Alles ist gut - Anemasse aus der Ferne betrachtet

Uli Theobald 02.06.2003 16:23 Themen: G8 Globalisierung Medien
Betrachtung der Vorgänge in Evian aus der Ferne.
Evaluation des Presseechos.
Alles ist gut - Anemasse aus der Ferne betrachtet

Montag 2.Juni 8:35h am Morgen. Vergangenes Wochenende gingen die Hauptprotestaktionen gegen den G8 Gipfel in Frankreich über die Bühne - und das ohne mich. Anstatt auf der Straße zu sein, fand ich mich im Büro hinter meinem Schreibtisch wieder um mein berstendes Überstundenkonto weiter zu überlasten.
Einen Bericht über die Vorkommnisse in Evian und Genf kann ich verständlicherweise nicht verfassen - ich Übernehme anstatt dessen - wie schon die letzten zwei Tage - die Rolle des Beobachters aus der Ferne.

Bewusst habe ich mir ausnahmsweise zuerst die populäre Presse vorgenommen, um einen Eindruck davon zu bekommen, wie die breite Öffentlichkeit den Gipfel und die parallelen Protestaktionen präsentiert bekommt und wahrnimmt:

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung muss man sich bis zum Politikteil vorkämpfen um einen Artikel zu finden, der den G8 Gipfel in einem Artikel mit dem Treffen zwischen Bush und Putin in St.Petersburg behandelt:

Bush und Putin bekräftigen Freundschaft
G-8-Gipfel
02. Juni 2003 Bei ihrem ersten Treffen nach dem Streit um den Irak-Krieg haben die Präsidenten Amerikas und Rußlands, Bush und Putin, am Sonntag in St. Petersburg den Willen zur Partnerschaft bekräftigt?
Gewaltsame Proteste in Lausanne und Genf

Gewohnt pragmatisch geht die Stuttgarter Zeitung, die Vorkommnisse in Form einer politischen Analyse an:

02.06.?03: G8-Gipfel, "Wege aus Wirtschaftskrise gesucht"
Den Staats- und Regierungschefs der G 8 bleiben am heutigen Montag bei ihrem Gipfel im französischen Evian nur wenige Stunden, um Wege aus der weltweiten Krise der Wirtschaft und eine gemeinsame Linie im Kampf gegen den Terrorismus zu finden

Eine ernstzunehmende Beschreibung der Protestaktionen fehlt hier völlig. Um eine Schlagzeile auf einer Titelseite zu finden, muss ich mich schon an den linkeren Rand der Zeitungswelt zu bewegen und finde in der Süddeutschen Zeitung:

G-8-Treffen in Evian
Zehntausende protestieren gegen Genfer Gipfel
Heftige Ausschreitungen und Plünderungen

und um endlich eine Aussage über das Vorgehen der Ordnungskräfte zu finden, nehme ich die Tageszeitung ausnahmsweise mit in das Boot der "Populären":

Massenprotest gegen G-8-Treffen
EVIAN/LAUSANNE afp/taz Am Rande des G-8-Gipfels im französischen Evian haben gestern zehntausende Menschen friedlich auf einer Großkundgebung an der französisch-schweizerischen Grenze protestiert. In der Schweiz gab es vereinzelt Ausschreitungen. Nach Angaben der Behörden lieferten sich Vermummte in Lausanne stundenlange Auseinandersetzungen mit der Polizei; es gab Festnahmen und leicht Verletzte. Bei einer Demonstration über einer Autobahn kappte ein Polizist das Seil eines Demonstranten, der daraufhin 20 Meter in Tiefe stürzte. Er wurde schwer verletzt. In Evian trafen die Staats- und Regierungschefs der G 8 mit zahlreichen Gästen zu ihrem jährlichen Treffen zusammen.

Das Bild in der Internationalen Presse fällt kaum anders aus, sieht man einmal davon ab, dass sich die französischen Tageszeitungen etwas stärker mit der Thematik befassen, da der Gipfel schließlich "vor ihrer Haustür" stattgefunden hat. Nach dem heranziehen alternativer Medien und Augenzeugenberichten, kann ein erstes Fazit aus der Ferne gewagt werden, welches kurz und knapp ausfällt - "keine besonderen Vorkommnisse".

