Belgien: Verschlossenheit als einzige Antwort

traductrice, LinksRhein, duende 11.11.2003 13:39 Themen: Antirassismus Freiräume Repression
Übersetzung eines französischen Berichts vom 6.11. aus Belgien. Es geht um die Räumung eines besetzten Hauses in Zeebrügge, in dem sich 100 Flüchtlinge (viele aus dem Iran und Afghanistan) illegal aufhielten. In den Tagen danach wurden etwa 50 von ihnen von der Strasse weggehaftet und in geschlossene Abschiebelager eingewiesen. Vor einem dieser geschlossenen Zentren fand gestern eine kleine Demo statt. Bislang kam es zu keinen Abschiebungen, da diese Leute defacto nicht in ihre Herkunftsläünder abgeschoden werden können. Der Innenminister Patrick Deval hat angekündigt, Entwicklungshilfe für diese Länder an die Rückübernahme von Flüchtlingen zu koppeln.
Verschlossenheit als einzige Antwort auf das Leid der Flüchtlinge in Zeebrügge

09.11.2003, 02:52, von traductrice
 http://wvl.indymedia.org/news/2003/11/2400.php
duende, Thursday November 06, 2003 at 05:54 PM

Übersetzung/Traduction:

Verschlossenheit als einzige Antwort auf das Leid der Flüchtlinge in Zeebrügge

In Zeebrügge sind die Verhaftungen von illegalen Einwanderern heute, Donnerstag gegen 17:00, wieder aufgenommen worden.

Diese Operation folgt der ersten Verhaftungswelle vom Anfang der Woche, anlässlich der Räumung des "Safe House", einem lehrstehenden Haus, das von den Flüchtlingen besetzt worden war und inzwischen abgerissen worden ist.
Im Anschluss an die Räumung und den Abriss des leerstehenden Hauses, das die klandestinen Einwanderer beherbergte, landeten in Zeebrügge mehrere hundert Menschen auf der Strasse. Weil sie nicht wussten wohin, sind einige zurückgekehrt und verbargen sich in der Hausruine.

Letzte Nacht versammelten sich rund 50 Personen vor einer Kirche, in der Hoffnung dort Zuflucht zu finden. Der Priester, der politisch bedrängt worden sei, hat dennoch nicht die Türen seiner Kirche geöffnet, zum grossen Missfallen einiger Gemeindemitglieder. Allerdings haben sich die Leute der Umgegbung solidarisch gezeigt und waren bereit, den Flüchtlingen Hilfe zu leisten. Sie haben ihnen Nahrungsmittel, Kleidung und Decken gebracht.

Angesichts des Leids dieser Personen hat der Innenminister Patrick Dewael keine andere Antwort gefunden, als eine Einschränkung der Flüchtlingspolitik mit abschreckenden Massnahmen abzustimmen. Jeder, der eine Aufforderung erhalten hat, das Land zu verlassen und anschliessend ein zweites Mal festgenommen wird, wird von nun an in ein geschlossenes Zentrum geschickt und bleibt dort bis zu seiner Ausweisung.
Der Minister Dewael geht davon aus, dass für Flüchtlinge, die zum zweiten Mal festgenommen worden sind, die Entfernung "in ihrem eigenen Interesse, jedoch auch im Interesse der Sicherheit" notwendig wird.

Dafür bleibt die Regierung stumm gegenüber der Gründe, die diese Flüchtlinge zur Flucht aus ihrem Land getrieben haben. Die lila Koalition (die belgische Regierungskoalition von VLD und MR; Anmerkung der Übersetzerin) scheint eine sehr rechtsorientierte Richtung anzunehmen...
Nach der Räumung des Hauses am Anfang der Woche, hat das Ausländeramt zahlreiche Aufforderungen ausgestellt, das Land zu verlassen.
In Zeebrügge sind die Polizei-Patrouillen verstärkt worden. Neue Verhaftungen fanden heute gegen 17:00 statt. Die verhafteten Flüchtlinge werden wohl in die geschlossenen Zentren von Brügge und Vottem geschickt werden.

Schon jetzt ertönen Stimmen gegen diese Massnahme. Denn nur diejenigen, die auf eine Entfernung warten, dürfen eingesperrt werden. Jedoch kommen einige der in Zeebrügge verhafteten Flüchtlinge aus Afghanistan, aus dem Irak oder aus dem Iran, aus Ländern in die eine Ausweisung zur Zeit unmöglich ist.

Der Minister Dewael scheint also vorzuhaben, Unschuldige für unbestimmte Zeit gefangen zu nehmen...

