Prozesseröffnung in Genua - Teil 2

rf 05.03.2004 20:51 Themen: Globalisierung Repression Weltweit
Der Eindruck eines schon festgeschriebenen Prozesses fand im Ablauf der ersten Verhandlung durchaus Bestätigung. Zahlreiche Einwände der Anwälte der Verteidigung wurden abgewiesen und die Fortsetzung des Prozesses bestätigt, obwohl ein Antrag auf Verlegung des selben in eine andere Stadt gestellt wurde, über den der Kassationshof erst mittelfristig entscheiden wird. Sollte dann dem Antrag Statt gegeben werden, müsste alles neu aufgerollt werden. Das Gericht zieht es vor, trotzdem weiter zu machen.
Im Gerichtssal ist es eng. Die Anwälte ziehen ihre Roben an, Carabinieri in Uniform und in Zivil beobachten, wie sich das Publikum hinter die Absperrungen zwängt, die den sehr spärlichen Raum abgrenzen, den man Besucher eingeräumt hat. Journalisten haben Sitzplätze. Das gemeine Publikum muss stehen, der vorgesehene Platz ist nicht für die "zugelassenen" 100 Personen ausreichend. Eine entwürdigende Situation, die zivilen Prozessbeobachter sind regelrecht zusammengepfercht. Auf lange Sicht wird große Ausdauer erforderlich sein, um unter solchen Umständen dem Prozess beizuwohnen.

Die zehn Angeklagten, die sich entschlossen haben, an der Verhandlung Teil zu nehmen, müssen wie Mafialeute und Terroristen im "Käfig" verharren. Kurz nach 9,30 beginnt die Verhandlung. Er beginnt mit den üblichen Prozeduren: Die Kläger und Nebenkläger werden festgestellt und es wird die Regelmäßigkeit der verschiedenen Vorprozeduren und der Parteienbildung geprüft. Unter den zivilen Klägern befinden sich der Vorstand des Ministerrats, sprich Herr Berlusconi, und drei Ministerien (Inneres, Verteidigung und Justiz), vertreten durch die Anwälte Ernesto De Napoli und Gianmario Rocchitta. Die Nebenklage der Ministerratspräsidenz wird damit begründet, dass diese eine "schwere, nicht vermögensartige Beschädigung des Landesimages gegenüber der gesamten internationalen Gemeinschaft" erlitten habe.

Unter den zivilen Klägern ist auch die Stadt Genua, was für heftige Kontroversen im unmittelbaren Vorfeld des Prozesses sorgte. Die Koalition aus DS und Prc, die an der Regierung ist, ist daran zerbrochen. In der am 3. März hinterlegten Klageschrift der Staatsanwaltschaft zum Abschluss der Emittlungen im Fall Diaz-Pertini wird interessanterweise neben den 97 betroffenen Protestteilnehmern genau die Stadt Genua als Geschädigte ausgemacht. Gegen die Polizisten, die in den Schulgebäuden wie bekannt bestialisch prügelten, wahre Verwüstung anrichteten und allerlei Gegenstände entnahmen tritt die Stadt trotz einer entsprechenden Aufforderung des Komitees Veritá e Giustizia per Genova dennoch nicht an. Der anwaltliche Vertreter der Stadt Genua Giovanni Salvarezza erntet im Gerichtssaal stellvertretend für den genuesischen Bürgermeister wegen der Haltung seines Mandanten einige Buhrufe. Weitere Nebenkläger sind u.a. die Bankhäuser Carige und San Paolo und die Agentur Area Banca Service. Nebenkläger ist auch Filippo Cavataio, der Carabiniere, der am Steuer des Jeeps auf der Piazza Alimonda saß, aus dem der Schuss auf Carlo Giuliani fiel. Nicht als Nebenkläger tritt Mario Placanica an, der den tödlichen Schuss abgefeuert haben soll. Sein Anwalt wurde natürlich von allen Seiten nach dem Grund des Nichtantretens Placanicas befragt. Er führte an, sein Mandant benötige Ruhe und dürfe nicht länger ein "Nachrichtenfaktor" sein. Auch teilte er vielsagend mit: "Der Zwischenfall auf der Piazza Alimonda wird sich für keinerlei neuen Instrumentalisierungen anbieten. Die seinerzeit durchgeführten Ermittlungen haben jeden Zweifel beseitigt". Der Gang des am Ende eingestellten Ermittlungsverfahrens wird in Wahrheit von Vielen bis heute als überaus zweifel- und mangelhaft angesehen.

