Aufstand in Bolivien

tom (uebersetzung) 20.10.2003 20:00 Themen: Globalisierung Soziale Kämpfe Weltweit
Der Aufstand in Bolivien schafft für ganz Lateinamerika, aber auch darüber hinaus eine neue Lage. Gleichzeitig gibt es über dieses wichtige Ereignis sehr wenig Informationen auf deutsch. Deshalb hier die Übersetzung einer Erklärung, den ich von Movimiento* aus Porto Alegre in Brasilien erhalten habe.

*Die homepage ist leider nicht auf dem neusten Stand.
Der Schlächter Sánchez de Lozada ist gestürzt!
Es lebe der Aufstand der Arbeiter und Volksmassen Boliviens!

Der ?Krieg um das Gas? hat sich in einen Volksaufstand für den Sturz des Mörders und Ausverkäufers Sánchez de Lozada verwandelt.
Während die Straßenblockaden andauerten besetzten tausende Bauern, Arbeiter, Lehrer, Studierende und Bewohner der Elendsviertel alle Wege und Plätze und schließlich sogar die Hauptstadt La Paz besetzten.
Trotz blutiger Unterdrückung mit 86 Toten gelang es nicht, die unaufhaltsame Menschenwoge einzudämmen, der sich im Gegenteil immer mehr anschlossen, vor allem Teile der Mittelklasse, Intellektuelle und Künstler.
Wie schon bei der Revolution von 1952 spielte die Beteiligung der Bergarbeiter eine ausschlaggebende Rolle für diesen Sieg. Entscheidend für diesen Ausgang waren das sich stark entwickelnde antiimperialistische Bewusstsein und der unbeugsame Kampfeswille, den die Arbeiter- und Massenbewegung in diesem ärmsten Land Lateinamerikas angenommen haben.

Dies ist ein erster Sieg des Volkes und seiner Organisationen, nicht nur gegen die reichen ?Gringos?, Multimillionäre, Besitzer der Minen und Repräsentanten der bolivianischen Bourgeoisie, die sich an die USA verkauft haben. Es ist auch eine Niederlage für Bush, der alles daran setzte, die Regierung zu halten und sogar den Einsatz nordamerikanischer Truppen erwog. Und erneut machte sich die OEA (Organisation Amerikanischer Staaten) lächerlich, die erfolglos einen weiteren lateinamerikanischen Präsidenten vor dem Volkszorn zu retten versuchte, wie schon zuvor z.B. den peruanischen Präsidenten Fujimori.

Sánchez de Lozada trat zurück, um zu verhindern, dass der Aufstand das gesamte Regime beseitigt, auf das sich die Regierung stützt; ein korruptes, antidemokratisches Regime im Dienst der Reichen und der Interessen des großen Kapitals.
Die Großbourgeoisie, die Armeeleitung und die US-Botschaft sahen, dass die aufständischen Massen für eine letzte Schlacht gegen eine demoralisierte Armee bereit waren, die vor dem Zusammenbruch stand. Mit der Regierungsübernahme des Vizepräsidenten wird versucht, das Regime zu retten. Die Vermittlungen der Regierungen Brasiliens und Argentiniens standen im Dienst dieser ?konstitutionellen Lösung?, was auch von de MAS und anderen Organisationen akzeptiert wurde.

Keine Unterstützung für Mesa!
Der neue Präsident repräsentiert nicht die Interessen Boliviens. Er ist die Fortsetzung der alten Interessen der Mächtigen, jedoch in einer vollkommen anderen Situation, der weder eine grundlegende Lösung schaffen noch die Forderungen erfüllen kann, die während des Volksaufstands erhoben wurden.
Mesa wird versuchen, den anderen lateinamerikanischen Regierungen zu folgen, Toledo (Peru), Uribe (Kolumbien), Gutiérrez (Ecuador) oder Lula (Brasilien). Sicherlich wird er versuchen, eine Regierung der ?nationalen Einheit? zu bilden und die Führungen der Gewerkschaften und politischen Organisationen auf die Bewahrung des verfaulten gegenwärtigen Regimes zu verpflichten.

Er will am Runden Tisch das gewinnen, was er im Kampf verloren hat. Er wird versuchen, den Sieg der aufständischen Massen zu deformieren um die Volksmacht zu brechen, die sich in allen Ecken des Landes herausbildet.

