Solidarität mit den Zapatistas! Bericht der Versammlung im Gedenken an den ermordeten Companero Galeano im Caracol „La Realidad“ und der letzten Worte des Subcomandante Marcos.

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Erlebnisbericht zu den aktuellen Ereignissen der EZLN in Chiapas/Mexico:

Am Freitag den 23. Mai machten sich aus verschiedenen Städten Mexikos Solidaritäts-Karawanen sowie Mitglieder der Basis der EZLN aus den vier weiteren Caracols auf den Weg zum Caracol I „La Realidad- der Mutter der Caracols“, um den Compañeras und Compañeros dort ihre Trauer und Wut über den Mord an José Luis Solís López entgegenzubringen.

 Am 2. Mai wurde die Gemeinde des zapatistischen Verwaltungszentrums „La Realidad“ von der paramilitärischen Gruppe CIOA-C angegriffen – der erste Angriff auf ein Caracol seit deren Gründung im Jahre 2005. Die Anhänger_innen der Gruppe zerstörten die autonome Schule, das zapatistische Krankenhaus sowie die autonom verwaltete Kooperative der Gemeinde. Mit Macheten, Stöcken und Schusswaffen bewaffnet, versuchten sie das eingegrenzte Verwaltungszentrum, welches den zentralen Sitz der autonomen Regierungsstrukturen der EZLN der Zone „La Selva“ darstellt, anzugreifen. Bei dem Versuch, in das Caracol einzudringen, wurden ca. 15 Compas teilweise schwer verletzt. Jósé Luis Solís López, genannt „Galeano“, wurde bei dem Angriff von den Paramilitärs ermordet. Als autonomer Lehrer der Zone und Kandidat für die nächste Wahl des „Rates der guten Regierung“, hat er wichtige Funktionen in der autonomen Verwaltungsstruktur der EZLN innegehabt. Der Angriff verdeutlicht wieder einmal, dass die Repressionen und Angriffe gegen die zapatistische Bewegung anhalten. Der Waffenstillstand zwischen Regierung und EZLN ist einseitig, wie schon so oft bewiesen. Seit dem Aufstand der Zapatistas 1994 und dem Beginn der autonomen Verwaltung der 5 Gebiete in Chiapas, hat der Staat immer wieder zapatistische Gemeinden angegriffen und versucht, die Bewegung zu schwächen und zu unterwandern. Einer der wohl grausamsten Angriffe auf zapatistische Gemeinden ist das Massaker in Acteal 1997, bei welchem 45 Personen aus dem Hinterhalt von Paramilitärs ermordet wurden. Doch auch vor und nach diesem Angriff wurden immer wieder Mitglieder und autonome Gemeinden der EZLN Opfer dieser Aggressionen.

 Um dem ermordeten Compa Galeano zu gedenken, nahmen mehr als 4000 Mitglieder der Basis der EZLN sowie über 1000 Aktivist_innen aus Mexiko-Stadt, Oaxaca, San Cristóbal de Las Casas und vielen weiteren Städten Mexikos an der Versammlung am 24. Mai im Caracal La Realidad teil. Bei der Anreise war zu sehen, dass in der autonomen Zone rund um das Caracol neben den bereits bekannten Schildern, die die autonome Verwaltung des Gebietes durch die EZLN proklamieren, weitere Schilder mit den Aufschriften „¡Compañero Galeano justicia no venganza!“ (Compañero Galeano, Gerechtigkeit keine Rache!) und „¡Jefe Paramilitar Manuel Velasco Coello y supremo líder paramilitar Peña Nieto acesinos y criminales no estarán en paz!“ („Paramilitärchef Manuel Velasco Coello und oberster Anführer der Paramilitärs Pena Nieto sind Mörder und Kriminelle- ihnen keine Frieden!) aufgestellt wurden, um an den Angriff und den ermordeten Compañero zu erinnern. Und auch im Caracol selbst waren Transpis mit den Aufschriften „Galeano vive, la lucha sigue“ (Es lebe Galeano, der Kampf geht weiter) und „Alto a la guerra conta la EZLN“ (Stopp zu dem Krieg gegen die EZLN) aufgehängt.

 Nachdem die Compañerxs und Aktivist_innen sich im Caracol versammelt hatten, begann die Versammlung gegen Mittag mit einer Auftaktveranstaltung, bei welcher sich die Mitglieder der Basis der Bewegung geschützt von „milizianos“ auf dem zentralen Platz versammelte, geschlossen ihre Kraft und ihre Entschlossenheit im Widerstand demonstrierten und Subcomandante Marcos begrüßten. Nach seiner 5 jährigen Abwesenheit trat Marcos nach langer Zeit wieder vor die Öffentlichkeit und begrüßte vom seinem Pferd aus, mit Pfeife im Mund und Augenklappe über dem rechten Auge, die zapatistische Basis sowie die Soli-Karawanen.

 Gegen Nachmittag begann dann die Veranstaltung im Gedenken an den ermordeten Compañero Galeano. Die Mitglieder der Basis der EZLN sowie die Besucher_innen der Karawanen stellten sich in Reihen vor der Bühne auf, von welcher aus Subcomandante Moisés seine Rede verlas. Neben Worten der Trauer drückte Moisés seine Wut auf die „schlechte Regierung“ aus. „Dolor y rabia“ (Schmerz und Wut), die Schlagworte der letzten Tage, die die Kampagne „Galeano Vive“ begleiten. Moisés erklärt, diese Wut sei die Wut auf den Kapitalismus. „Die 'schlechte Regierung' denkt und will, dass wir uns unter Indígenas töten. Sie wollen, dass wir unsere Köpfe verlieren, sie wollen, dass wir verrückter sind als sie, sie wollen, dass wir mörderischer sind als sie, um in den verkauften Medien, welche sie gekauft haben, zu sagen, dass es ein innergemeinschaftliches Problem ist.“ Die Wut solle sich gegen das kapitalistische System und seine Regierungen, nicht aber gegen die Menschen, die das System zum Machterhalt ausnutzt und gegeneinander ausspielt, richten. Nach diesen klaren Worten, folgte ein Moment des Abschieds, in welchem alle Anwesenden das Grab Galeanos besuchen konnten.

