Opposition unterstützt, die eine Militärdikatur nach chilenischen Vorbild installieren will. Hinzu kommt, daß Chavez in seine neue Verfassung basisdemokratische Elemente eingebracht hat. Dazu gibts keinerlei Pressezensur - die Medien rufen täglich zum Mord gegen Linke auf und ihnen passiert nicht mal was.

Infoabende zum Thema Venezuela

Mr.Anderson 13.03.2004 - 00:48
Zu der (aktuellen) Situation in Venezuela gibt es mehrere Infoabende (kein Anspruch, auf Vollständigkeit):


Solidaritaet hilft siegen! Venezuela Info/Videoabend Wir (Antifaschistische Aktion Gelsenkirxchen [AAGE]) werden an diesem Abend zwei Videos (u.a. kanalB) ueber die (momentane) Politische Lage in Venezuela zeigen. Ausserdem gibt es lecker veganes Essen und guenstige Getraenke. Ihr seid herzlich dazu eingeladen, vorbei zu kommen und anschliessend mit uns ueber die Videos (und allgemein) zu diskutieren. Der Eintritt ist selbstverstaendlich kostenlos!
5.04.2004 ab 19:00 Lalok libre, Dresdener Strasse 87, Gelsenkirchen Gelsenkirchen, deutschland
Homepage:  http://antifa-gelsenkirchen.de.vu/


venezuela vokue vegane vokue (wenns klappt gibts was suedamerikanisches...) und gegen spaeter die aktuelle kanalb-ausgabe
20.03.2004 ab 20:00 baz 110, ludwigstrasse 110a, 70197 stuttgart, germony
gezeigt wird die ausgabe: nr_21 Venezuela 2003
Homepage:  http://www.baz110.de/

Bei beiden wird (u.a.) das kanalB Video (  http://kanalb.org/edition.php?clipId=49) zu Venezuela gezeigt.


Also in diesem Sinne:
Glaubt den Lügen der Mörder nicht! Solidarität hilft siegen!

Homepage::  http://kanalb.org/screening.php

kleine Anmerkung

xxx 13.03.2004 - 10:08
Allende war 1973 Präsident von Chile. Ersetzt mensch das erste "Venezuela" durch "Lateinamerika", dann stimmt der Absatz wieder.

- In Venezuela entscheidet sich, ob parlamentarische Wahlen von den Herrschenden einfach zur Farce gemacht werden können. Immer wieder haben v.a. US-Regierungen (aber auch ihre europäischen Verbündeten) dafür gesorgt, dass demokratisch gewählte Reformregierungen per Putsch, Mord und Entführung beseitigt wurden. Der wohl bekannteste Fall war der Sturz Salvador Allendes 1973.

Ansonsten guter Text. Empfehlen zu diesem Thema ist auch die Dokumentation von KanalB Nr.21 dazu! www.Kanalb.org

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