Aber es wird eine schwache Regierung sein, die fast in der Luft hängt und von der sozialen Revolution, die in Gang gekommen ist, zugesetzt bekommt. Er wird Versprechungen machen und Verträge mit den Aufständischen mit dem einzigen Ziel abschließen, Zeit zu gewinnen und den Prozess der Mobilisierung, der Bolivien bis in seine Grundfesten erschüttert, aufzuhalten.
Deshalb ist der Aufruf der Bolivianischen Gewerkschaftszentrale (Central Obrera Boliviana) gerechtfertigt, die neue Regierung nicht zu unterstützen und die Klassenunabhängigkeit zu bewahren.

Der Kampf geht weiter

Die CSUTCB hat dazu aufgerufen, die Mobilisierung fortzusetzen und hält weiterhin Straßenblockaden aufrecht. Sie verlangt, dass die Regierung binnen 30 Tagen ihren Forderungen nachgibt. Andererseits hat ein Plenum der COB den Generalstreik suspendiert und einen Katalog mit 20 Sofortforderungen aufgestellt. Die neue Regierung soll sich verpflichten, dass das Gas weder über Chile noch Peru exportiert wird und stattdessen in Bolivien industriell eingesetzt wird, genauso wie die Erringung der Kontrolle über das Erdöl und den gesamten nationalen Reichtum.
Sie schlägt ein ?Minimalprogramm? vor, um den Kampf fortzusetzen und die neue Regierung zu ersetzten. Die Privatisierungen und das ?Kapitalbildungsgesetz? sollen überprüft werden, mit denen die Multinationalen enorme Reichtümer zu Lasten der hungernden Bevölkerung angehäuft haben. Das Land soll den armen Bauern übergeben und das INRA-Gesetz, mit dem der Bodenverkauf geregelt wird, aufgehoben werden. Der tausendjährige Anbau der Coca-Pflanze ist strikt zu respektieren. Die sozialen Rechte der bolivianischen Arbeiter müssen wieder in Kraft gesetzt werden. Der Freihandel wie von der ALCA festgelegt ist abzulehnen. Die Verantwortlichen für die Massaker an der bolivianischen Bevölkerung sind zu bestrafen, usw. Diese von der neuen Regierung nicht erfüllten Forderungen werden Motor eines neuen Volksaufstands sein und ihn wieder auf die Tagesordnung setzen.

Die COB und ihr Führer Jaime Solares haben dazu aufgerufen, eine Volksversammlung (Asamblea Popular) einzuberufen, um alle Sektoren zusammenzubringen, die in den Kampf getreten sind. Dies wird ein grundlegendes Mittel sein, um die im Aufstand errungene Einheit der Arbeiter, Bauern und Volksmassen sowie ihrer Organisationen wie der CSUTCB von Felipe Quispe, die Kokabauern von Charape, die MAS von Evo Morales aufrechtzuerhalten. Denn in der Tat sind es diese Bevölkerungsschichten, die die Macht ergreifen und eine provisorische Regierung bilden müssen, um eine freie und souveräne verfassungsgebende Versammlung einzuberufen, die darüber entscheidet, was für ein Land die Bolivianer wollen.
Eine absolut demokratische Konstituente, in der die Arbeiter, Bauern und Armen ihre eigenen Repräsentanten haben können, die sich dafür einsetzen, dass wirklich mit den Interessen des Imperialismus gebrochen wird, die natürlichen Reichtümer nationalisiert werden und alle Forderungen der Bevölkerung befriedigt werden.

Solidarität mit der bolivianischen Revolution!

Der Sieg des bolivianischen Volkes ist ein Sieg aller Lateinamerikaner, die gegen die überall gleichen Sparhaushalte kämpfen, die von den USA diktiert und von IWF, Weltbank und WTO umgesetzt werden. Aber der Kampf geht weiter, die bolivianische Revolution muss mit diesem verfaulten Regime Schluss machen, das im Dienst der Oligarchie und des Imperialismus das Land ruiniert hat und offen von der US-Botschaft unterstützt wird.
Deshalb ist es so wichtig, die kontinentale und weltweite Solidarität mit der gerechten Sache des bolivianischen Volkes zu verdoppeln, das für die Unabhängigkeit vom neokolonialem Joch kämpft.
In dieser Konfrontation mit dem Imperialismus lässt Bolivien keinen Zweifel daran, dass nur die mobilisierten Völker dazu in der Lage sind, ihre Länder gegen die imperialen Interessen zu verteidigen, gegen die brutale Zahlung der Auslandsschulden, die Privatisierungen, das ALCA, den Plan Puebla Panamá und den Plan Colombia.

In Lateinamerika wird eine Regierung nach der anderen durch die Volksmobilisierung gestürzt. Es handelt sich nicht mehr bloß um Diktaturen wie die von Fujimori, sondern auch ?demokratische? Regierungen werden durch die Mobilisierung der sich gegen die neoliberalen Politiken erhebenden Bevölkerung von der Macht verdrängt.

