Die internationale Presse zum Haiti-Konflikt

Jenz Steiner 28.02.2004 15:34 Themen: Medien Soziale Kämpfe Weltweit
Die Lage in Haiti beschäftigt heute nicht nur die Nachrichtenseiten, sondern auch die Kommentarspalten der internationalen Presse.Nachfolgend werden Blickpunkte in der norwegischen Zeitung Aftenposten, der peruanischen El Tiempo und den Salzburger Nachrichten näher beleuchtet. Die El Tiempo befürchtet einen anstehenden Sturm auf die Hauptstadt und kritisiert Aristides Konzeptlosigkeit. Die Aftenposten aus Oslo kann nachvollziehen, dass Aristide die Macht nicht zu Gunsten der Oposition aufgeben will, verweist aber auf die Signale aus den USA und Kanada. Die Salzburger Nachrichten bezeichnen die Oposition als Rebellen, bewaffnete Banden und Horrorfiguren. Die USA und Europa sollen endlich zur Hilfe eilen, bevor noch mehr Staaten in Afrika und der Karibik zerfallen, so der Grundtonus in den Salzburger Nachrichten.
Zur Situation in Haiti schreibt die peruanische Zeitung EL TIEMPO: "Es dürfte nur noch eine Frage von Tagen sein, bis die Rebellen ihre Androhung wahr machen und zum Sturm auf die Hauptstadt ansetzen. Schon jetzt haben sie mehr als die Hälfte des Landes unter ihrer Kontrolle. Wer leidet, ist die Bevölkerung, und dabei ist Haiti ohnehin schon der ärmste amerikanische Staat. Präsident Aristide hat die internationale Gemeinschaft um Hilfe gerufen. Doch Aristide hat wenig getan, den Hunger und die Korruption im Land zu bekämpfen. Deshalb hat er kaum noch Rückhalt, und die Chancen auf Stabilität in dem krisengeschüttelten Land sind gering".

"Es fällt leicht, dem haitianischen Präsidenten Aristide zuzustimmen, wenn er sagt, 32 Staatsstreiche seien genug", unterstreicht AFTENPOSTEN aus Oslo. "Während seiner 200-jährigen Geschichte hat das Land so gut wie nie Stabilität erlebt, und in den übrigen Perioden waren seine Regime entweder korrupt, despotisch, unterdrückerisch oder alles zusammen. Dass der Präsident sich an der Macht festklammert und nicht zugunsten von Aufständischen abtreten will, ist nachvollziehbar. Aber sowohl die USA als auch Kanada und Frankreich haben bereits signalisiert, dass seine Zeit abgelaufen sein könnte. Eigentlich hat Aristide jetzt nur noch die Wahl, freiwillig zurückzutreten oder gestürzt zu werden", stellt die norwegische Zeitung AFTENPOSTEN fest.
Das Norwegische Aussenministerium teilte heute indes mit, dass es nun die Vermittlungen zwischen Opposition und Regierung in Haiti nach vierjähriger Bemühung abbrechen würde, da sich die Lage zu sehr zuspitze. Die Zeitung berichtet weiterhin, dass nach den Ausschreitungen in Haitis drittgrösster Stadt Cayes, der US-Staatssekretär Colin Powell dafür ausgesprochen habe, dass Jean-Bertrand Aristide abschätzen solle, ob er länger an seinem Posten festhalten wolle oder nicht.
(Detailierte Informationen zum Hilfsgüterembarbo der USA auf ZMAG.org)

Die SALZBURGER NACHRICHTEN betrachten die Zukunft des ärmsten Landes Lateinamerikas wiefolgt: "Die Rebellen, die das Land von Norden her aufrollen, sind bewaffnete Banden, geführt von Horrorfiguren. Die politische Opposition - selbst bunt zusammengewürfelt - hat sich der Aufständischen bedient, um Aristide aus dem Amt zu drängen. Sie muss befürchten, dass diese nicht einfach wieder von der Bühne verschwinden werden, sondern inzwischen zu einem politischen Machtfaktor geworden sind. Wie daraus ein halbwegs friedlicher Wechsel zu einer halbwegs vernünftigen Regierung werden soll, ist schwer vorstellbar. Ohne nachhaltiges Engagement von außen wird sich das Chaos in Haiti wohl nicht stoppen lassen. Wenn die USA und Europa den Elendszonen der Erde nicht helfen, wird sich die Reihe 'zerfallender Staaten' fortsetzen - in der Karibik ebenso wie in Afrika", lautet das Fazit der SALZBURGER NACHRICHTEN. Auf der Internetseite der Zeitung heisst es heute in dr Nachrichtenmittelspalte: "Die Lage in der von Rebellen belagerten haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince eskaliert. Anhänger des umstrittenen Präsidenten Aristide errichteten im Stadtzentrum brennende Barrikaden, plünderten und griffen ein Krankenhaus an, in dem sie nach Oppositionellen suchten. Die USA und die UNO riefen zum Ende der Gewalt auf"

