Für Gats, Gates & Co: Massenmord im Internet

Anûila und Böschka 27.01.2005 22:55 Themen: Globalisierung Medien Netactivism
Ab dem 1.4. werden die meisten Internetradios vom Stream gehen müssen. Mit einer kräftigen Gebührenerhöhung macht die GVL ihnen den Garaus. Das machen sie nicht nur weil sie böse Leute sind, sondern um handfeste Interessen durch zu setzen. Im Canon von GATS und Europarichtlinien beseitigen sie für die IFPI, den Zusammenschluß der Musikkonzerne ihre non-kommerzielle Konkurrenz.
Im deutschsprachigen Raum gibt es 15.000 Radios, die kaum jemand hört. Mit durchschnittlichen HörerInnenzahlen zwischen 2 und 25, und einigen Ausnahmen mit bis zu mehreren Hundert täglich, senden sie in Nischen für Menschen, die ihr spezielles ‚Angebot’ außerhalb des kulturellen Mainstreams suchen. Es sind Radios für besondere Musik oder kleine Hörergemeinschaften.
Gesendet wird im Internet und empfangen am heimischen Computer. Nach Marktkriterien ist es eine Wachstumsbranche, denn immer mehr Menschen haben über Breitband und Flatrate, die Möglichkeit zum Empfang. Und so versammeln sich abend für Abend zunehmend mehr Menschen über ihre Computer, wobei sie Radio hören und gleichzeitig über sogenannte Chats miteinander kommunizieren.
Anders als das terristische Radio, über Antenne, wird dieser Markt jedoch immer noch von zahlreichen Enthusiasten bestritten. Menschen die dies als ihr Hobby verstehen und nicht auf die Erzielung von Gewinnen ausgerichtet sind.
Menschen die am gewöhnlichen Radiogeschehen keinen Anteil mehr nehmen können, weil inzwischen die letzten ‚freien’ Sender oder offenen Kanäle eingestampft und verdrängt wurden. Es geht um die konsequente Eleminierung der kleinen Radios. Um Macht über die Medien und viel Geld.

Die Radiomacher verstehen oft gar nicht, was da über sie warum hereinbricht, nur daß sie viel zahlen sollen. Viel mehr als sie können, ihr Radio also vom ‚Aus’ bedroht ist.
Sie sind die MacherInnen kleiner Sender mit einem überwiegend jugendlichen Publikum. Diese betreiben gemeinsame Hobbys oder sie stammen aus derselben Region, haben gemeinsame Neigungen oder Ansichten.
Sie bilden in gewisser Weise einen gesellschaftlichen Querschnitt. Einen Querschnitt, in dem jede sich artikulierende Stimme bislang die Möglichkeit hatte sich zu verwirklichen, sofern ein ausreichender Computer, ein Mikrofon und ein Breitbandanschluß vorhanden sind.
Eine Technik, die zunehmend zugänglich ist. Die HörerInnen benötigten dann statt eines Mikrofons Musikboxen, um mithören zu können. Die zum Senden nötige Software wurde umsonst oder zu meist geringfügigen Preisen zur Verfügung gestellt.
Einzig den Sendern auferlegte, aber bislang von diesen als teures Hobby verstandene, Gebühren für Urheber- und Leistungsrechte auf gespielte Musiktitel, erforderten einen besonderen finanziellen Aufwand. Dieser war bislang zwar schon ziemlich hoch aber anscheinend erträglich.

Die Sendenden und ihre HörerInnen finden sich nach unterschiedlichen Vorlieben und Bedürfnissen, die manchmal miteinander korrospondieren.
Vielfach gruppieren sich die AnhängerInnen bestimmter Musikrichtungen um ihre Sender, weil diese einen musikalischen Schwerpunkt jenseits von Mainstream und kommerziellen Radios haben. Freunde spezieller Volksmusik genauso wie internationaler Musik. Es gibt mittelalterliche Musik, Avantgarde (was immer das sei), düsterere Musik, Punk, ... .
Andere kommen, möglicherweise aus dem gesamten deutschsprachigen Raum, oder sogar weltweit, um ein gemeinsames Hobby zusammen.
Oder, weil sie in einer bestimmten Region wohnen, so gehen Schulen und Vereine, oder Menschen in besonderen Lebenslagen auf Sendung.