Mehr:

Jagd auf Illegale in Zeebrugge (Belgien)
 http://de.indymedia.org//2003/11/65240.shtml

(nicht im direkten Zusammenhang:)
IRAN: Testament-Übersetzung (Hungerstreik in Brüssel)
 http://de.indymedia.org//2003/11/65358.shtml
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Ergänzungen

stuff

weist 11.11.2003 - 16:23
Bilder der protestierenden Flüchtlinge:  http://de.news.yahoo.com/031106/12/3qlem.html und  http://de.news.yahoo.com/031106/12/3ql2k.html.
In other news: Hekmatyar droht der ISAF mit Anschlägen und Angriffen. Taliban übernehmen jetzt auch formell die Gewalt in Teilen der Provinz Zabul (bislang kontrollierten sie effektiv den größten Teil der Provinz, mit Ausnhame der Bevölkerungszentren). Anschlag auf UN-Gebäude in Kandahar. Al-Arabija zeigt ein Taliban-Propagandavideo mit Bildern von Kämpfen gegen US-Truppen.

Flüchtlinge jetzt in dieses Land zurückzuschicken (insbesondere Frauen) ist ein Verbrechen. Der Krieg tobt mit seit Frühling 2002 unübertroffener Intensität, und die Taliban sind in der Offensive. Und warum? Weil wir, d.h. 'der Westen', versagt haben, weil wir dachten, unsere Lösungen sind auch für ein bizarres und anachronistisch anmutendes Land wie Afghanistan gut und richtig. Dieser Versuch ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen und beweist nur eins: auch ein 'failed state' kann noch weiter den Bach 'runtergehen.

That being said... kriegt man das Al-Arabija-Video irgendwo online?

kleiner Irrtum in der Zusammenfassung

traductrice 14.11.2003 - 23:51
(... dass es in Belgien keine "französischen", sondern nur französischsprachige Berichte geben kann, ist ja klar...)

Meines Wissens haben sich in dem besetzten Haus in Zeebrügge keine Afghanen aufgehalten. Aus der belgischen Presse konnte ich entnehmen, dass es sich vorrangig um Asylbewerber aus dem Iran gehandelt hat. In dem von mir übersetzten Artikel war weder von den einen noch von den anderen die Rede.

Iranische Flüchtlinge in Belgien

traductrice 14.11.2003 - 23:54
Folgender Artikel ist auf indymedia-Belgien ( http://belgium.indymedia.org/news/2003/11/77174.php) zu lesen:

Struggle for rights and freedom of Iranian refugees in Belgium
by Klaas Friday November 14, 2003 at 10:48 AM

Since two months, 250 Iranian refugees are occupying some rooms in a university in Brussels. 31 of them are on hunger strike since 25 days.
They didn’t get asylum in Belgium and don't have papers: they cannot even work legally, follow education or receive health care. Neither can they return to their country. There is no agreement (yet) between the Belgian and the Iranian government on the forced repatriation of refugees. Luckily, because the Iranians are about sure to be prosecuted when expulsed to their country. In a recent statement, the Iranian ambassador in Brussels described the Iranian activists as “terrorists”.
Most of the Iranian refugees in Belgium have fled because of the political situation in Iran: a lack of freedom and democracy and severe human rights violations. In Belgium they did not find what they were seeking for: international protection and support for the struggle they had been fighting in Iran. (Some of the Iranians have taken part in the massive student protests of the past years (1999, july 2003). But there are several other ways how you can be a victim of the crazy regime in Iran: young men end up in jail because they had long hair, women because they dressed up for a party, people from a religious minority because they talked about their religion in public, etc.
In Belgium, almost no Iranian refugee gets asylum. That’s why a broad range of actions started. Visible actions in different cities have to make clear their situation to the Belgian population. At different places, Iranians witness on the situation in Iran, why they fled away and how they are living their life without papers in Belgium. There has been a massive manifestation in Brussels where a lot of other sans-papiers showed their solidarity, and some smaller manifestions. With these actions, the Iranians want the Belgian governement to acknowledge the human rights violations in Iran, and consequentely want to receive a staying permit until the situation in Iran is better.
The minister of Interior, Patrick Dewael, didn’t react at all the first month of the actions. Only when the hunger strike started, he felt obliged to react. “I will not start negotiations as long as the hungerstrike continues”, he states continuously, accusing the hunger strikers of blackmailing him. The hunger strikers are determined to continue their action, not trusting the Belgian government at all. Meanwhile, their situation is worsening. Last week they wrote a testament to the Belgian population and government: “if we're not allowed to live on Belgian territory, please let us be buried in the Belgian ground”.