Nähere Informationen zur Haiti-Problematik:

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Ergänzungen

alternative Informationsquellen

Radiohörer 28.02.2004 - 17:54
Gestern abend habe ich ein bischen in den Webstream vom alternativen US-Radiosender KPFA ( http://www.kpfa.org/) reineghört. KPFA hat Korrespondenten vor Ort.
Folgende Infos wurden dort berichtet: 4 US-Kampfhubschrauber kreisten tagsüber über der Hauptstadt. Es scheint irgendwas von den USA vorbereitet zu werden. Es besteht in der Bevölkerung Hoffnung (+ gibt Gerüchte), daß Venezuela eingreift. Venezuela wird als einzige "echte" Demokratie in der Hemispehere angesehen. Allerdings hat Venezuela selbst gerade Probleme mit erneuten Unruhen durch die rechte Opposition. Beide Länder (Haiti und Venezuela) haben eine eher linke Regierung, die durch US-gestützte rechte Opposition (die eine Diktatur anstrebt) unter Druck gesetzt wird.

PS: Gibt übrigens sehr geilen Bay-Area-HipHop bei KPFA zu hören :-)

Hurrikan in der Karibik

Dunga 28.02.2004 - 20:34
Hurrikan in der Karibik
Autor: Gustavo Dunga
Datum: 17.02.2004
Quelle: LVO 133

Die frühere Insel Santo Domingo ist seit Anfang des Jahres in Aufruhr. In Haiti fordert eine breite Massenbewegung den Rücktritt von Präsident Jean Bertrand Aristide. In der Dominikanischen Republik hat ein Generalstreik den die Gewerkschaften organisiert haben Präsident Mejía, den De la Rúa der Antillen, in die Enge getrieben und dadurch eine tiefe politische Krise ausgelöst. Genau wie in anderen Staaten Lateinamerikas und der Karibik sind es die Pläne des Währungsfonds sowie die Folgen der bilateralen Freihandelsverträge, welche das massive Eingreifen der Massenbewegung hervorrufen.

Haiti: "Wir überleben, wir existieren nicht"

Mit diesen Worten fasste ein Jugendlicher Regierungsgegner in den Slums von Port au Prince (Hauptstadt Haitis) gegenüber einer internationalen Presseagentur, das Elend und die Not der Mehrheit der Bevölkerung zusammen. Die Presse wiederholt ohne Unterlass die erschütternden Statistiken, die belegen, dass Haiti vom weltweit bedeutendsten Zucker Produzenten des 17. Jahrhunderts in die Gruppe der 50 Staaten mit dem schnellsten Wirtschaftsniedergang abgesunken ist, laut dem UN Entwicklungsprogramm. 52 % der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze, 50 % ist unterbeschäftigt und die Lebenserwartung beträgt kaum 53 Jahre. Das Programm enthüllt außerdem, dass 3,8 Millionen Haitianer nicht genügend Einkommen haben um zu überleben, von diesen leben 2,4 Millionen in ständiger Unsicherheit der Lebensmittelversorgung. Wovon jedoch niemand spricht, ist, dass die imperialistische Unterdrückung und ihre Marionetten Regierungen schuld an der materiellen Rückständigkeit und der Zerrüttung Haitis sind. Haiti wurde zwanzig Jahre lang mit Marine Invasionen überzogen und gedemütigt, es war einem Embargo und einer Wirtschaftsblockade ausgesetzt, es musste erdulden, dass nordamerikanische Zuckerfirmen die Bauern ausbeuten und litt jahrzehntelang unter einer der blutigsten Diktaturen der Geschichte geführt von der Duvallier Dynastie. Haiti muss es dem imperialistischen Kapital teuer bezahlen, dass es gewagt hat, sich von Frankreich unabhängig erklärt zu haben und die erste schwarze Republik auf der Welt gegründet zu haben.