 In den frühen Morgenstunden trat Subcomandante Marcos nach seiner kurzen Begrüßung am Mittag erneut vor die Compas der EZLN und die Besucher_innen der Soli-Karawanen, um sein Kommuniqué „Entre la luz y la sombra“ (zwischen Licht und Schatten) zu verlesen und seinen Abtritt zu erklären. Während einer der ersten Sätze, in welchem er das Ende der Existenz des Subcomandante Marcos ankündigt, auf seinen endgültigen Tod hindeuten, deckt Marcos diesen Irrtum schnell auf: „Wenn Sie mir erlauben, die Figur Marcos zu definieren, dann sage ich Ihnen ohne Umschweife, dass es ein Karnevals-Kostüm war“.

 Die Konstruktion der Figur des Subcomandante Marcos begann kurz nach dem Aufstand der EZLN im Januar 1994.

 „Nur wenige Tage später, mit dem Blut unserer gefallenen noch frisch auf den Straßen, bemerkten wir, dass die von außerhalb uns nicht sehen konnten. Gewohnt von oben auf die Indígenas herabzuschauen, hatten sie ihren Blick nicht erhoben, um uns zu sehen. Gewohnt, uns erniedrigt zu sehen, verstanden ihre Herzen unsere würdevolle Rebellion nicht. […] Ihr Blick war fixiert auf den einzigen Mestizen mit Pasamontañas, das heißt, auf den Einzigen, den sie nicht sehen konnten. Unsere Kommandant_innen sagten daher: ‚Sie sehen nur das, was so klein ist wie sie. Nehmen wir einen, der so kein ist wie sie, damit sie ihn sehen und durch ihn uns sehen'. Es begann die Kreation der Person, genannt 'Marcos'. Es begann ein komplexes Ablenkungsmanöver, ein furchtbarer und wunderbarer Zaubertrick eines heimtückischen Spieles des indigenen Herzens, welches wir sind. Die indigene Weisheit fordert die Moderne in einer ihrer Hochburgen heraus: Den Massenmedien.“

 Nicht die Organisation brauchte eine Persönlichkeit, einen öffentlichen Sprecher, eine Figur mit Wiedererkennungsmerkmalen. Marcos war eine Strategie, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der Medien zu erhalten und gleichzeitig auf diese Art und Weise mit den Mechanismen der Massenmedien zu spielen. So erklärte Marcos: „Es war besonders komisch, was der Personenkult in den Politolog_innen und Analytiker_innen von oben hervorgerufen hat“, und erklärt weiter: „Es ist unsere Überzeugung und unsere Praxis, dass man für Rebellion und Kampf keine charismatischen Anführer oder Chefs braucht, keinen Messias und keinen Erlöser; um zu kämpfen braucht man ein bisschen Anstand, etwas würde und viel Organisation – und sonst: Entweder man trägt zum Kollektiv bei oder man taugt nichts.“

 So waren beispielsweise auch die Gerüchte, die seit Jahren um die Erkrankung und den Tod des Subcomandante kreisen inszeniert: „In der Tat war das der einfachste Teil der Figur. Um das Gerücht zu füttern, war es nur notwendig bestimmten Leuten zu sagen: 'Ich werde dir ein Geheimnis erzählen aber versprich mir, dass du es keinem weitererzählen wirst'. Natürlich haben sie es weitererzählt.“

 Durch die Öffnung der Bewegung in Form der 'La Sexta' (Zusammenschluss von mit der EZLN solidarischen Organisationen) und der 'Escuelita zapatista' (der kleinen zapatistischen Schule), sei klar geworden, dass „Marcos, die Figur, nicht mehr notwendig war.“

 „Wir dachten, dass es notwendig ist, dass eine_r von uns stirbt, damit Galeano lebt.[…] So haben wir beschlossen, dass Marcos heute aufhört zu existieren.“

 Mit den Worten „Mit meiner Stimme wird nun nicht mehr die Stimme der EZLN sprechen. Ok. Gesundheit und bis niemals... oder bis immer, wer verstanden hat wird wissen, dass das nicht mehr wichtig ist, dass es niemals wichtig war“, verabschiedet sich Subcomandante Marcos von allen Anwesenden und fügt noch einige ironische Sätze hinzu bevor das Licht ausgeht und er ganz verschwindet.

 Einige Momente, nachdem Marcos die Bühne verlassen hat ertönt eine Stimme aus den Lautsprechern: „Habt einen guten Morgen Compañeras und Compañeros. Mein Name ist Galeano, Subcomandante Insurgente Galeano. Heißt noch jemand Galeano?“

 !Galeano Vive!

 

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Ergänzungen

Die 5 caracoles, (zapatistsiche verwaltungszentren und sitz der guten regierung) wurden im August 2003 gegründet.

das massaker 1997 richtete sich gegen die ABEJAS, einer basisidemokratischen organisation, die mit den zapatistas solidarisch ist.