Neokoloniales Herrschaftsinstrument: Patent

pepostet von selva 21.12.2003 00:53 Themen: Biopolitik Globalisierung Weltweit Ökologie
Der Direktor des venezolanischen "Autonomen Dienstes für geistiges Eigentum"über Kämpfe mit Microsoft, freie Software, kollektive Marken
und eineInformationskampagne zum Thema traditionelles Wissen
(Interview von Dario Azzellini und Stefanie Kron in Caracas / ABSCHRIFT )
Geistiges Eigentum ist ein neokoloniales Herrschaftsinstrument

Der Direktor des venezolanischen "Autonomen Dienstes für geistiges Eigentum"
über Kämpfe mit Microsoft, freie Software, kollektive Marken und eine
Informationskampagne zum Thema traditionelles Wissen
(Interview von Dario Azzellini und Stefanie Kron in Caracas / ABSCHRIFT )

Eduardo Saman war seit dem misslungenen Putsch gegen den venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez im April 2002 Vorsitzender des Autonomen Dienstes für geistiges Eigentum (SAPI). Von Januar bis August dieses Jahres war der Pharmazeutiker zudem Mitglied der Verhandlungsgruppe zum Schutz des geistigen Eigentums im Rahmen der Verhandlungen um das Panamerikanische, Freihandelsabkommen (ALCA / FTAA).Der dem Wirtschafts- und Handelsministerium zugeordnete SAPI und Saman sind harten Angriffen der rechten venezolanischen Opposition ausgesetzt.
Aufgrund seiner konsequenten linken Positionen geriet er mit seinem Minister in Konflikt, der im Regierungsspektrum als moderat gilt. Kurz vor der WTO-Runde im mexikanischen Cancun Ende August 2003 schloss der Minister Saman aus der Verhandlungsdelegation aus. Saman begab sich auf eigene Rechnung, zusammen mit Regierungsabgeordneten nach Cancun und beteiligte sich an den Protestaktionen gegen die Welthandelsorganisation.
Am 19. September wurde er unter dem Vorwurf des Ungehorsams als Präsident des SAPI abgesetzt. Die Entscheidung wurde nicht überall geteilt. Mitte Oktober schließlich trat der Minister für Wirtschaft und Handel zurück, der neue Minister setzte Ende Oktober Eduardo Samán wieder als Direktor des SAPI ein. Dario Azzellini und Stefanie Kron sprachen in Caracas mit Eduardo Saman.

Der SAPI wird unter anderem von Microsoft attackiert, warum?

Saman: Software ist in Venezuela durch das Urheberrecht geschützt, in den
USA dagegen durch das Gewerberecht, also Patente. Wir versuchen, in Venezuela den Gebrauch der freien Software zu fördern. Beim SAPI arbeiten wir mit freier Software. Microsoft strebt dagegen an, dass unsere Regierung sich in einen Verkäufer der Microsoft-Software verwandelt und dass wir härter gegen Softwarepiraterie vorgehen, also gegen Personen und Betriebe, die illegale Software verwenden. Sie sollen stattdessen die Software von Microsoft kaufen. Wir vertreten dagegen, dass es für die User die Möglichkeit geben muss, zu wählen, ob sie freie Software verwenden oder bei Microsoft einkaufen. Denn wir möchten nicht wie die Regierungen anderer Länder, beispielsweise Kolumbien, zu einer Microsoftschutzpolizei bzw. zu einer staatlichen Microsoftverkaufsstelle werden.
Dies hat zu Konflikten mit der hiesigen Vertretung der Business Software Aliance (BSA) geführt, einer Microsoftstiftung, die u.a. die Softwarepiraterie bekämpft. Sogar der US Botschafter hat uns schon im SAPI aufgesucht und uns vorgeworfen, die Verwendung freier Software in öffentlichen Einrichtungen sei illegal. Er hatte keine Ahnung von freier Software und wir haben ihm das dann erklärt.

Kollektive Marken

Wir haben eine Broschüre der SAPI gesehen, die sich an Kleinstbetriebe
richtet und mit der Gründung "kollektiver Marken" und der Entwicklung einer
alternativen Ökonomie wirbt. Was ist darunter zu verstehen?

Saman: Mit der industriellen Revolution begann auch die Privatisierung des
Wissens. Juristisch ist die Eigentumsform über das Gewerberecht geregelt. Darunter fallen Patente, aber auch Marken und Slogans. Kollektive Marken, die wir in Venezuela fördern möchten, sind keine Marken, auf die nur ein Unternehmen ein Copyright hat, wie beispielsweise Nike auf seine Sportkleidung, sondern sie werden für einen Zusammenschluss von Kleinbetrieben vergeben, die das gleiche Produkt herstellen.

