Vergessene Menschen eines vergessenen Krieges

Ralf Fischinger 25.01.2005 13:57 Themen: Militarismus Soziale Kämpfe Weltweit
Im Frühjahr 1999 beteiligte sich die deutsche Bundesregierung an einem Angriffskrieg gegen den souveränen Staat Jugoslawien. „Wir führen keinen Krieg“ teilte Bundeskanzler Gerhard Schröder am 24. März 1999 in einer Erklärung zum Kriegsbeginn mit, die zeitgleich über etliche Fernsehsender ausgestrahlt wurde. Der Begriff der „humanitären Intervention“ machte die Runde: Vertreibungen aus dem Kosovo sollten gestoppt und demokratische Verhältnisse herbeigeführt werden. Heute - fünf Jahre später - ist der Krieg, der keiner war, offiziell vorbei und gewonnen. Es lohnt ein Blick hinter die Kulissen.
„Kosovo ist eine sagenhafte Erfolgsgeschichte!“, verkündete EU-Außenkommissar Chris Patton bereits im September 2002 und auf den Internetseiten der Bundeswehr wird Geschichte geschrieben: „Am 12. Juni 1999 marschierten die ersten Teile der internationalen Sicherheitstruppe KOSOVO FORCE (KFOR) in den Kosovo ein. Fünf Tage später betrug ihre Truppenstärke schon ca. 20.000 Soldaten (heute: ca. 50.000). Ähnlich planmäßig und termingerecht wie die Stationierung der KFOR verlief zeitgleich auch der Abzug der serbisch- jugoslawischen Streitkräfte. Nach der ersten Phase stellten sich vielfältige neue Aufgaben. Mit dem parallelen Aufbau von Vertriebenenlagern, Lufttransport von Hilfsgütern und einer Vielzahl anderer Leistungen auf humanitärem Gebiet hat die Bundeswehr zusammen mit anderen NATO-Partnern, dem UNHCR und Nicht-Regierungsorganisationen den vertriebenen Menschen wirksam helfen und eine Destabilisierung der gesamten Region erfolgreich verhindern können“. Ende gut, alles gut?!

„Schaut auf diese eisernen Gitterstäbe [...] Ist das Europa oder was?“

Die Bewohner eines Flüchtlingslagers in der Nähe Belgrads erzählen bei einem Treffen mit internationalen Aktivisten diesen Sommer eine andere Geschichte: „Wir sind deportierte und vertriebene Menschen aus dem Kosovo. Wir kamen nach dem NATO-Bombardement im Jahr 1999 hier an. Genau am 16. Juni 1999.“ Eine Frau fährt fort: „Wir wohnen hier in einer Art Sammellager, das bedeutet dass wir in einer Art Asyl in unserem eigenen Land leben. Schaut auf diese eisernen Gitterstäbe an den Fenstern hier, an was erinnert euch das? Ist das Europa oder was? Niemand sieht diese Lebensbedingungen oder viele Menschen wollen sie nicht sehen. Einige NGOs kamen aus dem Westen. Wir fragen uns selbst, was die eigentlich tun und warum sie sich selbst präsentieren, als würden sie sich um Flüchtlingsfragen kümmern. Sie haben eine große Menge Geld und kommen mit diesem Geld in unser Land. Ich beklage mich nicht, dass dieses Geld für Spaghetti und Makkaroni ausgegeben wurde, was die einzige Unterstützung war, die wir zwei Jahre lang bekommen haben. Aber ich beklage mich darüber, dass dieses Geld, dass sie in unser Land gebracht haben, wirklich hätte nützlich sein können, um für die Menschen, die in diesen Lagern wohnen normale Lebensbedingungen herzustellen.“ Ein anderer Bewohner ergänzt: „In den ersten zwei Jahren halfen uns Menschen, doch ab dann bekamen wir keinerlei Hilfe mehr. Alle haben uns vergessen. Seit zwei Jahren wurden wir total allein gelassen. Ich meine, niemand kam seit zwei Jahren, um uns zu besuchen oder irgendeine Art von Hilfe zu geben.“ Verzweiflung in den Gesichtern der Bewohner. „Was ist mit unserer Regierung passiert, mit der internationalen Gemeinschaft, mit dem UNHCR, ECHO, all den Regierungs- und Nicht-Regierungsorganisationen, welche für uns verantwortlich sein sollten?“, fragen die Bewohner des Sammellagers in einem offenen Brief, den sie an die „internationale Gemeinschaft“ richten.

