„Emanzipation und Frieden“ und ihr Konzept des „regressiven Antikapitalismus“

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Die Gruppe „Emanzipation und Frieden“ hat ihre hauptsächliche politische Praxis darin, Kritik, die in dieser Gesellschaft verbreitet ist, als gefährlich zurückzuweisen. Egal ob es gegen den Irak-Krieg, Stuttgart 21, Israel oder das internationale Bankenwesen geht: Überall entdeckt sie „regressiven Antikapitalismus“. Ihr theoretisches Konzept, das dem zugrunde liegt, und das in dem Flugblatt „Was ist regressiver Antikapitalismus?“ (alle Zitate, soweit nicht anders angegeben, daraus)1 vorgestellt wird, soll im Folgenden kritisiert werden.

Der folgende Artikel ist entommen aus der GEGEN_KULTUR #4 - Kritik antideutscher Positionen: Aber hier Leben? Nein danke. Beiträge gegen Staat, Nation und Kapital II. Zu bestellen für 7 Euro auf www.gegen-kultur.de. ISBN: 978-3-943269-06-2

Die Gruppe „Emanzipation und Frieden“ hat ihre hauptsächliche politische Praxis darin, Kritik, die in dieser Gesellschaft verbreitet ist, als gefährlich zurückzuweisen. Egal ob es gegen den Irak-Krieg, Stuttgart 21, Israel oder das internationale Bankenwesen geht: Überall entdeckt sie „regressiven Antikapitalismus“. Ihr theoretisches Konzept, das dem zugrunde liegt, und das in dem Flugblatt „Was ist regressiver Antikapitalismus?“ (alle Zitate, soweit nicht anders angegeben, daraus)1 vorgestellt wird, soll im Folgenden kritisiert werden.

1. Überall ‚verkürzte‘ Kritik:

Die muss wohl aus dem Inneren des Menschen kommen

In den kritischen Augen von Emanzipation und Frieden ist die Welt voll von gefährlicher Kritik: Deutsche Öffentlichkeit und Volk hetzen gegen die „faulen Griechen, die uns auf der Tasche liegen“, „am Stammtisch“ geht es gegen „Gierige“, „Bankster“, „Heuschrecken und Spekulanten“ oder „die Politiker“, auch Kritik am „vaterlandslosen Finanzkapital“ erfreut sich einer gewissen Beliebtheit. Diese Erklärungen und Schuldzuschreibungen wollen Emanzipation und Frieden zwar zurückweisen, kritisieren aber wollen sie sie nicht: Ohne sich nämlich überhaupt die Mühe zu machen, herauszufinden, was da jemand an welchem Zustand auszusetzen hat – ob jemand gegen die „faulen Griechen“ hetzt (was hat er denn gegen die Griechen vorzubringen?), ob „die Politiker“ für die verschiedensten Problemlagen verantwortlich gemacht werden (für welche denn?), ob gegen „gierige Manager“ geschimpft wird (was hat wer denn an denen auszusetzen?) – dienen alle diese sehr unterschiedlichen Vorstellungen EmaFrie nur zum Beleg dafür, dass überall Schuldige gesucht werden.2 Ihr theoretisches Interesse an den von ihnen zurückgewiesenen Vorstellungen kürzt sich auf das Abstraktum zusammen, dass dort Personen die Verantwortung für dieses oder jenes zugeschrieben wird. Wem da was vorgeworfen wird – das zu wissen, ist immer noch Voraussetzung für die Kritik einer solchen Vorstellung – interessiert von diesem Gesichtspunkt aus nicht.