Bolivien beweist einmal mehr, dass die Politiker und Parteien des Großkapitals nichts anderes sind als Repräsentanten der Interessen der Multis. Nur authentisch die Arbeiter und Bevölkerung repräsentierende Regierungen können unsere Länder aus der tiefen Krise herausholen, in der unser gesamter Kontinent lebt, mit dem Imperialismus brechen, ALCA zurückweisen und eine wirkliche lateinamerikanische Integration schaffen, die mit einer Front aller Länder beginnt, die sich weigern müssen, die Auslandsschulden zu bezahlen.

Alle Unterstützung für das bolivianische Volk!
Für eine provisorische Regierung von COB, CSUTCB und MAS!
Für eine Freie und Souveräne Verfassungsgebende Versammlung!

REVISTA MOVIMIENTO

Porto Alegre, Brasilien 18-10-2003
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Ergänzungen

Es sind nur wenige

Lothar 21.10.2003 - 00:51
Wenn geschrieben wird

"Dies ist ein erster Sieg des Volkes und seiner Organisationen, nicht nur gegen die reichen ?Gringos?, Multimillionäre, Besitzer der Minen und Repräsentanten der bolivianischen Bourgeoisie, die sich an die USA verkauft haben."

dann hört sich das so viel an. Aber im Gegensatz zu anderen Ländern Südamerikas hat Bolivien noch nie eine grosse Oberschicht und fast keine Mittelschicht gehabt. Im Endeffekt gibt es dort ca. 40 Familien die in Feudalherrschaftlicher Weise das Land seit jeher ausbeuten.

Daher ist jetzt das elimieren einer dieser Familie bereits ein grosser Erfolg.

El Alto hat die Frage nach der Macht

Trotzkistische Fraktion 21.10.2003 - 13:25
Interview mit Javo Ferreira (LOR-CI)
„Der Aufstand von El Alto hat die Frage nach der Macht gestellt“
Datum: 17/10/2003
Quelle: LVO 127

La Verdad Obrera interviewte Javo Ferreira, führendes Mitglied der Liga Obrera Revolucionaria (Cuarta Internacional) aus Bolivien, Schwesterorganisation der PTS aus Argentinien.

LVO: Man kann behaupten, dass, was als „Krieg ums Gas“ anfing, eine eigene Dynamik entwickelte, die die Frage nach der Macht in Bolivien aufstellte, d.h., fing eine Revolution an? Wenn dies der Fall ist, dann fragt sich welche Klassen und Bündnisse der Motor des Prozesses sind?

Javo Ferreira: Ja, auf der Stufe, die der Konflikt erreicht hat, beginnt die Diskussion über die politische Macht. Die Weigerung Sánchez de Lozadas zurückzutreten drückt dieses Gefühl der Verwaisung aus, mit dem die herrschenden Klassen angesichts des Fehlens einer soliden Alternative der bürgerlichen Substitution konfrontiert sind. Die Schlacht ums Gas hat ermöglicht, dass eine ganze Reihe verschiedener struktureller Forderungen der Massenbewegung, die zuvor unterschwellig bzw. lokal vorhanden waren, gemeinsam zum Ausbruch kamen. In der Tat, gibt es im Krieg ums Gas verschiedene Komponenten, die zu dem derzeitigen Aufstand geführt haben: lokale und regionale, Klassen bezogene und ethnische Forderungen, die aus der brutalen Unterdrückung der Indigenas resultieren. Von diesem Standpunkt aus und angesichts des qualitativen Sprungs, der der Aufstand in El Alto bedeutet hat, kann man sagen, dass die Revolution in Bolivien angefangen hat, obwohl sich der revolutionäre Sturz der Regierung nicht vollzogen hat. Und in der Tat hat eine Klassenallianz stattgefunden zwischen dem Proletariat, das unterschiedliche Kampfmethoden einsetzt, wie der Fall der Bergarbeiter aus Huanuni und ein anderes Kontingent von Minenarbeiter, das auf dem Weg nach La Paz ist, und der Bauernbewegung aus dem Hochland und dem Tiefland, Kokabauern, Slumbewohner und Halbproletariat aus den Werkstätten, Gerbereien, Spediteure, Marketender, usw. schließlich spielen auch die Studenten eine Rolle.

LVO: Welche Bedeutung haben die Ereignisse vom 12. Oktober in El Alto? Wie organisierten sich die Massen während des Aufstandes?