Als die KFOR im Kosovo eintraf nahm die Gewalt nicht ab

Unterzeichnet wurde der Brief von „jenen, die ihr Zuhause nicht verlassen wollten, vorübergehend vertriebene Personen aus dem Kosovo“. Es handelt sich um die Bewohner des Flüchtlingslagers in Ripanj. In diesem Lager an der Stadtgrenze Belgrads leben 128 Erwachsene und 51 Kinder. Eingerichtet wurde es in einer ehemaligen Psychatrischen Klinik durch den UNHCR. Die meisten der Bewohner kamen am 16. Juni 1999 nach Ripanj. Nachdem die Bombardierungen durch die NATO beendet wurden und offiziell das Ende des Krieges erklärt wurde. Als die KFOR im Kosovo eintraf nahm die Gewalt innerhalb der Bevölkerung nicht ab. Im Gegenteil wurden allein im Zeitraum zwischen Juni und September 1999 unter den Augen der KFOR-Truppen 286 Menschen ermordet. Im gleichen Zeitraum gab es nach KFOR-Angaben 912 Fälle von Brandstiftungen und 965 Plünderungen. Etliche Menschen mussten fliehen. Nach offiziellen Zahlen leben in der Staatengemeinschaft von Montenegro und Serbien momentan 290.000 Flüchtlinge aus Kroatien und Bosnien und 225.000 registrierte vertriebene Menschen aus dem Kosovo. Es wird geschätzt, dass weitere 24.000 nicht-registrierte Romas zu diesen hinzugerechnet werden können.

Von direkter Hilfe zu nachhaltiger Entwicklung

Insgesamt gibt es in Serbien 140 Sammellager für Flüchtlinge und vertriebene Menschen aus dem Kosovo. Die Lebensbedingungen in den Lagern sind erbärmlich. Das wird auch vom UNHCR und dem Internationalen Roten Kreuz berichtet. Eine Familie aus 8 Personen lebt auf nur 9 Quadratmetern, im improvisierten Wohnzimmer gibt es nur Platz für Betten und einen Stuhl. Viele Hilfsorganisationen haben die Region längst verlassen. Das Internationale Rote Kreuz stellte im September 2003 die Lieferung von Lebensmittelpaketen ein. Das UNHCR will seine Aktivitäten in der Region vor Ende 2006 drastisch verringern. Auch die ECHO (Humanitäre Organisation für die Europäische Gemeinschaft), welche eine der größten Geldgeber seit 1992 war, schloß im letzten Jahr ihr Büro in Montenegro. Dafür kam die Europäische Agentur für Wiederaufbau. „Der Akzent der Hilfsfonds hat sich verlagert, von direkter Hilfe für Menschen zu nachhaltiger Entwicklung. Die Wirtschaft braucht tatsächlich einen Anschub, doch die vertriebenen Menschen kommen dabei unter die Räder“, meint Nebojsa Babovic, ein Außendienstmitarbeiter des UNHCR in Montenegro, „Obwohl fünf Jahre vergangen sind, ist dies eins der schwersten Jahre für vertriebene Menschen aus dem Kosovo. Die humanitäre Hilfe wurde abgezogen, aber die Situation hat sich nicht verändert.“