Volksaufstand und Zusammenstöße bewaffneter Banden

Seit Ende des letzten Jahres ist der Protest für den Rücktritt des Präsidenten Aristide ständig angewachsen. Es handelt sich dabei um eine breite Volksbewegung in der die Studenten und Oberschüler zusammen mit einigen Gewerkschaften die Vorreiterrolle spielen. Der Motor der Bewegung sind Proteste gegen die Repression und Menschenrechtsverletzungen seitens der Regierung sowie gegen die Teuerung der Lebenshaltungskosten und für freie Wahlen. Aristide und seine Parte Familia Lavales werden von Vertretern der Opposition vorgeworfen die Wahlen im Jahr 2000 nur durch Wahlbetrug gewonnen zu haben sowie mit Hilfe der Repressionskräfte ein autoritäres Regime aufgebaut zu haben. Der ehemalige katholische Priester und Anhänger der Befreiungstheologie wurde 1991 durch eine Staatsstreich abgesetzt. 1994 kehrte er an der Hand der neuerlichen Invasionstruppen, Marines, und der UNO ins Land zurück. Diese Invasion legte das Fundament für die Durchsetzung der neoliberalen Pläne im Land. Obwohl Aristide, wenn er mit seiner Basis gesprochen hat, sich einer anti-amerikanischen Rhetorik bediente ist es unbestreitbar, dass er die Pläne des IWF zur Schuldentilgung eins zu eins umgesetzt hat und den Transnationalen mit dem Bau von "maquiladoras" (Assembling Unternehmen) an der Grenze zur Dominikanischen Republik weit entgegengekommen ist. Haiti versinkt in einer galoppierenden Inflation, mit einer Hungersnot kurz vor dem Ausbrechen und Tausenden von Flüchtlingen die in unsicheren Nussschalen versuchen die Küsten Mexikos oder der USA zu erreichen. Trotz alledem, der legitime Aufstand der Massen für politische Freiheiten und gegen Hunger und Repression, neigt in gefährlicher Weise dazu von der sogenannten "Demokratischen Plattform" kanalisiert zu werden. In ihr sind Vertreter der traditionellen Rechten, der Unternehmerverbände und sogar einige mitte-links Parteien organisiert. Sie steht für die Kontinuität der neoliberalen Politik.

Auch ehemalige Anhänger Aristides versuchen sich ihrerseits die Schwäche de Regierung zu Nutze zu machen und haben mit ihren bewaffneten Banden – wie z.B. die sogenannte Front des Revolutionären Widerstands – Kannibalen Heer – einige wichtige Städte wie Gonaives oder Saint Marc eingenommen und sich selbst zu Machthabern über die eroberten Städte berufen, dabei verbreiten sie Angst und Schrecken unter der armen Bevölkerung die immer noch auf Aristide vertraut. Viele Reporter halten diese paramiltären Banden für die Anführer eines bewaffneten Volksaufstands. Nichts ferner als das, sie sind klassenlose und kriminelle Gruppen die sich angesichts der Zerrüttung des Staates eine Teil davon unter den Nagel reißen wollen, als sei er eine Kriegsbeute. Die heftige Gewalt verbreitet sich im ganzen Land, während die USA und die Caricom (Vereinigung karibischer Staaten) eine Ausweg zu verhandeln suchen bei dem Aristide etwas beiseite tritt und gleichzeitig laut etwas von Militärintervention murmeln.

Weder Aristide noch die Demokratische Plattform, noch die bewaffneten Banden die das Land verwüsten stellen einen Ausweg aus der Krise dar, in der sich Haiti befindet. Jede dieser Möglichkeiten, ganz zu schweigen von einer ausländischen Militärintervention werden den haitianischen Arbeitern und Massen nur weitere Enttäuschungen bereiten. Um die imperialistische Unterdrückung zu beenden und den Weg der nationalen und sozialen Befreiung der Arbeiter und Bauern Haitis zu betreten, müssen diese kämpfen und sich unabhängig von allen bürgerlichen Kräften organisieren, die für die Schwäche des Landes verantwortlich sind.