Javo Ferreira: Es ist die Frage ob es sich um eine Insurrektion oder Semiinsurrektion handelt. Im Unterschied zu den Ereignissen in Cochabamba 2000, während des „Wasserkriegs“, die wir als Semiinsurrektion ansehen, waren dieses Mal die Forderungen der Stadt El Alto eindeutig politischer Natur, wie Z.B. die Aufhebung des Brennstoffgesetzes, was deren Rückverstaatlichung beinhaltet, die Industrialisierung des Gases und vor allem, dass Sánchez de Lozada zurücktritt. Auf jeden Fall, wenn wir in beiden Fällen von einer Semiinsurrektion reden, da es keine klare Führung gaben und spontane Elemente überwogen haben, muss man festhalten, dass die jetzige Semiinsurrektion derjenigen vor drei Jahren in Cochabamba überlegen war, da es mehr bewusste Elemente gab. Und in der Tat war es dieser insurrektionelle Prozess, was die Situation zum umkippen gebracht hat und die Frage nach der Macht aufgeworfen hat.
Was die Organisationsformen der Massenbewegung angeht, waren diese vorwiegend die Nachbarschaftskomitees, was eine im ganzen Land weitverbreitete Art der Organisation ist. Allein in El Alto gibt es circa 500 davon. Diese sind in der Vereinigung der Nachbarschaftskomitees (FEJUVE) zusammengeschlossen, welche in Zusammenarbeit mit der COB und unter deren Kommando den Kampf geleitet haben. Aufgrund der Repressionen haben diese Komitees die Bildung von Selbstverteidigungskomitees angeordnet. Am heutigen Tag ist ein Gemeindegeneralstab (Comando General Comunitario), aus der Koordination von der COR, der FEJUVE und der CSUTCB entstanden, um eine Koordinationsinstanz zu bilden, um, wie der Mallku es ausdrückte, die militärische Frage zu lösen.

Dennoch war der Widerstand gegen die militärische und polizeiliche Willkür am 12. und 13. Oktober 03
spontan ohne irgendeine vorherige Organisation, was ein Anzeichen des ständigen Hinterherhinkens der bestehenden Organisationen hinter den Ereignissen ist. In der Regel gehen die Massen über die Politik und die Unentschlossenheit ihrer Führungen hinaus, und das nicht nur auf nationaler sonder auch auf lokaler Ebene. In der Tat versuchten einige Führer mit der Regierung zu verhandeln jedoch wurde ihre Autorität sofort angezweifelt oder sie wurden mit Lynchjustiz Drohungen diszipliniert.

LVO: Warum ist also Sánchez de Lozada noch nicht gestürzt? Welche Klassensektoren und welche Parteien unterstützen ihn?

Javo Ferreira: Er wird hauptsächlich von den internationalen Organismen an der Macht gehalten, allen voran von der US amerikanischen Botschaft, der Organisation der Amerikanischen Staaten, dem Andenpakt und verschiedenen internationalen Organisationen (A.d.Ü. auch der EU) die in seinem Sturz eine Gefahr für die gesamte Region sehen, da nach zwanzig Jahren paktierter, ausschließender, rassistischer und repressiver Demokratie, das gesamte Areal an traditionellen bürgerlich - politischen Vermittlungsmechanismen in Frage gestellt wird. Nur so ist die Unterstützung der MIR und der NFR sowie der Unternehmerausschüsse, der Bankiers, der Kirche und aller Unternehmerverbände in diesen kritischen Stunden erklären. Auf ihrer Seite ist auch die obere Mittelklasse, die während der letzten Tage geradezu faschistische Positionen übernommen haben, wie z.B. die Ermordung eines Blockierers durch einen siebzehnjährigen Jugendlichen in einem Nobelviertel oder die Drohungen der „Nación Camba“ (A.d.Ü. die „Nation“ der Weißen) in den nächsten Tagen gegen die Blockierer im Bezirk Santa Cruz vorzugehen, zeigen.

Dass Goni noch nicht gestürzt ist, liegt jedoch hauptsächlich an der von der Führung der Massenorganisationen wie der MAS, der MIP aber auch der COB verfolgten Strategie. Ihre Strategie ist, die Regierung mittels Druckausübung von der Notwendigkeit zu „überzeugen“ eine Erklärung darüber abzugeben, wem das Gas gehört, den Bolivianern oder den Multinationalen. Als die Massen in El Alto am 12. und 13. September ihre Stimme erhoben, haben sie sich darauf beschränkt Druck auszuüben, damit der Präsident zurücktritt. Sollte er nicht stürzen, liegt dies an genau der Politik, die auch zu dem Hungerstreik geführt hat, d.h., einer Politik der Klassenversöhnung, die versucht die Basisversammlungen der COB zu suspendieren, die Beteiligung der Avantgarde an den selben unter dem Vorwand der „Sicherheitsfrage“ erst mal einzuschränken und schließlich die „direkte Aktion“ der Massenbewegung zu verringern.