In Venezuela gibt es z.B. eine Käsesorte, für die eine kollektive Marke vergeben wurde. Der Käse wird von einigen Kleinproduzenten per Hand hergestellt, pro Betrieb ca. 500 kg in der Woche. Sie organisieren sich als Genossenschaft, stellen den gleichen Käse her und dafür vergeben wir eine einzige Marke. Denn keines dieser Kleinstbetriebe könnte alleine auf dem
Markt bestehen. Diese Praxis ist unserer Ansicht geeignet, um eine alternative nationale Ökonomie, eine alternative Kultur und alternative Werte zu entwickeln.
Die Marke ist ein Zeichen, das ein Gut oder einen Dienst bezeichnet und von anderen unterscheidet. Die Industrieländer des Nordens haben diese Zeichen in Symbole verwandelt. Damit verändern sie aber ihre Bedeutung. Denn die Menschen beginnen, mit dem Symbol eine bestimmte Form des sozialen Handelns und einen bestimmten sozialen Status zu assoziieren. In den armen Stadtvierteln von Caracas bringen sich junge Männer wegen eines Paares
Nike-Schuhe um bzw. verteidigen es bis zum Tod. Das tun sie nicht wegen des materiellen Wertes der Schuhe, denn niemand ist bereit, sein Leben für 20 Dollar zu opfern. Aber das Nike-Logo stellt eine spezifische kulturelle Identität und bestimmte Werte dar, die sie offenbar bereit sind, bis zumTode zu verteidigen.
Wir möchten hier in Venezuela einen revolutionären Prozess in Gang setzen. Deshalb müssen wir eigene Symbole schaffen, die die Symbole der Markenwelt ersetzen und mit denen revolutionäre Werte in Verbindung gebracht werden können, Werte der Solidarität - einer solidarischen Ökonomie. Diese neuen Symbole müssen von Produkten, die wir selbst herstellen, begleitet werden. Das ist die neue Ökonomie, die in unserer Verfassung als Staatsziel mit dem Begriff der nachhaltigen, endogenen Entwicklung verankert ist. Damit ist
unsere Verfassung anti-neoliberal.
Das vorherrschende neoliberale Entwicklungsmodell sieht die Privilegierung großer, transnationaler Konzerne vor, in denen sich das Kapital konzentriert. So wird zwar Reichtum geschaffen, aber auch der soziale Ausschluss der Mehrheit der Menschen produziert. Mit unserem Konzept der endogenen, nachhaltigen Entwicklung soll die Verteilung des Reichtums
demokratisiert werden. Alle Unternehmen, die der kollektiven Marke angehören, verpflichten sich, auf die gleiche Art und Weise zu produzieren und einen bestimmten Qualitätsstandard einzuhalten. Sie können dafür gemeinsam und damit billiger ihre Rohprodukte und -stoffe kaufen. Sie können gemeinsam Vermarktungsstrategien entwickeln und Kredite beantragen, was sie einzeln nicht könnten, weil sie wirtschaftlich zu schwach wären. Und die kollektiven
Marken sind auch für neue Unternehmen offen, wenn sie sich an bestimmte
Bedingungen, wie die Einhaltung von Qualitätsstandards halten.

Welche Position vertritt Venezuela im so genannten Krieg um die Patente?

Saman: In Venezuela werden Patente nur auf Erfindungen vergeben, nicht auf Entdeckungen. Als Erfindungen gelten neue Produkte, z.B. neue chemische Verfahren oder Modifikationen von existierenden Produkten und Verfahren. Im Gegensatz dazu werden in den USA auch Entdeckungen in der Natur und traditionelles Wissen patentiert. Damit der venezolanische Staat ein Patent vergibt, muss das Produkt, Modell oder Verfahren neu sein, es muss eine Erfindung sein und gewerblich herstellbar und nutzbar. Ideen werden hier
nicht patentiert, sondern nur ihre Materialisierung.