Zumindest auf den ersten Blick ist dies eindeutig der Fall: der Gipfel hat (natürlich) wie geplant stattgefunden. Es waren (wie erwartet) sehr viele Gegendemonstranten anwesend. Es gab im Vergleich zu den Vorkommnissen bei den letzten Globalisierungsgipfel weder schwere Ausschreitungen durch die Protestierenden, noch kam es zu extremen Gewalttaten seitens der Polizei - schiedlich friedlich das ganze. Alles ist gut

Es gab tätliche Übergriffe der Sicherheitskräfte, die zu Verletzten geführt haben sowie Angriffe auf die Pressefreiheit. Wie gewohnt wurden diese von den populären Medien tot geschwiegen - die Tatsache, dass sich auch in den alternativen Medien nur einige wenige Beispiele finden, die dafür auffällig oft zitiert werden, lässt aber den Schluss zu, dass sich alles tatsächlich in Grenzen gehalten hat, was die Zahlenmäßigkeit angeht (wobei dies nichts an der Tatsache ändert, dass dabei wichtige Grundrechte verletzt wurden).

Es gab wieder Gruppen gewaltbereiter Demonstranten, die Ausschreitungen mit der Polizei provoziert haben, was von den konservativen Medien natürlich stark in den Vordergrund gestellt und von den unabhängigen Medien (ebenso sträflich) ignoriert wurde.

Es stellt sich natürlich die Frage, warum dies alles so gewesen ist und - sehr viel wichtiger - was es für Auswirkungen hat und haben wird.

Die erste Frage lässt sich recht einfach beantworten - beide Parteien haben gelernt. Sowohl den Sicherheitskräfte als auch den Organisatoren der Gegendemonstrationen war die Spannung angesichts der chaotischen Bilder von ähnlichen Veranstaltungen vergangener Jahre deutlich anzumerken. Dazu kam der Faktor, dass die französische Polizei nicht gerade als zimperlich bekannt (bzw. gefürchtet) ist.

Am Verlauf der Veranstaltungen hat sich gezeigt, dass die Organisatoren ihre Teilnehmer dieses Jahr wesentlich besser unter Kontrolle hatte - kleine Gruppen Gewaltbereiter Randalierer gibt es immer, wird es immer geben. Die Sicherheitskräfte hingegen haben erkannt, dass überhartes Vorgehen lediglich negative Presse einbringt und den Demonstranten somit in die Hände spielt - die grenzübergreifende Zusammenarbeit der Polizei, das muss man eingestehen, kann im großen und Ganzen als Erfolg (für die Politiker) bezeichnet werden.

Die Auswirkungen hiervon - das wird beim studieren der Pressemitteilungen klar - sind für die Globalisierungsgegner fatal! Besonders das oben genannte Beispiel der Stuttgarter Zeitung macht dies deutlich: der G8 Gipfel wird als alltägliche organisatorische Zusammenkunft dargestellt, bei der völlig regulär über weltpolitische Veränderungen diskutiert wird, die "ohnehin stattfinden werden" - das macht einen ungefähr ebenso spektakulären Eindruck, wie eine Landtagssitzung zum Thema regionale Verkehrspolitik und keine Seele kommt auf die Idee, dass irgendetwas daran in Frage gestellt werden könnte, geschweige denn sollte.

Daran wird klar, dass die Taktik der Regierungen nicht nur praktisch (sprich "sicherheitstechnisch"), sondern auch ideologisch aufgegangen ist - die Globalisierung wird ein weiteres Stück aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt.

Die Globalisierungsgegner trifft knallhart das Problem aller "Angreifer" - für diejenigen, hier die Politiker, die nur "verteidigen" und die Stellung halten müssen, ist ein Unentschieden faktisch gleichbedeutend mit einem Sieg! Im öffentlichen Ansehen gibt es heuer weder Sieger noch Verlierer - niemand ist herausragend positiv oder negativ aufgefallen. Dies bedeutet aber Gleichzeitig, dass die Vorantreiber der Globalisierung Zeit gewonnen haben, ihr Spiel voran zu treiben.