Jetzt alle Gruppen eigenständig aufzuzählen ist unsinnig. Um es kurz zumachen: es geht eben auch um Alte, Kranke, Behinderte, Kinder, Flüchtlinge, ... (kleine Drohung mit allen denen Solidarität, Freundschaft oder Eigennutz gelten muß).

Gleichzeitig geht es um Mediendemokratie und sehr viel Geld.


Was ist geschehen?
Die Gesellschaft zur Vertretung von Leistungsschutzrechten (GVL) hat im Dezember den BetreiberInnen der Radios mitgeteilt, daß, sie bedauerten dies sehr, mitteilen zu müssen, sie „leider erst ab April 2005, die neue Gebührenordnung in Kraft treten“ lassen könnte.
Diese bedeutet für die Mehrzahl der Sender eine Kostenerhöhung um 300%, für einige sogar über 1000%.
Die Mehrzahl der Sender wird sich dies nicht leisten können und den Betrieb einstellen, sollte es tatsächlich zur Durchsetzung der neuen Gebührenordnung kommen.
Die Alternativen bestehen darin, entweder ganz auf Musik zu verzichten, oder sich auf unterschiedliche Weise (oder in Kombination), zu kommerzialisieren. Sei dies durch Werbung, Sponsoren oder die Bedienung eines vermeintlich marktkonformeren Musikgeschmacks. Andere denken über Hörgebühren und Solikampagnen nach.

Die Empörung ist groß, aber eine wirklich gemeinsame Linie gibt es nicht. Die Mehrzahl der Sender, etwas anderes dürften sie auch gar nicht behaupten, hält Gebühren im Grundsatz für gerechtfertigt. Nur bitte nicht so hoch.
Als Minderheit, finden sich in den Diskussionsforen aber auch ganz andere Lösungsstrategien: Z.B.: Illegalität, also die kriminalisierte Form als Piratenradio, mit wenigen und eingeschworenen HörerInnen. Sie wird von den einen favorisiert, andere wiederum setzen auf den Umzug ins Ausland.
Dies indes sind faule Hoffnungen. Ein Radio, das sich verstecken muß kann kaum wer hören und wer ins Ausland abwandert muß dies in ein Land außerhalb von WTO und GATS tun.

GATS, das General Agreement of Trade and Services gilt inzwischen fast überall. Und es sind die hier gültigen Regeln, wie sie dann etwa in den Europarichtlinien umgesetzt werden, die diese Gebührenerhebungen legitimieren, antreiben und einfordern. Zwar wurden diese nie im Europaparlament diskutiert und verabschiedet, gültig sind sie gleichwohl. Erarbeitet wurden sie z.B. im European Service Forum, in dem Dienstleister wie Bertelsmann, Vivendi oder Merrill Lynch den Ton angeben.
Weit fortgeschritten ist dieser Prozeß bereits in den USA, wo die Regelungen gerade durchgesetzt wurden. Dort gehen die Sender derzeit reihenweise an den Standardgeühren und sogar Rückforderungen ein. Einige davon reichen in den bislang ‚rechtsfreien’ Zeitraum vor der Forderungserhebung durch internationales Vertragswerk zurück! Viele der Sender, die sich teilweise inzwischen kommerzialisiert hatten, stehen derzeit vor Millionenforderungen.

Dem gegenüber steht eine uneinige, eine fragmentierte Szene. Nicht nur die jeweils unterschiedliche Art der Sendung, sondern auch Hörerkreis, Grund der Gemeinsamkeit, Anzahl der Hörenden und schließlich die gewählte Gegenstrategie lassen erhebliche Unterschiede erkennen.