Dementsprechend inhaltsleer fällt auch der Grund einer solchen „verkürzten“ Kritik aus, den EmaFrie sich zurechtkonstruieren: „Es ist der spontan-unreflektierte Aufschrei gegen die Verhältnisse, der nicht über die Nasenspitze hinaus denkt.“ Ihnen dient einfach jede bestimmte Kritik, auf die sie sich beziehen, als Beispiel dafür, dass nirgends in der Gesellschaft nachgedacht wird. Insofern ist es auch egal, worin eine Kritik besteht, weil EmaFrie ohnehin wissen, dass sie durch Denken nicht zustande gekommen sein kann. Beliebige Einwände, die Bürger gegen dieses oder jenes vorzubringen haben, werden so als Standpunkt aufgegriffen, dem einfach abgesprochen wird, Resultat einer geistigen Auseinandersetzung zu sein. Dabei leisten sie sich den Widerspruch, dass sie sich im Ausgangspunkt immer auf eine bestimmte Analyse beziehen müssen (die z. B. darin besteht, dass die Finanzkrise ihre Ursache in der Profitgier von Kapitalisten habe), um ihr dann abzusprechen, überhaupt eine zu sein: „Analyse gesellschaftlicher Zusammenhänge ist dieser Weltsicht fremd.“ Wenn es sich bei den zitierten Vorstellungen also nicht um eine bestimmte Beurteilung der Welt handeln kann, ‚weil‘ am Ende Personen kritisiert werden, dann ‚muss‘ dort wohl das „Ressentiment“ regieren, also eine „spontane“ Abneigung ohne jeden inhaltlich bestimm- und somit kritisierbaren Gedanken, ein „Gefühl“, eben ein dumpfes, nicht weiter begründetes Vorurteil, das diese Menschen einfach in sich drin haben.

Dass Schuldzuschreibungen gegenüber Kapitalisten, Politikern, Ausländern usw. ihren Grund in einem „spontan-unreflektierten Aufschrei gegen die Verhältnisse“ haben, (gegen „die Verhältnisse“ richtet sich diese Kritik übrigens sowieso nicht, sondern gegen einzelne als schädlich ausgemachte Akteure in den Verhältnissen, daran stoßen sich EmaFrie ja gerade), also in einer Abneigung, die ohne Denken auskommt, kann aber gar nicht sein: Woher weiß der ressentimentgeplagte Mensch denn, auf welches Objekt er seinen Unmut richten soll? Ob er was gegen Ausländer, Politiker, Banker, Juden oder Kommunisten haben soll? Aus dem Ressentiment selbst kann die Gegnerschaft zu einer dieser bestimmten Gruppe ja nicht folgen, denn das ist nach der Definition, die EmaFrie selbst angeben, frei von jedem bestimmten Inhalt, weil es auf der Gefühlsebene angesiedelt ist, auf der der Mensch angeblich nicht denkt und zwischen Objekten unterscheidet, sondern sich „spontan“, also ohne Reflexion äußert. Um darauf zu kommen, „gierigen Kapitalisten“ die Schuld an der Wirtschaftskrise zuzuschreiben, ist aber schon ein bestimmtes Urteil über die kapitalistische Welt vorausgesetzt, das sich der Kritiker erst mal gemacht haben muss: Eines nämlich, welches das Kapital ganz prinzipiell für eine so dienstbare Institution für die Gesellschaft hält, dass es sich Schäden in der Gesellschaft nur als Abweichung von diesem guten Auftrag erklären kann, dass also dort eine Verfehlung Einzelner vorliegen muss, die sich an ihrem ‚eigentlichen‘ Auftrag vergehen würden. Nun mag es ja durchaus sein, dass sich solcherlei Schuldzuschreibungen als Gefühl bei Menschen äußert und nicht als ausformulierte Theorie daherkommt (wenn darin der Gegensatz bestehen soll). Wenn dieses Gefühl aber darin besteht, sich selbst „dem großen und guten Kollektiv der Ehrlichen und Betrogenen“ zuzurechnen, muss der so fühlende Mensch zwangsläufig schon über Maßstäbe der Beurteilung verfügen, an denen er festmacht, was sich gesellschaftlich als anständige Handlung gehört, also „ehrlich“ ist und inwiefern er um was „betrogen“ wurde. Über diese Urteile und die ihnen zugrundeliegenden Maßstäbe aber wollen weder Emma noch Fritz reden, sondern haben mit ihrer eigenen Erfindung, der „Aversion gegen das Abstrakte“, die der bürgerliche Mensch einfach ‚in sich drin‘ habe, eine erstklassige Erklärung gefunden, die aufgrund ihrer Inhaltslosigkeit wunderbar dazu taugt, jede unliebsame Kritik unter ihre eigene Abstraktion zu subsumieren und damit argumentlos abzukanzeln.

2. So eine verquere Psyche: Dahinter muss der Warenfetisch stecken

Emanzipation und Frieden kritisieren also keine der Vorstellungen, denen sie das Label des „regressiven Antikapitalismus“ verpasst haben; sie weisen ihnen nicht für sich ihre inhaltlichen Fehler nach, sondern halten nichts als die Differenz zu ihrer eigenen, dann mit dem Etikett „reflektiert“ geadelten Kapitalismuskritik fest.3 Als ob ein Gegner des Zinses nicht per Reflexion auf seine Gegnerschaft gekommen wäre und als ob die bloß formelle Tatsache, dass man eine bestimmte Analyse reflektiert, die Korrektheit der Analyse verbürgen würde! Ihr Einwand schlechthin gegen jede ungewünschte „Kapitalismuskritik“, auch wenn sie den Kapitalismus überhaupt nicht kritisiert, besteht darin, dass sie „weit unterhalb dessen [bleibt], was Kapitalismuskritik leisten muss“ – aber was ‚muss‘ eine Kritik eigentlich leisten? Der Sache nach muss Kritik nichts anderes leisten, als ihren Gegenstand korrekt zu erklären und alle verkehrten Theorien, die es über eine Sache gibt, als falsch widerlegen, also nachweisen, worin ihre Fehler liegen und nicht nur eine Abweichung von der eigenen Sicht der Dinge feststellen. Emanzipation und Frieden hingegen tun genau das: Sie werfen den kritisierten Theorien vor, nicht dieselbe Theorie zu sein wie die, die sie als die richtige eingesehen haben – und vermissen von diesem Gesichtspunkt aus etwas, was Kritik wirklich nicht leisten kann, nämlich vor „problematischen Verkürzungen“ zu warnen: Sie schreiben jeder Gesellschaftskritik somit jenseits von ihrem Inhalt, als äußere Bedingung, die moralische Pflicht zu, sich keiner „gefährlichen“ Gedanken schuldig zu machen und stattdessen eine „emanzipatorische Perspektive“ zu entwickeln. So polemisieren sie gegen „Billigrezepte aus dem Schnellkochtopf“, „vorschnelle Antworten“ und „Pseudo-Alternativen“, die von „Sozialquacksalbern“ einem Publikum, „das nach einfachen Antworten lechzt“, vorgeführt werden, etc.: Was spricht gegen „einfache Antworten“, wenn sie stimmen?! Was spricht gegen „Billigrezepte aus dem Schnellkochtopf“, wenn das Essen gut ist?! Es wird eben kein einziges Argument geliefert gegen das, was so ein „Sozialquacksalber“ zu erzählen hat, aber die Vorstellung ist einsortiert und vor allem identifiziert als Gegenpol zu einer sehr komplizierten und gar nicht einfach gedachten Analyse, über die EmaFrie ganz bestimmt sehr viel reflektiert haben.