Im Nachhinein ist es erfreulich, dass gewalttätige Ausschreitungen dieses Jahr die Ausnahme geblieben sind und es keine Opfer zu beklagen gab - dies ist aber nur eine Seite der Medaille. Gab es in der Vergangenheit vor allem Schreckensbilder über vermummte Randalierer im Fernsehen, welche den Ordnungshütern an den Kragen möchten, so hat das sicher zu einem Haufen Antipathie geführt. Gleichwohl brachte es das Thema Globalisierung aber für einige Tage in den Mittelpunkt des Medieninteresses und hat Aufmerksamkeit erregt - womit die Gewalttäter ihr Ziel (wenn sie denn eines hatten?) erreicht haben, wenn auch auf zu verurteilende Weise.

Der Zweck heiligt niemals die Mittel und es ist wünschenswert, dass in Zukunft noch mehr Demonstrationen friedlich ablaufen - trotzdem kann mich nicht einem gewissen Gefühl der Ohnmacht erwehren. Die Bevölkerung Europas könnte sich mehr und mehr mit der fortschreitenden Globalisierung abfinden - diese Runde geht eindeutig an die Politiker?
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Ergänzungen

erklärung des Autors

uli 02.06.2003 - 17:03
Ich bitte für die seltsamen Fragezeichen um Entschuldigung...ich habe den Text auf einer Niederländischen Tastatur verfasst und die website gibt so einige Zeichen wie Umlaute, Kursivschrift und Anführungszeichen wieder...sorry...einfach ignorieren...

guter Artikel

roter Leibniz 02.06.2003 - 18:06
ein sehr guter Artikel, wie ich finde.


Ein paar Pressestimmen möchte ich aber noch hinzufügen: In der Tagesschau und in den ARD-Radiostationen wurden am Wochenende immerhin Meldungen gesendet, dass die Staatschefs der G8 bezweifeln, ob solche Treffen in Zukunft noch Sinn machen.
Immerhin kostete dieses Treffen gute 100 Mio. Euro.

Verbunden wurden diese Zweifel damit, ob es überhaupt legitim ist, dass eine Gruppe von acht Staaten über das Schicksal der Welt entscheidet.

Und: Die meisten Medien haben es geschafft! Wir sind nicht mehr die Globalisierungsgegner, sondern nur noch die Globalisierungskritiker.
Hurra!



Ansonsten teile ich deine Zweifel bez. der Wirksamkeit der momentanen Protestmethoden; blödsinniges (und -erzählt mir was ihr wollt- unpolitisches, der eigenen bereicherung dienendes) Ausräumen von BP Tankstellen lehne ich aber ab.

Fragezeichen

Pete 02.06.2003 - 18:11
Hab ein bischen im Text die Sonderzeichen ersetzt.

Begriff "Globalisierungskritiker"

hab ich bei telepolis gefunden 02.06.2003 - 18:16
Forum
Hallo Gast


Wirtschaftskrieg in Evian
Harald Neuber

Startseite > Telepolis-Artikelforum > Wirtschaftskrieg in Evian > Begriff "Globalisierungskritiker" ergibt...

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Begriff "Globalisierungskritiker" ergibt keinen sinn
martin-2 (31. Mai 2003 13:01)

Den Begriff "Globalisierungskritiker" hat damals attac eingeführt,
weil denen "-gegner" zu negativ klang. Damit wird aber auch klar, daß
attac die Ideen der Bewegung, auf die attac aufgesprungen ist, nicht
wirklich verstanden hat. Das Wort "Globalisierung" heisst im
wirtschaftspolitischen Sinn etwas anderes als im umgangssprachlichen
Sinn. Die Medien haben hier geziehlt fehlinterpretiert, um die
Bewegung zu diffamieren. Nach Genua hat sich etwas gewandelt und
zumindest die moderaten Medien versuchen die reformistischen Teile
nicht mehr anzugreifen.
Die "Globalisierung", welche nun die NoGlobal-Bewegung meint, ist die
Umsetzung neoliberaler Politik. "Globalisierung" ist hier ein Synonym
für "Generalisierung" oder "Angleichung" und hat erst einmal nicht
unbedingt was mit "Globus" zu tun (meine Universität hat jetzt auch
einen "Globalhaushalt"). Das meinen im Gegensatz dazu die Nazis, wenn
sie gegen "Globalismus" agitieren.