Hier schließt sich der Kreis das erste Mal:
In der GVL, die die Gebühren im Namen der Musiker und der Tonträgerindustrie eintreibt, gibt die Internationalen Vereinigung der Phonographischen Industrie (IFPI), also die Vereinigung der großen Musikkonzerne, den Ton an. Deren Interessen laufen denen der kleinen Internetradios zuwider. Wollen die einen ihre Megastars optimal vermarkten, senden die anderen oftmals fast ausschließlich, nahezu unbekannte Künstler. Ein Interessenwiderspruch.
Der hat sogar zum Streit mit der anderen gebührenerhebenden Vereinigung, der gema (Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte) geführt. Die gema vertritt die Rechte der Urheberrechtsinhaber. Auf Druck der IFPI wird sie demnächst wohl ebenfalls mit Gebührenerhebungen nachziehen.

Das es dabei nicht um angemessene Gebühren für kleine Radiostationen geht zeigt ein Blick auf die tatsächliche Rechnung der GVL und den Nominaleinsatz um den es geht.
Nur eine Handvoll der derzeit 15.000 Radios wird dies überleben. Gemeinsam mit jenen Sendern, die bereits heute kommerziell arbeiten, etwa als Ableger der gewöhnlichen Radiostationen.
Die Internetradios entrichteten bislang einen relativ geringen Betrag, der sich jedoch durch die große Zahl der Betreiber entsprechend summierte. Selbst die drastisch erhobenen Gebühren der Zukunft, werden keinen vergleichbaren Betrag ergeben, da er nur noch von wenigen aufgebracht werden wird. Es geht also nur mittelbar um das Geld der Betreiber. Vielmehr um deren Eliminierung vom Markt.
Es wäre schon ein Unikum, ginge es tatsächlich darum, die Einnahmen zu senken. Der Ausgleich soll wohl woanders erzielt werden.

Worum es tatsächlich geht, ist der Marktübergang. Eine kleine Nische hat das Potential erreicht, profitabel bewirtschaftet zu werden und ist damit zur Beute der Hyänen geworden. Da die bekanntlich lieber über Aas herfallen, als selbst die Beute zu reißen, soll die mögliche kleine Konkurrenz mit Gebühren zu Fall gebracht werden.
Zugeben mögen sie dies freilich nicht und verweisen darauf, daß ja Mitschnitte entstehen könnten. Böse, böse Raubkopien. Als wenn dies nicht auch beim gewöhnlichen Radio mittels eines Kassettenrekorders möglich wäre.
Entsprechend halten auch die Internetradios dagegen und verweisen auf die geringfügige Qualität der Tonübertragung, weshalb echte Fans Originalaufnahmen vorziehen würden. Zumal HörerInnen wie Sender bereits mehrfach Gebühren entrichtet haben, die dies ausgleichen sollen, für gema, gez und GVL.
Weitergehend argumentieren sie, die eigentliche Chance für kleine Künstler zu sein, die sonst nirgendwo gesendet werden würden. Daß die Hörer bei ihnen Musik hören würden, die sie später auch kaufen.
Es bleibt eine Diskussion der Kleinen gegen die Großen.

Dabei sind es nicht nur die Gebühren, die den Radios zu schaffen machen, sondern auch Vorgaben über die Sendeformate und Einschränkungen, sowohl bei Programmplanung, als auch bei Einspielung und Ansage.
Ebenfalls von belang ist eine ganz andere Vorgabe. Weil angeblich mitschnittsicher, soll ein bestimmtes Dateiformat, mit dem die Musikdaten übertragen werden, durchgesetzt werden. Zwar gibt es inzwischen sogar kommerzielle Programme, die das Gegenteil beweisen, trotzdem wird an der Vorgabe festgehalten. Dabei zeigt genau diese, worum es insgeheim geht.
Die Sender sollen gezwungen werden im sogenannten wmf-Format (Windows-Meta-File) zu senden. Das gehört zum Microsofts Windows-Betriebssystem. Hier wird nicht nur erzwungen, daß dieses Format des Softwaregiganten benutzt wird, sondern erfolgt auch eine Bindung an das Betriebssystem. Ein hoch auf den freien Markt. Ein Schelm, wer da was anderes denkt.