Dominikanische Republik

Großer Streik gegen die ausbeuterische Regierung

Am 28. und 29. Januar wurde, laut der Organisatoren, dem Colectivo de Organizaciones Populares ( Kollektiv der Massenorganisationen), "mit großem Erfolg" im ganzen Land, der zweite Generalstreik gegen die Regierung von Hipólito Mejía und seiner Dominikanischen Revolutionären Partei in weniger als zwei Monaten ausgeführt. Die Dominikanische Republik durchläuft eine tiefe wirtschaftliche und politische Krise. Anpassungspläne, die Privatisierungen vorsehen, Kürzungen des Gesundheits- und Bildungsetats, Bankenbankrotte, Devisenflucht und Geldentwertung sind der Hintergrund für die Protesttage der Arbeiter und der Volksmassen. Im Gegensatz zu Haiti steht in der Dominikanischen Republik tatsächlich die Arbeiterklasse und ihre Organisationen an der Spitze der politischen Opposition zur Regierung. Seit dem überall im Lande der Streik ausgerufen wurde, fanden sich Märkte und wichtige Industriezweige plötzlich lahmgelegt, während die Massen die Straßen gewannen. Die Repressionsmaßnahmen der Regierung, die Hilfe beim Heer, der Polizei und paramiltärischen Banden gesucht hatte, konnten die Massen und besonders die Jugendlichen aus den Armenvierteln nicht einschüchtern oder davon abhalten gegen die Regierung zu protestieren. Im Gegenteil, in Santo Domingo, der Hauptstadt, wo die Zusammenstöße am heftigsten waren und die Sicherheitskräfte mehrere Demonstranten töteten, musste sich die Polizei an mehreren Orten zurückziehen.

Auf dem Flugblatt mit den Forderungen fand sich unter anderen die Losung "Rücktritt von Mejía!". Durch die Massivität der Proteste, die hohe Beteiligung von Arbeitern und Massen hat die Aktion die Charakteristiken eines politischen Generalstreiks angenommen, d.h. sie hat in Frage gestellt, wer die Macht hat und die Regierung zusammen mit der wirtschaftlichen Elite auf eine Seite gestellt während sie die Arbeiter und Bauern welche die Mehrheit der Nation stellen, entgegengesetzt positioniert hat. Einige Tage später beschrieb ein Analyst der mexikanischen Zeitung La Jornada die Ereignisse wie folgt: "Es handelte sich, alles in allem, um einen nationalen Aufstand gegen die neoliberale Politik, der sich in den Zyklus der kämpferischen Aufstände dieser Art einreiht, der sich in den letzten beiden Jahrzehnten in Lateinamerika aufgetan hat. Dieser erfährt eine besondere Zuspitzung südlich von Panama, findet jedoch seinen Ausdruck überall in der Region, wo er immer heftiger zu werden scheint."

Die Ereignisse in Haiti und der Dominikanischen Republik sind eine konstante Entwicklung in den Ländern Zentralamerikas und der Karibik, deren Integrität durch die Freihandelsverträge mit den USA und die Pläne se IWF massiv in Frage gestellt wird. Außerdem beweisen sie, dass sich die Region in ihrem Widerstand gegen die imperialistische Unterdrückung und die ausbeuterischen Regierungen in eine Reihe mit dem Rest des Kontinents stellt, wie man vor kurzem in Bolivien gesehen hat. Dies ist die einzige Möglichkeit um die jetzige Lage der Dinge abzuschaffen.


@radiohörer

weist 28.02.2004 - 22:39
Die Hubis sind wahrscheinlich dort, um Informationen zu sammeln. Wollten die USA ernsthaft eingreifen, ist die Lage im Moment zu chaotisch dafür; sie würden Verluste riskieren und den Erfolg ihrer Mission (was auch immer der sein mag) nicht garantieren können. Naheliegend ist auch, daß (wie in solchen Situationen üblich) immer noch etwas Regierungspersonal in der Stadt ist (Diplomaten, Geheimdienstler, Special Forces etc), das im Notfall extrahiert werden muß. Mit ihrer öffentlichen Distanzierung von Aristide haben sich die Amis schwerlich Freunde in Port-au-Prince gemacht, und wie die fortgesetzten Evakuierungsaufforderungen nahelegen, sind außer den oben erwähnten Personen offenbar noch etliche ZivilistInnen mit US-Staatsbürgerschaft dort 'gestrandet'.

Vergleiche die Situation in Liberia *vor* dem damaligen 'Eingreifen' der USA; dort war ja IIRC Ähnliches zu beobachten.

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ver-linker 29.02.2004 - 13:00
die berichterstattung der jungle world, die offenbar einen korrespondenten vor ort hat: