Proteste gegen Bertelsmann in Weimar

GEW Studierende aus Thüringen 16.12.2003 10:19 Themen: Bildung Soziale Kämpfe
Heute um 15:00 Aktion vor dem Bertelsmann Club Weimar (Frauentorstr. 9-11). Geplant ist eine kurze Einleitung über den Stellenwert des Bertelsmannkonzerns, in der Debatte um Studiengebühren und Privatisierung von (Hoch)Schulbildung. Anschließend ist eine öffentliche Diskussion über die Firmenpolitik des Konzerns und den Stellenwert von freier und unabhängiger Lehre und Forschung geplant, welche im Rahmen einer Speakers Corner stattfinden soll.
Diese Aktion, der streikenden Studierenden der Bauhaus Universität Weimar und den Studierenden der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Thüringen, die die Machenschaften des Bertelmannkonzerns im Bildungsbereich aufzeigen soll, reiht sich in eine Vielzahl von bereits stattgefunden Aktionen gegen den Mediengiganten. Erst letzten Freitag besetzten Studierende der drei großen Berliner Universitäten für mehrere Stunden das Bertelmann-Haus in Berlin.



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Hintergrundtext des Education is not for sale Netzwerkes (www.education-is-not-for-sale.org) zu den Machenschaften von Bertelsmann:

Das von der Bertelsmann Stiftung und der HRK gegründete CHE (Centrum für Hochschulentwicklung) fordert erneut allgemeine Studiengebühren. Und sie sind nicht nur im Bildungsbereich aktiv.

Das Centrum für Hochschulentwicklung und die Bertelsmann Stiftung

In einer Pressemitteilung von 31.10.2003 fordert das CHE erneut allgemeine Studien-gebühren, doch überraschen kann das eigentlich niemand mehr! In Deutschland kommt dem Mitte der 90er Jahre von der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und der Bertelsmann Stiftung gegründeten Centrum für Hochschulentwicklung (CHE), bei der neoliberalen Umstrukturierung eine Schlüsselrolle zu. Das CHE, mit Sitz in Gütersloh, wo sowohl die Bertelsmann Stiftung als auch der Mutterkonzern Bertelsmann ihren Hauptsitz haben, ist mittlerweile relativ unabhängig, sie sind lediglich dem Kapital des Mutterkonzerns Bertelsmann verpflichtet und somit auch eine parlamentarische unkontrollierte Kraft die überall gut vertreten ist. Schon während der 23. Wahlperiode des deutschen Bundestages (1994-1998) hatte der Leiter des CHE, Professor Detlef Müller-Böling, enge Beziehungen zum damaligen Wissenschaftsminister Jürgen Rüttgers (CDU). Rüttgers berief Müller-Böling an den runden Tisch, an dem das neue Hochschulrahmengesetz entwickelt wurde. Auch gab es Kontakte zu dem ehemaligen Bundespräsident Roman Herzog (CDU), unter dessen Schirmherrschaft der Initiativkreis Bildung tätig wurde. Dieser Impulsgeber des CHE sollte Vorschläge zur Erneuerung des Bildungswesens entwickeln. Auch auf Länderebene ist das CHE aktiv, so leiten sie in Niedersachsen den Wissenschaftlichen Beirat. Mit viel Geduld arbeitet das CHE an der Gewichtsverlagerung von staatlich-normativ-rechtlichen Steuerungsmedien zugunsten pekuniärer, entparlamentarisierter und kontraktualer Steuerungsmedien hin.

Das CHE tritt für eine Hochschule ein, die sich dem Wettbewerb um finanzielle Mittel stellt, sowohl durch public-private partnerships als auch durch Studiengebühren. Ebenso setzen sie sich für eine Hochschule ein, die sich ihre Studierenden selbst aussuchen kann, das heißt, dass nicht länger Regierung und Parlament bestimmen würden, wer eine Hochschulzugangsberechtigung bekäme, sondern die Hochschule dies autonom täte. Dass diese “Unabhängigkeit“ immer von Sponsorgeldern der Privatwirtschaft abhängen würde und damit die Hochschulen natürlich nicht unabhängig machen würde, wird gerne verharmlost.

Auf der Ebene der primären Bildung ist das CHE durch ihren Mitgründer die Bertelsmannstiftung aktiv. Die Bertelsmannstiftung hat z.B. in Zusammenarbeit mit dem nordrhein-westfälischen Bildungsministerium das Projekt „Selbständige Schule NRW“ entwickelt. Die Bertelsmannstiftung hat die Projektleitung erhalten und finanziert auch das Projektbüro. In NRW nehmen 237 Schulen an dem Projekt teil, viel weniger als die Bertelsmannstiftung sich erhofft hatte. Bertelsmann hat die volle Kontrolle über das Projekt, in einer Broschüre steht z.B.:

“Das MSWF und die Bertelsmann Stiftung bestellen einvernehmlich für die Aufgaben der Projektleitung eine Mitarbeiterin bzw. einen Mitarbeiter der Bertelsmann Stiftung. Die Verantwortlichkeit der Projektleitung umfasst die Durchführung des Projektes nach Maßgabe der Projektbeschreibung, des Kooperationsvertrages und der Rahmenvorgaben des Projektvorstandes, die Koordination und Unterstützung der regionalen Steuergruppen, die Kooperation mit der externen Evaluation, das Controlling des Projektes, die Dokumentation des Projektverlaufs und der Ergebnisse sowie die Leitung des Projektbüros. Die Projektleitung und das Projektbüro nehmen ihre Arbeit spätestens zum Jahresbeginn 2002 auf. Die Öffentlichkeitsarbeit des Modellprojektes erfolgt durch die Projektleitung im Einvernehmen mit dem MSWF und in enger Abstimmung mit der Bertelsmann Stiftung und den Regionen.“

Bertelsmann, Bildung und EU Verfassung

Auch auf europäischer Ebene ist Bertelsmann aktiv an den neoliberalen Bildungsreformen beteiligt. So geht aus einer Erklärung über finanzielle Einkünfte, welche alle Europaparlamentsabgeordnete jährlich einreichen müssen, bei dem CDU Abgeordneten Elmar Brok hervor, dass dieser Senior Vize-Präsident von Media Development der Bertelsmann AG ist. Brok, der auch Mitglied des EU Konvent ist, hat am 27 Januar 2003 ein Diskussionspapier geschrieben², worin er vorschlägt, dass der Konvent bei den Grundfreiheiten das Recht auf Bildung einräumt (Artikel II-14 Recht auf Bildung). Bei Absatz 2 schlägt er vor, dass dieses Recht die Möglichkeit umfassen soll, unentgeltlich am Pflichtschulunterricht teil zu nehmen, mit anderen Worten er möchte die Möglichkeit zur Erhebung von Studiengebühren (generell, also ab dem 1. Semester) und Schulgeld für z.B. Berufsschulen, gymnasiale Oberstufe usw. in der EU Verfassung festschreiben. Der Vorschlag im Diskussionspapier von Brok wird angenommen³.

EU Verfassung, GATS und Bertelsmann

In einer Pressemitteilung vom 05. Februar 2003 schrieb die Europäische Kommission, dass sie bei den laufenden GATS-Verhandlungen keine Verpflichtungen in den Bereichen Gesundheit, audio-visuellen Medien und Bildung vorschlägt. Über den EU Konvent wird unter Anführung von Handelskommissar Pascal Lamy und Bertelsmannangestellter Elmar Brok aber schon ein neuer Angriff auf die öffentliche Dienste vorbereitet.

Dass die Gefahr noch nicht gebannt ist, war eigentlich von Anfang an klar, ging es doch nur um einen VORSCHLAG der EU Kommission bei den laufenden GATS-Verhandlungen (Ein WTO- Abkommen, das den Handel mit Dienstleistungen regeln soll). Aus einer internen EU Mitteilung wurde klar, dass neue Zugeständnisse in den Bereichen Bildung, Gesundheit und den audio-visuellen Medien durch ein Veto aus dem EU Vorschlag für die weiteren GATS-Verhandlungen herausgenommen sind. Es gab also eine Mehrheit um in den genannten Bereichen weitere Zugeständnisse zu machen, aber durch Artikel 133 (Absatz 6) im Nizza-Vertrag der EU, hat jeder Mitgliedsstaat ein Vetorecht bei der Abstimmung über Handelsabkommen (wie z.B. GATS) für die Bereiche Bildung, Gesundheit und Soziales, und einige Staaten haben von diesem Vetorecht auch Gebrauch gemacht. Genau dies soll in der EU Verfassung geändert werden. Nur im Bereich audio-visuellen Medien und Kultur soll eine Ausnahme (dort soll weiterhin das Vetorecht bei der Abstimmung gelten) gemacht werden, in den andere Bereichen entscheidet die Mehrheit der Mitgliedstaaten (also auch über den Bildungsbereich) bei den immer noch fortlaufenden GATS-Verhandlungen wenn die EU Verfassung in ihrer heutigen Form angenommen wird. Diese grundlegenden Probleme der EU Verfassung haben im übrigen nicht zum einstweiligen Scheitern derselbigen geführt.

Bertelsmann ist auch über das European Services Forum ( http://www.esf.be ) aktiv an den GATS Verhandlungen beteiligt. Das von dem ehemaligen EU Handelskommissar Leon Brittan gegründete ESF besteht aus vielen Großfirmen und wurde eigens für die Beeinflussung der EU Politiker bei den laufenden GATS Verhandlungen gegründet. Wo Bundestagsabgeordnete aller Parteien noch kein einziges Dokument über die laufenden Verhandlungen gesehen hatten, bat EU Handelskommissar Pascal Lamy die Konzerne Vorschläge zu unterbreiten im Rahmen der Verhandlungen. Dies taten sie natürlich gerne. Und mit Erfolg: während der Deutsche Bundestag gegen weitere Verhandlungen im Bildungsbereich bei weiteren GATS Verhandlungen stimmte, nahmen die EU und die USA Bildung in ihren Vorschlag während der WTO Verhandlungen in Cancun wieder auf. Auch Wolfgang Clement war dazu bereit (schon mal von Demokratie gehört...). Glücklicherweise scheiterte der Gipfel in Cancun, aber es gab danach schon weitere Verhandlungsgespräche über GATS.

Bertelsmann und die Sozialsysteme

Am 14. November präsentierte die „Gemeinschaftsinitiative Soziale Marktwirtschaft“, eine Kooperation der Bertelsmann Stiftung, der Heinz Nixdorf Stiftung und der Ludwig Erhard Stiftung, ihre Reformvorschläge an ein ausgewältes Publikum. Die Stiftungen schlagen unter anderem vor das Arbeitslosengeld komplett abzuschaffen, dies könnte man tun mit der Forderung an Arbeitnehmer, dies während Beschäftigungszeiträumen selbst anzusparen. Die Krankenkasse soll über eine Kopfpauschale finanziert werden, Chauffeur und Chef zahlen den gleichen Beitrag laut Bertelsmann & Co. Der Chauffeur vermutlich rund 15 bis 20 Prozent seines Einkommens, sein Chef weit weniger als 10 Prozent seines Einkommens.

1  http://wwwdb.europarl.eu.int/ep-dif/1263_03-01-2003.pdf
2 unter der Registrationsnummer CONV/325/2/02 REV2
3 EU Verfassungsdokument vom 18.07.2003 CONV/850/03, Artikel II-14 Recht auf Bildung, Seite 50
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Ergänzungen