Aufgrund ihrer „reflektierten Kapitalismuskritik“ wissen sie schließlich auch, dass die positive Stellung der bürgerlichen Subjekte zu „Ware, Wert und Arbeit“ – und daraus folgend auch die „Ressentiments“ – nicht zufällig auftreten und auf keinen Fall auf vielleicht verkehrte, aber doch selbstgemachte Überlegungen der bürgerlichen Subjekte zurückzuführen, sondern systemnotwendig sind, weil sie „dem auch von [der Traditionslinken] nie durchschauten Warenfetisch, der die bürgerliche Gesellschaft beherrscht, [entspringen]“. Die Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft befinden sich also in einer beständigen geistigen Gefangenschaft, aufgrund derer sie ‚in sich‘ ganz viele Ressentiments und Vorurteile haben, über die sie selbst gar nicht mal unbedingt so viel wissen (können) – die Armen! EmaFrie attestieren, dass „in einer Gesellschaft, in der der Wert regiert, alles, auch der Mensch, zur Ware [wird]“, um daraus den Schluss zu ziehen, dass sein Bewusstsein notwendigerweise verblendet ist: „Der kapitalistisch vergesellschaftete Mensch erliegt dem Fetisch der warenproduzierenden Gesellschaft, die ihm als die einzig mögliche aller Welten erscheint.“4 Wenn der Mensch aber gar nichts dazu kann, wie er über die kapitalistische Welt nachdenkt, sondern er „dem Fetisch“ alternativlos „erliegt“, bleibt die Frage, wie es EmaFrie dann geschafft haben, sich aus der alternativlosen geistigen Umnachtung zu befreien, wenn man die kapitalistische Wirklichkeit doch eigentlich gar nicht durchschauen kann?!
Sämtliche Bestimmungen des Kapitalismus, die sie zitieren, verwandeln sie umgehend in eine Welt quasi-psychologischer Kategorien, die den verblendeten Charakter des bürgerlichen Bewusstseins und die gesellschaftliche Notwendigkeit der entdeckten „Ressentiments“ untermauern sollen: Ja, wenn sogar „der Mensch“ zur Ware wird, dann muss dadurch wohl seine ganze Psyche durchsetzt vom Fetisch und verblendet vom Warencharakter sein, er ist gezwungen, falsch oder überhaupt nicht zu denken, sein ganzer Geist muss von der ‚kapitalistischen Vergesellschaftung‘ präformiert sein, die in ihm bitterböse „Ressentiments“ produziert. – Zusammengenommen nichts als eine Behauptung, die einen intellektuell gerechtfertigten guten Grund dafür liefern soll, warum so viele Menschen in der bürgerlichen Welt so verkehrte Vorstellungen über die Ursachen ihres Schadens im Kopf haben. Auch eine Weise, sich mit für verkehrt befundenen Weltbildern theoretisch abzufinden: Dadurch hat man sie nämlich für unkritisierbar erklärt.

3. Auch das noch: Wer Personen kritisiert, will (eigentlich) Juden vernichten

So wenden sich Emanzipation und Frieden ständig gegen verkehrte Kritik, die sie in der bürgerlichen Welt wirklich nicht lange zu suchen brauchen, um ihr mit moralischen Titeln zu begegnen, sie sei – weil sie „verkürzt“ sei und keine „Systemzusammenhänge“ zur Kenntnis nehme – sehr gefährlich, weil sie im Endeffekt wahlweise zu einer „Geringschätzung individueller Freiheit“ oder gar einer „Parteidiktatur“ führe und ohnehin gegen eine „emanzipatorische Perspektive“, was immer darunter zu verstehen ist, gerichtet sei: Wer als Erwiderung auf eine bestimmte Weltsicht mit dem moralischen Hammer einer „Parteidiktatur“ lediglich die behauptete Wirkung einer Theorie skandalisieren kann, widerlegt damit kein einziges Argument, sondern setzt bei seinen Zuhörern einfach eine ihrerseits unbegründete positive Stellung zu den in Anschlag gebrachten Prinzipien voraus: Hier wird nämlich nicht für die Hochschätzung der Freiheit argumentiert, sondern von ihr her. Selbst wenn die „individuelle Freiheit“ des Menschen – die als staatlich geregeltes Herrschaftsverhältnis in der bürgerlichen Gesellschaft die Verpflichtung der Bürger darauf bedeutet, nur mit den ihnen privat gehörigen Mitteln zurechtzukommen, sie also als freie Individuen von sämtlichen Mitteln ihres Zurechtkommens getrennt sind – für diesen eine erstklassige Angelegenheit wäre, wird hier nur eine Sache an einer anderen gemessen und das negative Ergebnis des Vergleichs als Kritik der zurückgewiesenen Vorstellung behauptet. Auch bei Marx sind sie, obwohl er die „Grundlagen einer reflektierten Kapitalismuskritik geschaffen hat“ nicht ganz sicher, weil auch er „nicht immer frei von problematischen Verkürzungen“ war. – Lauter Theorien werden also nach theoriefremden Maßstäben, nämlich nach denen der moralischen Berechtigung beurteilt: So erfährt man nichts über die besprochenen Theorien, außer, dass EmaFrie sie für „problematisch“, weil „verkürzt“ halten. Weil sie nämlich wissen, wie gefährlich die Theorien werden könnten, wollen sie sich mit deren Inhalt auch nicht weiter auseinandersetzen.