LVO: Welche „institutionellen Wechsel“ kann das alte Regime versuchen und wer hat ein Interesse daran?

Javo Ferreira: An erster Stelle versucht das Regime sich an der Macht zu behaupten, indem es die Massen zermürbt, falls notwendig auch durch den Einsatz von mehr Repression. In der Tat, vermitteln die Ereignisse der letzten Wochen einen guten Eindruck von der Lage: 70 Tote und mehr als 400 Verletzte und die Ausschaltung verschiedener Medien und die Haftbefehle sowohl gegen Anführer der Bewegung als auch gegen einfache Aktivisten. Dennoch versucht die Regierung angesichts einer möglichen Radikalisierung des Kampfes die Erneuerung innerhalb des Rahmens der Institutionen, was zur Zeit der wahrscheinlichste Ausweg ist. In diesem Fall würde der Vizepräsident Carlos Mesa bei einer Abdankung des jetzigen Präsidenten die Regierung übernehmen. Sollte der Vizepräsident ebenfalls zurücktreten, würde der Präsident des obersten Gerichtshofes das Amt übernehmen, womit alle Institutionen sowie die jetzige Gesetzgebung aufrechterhalten würden. Das Ganze ist ein Versuch, den von den Land- und Stadtarbeitern so mutig vorangetriebenen Kampf zu enteignen, also quasi Veränderungen die nichts verändern.

„Selbstorganisation für den Kampf“

LVO: Zusammengefasst, welche ist die Achse der Politik der Revolutionäre von der LOR-CI angesichts dieser Ereignisse?

Javo Ferreira: Ich werde dir die wichtigsten Ziele nennen, die wir in den letzen vier Kampfwochen verfolgt haben. Bei der Schnelligkeit mit der sich die Situation veränderte, waren wir gezwungen unsere Politik fast tagtäglich anzupassen. Unsere Flugblätter und Erklärungen haben wir jetzt sogar neben dem Datum mit der Uhrzeit versehen.
Unsere Aktivität hat sich hauptsächlich darauf konzentriert, den Kampf für die Organisation und Selbstorganisation der Massen zu führen. In diesem Sinne haben wir zunächst die Notwendigkeit einer nationalen Koordination des Kampfes und der Mobilisierung, die durch jeder Zeit abwählbare und mit bestimmten Vollmachten versehenen Repräsentanten organisiert werden muss, aufgezeigt. Diese Form der Organisation hätte sich auf lokaler und regionaler Ebene herausbilden und sich dann auf die Bezirke ausdehnen sollen. In diesem Sinne betrachten wir es als sehr progressiv, dass zwischen der COR und der FEJUVE lokale Organisations- und Koordinationsansätze wie die von El Alto entstanden sind. Mit den gleichen Zielen haben wir uns immer wieder den ständigen Veränderungen in den verschiedenen Massenorganisationen angepasst, in dem wir die Notwendigkeit eines nationalen Streik- und Mobilisierungskomitees aufstellten, das auf der Grundlage, dass die Beteiligung der Avantgarde an den Basisversammlungen der COB ausgeweitet wird.

Außerdem verlangte die Situation die Bildung von Selbstverteidigungskomitees. Zwar wurde diese Frage immer öfter Gegenstand der Diskussionen innerhalb der Massenbewegung und es wurden auch Schritte in diese Richtung getan, jedoch wurden immer noch keine ernsthaften Versuche zur konkreten Umsetzung unternommen. Zur Zeit befinden wir uns in einem harten Kampf gegen die gesamte Linke, der COB, der MAS, der Stalinisten, der Sozialdemokraten und leider auch gegen Sektoren, die sich zum Trotzkismus bekennen wie die POR, hauptsächlich auf Grund unserer Opposition gegen die Hungerstreiks, die diesen großartigen Kampf zu enteignen versuchen. Wir halten es für absolut notwendig die Selbstverteidigungskomitees zu stärken und voranzutreiben auf dem Weg zur Schaffung einer wirklichen Arbeiter-, Bauern- und Armenmiliz. Wir sind der Meinung, dass der einzige Weg zu einer wirklichen Arbeiter-, Bauern-, und Armenregierung aufzustellen, über die Organismen der direkten Demokratie gehen muss, welche aus der Massenbewegung selbst hervorgehen.