Armut und Slums

Nach Schätzungen des Internationalen Roten Kreuzes aus dem Jahr 2003 leben 90% der aus dem Kosovo vertriebenen Menschen unter der Armutsgrenze. Vertriebene Menschen aus dem Kosovo besitzen offiziell die Staatsbürgerschaft der Staatengemeinschaft aus Serbien und Montenegro. Diese Staatengemeinschaft ist Ergebnis des Belgrader Abkommens, welches von Serbien und Montenegro im Februar 2003 nach langen und schwierigen Verhandlungen mit der EU ratifiziert wurde. Es handelt sich dabei um eine temporäre Verfassung in welcher Serbien und Montenegro offiziell eine Staatengemeinschaft bilden. Im Belgrader Abkommen stimmten beide Republiken darüber überein, in der Frage der Flüchtlinge und vertriebenen Menschen aus dem Kosovo zu kooperieren. Dies ist allerdings nie geschehen. Die Praxis hat nur sehr wenig mit dem auf Papier Geschriebenen zu tun. So können sich aus dem Kosovo vertriebene Menschen in Serbien zwar offiziell als „Binnenvertriebene“ registrieren lassen und besitzen dadurch seit Juli 2003 das Recht, einen ständigen Wohnsitz in Serbien anzumelden. Dies ist Voraussetzung für den Zugang zu grundlegenden Rechten und sozialen Dienstleistungen, wie z.B. Gesundheitsvorsorge, Arbeitslosenunterstützung, Rente und Schule. Nach Angaben des UNHCR ist allerdings kein einziger Fall bekannt, in welchem ein aus dem Kosovo vertriebener Mensch einen festen Wohnsitz angemeldet hätte.

Der Zugang zu Wohnraum bzw. Unterkunft stellt für Menschen, die aus dem Kosovo vertrieben wurden, eines der Kernprobleme in Serbien und Montenegro dar. Nur die wenigsten finden Unterschlupf in einem der Flüchtlingslager. Nach Angaben des UNHCR 7.000 Menschen in Serbien und 1.000 in Montenegro. Trotz der miserablen Zustände in den Lagern ist dies noch die erträglichere Situation, wenn in diesem Zusammenhang überhaupt von „erträglich“ gesprochen werden kann. Der Großteil der aus dem Kosovo vertriebenen Menschen haben laut einem Bericht des UNHCR vom September 2004 in „improvisierten, informellen Siedlungen“ Unterschlupf gefunden, wo sie unter sehr harten Bedingungen leben: Ohne Elektrizität, kein fließendes Wasser, kein Abwassersystem, sowie fehlende öffentliche Einrichtungen. Menschenrechtsorganisationen vergleichen die entstandenen informellen Siedlungen mit Slums in Südamerika und Afrika. Nur dass sie sich mitten in Europa befinden. Der UNHCR spricht in seinem Bericht von 586 inoffiziellen Siedlungen in Serbien und Montenegro und weist außerdem darauf hin, dass aktuelle Privatisierungsprozesse zu einer „fortdauernden Serie von Zwangsräumungen“ führen. Weder in Serbien noch in Montenegro erfordert die Rechtslage, dass eine alternative Unterbringung nachzuweisen ist, bevor die Räumung durchgesetzt werden kann. Menschen werden so massiv in die Obdachlosigkeit gedrängt. Außerdem sind körperliche Schäden, Gesundheitsprobleme, Unsicherheit, der Schulabbruch der Kinder und der Verlust des Arbeitsplatzes nach Angaben des UNHCR Folge dieser Zwangsräumungen.