Was von einer Patentierung ausgeschlossen ist

Es gibt in Venezuela auch Dinge, die von einer Patentierung ausgeschlossen sind. Die neue bolivianische Verfassung von 1999 verbietet z.B. mit dem Artikel 127 die Vergabe von Patenten für jede Form von Pflanzen und Tieren, inklusive Mikroorganismen, auch wenn sie genetisch verändert sind. Das ist ein großer Unterschied zu vielen anderen Ländern und auch zu den WTO-Statuten, die die Patentierung von Lebewesen und Pflanzen in ihrer "natürlichen Form" ausschließen, die Patentierung ihrer genetischen Modifizierung jedoch zulassen.
Aber: die Internationale Union zum Schutz neuer Pflanzenzüchtungen (UPOV) möchte ein System, mit Namen sui generis, etablieren, um das traditionelle Wissen und die Artenvielfalt der jeweiligen Länder zu schützen, seien sie "natürlich", genetisch modifiziert oder per Kreuzungen gezüchtet. Dies ist eine Regelung, die sich nicht Patent nennt, aber ebenso funktioniert. Wir wollen uns nicht darauf einlassen. Denn wir wollen traditionelles- oder kollektives Wissen nicht kommerzialisieren, es zu einer Ware machen und auf den Weltmarkt bringen.

Geistiges Eigentum erscheint als Thema in den WTO-Verhandlungen und in vielen
internationalen Abkommen wie etwa zur Bildung. In den Verhandlungenzum Freihandelsabkommen ALCA / FTAA ist eine der neun thematischenVerhandlungsgruppen zum geistigen Eigentum. Weshalb wird dem eine so großeBedeutung zugemessen?

Saman: Die menschliche Partizipation in der Wertschöpfungskette ist
begleitet vom Wissen des Menschen. Die Gesetzgebung zu geistigem Eigentum reguliert, privatisiert und kontrolliert dieses Wissen. Das geistige Eigentum wird also zu einem wichtigen Faktor bei der Kontrolle der Schaffung von Reichtum. Die USA und Kanada besitzen 90 Prozent aller Patente auf dem Kontinent. Wenn sie nun versuchen, Gesetze zugunsten der Inhaber von Patenten durchzusetzen, dann behalten sie sich exklusiv die Möglichkeit vor,
Reichtum zu schaffen. Was wird den Entwicklungsländern überlassen? Der Verkauf von Rohstoffen, die aber an sich kaum einen Wert haben. Damit werden unsere Ökonomien auf den Stand zur Zeit der Kolonien zurückgeworfen. Das ist eine neokoloniale Politik.
Das geistige Eigentum privatisiert und kontrolliert das für die Schaffung von Reichtum nötige Wissen Dieses Wissen ist ein nicht materielles Gut und in einer modernen Gesellschaft ersetzt es mehr und mehr die Bedeutung, die früher der Grundbesitz oder das materielle Eigentum hatte. Früher strukturierten die materiellen Besitzverhältnisse, vor allem der Landbesitz, die
Machtbeziehungen in der Gesellschaft. Der Grundbesitz bspw., als wichtigste Form des Privateigentums und zentrale Stütze des Kapitalismus definierte die ökonomische Struktur eines Landes. Heute ersetzt das geistige Eigentum mehr und mehr das materielle Eigentum als die für den Kapitalismus zentralste Form des Privateigentums. Der Materialwert eines Handys etwa, ist unermesslich viel kleiner als der Wert des Wissens und der Technologie, der
in einem Handy steckt. Das Wissen ist das, was dem Produkt oder der Dienstleistung Wert verleiht. Das ist der Grund, dass das Thema geistiges Eigentum in allen internationalen Abkommen eine so wichtige Rolle spielt.
Sie sagen, geistiges Eigentum wird zum Instrument für die Durchsetzung einer
neokolonialen Ordnung.

Welche Patentierungspraxis soll mit dem FTAA konkret durchgesetzt werden?

Saman: In dem FTAA-Kapitel geht es letztlich darum, die gesetzlichen
Grundlagen zu schaffen, praktisch alles patentieren zu können. Das würde auch das Ende der freien Software bedeuten. Wie bereits erwähnt, kann Software in Venezuela nicht patentiert werden, sondern sie wird über das Urheberrecht vor Raubkopien geschützt. Ein Beispiel: ich kaufe eine urheberrechtlich geschützte Programmiersprache, programmiere damit meine
Software und verkaufe sie, so lief es bisher bei der Softwareentwicklung. Wenn nun diese Sprache patentiert würde, müsste ich für jedes Programm, das ich auf Basis dieser Sprache entwickele, zahlen. Damit würde der Zugang zu Information und Kultur erheblich eingeschränkt.
Das FTAA-Kapitel zu geistigem Eigentum bedeutet auch für unsere Kleinbauernein neues System von Herrschaft und Ausbeutung. Heute gehört vielen vonihnen das Land, das sie bearbeiten, sie sind so gesehen freie Bürger. Aber fast der gesamte Verdienst ihrer Arbeit verschwindet in der Zahlung von Gebühren, entweder für patentierte Samen oder für die verwendeten Düngemittel bzw. Pestizide, oder beides. Diese Form der Herrschaft ist
weniger personifiziert. Der Feind ist ein Konzern, dessen Sitz weit entfernt liegt, und nicht mehr der Großgrundbesitzer. Der Konzern, der das Patent auf das jeweiligen Dünge-Schädlingsbekämpfungsmittel oder den Samen hat, eignet sich also einfach den Reichtum an, den die Kleinbauern schaffen. ( siehe auch :  http://de.indymedia.org/2003/12/70203.shtml )

Wie verläuft diese Aneignung?