Die Verteidigung legt eine Liste mit den Namen von etwa fünfzig Personen vor, die als Zeugen geladen werden sollen. Die Anwälte Mazzali und Taddei haben u. a. die Anhörung vom Ministerratspräsidenten Silvio Berlusconi und von seinem Vize Gianfranco Fini sowie vom ex-Carabiniere und engen Fini-Freund Filippo Ascierto, Abgeordneter im Parlament für die rechte Partei An, beantragt. Fini und Ascierto hielten sich am Tag der Eskalation, die im Tod Carlo Giulianis gipfelte, nachweislich in der Carabinieri-Einsatzzentrale auf. Was sie dort taten wurde nie erschöpfend geklärt. Weiterhin haben die beiden Anwälte die Anhörung des Bürgermeisters von Genua Giuseppe Pericu, von allen Parlamentariern, die damals auf den Demonstrationen waren, vom damaligen Staatsanwalt Francesco Meloni und von den leitenden Beamten, die den Befehl zum Polizeisturm in der Via Tolemaide gaben beantragt, unter ihnen ist auch der Chef der Direktion Centro Angelo Gaggiano. Zu einer Entscheidung über die Zulassung der genannten Zeugen kommt es vorerst nicht.

Die Verhandlung vom 2. März beginnt mit der Prüfung der Regelmäßigkeit der Vorgänge, die zur Bildung der Parteien geführt haben. Später wird es noch um einen Antrag auf Aussetzung des Prozesses gehen. Die Einwände der Anwälte der Verteidigung sind zahlreich, das Gericht zieht sich um 10 Uhr 30 zurück, um darüber zu beraten. Es geht um verschiedene Formfehler, mehrere beziehen sich auf die unterlassene Zustellung von Bescheiden an die Verteidigung, aber auch fehlerhafte Vernehmungsprotokolle werden beanstandet. Die Sitzung wird um 11 Uhr 45 wieder eröffnet, alle Einwände der Verteidigung sind abgewiesen, bis auf einen. Für Eurialo Predonzani, 26, wird es jetzt gesondert einen Prozess geben. Eurialo Predonzani wird die Beteiligung am Angriff auf den Jeep auf der Piazza Alimonda vorgeworfen und auch die Beteiligung an der Zerstörung der Carabinieri-Wanne auf dem Corso Torino. Dem verteidigenden Anwalt war nicht einmal der ACIP, also der Bescheid über den Abschluss der Ermittlungen zugestellt worden, so dass ihm keine Verteidigung seines Mandanten möglich war. Das bedeutet, prozedural gesehen, dass für Predonzani Alles auf diesen Zeitpunkt des Abschlusses der Ermittlungen zurückgeschaltet wird. Der Anwalt wird nun diesen ACIP-Bescheid erhalten und die fristüblichen zwanzig Tage Zeit haben, um neue Beweise vorzulegen oder um eine Anhörung zu beantragen, dann wird je nach Sachlage neu ermittelt oder aber die Akte dem Richter für die Vorverhandlung übergeben, der über die Zulassung der Klage entscheiden wird. Für Predonzani bedeutet das nicht viel mehr als einen Aufschub. Die Prozesskosten steigen aber extrem an, wegen der Verfahrensabkopplung und weil alle Unterlagen aufs Neue ausgestellt werden und zahlreiche Zeugen jetzt doppelt bei Gericht erscheinen werden müssen.