Der eigentliche Hammer jedoch besteht für sie darin, dass jede Kritik, die sich auf Personen bezieht, eigentlich schon so gut wie auf dem Sprung zur Judenvernichtung steht: „Diese Art von ‚Kapitalismuskritik‘ ist nicht weit weg vom antisemitischen Ressentiment.“ – Dafür ist es ihnen ihrem abstrakten Denken entsprechend auch egal, ob sie sich auf Kommunisten, Sozialdemokraten, Blockupy, die S21-Bewegung oder die NPD beziehen – überall sind eigentlich heimliche Antisemiten unterwegs, die zwar den Judenhass selber nicht unbedingt subjektiv betreiben müssen, aber „das Schema“ anwenden, an dem EmaFrie sich abarbeiten: Das besteht darin, „die unpersonale Herrschaft der warenproduzierenden Gesellschaft [zu personalisieren.]“5 Weil also der Kritik an pflichtvergessenen Kapitalisten, gierigen Spekulanten usw. nicht ihre verkehrte Logik nachgewiesen, sondern sie als „Ressentiment“ zurückgewiesen wurde, erinnert sie diese Kritik an den Antisemitismus, den sie auch einfach für ein „Ressentiment“, also einen psychologischen Mechanismus im tiefsten Inneren des Menschen halten.

Die Analogie zwischen „personalisierender Kritik“ und dem Judenhass, der als so etwas wie deren ‚logische Verlängerung‘ behandelt wird, lebt von einer einzigen Sache: EmaFrie wissen davon, dass im Weltbild des Antisemitismus durchaus raffendes gegen schaffendes Kapital gesetzt wird, das Bild des Juden i. d. R. darin besteht, dass er sich als reicher gieriger Geldsack auf Kosten anderer bereichere und dadurch fremde Völker ausblute. Weil sie in diesem sog. „Ressentiment“ den Grund des Antisemitismus behaupten,6 fällt ihnen eine Parallele, also nur eine Ähnlichkeit auf mit Kritik, die von ganz anderer Stelle geäußert wird: Wer die Kapitalisten kritisiert, weil sie fremde Arbeit zum Zweck der Mehrwertproduktion anwenden und darüber die Arbeiter zerstören, mache sich derselben Personalisierung schuldig. Dadurch sind Antikapitalismus und Antisemitismus identisch gesetzt – aus keinem anderen Grund als dem, dass Personen kritisiert werden. Dabei springt doch der Unterschied beider „Personalisierungen“ ins Auge: hat der eine, der Antikapitalismus, gerade die Kapitalisten, immerhin durch ihr Eigentum an Kapital als Klasse bestimmte Personen, für ihr Interesse, das sie gegen die abhängig Beschäftigten verfolgen, kritisiert, will der andere, der Antisemitismus, nichts vom Antagonismus der Klassen wissen, sondern nur von nationalen Kollektiven, unter denen er die Juden als ein besonders schädliches, weil hinterlistig agierendes einstuft. Die behauptete Identität zwischen „personalisierender Kritik“ und Antisemitismus besteht also in nichts anderem als ihrer eigenen Abstraktion, mit der EmaFrie auf die Welt losgehen: Wer Personen kritisiert – egal, was er ihnen vorzuwerfen hat – will eigentlich, eben aufgrund des „Ressentiments“, das EmaFrie ihm als irrationalen, ganz tief im Innern steckenden Beweggrund anhängen, Juden vernichten. Mit dem marxschen Spruch vom Kapital als „automatischem Subjekt“ gewappnet, entdecken EmaFrie somit an jeder Kritik, die nicht wie sie nur abstrakt beschwören will, wie komplex, vermittelt und schwierig einzusehen doch eigentlich alles sei, den Ausgangspunkt für Antisemitismus. Folgerichtig behaupten sie über den auch, dass er „nicht Rassismus, sondern falscher Antikapitalismus“7 sei.