Niemand will in Lagern leben

Der UNHCR will bis Anfang 2006 ihr Engagement in der Region stark zurückschrauben. Das bedeutet unter anderem, dass alle Sammellager in Serbien geschlossen werden sollen. Beim Treffen zwischen internationalen Aktivisten und Bewohnern des Lagers von Ripanj diesen Sommer in Belgrad erzählten die Bewohner, dass sie von diesen Plänen aus dem Fernseher erfahren hätten. Ihre Anfragen beim UNHCR sowie bei NGOs blieben unbeantwortet. Deshalb wenden sie sich nun in ihrem Brief an die „internationale Gemeinschaft“, damit sie „nicht auf der Strasse alleingelassen werden, ohne Geld“. Sie fragen: „Ist es das Ziel der internationalen Gemeinschaft uns zu helfen, sicher nach Hause zurückzukehren und dann die Sammellager zu schließen oder uns das einzige zu nehmen, was uns noch geblieben ist, unsere Würde?“. Die 31 Familien im Sammellager von Ripanj kämpfen gegen ihre eigene Ohnmacht an. Niemand von ihnen will in diesem Lager leben, in dem es keine Privatsphäre gibt, viel zu kleine Zimmer und Gitter vor den Fenstern. Sie wollen ein menschenwürdiges Leben entweder in Serbien oder im Kosovo, wo viele noch Häuser besitzen, die sie aber nicht beziehen können. Rund 50.000 serbische Flüchtlingsfamilien haben noch Eigentum im Kosovo, erklärte der Berater des UNO-Missionschefs im Kosovo, Nenad Radosavljevic, Mitte Oktober gegenüber der Presseagentur Tanjug.

„Ist es möglich, dass eine 'vorübergehende Lösung' bereits sechs Jahre andauert und dass wir noch immer den Status von 'vorübergehend vertriebenen Personen' haben? Das ist zumindest zynisch!“, empören sich die Bewohner des Lagers in ihrem Brief. Der Aufenthalt der aus dem Kosovo vertriebenen Menschen in Serbien wurde als ein vorübergehender angesehen. In der Resolution 1244, die der UN-Sicherheitsrat am 10. Juni 1999 beschloss, wurde festgelegt, es werde „eine internationale Übergangsverwaltung im Kosovo eine sichere Umgebung schaffen, in welcher Flüchtlinge und Vertriebene gefahrlos in ihre Heimstätten zurückkehren können“. Wird der Propaganda der Bundeswehr geglaubt ist dies auch geglückt. Dem stehen allerdings Berichte von Hilfsorganisationen, UNHCR und Bewohnern der Flüchlingslager gegenüber, die belegen, dass weder den vertriebenen Menschen wirksam geholfen werden konnte, noch eine Destabilisierung der Region wirksam verhindert werden konnte.

Eine Lösung gibt es nicht

Von demokratischen Verhältnissen kann keine Rede sein, die Lage im Kosovo konnte nicht beruhigt werden. Allein während dem letzten großflächigen Ausbruch von Gewalt im Kosovo Mitte März 2004 wurden 19 Menschen getötet und 954 verletzt. Außerdem wurden 30 Kirchen und Klöster und nahezu 500 Häuser zerstört. Über 4000 Menschen flohen aus dem Kosovo. Nach Angaben der Bundesregierung gab es im Zusammenhang mit diesem Gewaltausbruch auch erstmals organisierte Angriffe gegen internationale Sicherheitsorgane, UNMIK und KFOR. Insgesamt wird die Zahl der Toten und Vermissten innerhalb der letzten fünf Jahre auf 1300 geschätzt. Bereits vor dem Gewaltausbruch Mitte März dieses Jahres veröffentlichte der UNHCR gemeinsam mit der OSZE seit 1999 insgesamt zehn Berichte, die mit zunehmender Sorge eine Verschlechterung der Menschenrechtslage im Kosovo beklagen. Mindestens 20.000 Menschen wurden nach Angaben des UNHCR innerhalb der letzten fünf Jahre aus dem Kosovo vertrieben. Doch noch immer wird, trotz zunehmender Zuspitzung der Lage im Kosovo und einer stetigen Zunahme an Gewalt, daran festgehalten, dass die aus dem Kosovo vertriebenen Menschen zurückkehren sollen und deshalb wird ihnen nur ein vorübergehender Status zuerkannt. Obwohl es keine Lösung für die Hunderttausende Flüchtlinge und Vertriebene aus dem Kosovo gibt und auch in naher Zukunft nicht geben wird. In Studien und Analysen wird damit gerechnet, dass es noch über Generationen hinaus keine Stabilisierung des Kosovos geben wird und solange internationale Truppen im Kosovo stationiert bleiben werden. Der Krieg ist längst nicht vorbei, auch wenn gerne so getan wird.

Dazu birgt die ökonomische Situation im Kosovo eine ganz besondere Brisanz: Die Preise werden in Euro gerechnet und befinden sich auf einem westeuropäischen Level, was der Präsenz von vielen internationalen Helfern und Soldaten zu verdanken ist, die ihren Lohn auf westeuropäischem Niveau erhalten. Gleichzeitig liegt nach einem Bericht der Deutschen Welle vom Februar dieses Jahres das durchschnittliche Jahreseinkommen der lokalen Bevölkerung bei nur 900 Euro. Im gleichen Bericht wird darauf hingewiesen, dass im Kosovo mehr als 52.000 Familien staatliche Unterstützung brauchen, um überleben zu können. Diese Unterstützung beträgt jedoch nur 62 Euro pro Monat. Noch schlechter sieht es für Rentner aus, die monatlich mit nur 36 Euro auskommen müssen. Jeder zweite Einwohner des Kosovo lebt in Armut. Dies birgt ein großes Konfliktpotenzial, da eine internationale, westliche Bevölkerungsschicht aus Soldaten und Helfern sehr reich ist, die lokale Bevölkerung allerdings sehr arm. Schätzungen über die Arbeitslosenquote gehen bis zu 83% (laut dem Institut Riinvest in Pristina, Ende Januar 2003). Die Analphabetenrate ermittelte das Kosovo Education Centre auf 25%. Zwar war das Kosovo schon immer die ärmste Region Jugoslawiens, doch seit 1999 ist das Kosovo, wie etliche Studien belegen, zu einer sozialen und wirtschaftlichen Ruine verfallen. Dies schürt den Nährboden für Gewalt, wie sie tagtäglich stattfindet. Dass jetzt viele Hilfsorganisationen diese Region verlassen hängt nicht zuletzt mit der instabilen, unsicheren Lage im Kosovo zusammen.

„Humanitäre Hilfe“ vs. Abschiebepraxis

Niemand weiß, wieviele Menschen wirklich den kurzen aber schweren Weg bis in die EU zurückgelegt haben, um hier Schutz und Sicherheit zu finden. Nicht alle sind registriert. Ignoranz herrscht hier wie da in Bezug auf Flüchtlinge. Nicht nur im Kosovo oder Ex-Jugoslawien produziert der vergessene Krieg täglich neue Opfer. Menschen, die hier vermeintlich Schutz gefunden haben, werden zurück in die Krisenregion abgeschoben. Ein grausamer Fall ereignete sich Mitte November in Berlin, als die siebenjährige Mimaza Esufi und ihr elfjähriger Bruder Mergim von Zivilbeamten während einer Pause aus der Humboldthain-Grundschule in Berlin-Mitte abgeholt wurden. Aus der Schule verschleppt wurden sie zu ihren Eltern gebracht, die bereits von der Polizei festgenommen waren und im Gewahrsam auf ihre Kinder warten durften. Sobald die Familie komplett war, wurde sie über Düsseldorf nach Pristina ins Kosovo abgeschoben. Dies ist nur ein Beispiel einer ohnehin fraglichen Abschiebepraxis. Im Kosovo gebe es keinerlei Sicherheit und somit auch keinerlei Voraussetzungen für eine Rückkehr der Kosovo-Flüchtlinge, darauf wies der Berater des UNO-Missionschefs im Kosovo, Nenad Radosavljevic hin. Dennoch schieben deutsche Behörden in das Kosovo ab, teilweise mit Unterstützung der UNMIK, teilweise ohne deren Einverständnis.