Als nächstes wird die Aussetzung des Prozesses aufgrund eines Antrags zur Debatte gestellt, der sowieso wegen intensiver Berichterstattung in Zeitungen und Nachrichtensendungen in Aller Munde ist. Die Anwältin Anna Maria Alborghetti, Verteidigerin von zwei Menschen aus Padua, hat sich auf das umstrittene Cirami-Gesetz berufen, um die Verlegung des Prozesses an einen anderen Ort zu bewirken. Am Montag stellte sie auf dieser Grundlage einen entsprechenden Antrag, über den der Kassationshof zu entscheiden haben wird, was einige Monate dauern könnte. Einige Anwälte der Verteidigung haben diesen am Montag hinterlegten Antrag mit unterschrieben, andere nicht, weil sie fürchten, dass die Polizisten, die wegen Diaz-Schule und Bolzaneto ebenfalls bald vor Gericht erscheinen werden müssen, um so mehr versuchen werden, ihre Prozesse nach Turin zu verlegen, was sie bereits im Herbst zunächst erfolglos probiert hatten. Die Verabschiedung des Cirami-Gesetzes am 5. November 2002 war seinerzeit von massenhaften Protesten begleitet worden. Es handelt sich um ein Gesetz, das Berühmtheit erlangte, weil es eigens geschaffen wurde, um Berlusconi und den Seinen, die in allerlei ausgesprochen schweren, illegalen Machenschaften verwickelt sind, die Möglichkeit zu geben, sich "gegen" bestimmte Gerichtsverhandlungen zu wehren, statt sich "innerhalb" der selben vor "missliebiger" Richterschaft zu verteidigen, in dem es ermöglicht, den Gerichtsort zu wechseln, wenn irgendwie erfolgreich unterstellt werden kann, dass die Richter des bisherigen Gerichts befangen sein könnten. Dass sich jemand auf das Gesetz beruft, ist mittlerweile nichts Außergewöhnliches, aber dass dies in einem Prozess gegen "Linke" geschieht und dass also "Linke" Angeklagte sich darauf berufen, wird ausgiebig von der Presse und von der Rechten ausgeschlachtet, weil die einst heftige Kritik des Gesetzes eben von Links kam.

Bevor die Richterschaft sich zurückzieht, wird die Sache im Gerichtssaal debattiert. Im Verlauf der Debatte wird auf die Proteste draußen vor der Tür hingewiesen. Diese seien vielmehr ein belastender Faktor. Das Gericht weist schließlich und zwar nach kürzester Beratung den Antrag auf Aussetzung des Prozesses zurück, in dem es die Ausführungen der Anwälte zur Begründung des Begehrens recht trocken für nichtig erklärt. Mit der Fortsetzung des Prozesses wird auch die Möglichkeit beschnitten, dass die wegen Formfehlern mittlerweile abgekoppelten Verfahren gegen den iranischen Studenten Farouzi und nun auch gegen Predonzani zu einem späteren Zeitpunkt in dieses Verfahren wieder eingegliedert werden. Die Beratungen, um die Entscheidung zu treffen, beeindrucken zahlreiche Beobachter wegen der Zügigkeit, mit der sie durchgeführt wurden. Das Ganze bestätigt das bei vielen bereits vorhandene Gefühl durchaus, dass die Zuständigen um jeden Preis eine schnelle Fortsetzung des Verfahrens wünschen und stark voreingenommen sind. Der Katalog der anwaltlichen Einwände, die zum Antrag auf Suspendierung in Erwartung einer Entscheidung des Kassationshofes über eine mögliche Verlegung des Prozesses führten, war um so ausgedehnter. Angeführt wurden u.a. die Auslassungen des obersten Generalstaatsanwalts Porcelli, der in seiner Rede zur Eröffnung des Justizjahres sehr harte Worte für die genuesischen Richter und Staatsanwälte fand und diesen vorwarf, mit der Anklage gegen 26 Personen zu wenig Protestteilnehmer zur Verantwortung gezogen zu haben, während gut siebzig Angehörige der Sicherheitskräfte beschuldigt seien.

Weitere Gründe für das Misstrauen einiger Anwälte gegenüber den genuesischen Richtern und Staatsanwälten waren die Tatsache, dass viele Polizeibeamte, die wegen Diaz und Bolzaneto beschuldigt sind, von Amts wegen (etwa bei den Ermittlungen gegen diev Protestteilnehmer) öfter und eng mit diesen zusammengearbeitet haben und dass praktisch kein einziger der Richter und Staatsanwälte nicht direkt oder indirekt in Beziehung zum Gegenstand der Verhandlung stehe, weil die Unruhen während des G8 jeden Bürger Genuas irgendwie tangiert haben. Auch wurde auf die abfälligen Äußerungen des Vorverhandlungsrichters zur politischen Zugehörigkeit eines Angeklagten bemängelt und der Zustand der Belagerung in dem die Verhandlung stattfindet. Ein unbelastetes Verfahren sei unter diesen Voraussetzungen nicht möglich, so die Anwälte, die für eine Verlegung des Prozesses an einen anderen Ort Plädieren. Das Gericht fand, dass nichts davon einen vorläufigen Stopp der Verhandlung rechtfertigt.