4. Was zu tun bleibt: Kritisch denken, um den eigenen Geist zu emanzipieren

Mit diesem Gedankengebäude ist das Weltbild von EmaFrie eigentlich fertig: Überall wimmelt es nur so vor gefährlicher Kritik, ‚deren‘ Konsequenzen man übrigens an Auschwitz besichtigen können soll. Also kommt es beim Nachdenken über die kapitalistische Welt sehr darauf an, schwer Acht zu geben und sich zusammenzunehmen, ja nicht an „Ressentiments“ anzuknüpfen, die tief versteckt in der eigenen Psyche lauern. Wenn nämlich die Vorstellung „vermeintlich ‚unproduktiver Schmarotzer‘ […] seine Ursache [!] im fehlenden Verständnis für die grundlegenden Zusammenhänge der warenproduzierenden Gesellschaft hat“, ist das ein einziger Auftrag an den ‚kritisch Denkenden‘, diese „grundlegenden Zusammenhänge“ mitsamt zugehörigem Fetisch ständig zu reflektieren – aber nicht primär zu dem Zweck, sich die Schäden, die man erfährt, im Interesse ihrer Abschaffung zu erklären, sondern um sich ja keiner „problematischen Verkürzungen“ schuldig zu machen, weil die in der Judenvernichtung gipfeln könnten. Die Behauptung allerdings, dass verkehrte Erklärungen über irgendwelche Phänomene ihre „Ursache“ in einem „fehlenden Verständnis“ über die kapitalistische Gesellschaft hätten – und aus diesem Argument leiten sich EmaFrie ihre Pflicht zur Gesellschaftskritik ab –, kann überhaupt nicht stimmen: Grund für die Bezichtigung irgendeines Subjekts muss schon ein Gedanke sein – mag er auch verkehrt sein –, den sich ein Mensch gemacht hat und kann nicht darin liegen, dass er sich einen anderen – den, den sich EmaFrie machen – nicht gemacht hat. Es ist überhaupt ein Widerspruch, den Menschen auf der einen Seite ihre subjektiven Gründe für den Hass auf Ausländer, Kritik am Kredit usw. abzusprechen, indem man diese Vorstellungen zu „spontanen“ Gefühlen erklärt, die in ihnen drin stecken würden, die man deswegen auch nicht aus ihnen heraus bekommt (und eine gnadenlose Verharmlosung obendrein!), und auf der anderen Seite das Heilmittel darin zu suchen, per Gedankentätigkeit darüber zu reflektieren: Wenn das Bewusstsein des Menschen durch seine im Inneren verwurzelten „Ressentiments“ bestimmt ist, was interessiert ihn dann eine Reflexion darüber? Dann ist sein Bewusstsein mit dem „Ressentiment“ zum Inhalt doch schon fix und fertig; dann hilft es auch nicht, ihm zu sagen, er solle mal darüber reflektieren, weil das „Ressentiment“ gerade zum Ausdruck des Unreflektierten erklärt wurde: Hätte er reflektieren wollen, dann hätte er das Ressentiment ja wohl nicht gehabt. Im Endeffekt kürzt sich diese ‚Erklärung‘ des Denkens der Leute zu einer einzigen Identitätszuschreibung zusammen, die das, was jemand im Kopf hat, zu einer Eigenschaft seiner Person erklärt: Die einen haben halt was gegen Ausländer, Spekulanten, Juden, usf., weil sie „unreflektiert“ und ‚ressentimentbehaftet‘ sind, die anderen haben stattdessen ‚kritisch gedacht‘ und sind dadurch in die Lage gesetzt, sich von ihrer inneren Natur wenigstens ein Stück weit zu emanzipieren. Das ist dann auch die einzige Praxis, die sie sich für eine ‚antikapitalistische Perspektive‘ vorstellen können: Ständig davor zu warnen, nicht dem dumpfen Inneren seiner Psyche zu erliegen, sondern immer zuerst sich selbst zu reflektieren. Statt nach „einfachen Antworten“ zu suchen – an denen erst mal nicht interessiert, ob sie stimmen oder nicht, sondern dass sie zu einfach gedacht sind – soll der Mensch ständig sich und sein Inneres überprüfen, aufpassen, dass er seine „Ressentiments“ und unreflektierten „Aversionen“ in den Griff bekommt. Gesellschaftskritiker, die etwas an der kapitalistischen Wirklichkeit auszusetzen haben, handeln sich somit per se den Vorwurf ein, grässliche Vereinfacher und gefährliche Hetzer zu sein, die also gefälligst Ruhe geben sollen und damit anzufangen haben, sich und ihre Psyche infrage zu stellen, bevor sie sich zu irgendetwas äußern. Die Kritik der politischen Ökonomie, der sie bei Marx ja immerhin noch einige Einsichten über die unvernünftige Natur der kapitalistischen Reichtumsproduktion ablauschen konnten, ist damit überführt in eine moralische Verantwortung, der der kritische Geist im Interesse seiner geistigen Emanzipation nachkommen muss, weil er von Auschwitz so betroffen ist.
Deswegen ist umgekehrt für den Nachvollzug der Kritik, die EmaFrie unters Volk bringen wollen, eigentlich auch die dafür nötige antifaschistische Moral vorausgesetzt: Es lässt sich nämlich kein Mensch, der die „vaterlandslosen Spekulanten“ für sein größtes Problem hält, dadurch von seiner Vorstellung abbringen, dass man seine Analyse für gefährlich, weil potentiell antisemitisch erklärt. Dafür wäre schon nötig, auf seine Urteile einzugehen, um denen ihre verkehrte Logik nachzuweisen.