Zum Wort "Kritiker": Die Umsetzung neoliberaler Ideologie "nur" zu
kritisieren reicht meiner Meinung nach nicht aus. Ich bin strikter
Gegner dieser Politik und will sie auch nicht in abgewandelter Form
umgesetzt wissen. Deshalb damals der Begriff "Globalisierungsgegner". Heute nennt sich aber kaum wer noch so, weil die Medien den Begriff
einfach zu stark negativ belegt/umgedeutet haben.
Heute tauchen eher Begriffe wie "Gegner der neoliberalen
Globalisierung" oder einfach "Antikapitalisten" auf.
Oft wird auch von "Bewegung der Bewegungen" oder globale
Protestbewegung" gesprochen, um die Breite und Größe anzudeuten.

Das Netzwerk, welches damals die Bewegung in alle Welt getragen hat,
heisst "Peoples` Global Action" und besteht aus hunderten
verschiedenen Gruppen und Einzel-Netzwerken. Wesentliche Grundlagen
sind die Ablehnung des jetzigen Wirtschaftssystems und so weiter. Die
häufigste Organsierungsform ist die "Grassroots"-Organisierung. Attac
gehört zwar mittlerweile irgendwie dazu, ist aber nicht die zentrale
Kraft, wie verfälschend dargestellt.

Hallihallo

Anna 03.06.2003 - 13:40
Erst mal danke für Deinen wirklich interessanten Artikel.
Mich stört nur eine Sache. Du redest die ganze Zeit von einer kleinen Gruppe von Gewalttätern und dass die Organisatoren der Proteste aber eigentlich alles unter Kontrolle hatten.

Es gab nicht "die Organisatoren". Auf vielen verschiedenen Treffen wurden gemeinsam Aktionen vorbereitet und beschlossen. An diesen Vorbereitungen waren Leute aller Richtungen vertreten. Die Demo/ Blockade am Sonntag in Genf sollte ausdrücklich friedlich UND militant sein.

Es war ausserdem keine kleine Gruppe, welche militant agiert hat.
Auf der Donnerstag- Demo in Lausanne liefen ca.600 militante Menschen mit, blieben aber friedlich.
Auf der Freitag- Demo in Genf waren es auch ca.100
Auf der riot-Demo Samstag nachts in Genf waren es ca. 300 Leute.
Auf der Sonntagsblockade in Lausanne gab es einen militanten schwarzen Block mit ca. 1000 Menschen, also ungefähr ein Viertel der ganzen Demo.

Und dass waren noch lange nicht alle Anti- G8 Demos mit Beteiligung militanter Menschen.


Widerstand auf allen Ebenen und mit vielen lustigen und zornigen Mitteln ist nötig

Ausschreitungen ? die Ausnahme ? keine Opfer?

Kira 03.06.2003 - 13:57
Also erstens: Du willst die bürgerliche Presse kritisch wiedergeben und übernimmst dann aber für Deine Einschätzung ihre Inhalte und ihre Stereotypen.

Zum Beispiel: "Vermummte Randalierer"
Dies ist eindeutig ein Begriff aus den Medien welche faktisch nicht zutreffen. Es handelt sich um Menschen, die ihre Unzufriedenheit und ihre Kritik am G8- Gipfel mit militanten Aktionsformen ausdrücken.

Zweitens: Ausschreitungen waren doch nicht die Ausnahme, eher die Regel. Ob das jetzt gut oder schlecht ist, ist eine andere Diskussion.

Drittens: Es waren nicht wenige Militante, sondern hunderte

Viertens: Keine Opfer ? Lies mal Indymedia.

Aber trotzdem Danke für Deine Einschätzung.
Zum Teil wirklich guter Artikel

Tschuldigung

Anna 03.06.2003 - 14:00
Fehler! Mit der Demo, die friedlich und militant sein sollte war natürlich nicht Genf sondern Lausanne gemeint