Nochmal zur Erinnerung: Der NATO-Krieg begann, um die Vertreibungen zu beenden und der Erfolg der Besatzung des Kosovo durch die KFOR steht und fällt mit der eigenen Vorgabe, dass alle Flüchtlinge wieder sicher zurückkehren können. Als „humanitäre Intervention“ bezeichnet leistete die Bundeswehr zusammen mit Armeen anderer Länder und verschiedenen Regierungs- und Nichtregierungsorgansisationen scheinbar eine Art sozialen Dienst. Auffanglager für Flüchtlinge wurden aufgebaut, Lebensmittel gespendet und die Bevölkerungen der europäischen Staaten mobilisiert, den „armen Flüchtlingen“ zu helfen. Öffentlichkeitswirksam wurden Kontigente von Flüchtlingen in Deutschland und anderen EU-Ländern aufgenommen. Mit dem offiziellen Kriegsende begannen die ersten Abschiebungen. Die eben noch großzügig aufgenommenen Flüchtlinge wurden wieder gewaltsam zurückbefordert. Diesmal ohne Presse, versteht sich. Der Krieg war offiziell zu Ende, es wurde zur Tagesordnung zurückgekehrt.

Niemand interessiert sich für das Schicksal der Menschen, die zwangsweise in das Kosovo abgeschoben wurden und werden. Ähnliches gilt auch für Abschiebungen nach Serbien oder Montenegro, die von den deutschen Behörden gerne als alternative Abschiebeziele benutzt werden. Doch auch diese Praxis ist äußerst fraglich, denn für abgeschobene Kosovo-Flüchtlinge ist eine Registrierung als Binnenvertriebene weder in Serbien noch in Montenegro möglich. Ohne eine solche Registrierung wird allerdings die Inanspruchnahme grundlegender Rechte, einschließlich Gesundheitsfürsorge, Arbeitslosenunterstützung, Rente, Sozialversicherung und Unterkunft verwehrt. So entsteht eine Situation, deren Folge letztlich eine rechtliche und soziale Marginalisierung ist. Außerdem wird durch solche Abschiebungen internationales Recht gebrochen, wie das der UNHCR in seiner Erklärung von Mitte September erläutert: „Schließlich ist der UNHCR der Ansicht, dass zwangsweise Rückführungen von Personen aus dem Kosovo nach Serbien und Montenegro (ohne Kosovo) auf der Grundlage der internen Flucht- oder Umsiedlungsalternative dem Geist der Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates widersprechen, in der das Recht aller Flüchtlinge und Binnenvertriebenen betont wird, an ihren ursprünglichen Wohnort im Kosovo zurückzukehren. Solange das nicht möglich ist, sollten Flüchtlinge aus dem Kosovo das Recht haben, Asyl zu beantragen und zu genießen und im Asylland zu verbleiben.“

Davon wollen die verantwortlichen Politiker in Deutschland nichts wissen. Heute - fünf Jahre nach dem offiziellen Kriegsende – reden sie sowieso nicht mehr so gern vom Kosovo. Das große Projekt der rot-grünen Regierung ist gescheitert, doch das will und soll niemand wissen. Durch den Krieg im Kosovo wurde die „humanitäre Katastrophe“, die eigentlich verhindert werden sollte, erst geschaffen. Die Bewohner der Flüchtlingslager in Serbien, all die vergessenen Menschen dieses vergessenen Krieges warten weiterhin auf konkrete Solidarität und Hilfe jenseits von Regierungen und NGOs, da sie von diesen nichts mehr erwarten können. Wie dies möglich gemacht werden kann, ist die Frage mit der dieser Artikel endet.
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Ergänzungen

Film zum Jugoslawien-Überfall

internationale KommunistInnen 25.01.2005 - 15:55
Info- und Mobilisierungs- Veranstaltung
Gegen die NATO-Sicherheitskonferenz in München

Auch in diesem Jahr findet in München vom 11./12. Februar die Nato-Sicherheitskonferenz statt. Dort werden sich Kriegspsychologen, sogenannte Sicherheitsexperten mit führenden Repräsentanten aus Politik und Wirtschaft treffen. Wie in jedem Jahr plant auch 2005 ein breites Bündnis Widerstand gegen das Natotreffen. GenossInnen der Berliner Anti-Nato-Gruppe (B.A.N.G.) informieren über den Stand der Proteste und die Mobilisierung in Berlin.