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Und was hat es nun mit dem „regressiven Antikapitalismus“ auf sich, den EmaFrie an jeder Stelle entdecken?

1. entdecken sie ihn überall aus keinem anderen Grund, als weil sie ihn überall hineinlesen: Er besteht ja in nichts anderem als in ihrer eigenen Abstraktion, dass Personen kritisiert werden. Sie wollen nicht unterscheiden zwischen Kritik, die sich auf Finanzmagnaten, auf den Kredit, auf Ausländer, auf Amerika oder auf Juden richtet, sondern entdecken überall die Tendenz zum Antisemitismus;

2. hat der Großteil der Vorstellungen, denen sie das Etikett des „regressiven Antikapitalismus“ geben, überhaupt nichts mit einem Antikapitalismus zu tun, weil diese Kritiker, wie von EmaFrie selbst attestiert, nichts gegen eine Produktion zum Zweck der Profiterwirtschaftung einzuwenden haben: „Viele […] verzichten gar auf die geringste Kritik am Kapital.“ – Kritik des Kapitals ohne Kritik des Kapitals?! Die zitierten Sichtweisen richten sich eben gegen den Teil der Kapitalisten, den sie als schädlich für die nationale Gemeinschaft beurteilen, der sie sich zugehörig fühlen. Diese Kapitalisten werden also zum Ziel eines bestimmten Nationalismus – die korrekte Bezeichnung für viele der von EmaFrie unter „regressivem Antikapitalismus“ gelabelten Vorstellungen;

3. ist dieser Nationalismus nicht regressiv, wollen diese Kritiker doch überhaupt nicht zurück hinter den Kapitalismus, sondern nach vorne in eine Zukunft, in der jedes Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft zu seiner ordnungsgemäßen Pflichterfüllung mit dem dafür nötigen Aufwand an Gewalt gezwungen wird. Und die zweite Bedeutung von „regressiv“, die darin besteht, ein Rückfall auf primitivere Formen der geistigen Entwicklung zu sein, bringt weiter nichts als den Fehler derjenigen psychologischen Erklärung zum Ausdruck, die oben kritisiert wurde.