SAMAN: Über das Produkt! Ein Produkt, dessen Herstellungfast nichts kostet.
Das gleiche gilt für Medikamente. Die Kosten der eigentlichen Produktion machen nur ein Drittel aus, ein weiteres Drittel geht in die Werbung, ein weiteres in die Verwaltung. Das bedeutet, dass wir, wenn wir dürften, ein eigenes Medikament viel kostengünstiger herstellen könnten als das patentierte Markenprodukt. Das bedeutet aber auch, dass die Gewinnspanne eines patentierten Markenprodukts immens hoch ist. Der hohe Preis für das Produkt auf dem Markt basiert auf der Monopolstellung des herstellenden Konzerns. Dieser hohe Preis und die immense Gewinnspanne werden durch die Gesetze zum Schutz des geistigen Eigentums ermöglicht. Es ist eine Tragödie, wie hier eine Familie finanziell ruiniert wird, wenn ein Mitglied erkrankt.

Gegen Biopiraterie

Die Entwicklung vieler dieser patentierten Markenmedikamente basiert jedochauf kollektiven, traditionellen Wissensformen und genetischen Ressourcen aus den Entwicklungsländern. Denn die Industrieländer haben in der Vergangenheit ihre eigene Biodiversität und ihre genetischen Ressourcen zerstört. Viele Länder wie die USA haben auch ihre indigene Bevölkerung weitgehend eliminiert und damit traditionelle Formen von Wissen. Nun kommen sie und versuchen, sich das traditionelle Wissen der indigenen Bevölkerung und die
genetischen Ressourcen der Entwicklungsländer anzueignen. Denn um genetische Ressourcen in der Medizin und Pharmaindustrie nutzen zu können, benötigt man
das lebendige Wissen der lokalen Bevölkerung.

Was unternimmt der SAPI gegen die so genannte Biopiraterie?

Saman: Die USA argumentieren, dass Biopiraterie ein verleumdender Begriff
sei. Denn in vielen Entwicklungsländern, so auch in Venezuela, seien traditionelles Wissen und genetische Ressourcen gesetzlich nicht geschützt, da wir beides nicht patentieren können. Es gebe also kein Gesetz, das diese Form der Aneignung verbiete. Deshalb haben sie den Begriff der Biopiraterie durch den Begriff der "unwürdigen Aneignung" ersetzt. Aktuell geht es darum, das, was sie unwürdige Aneignung und wir Raub nennen, durch ein Tauschverhältnis zu ersetzen. Sie wollen für die Aneignung von Wissen und Ressourcen zahlen. In der Praxis bedeutet es, dass sie in den indigenen Gemeinden den Heilern oder dem Bürgermeister einen Computer anbieten oder den Bau einer Schule und dafür das lokale medizinische Wissen und die dazu gehörigen Pflanzen mitnehmen, um es dann in den USA patentieren zu lassen.
Wir versuchen den indigenen Gemeinden zu erklären, was geistiges Eigentum bedeutet und wie es als Herrschaftsinstrument verwendet wird.
Wir legen ihnen nahe, dass sie sich nicht verkaufen sollen, um ein internationales Patentsystem zu legitimieren, das die Grundlage für ein ungerechtes System des Handels zwischen den Ländern ist. Wir haben vom SAPI aus Geld für eine größere Informationskampagne zum Thema geistiges Eigentum und traditionelles Wissen aufgetrieben, die sich an die indigenen Gemeinden Venezuelas richtet. Wir haben eine Broschüre erstellt, in der über den Artikel 124 der Verfassung informiert wird, der die Vergabe von Patenten für traditionellesWissen verbietet.

Links
 http://www.sapi.gov.ve

Telepolis Artikel-URL:
 http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/te/16274/1.html

"Wir brauchen keine Bio-Terroristen, wenn wir Gentechniker haben."
Independent Science Panel
www.indsp.org
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Biopirateninfo
JPBerlin - Mailbox und Politischer Provider
 info-mail@listi.jpberlin.de
 http://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/info-mail
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Ergänzungen