Anders als große Teile der deutschen Friedensbewegung wenden wir uns nicht nur gegen die Politik der USA, sondern gegen die Kriegspläne aller imperialistischer Staaten und hier besonders der deutschen Regierung. Deshalb soll über die strategischen Projekte des deutschen Imperialismus, wie die Nordafrika Mittelost Initiative der Deutschen Wirtschaft informiert werden, die auf der parallel zur Natokonferenz terminierten Finanzierungskonferenz in München abgestimmt werden.

Im Anschluss wird der Film "Es begann mit einer Lüge" über die deutsche Rolle beim Krieg gegen Jugoslawien gezeigt.

Mit leckeren Cocktails. Mit proletarisch-veganer Küche und revolutionärer Musik!

Mi, 02.02.2005 ab 20.30 Uhr
Roter Abend der internationalen KommunistInnen
Im Sama-Cafe, Samariterstr. 32, Berlin-Friedrichshain

 http://www.interkomm.tk

Wau!!!

titi 27.01.2005 - 02:31
Mehr mehr mehr! Das ist ja ein super geile Abhandlung hier auf Indymedia! Warum gibt es nicht öfter so etwas fundiertes, kritisches, gegen-öffentliches??? Hey Leute, was immer ihr tut und macht, wenn es Hand und Fuß hat, dann dokumentiert und postet das endlich mal alles auf Indymedia! Worte und Fakten sind die wichtigsten Waffen, um diese Sch(w)einwelt um uns herum zu entlarven.

Zum Text: Das Kosovo-Problem steuert gerade wieder auf einen neuen Höhepunkt zu. Dies aber nun unter vollen Kontrollen der so genannten Internationalen „Friedenskäfte“. Man kann ja von Milosevic halten was man will, aber dann sollte man es wenigstens besser machen als "er". Doch so wie sie es jetzt anstellen, werden sie es erneut versauen. Die Vertriebenen dürfen sich wohl darauf einstellen, für immer in Zentralserbien bleiben zu müssen, in einem armen Land, das sich gerade dem Westen andient…aber was bleibt Serbien auch weiter übrig, wenn es nicht noch alles schlimmer werden soll. Geld gibt’s nun mal nur unter bestimmten Bedingungen und nicht vornehmlich aus Russland oder China… Die „Radikale Partei“ sitzt ja schon gut ausgestattet in den Startlöchern und wartet nur auf die Gelegenheit. Doch sie werden Serbien zu dem machen, was uns hierzulande jahrelang eingetrichtert wurde.

Noch gibt es aber viele progressive und undogmatische, linke Menschen in Serbien, die es in ihrer politischen Arbeit zu unterstützen gilt. Zaghaft entwickelt sich wieder etwas in Belgrad, Novi Sad und anderswo, was dort in den letzten Jahren gerade noch im Privatleben stattfand. Auch wenn diese Leute manchmal auf den ersten Blick nicht viel mit der Linken in Deutschland gemein haben sollten, so sind sie von uns und unser Machtlosigkeit in den letzten Jahren genauso tief enttäuscht! Aber zuallererst braucht es hierzulande Leute, die das Kosovo und die Situation in Ex-YU noch in ihrem politischen Fokus haben und nach Lösungen, Visionen, Kontakten, konkreten Aktionen, Geldspenden, Kampagnen etc. suchen anstatt nach Schuldigen.

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Kritisch — vanir

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