Auch wenn es Mühe kosten mag, sich in den Sachverhalt ein zu denken, aber es ist ein frühe Auseinandersetzung um das was kommen kann. Und es ist eine Auseinandersetzung, die auch um die Meinungsmacht geführt wird.
atm & BvGraPu
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Ergänzungen

Aktionen?

Bucharin 28.01.2005 - 02:50
Wie wäre es mit ner lang vorher angekündigten Belagerung oder ner relativ spontanen aktion z.B. vor/in den Räumen der IFPI? Am besten auch mit unbekannteren Künstlern, nem Konzert von kleinen Bands davor oder so (wenn es wärmer wird).

Auch könnten die Radiosender bei unverhältnismäßig hohen Gebühren im Verhältnis zu den Höhrern eine Verfassungsbeschwerde wegen eines Eingriffes in die Pressefreiheit erwägen.

Aber der Protest sollte sich gegen das GATS allgemein richten...

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Ausweichmoeglichkeiten

nerd 28.01.2005 - 14:11
Ich bin darueber wenig erfreut, das die Verwertungsgesellschaften jetzt die Internetradio plattmachen wollen, denn ich hoere in zwischen fast ausschliesslich Streams, weil das berliner Radioprogramm einfach nur noch zum kotzen ist.

Wenn Proteste nichts bringen sollten, was wahrscheinlich ist, kann man immer noch entweder gema-freie Musik spielen (zugegeben nicht wirklich eine Alternative...), macht einen Piratensender auf oder man nutzt die Moeglichkeiten des Internets.

Ich denke da an Loesungen in der Art wie Peercast (war mal komplett dezentral und anonym, hat in zwischen leider einen zentralistischen Directoryserver... :-( ). Eine andere Moeglichkeit sind tor ( http://tor.eff.org) hidden services.

Wichtig ist auf jeden Fall weiter zu machen, wenn die Auflagen genug Leute ignorieren oder umgehen, wird sich das ganze langfristig nur schwer durchsetzen lassen.

Es gibt keinen sicheren Kopierschutz, wenn die Verwertungsrechtelobbyisten das endlich mal begreifen wuerden! Und selbst wenn es ihn gaebe, kann man immer noch einen Recorder vor die Bocxen stellen.

reaktion oder progress ?

erschaffer 29.01.2005 - 00:35
ein bischen haben die jetzt von der erhöhung betroffenen
anbieter an ihrer situation mit schuld.
sie haben in der vergangenheit mit dem system der verwertungsgesellschaften zusammengearbeitet und akzeptieren es grundsätzlich, und jetzt dreht man ihnen den gürtel den sie sich selbst um den bauch gebunden haben um den hals und drückt zu.

grundsätzlich ist es natürlich progressiver legalerweise geschütze inhalte
anzubieten, als dies ohne lizenz zu tun - damit hätte man sich sicherlich noch mehr probeleme eingehandelt.

aber es gibt noch andere versionen des sendens von inhalten:

– sende ausschliesslich freie inhalte, und erkläre dies den VGs.

– sende ausschliesslich independent-musik, bei denen nicht die 4 grossen
plattenfirmen mitverdienen sondern mehr bei den eigentlichen urhebern übrigbleibt, denn das ist einen gute grundlage um z.b. von seinen hörern spenden zu bekommen. kaum jemand ist bereit für chart hits zu bezahlen.


natürlich ist all das erst der anfang. sie haben die pläne dafür, es generell zu verbieten, seinen eigenen freien inhalte kostenfrei anzubieten, schon in der ihrer EU-schublade liegen.
je mehr freie inhalte es bis dahin gibt, desto schwerer wird es dann uns das zu verbieten.

also auf gehts; erschaffe etwas und verteile es - legal und kostenlos, das ist unser kampf.


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