Der Staatsanwalt Francesco Lalla, Leiter des Ermittlerpools, hat gleich wissen lassen, dass „Der Kassationshof sich genauso bezüglich der anderen mit dem G8 verbundenen Prozesse äußern wird, wenn er [in dieser Sache hier, d.Ü.] befinden wird, dass in Genua kein angemessen entspanntes Klima herrscht". Das bedeutet die Verlegung des Prozesses gegen die angeklagten Polizisten. Es muss gesagt werden, dass die ermittelnden Staatsanwälte permanent von den Rechten unter Druck gesetzt wurden. Auch anlässlich der ersten Verhandlung im so genannten "Prozess gegen die Black Block" wurde dies wieder sehr deutlich, die Presse zitierte in diesem Sinne vielfach den Vizepremier Gianfranco Fini von der Partei Alleanza Nazionale, der bei einem Radiointerview erklärte: "Man kann wirklich nicht Angreifer und Angegriffene auf die gleiche Ebene setzen. Bei allem Respekt gegenüber der Staatsanwaltschaft und dabei Worte abwiegend, die Steine sind, ist die einfache Tatsache, dass die genuesische Staatsanwaltschaft zwei Jahre nach Genua mehr Polizisten und Carabinieri als No global angeklagt hat der Beweis, dass die Dinge in Italien nicht funktionieren".

Fini tut so, als wüsste er nicht, dass dieser Prozess nur der Anfang ist und dass die Angeklagten mitunter riskieren, allein wegen "psychischer Anteilnahme" verurteilt zu werden, weil sie sich an bestimmten Orten aufhielten, als das Eine oder Andere zerstört wurde. Fast vierhundert Personen unter den Protestteilnehmern, die sich an so genannten "Brennpunkten" befanden sind namentlich identifiziert, auch wenn die Tatsache vorerst nur für die jetzigen 26 Angeklagten strafrechtliche Folgen hatte. In Zukunft wird es noch gegen mindestens weitere 50 von den identifizierten Personen einen Prozess im selben Rahmen geben und 15 wurden wegen Widerstand gegen Staatsbeamte, Sachbeschädigung und dem Mitführen von als Waffe tauglichen Gegenständen in Einzelverfahren bereits verurteilt. Eine 23.000 Seiten starke Ermittlungsakte gegen Unbekannt könnte ebenfalls noch Folgen haben. Hinzu kommt, dass die Subversionsvorwürfe im Cosenza-Verfahren Casarini und anderen die Planung der Unruhen in Genua unterstellen, was auch noch für Überraschungen sorgen könnte.

In der Summe stimmt die Rechnung von Leuten wie Fini und Porcelli also ganz und gar nicht. Wegen der Diaz Schule steht jetzt fest, dass ganze 29 (!) Polizisten vor Gericht müssen. Bis heute sind nicht alle Namen der 270 Schläger, die Maskiert waren und nicht wie jene die jetzt vor Gericht kommen, leitende Beamte waren, bekannt. Knapp etwas mehr als vierzig Angehörige der Gefängnispolizei, der Polizia und der Carabinieri wird man wegen Bolzaneto anklagen. Die zwanzig-Tage Frist nach Zustellung der ACIP-Bescheide an die Polizisten wurde verlängert, weil so viele Akten zur Einsicht kopiert werden mussten. Und die Staatsanwalt ist gegen die Protestteilnehmer schon alleine deshalb weit zügiger vorangekommen, als gegen die Polizisten, weil in dieser Sache die Polizei weit "kooperativer" war und keine "inneren" Konflikte vorlagen.

Der Prozess wird am 9. März, 9 Uhr fortgesetzt. Die Disobbedienti, die am Dienstag das Präsidium unweit vom Gerichtsgebäude veranstalteten haben bereits angekündigt, dass sie wieder Präsenz auf der Straße zeigen werden.
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