Dieses politische Programm ist Anti-Kritik: Praktisch etwas an der kapitalistischen Wirklichkeit zu kritisieren ist von diesem Programm, das eine Kritik danach bemisst, ob sie sich auf Personen bezieht, eigentlich untersagt, weil man es bei der Auseinandersetzung mit den Interessengegensätzen, die diese Gesellschaft beherrschen, immer und zwangsläufig mit den Personen zu tun hat, die diese Interessen verfolgen und die daraus resultierenden Gegensätze austragen. Mit wem auch sonst?! Stattdessen schreibt es vor, bei jedweder Unzufriedenheit, die sich irgendwo äußert, höllisch aufzupassen und sich mit sich selbst zu befassen, bevor man sich mit der Realität auseinandersetzt. Also ist die beste ‚Gesellschaftskritik‘ eine, die als Resultat beim eigenen Ich landet. Konsequenterweise bleibt damit als andere Seite der ‚politischen Praxis‘ die Verteidigung der bürgerlichen Werte wie „individuelle Freiheit“, „Selbstbestimmung“ usw. gegen die angeblich „drohende Barbarei“8. Diese bürgerlichen Werte werden somit vor jeder Kritik geadelt: Indem man der Freiheit das Prädikat ‚Errungenschaft‘ zuschreibt, erklärt man sie für ‚unhintergehbar‘; die darf man also auch nicht kritisieren, weil wer das tut, ohnehin blind für die Notwendigkeit des Kampfes gegen die Barbarei ist. Da ist nicht mal mehr die Frage erlaubt, ob die Freiheitswerte, die in der modernen Gesellschaft geschätzt werden, nicht ihrem ganzen Inhalt nach die dem Kapitalismus angemessene Form bürgerlicher Herrschaft darstellen, weil die Freiheit, die in dieser Gesellschaft herrscht, zum Inhalt hat, dem freien Menschen die Verpflichtung aufzunötigen, nur mit dem Seinen zurechtzukommen – und die materielle Lage des Einzelnen daher sehr davon abhängt, über was für ökonomische Mittel er im Rahmen seiner Freiheit gebietet. Diese Werte hochzuhalten ist also gerade das Gegenteil von Staatskritik, nämlich die Verteidigung eines Ideals von ihm, nicht nur bei Israel.

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Noch ein Angebot zur Klärung der Frage nach der „personalisierenden Kritik“

Wer Ackermann, Merkel, „gierige Finanzkapitalisten“, „Spekulanten“ oder „Heuschrecken“ kritisiert, kritisiert nicht, wie von EmaFrie behauptet, einfach eine Person statt des Systems. Wer solche Vorwürfe ausspricht, hat bei seiner Kritik nämlich immerhin noch eine Funktion im Kopf: Weder „Heuschrecke“ noch „Kapitalistenschwein“ ist ja die Beschreibung eines bestimmten Menschen, sondern identifiziert eine Personengruppe nach der ökonomischen oder politischen Rolle, die sie in diesem System spielt – man kommt ja nicht zufällig gerade auf Ackermann oder Merkel. Dieser Funktion werden lauter positive und eigentlich nützliche Eigenschaften angedichtet: Der Kredit sei eigentlich dazu da, die Wirtschaft, die man braucht, mit Geld zu versorgen; der Kapitalist sei eigentlich dazu da, Arbeitsplätze zu schaffen, von denen man leben kann; die Kanzlerin sei eigentlich dazu da, einen harmonischen Interessenausgleich in der Gesellschaft zu organisieren, …, um dann an der Personifizierung dieser Funktion den guten Auftrag von dessen schlechter Verwirklichung abzutrennen: Wer „Heuschrecken“ kritisiert, führt die negativen Wirkungen dieser Geschäftsweise gerade nicht auf den kapitalistischen Zweck zurück, der die Finanzwelt regiert, sondern auf deren unsachgemäßen Gebrauch. Solcherlei Kritik richtet sich auf die Handhabung einer gesellschaftlichen Institution – Kredit, Zins, Regierung, Kapital,… – und nicht auf den ihr zugrundeliegenden Zweck. Den halten solche Kritiker umgekehrt für so gut und unzweifelhaft nützlich, dass sie die negativen Resultate, die sich im Kapitalismus systemnotwendigerweise einstellen, auf einen Missbrauch eigentlich guter Einrichtungen zurückführen. Wenn aber flächendeckender „Missbrauch“ von sämtlichen Mitteln, die die kapitalistische Welt beherrschen, vorliegt, dient das einem so denkenden Menschen als Beweis des üblen Charakters der Personen, die diese Funktionen ausüben: Dann ist man dabei, angesichts des überall vorliegenden Elends verdorbene und bösartige Personen, die ihrer eigentlichen Aufgabe einfach nicht nachkommen wollen, dafür verantwortlich zu machen. Der Vorwurf von EmaFrie, man hätte es hier mit „Kapitalisten- statt Kapitalismuskritik“ zu tun, trifft die Sache also nicht, weil solcherlei Kritik die Kapitalisten nicht als Kapitalisten, also ihrer ökonomischen Funktion nach kritisiert, sondern umgekehrt die Person des Kapitalisten für eine einzige Abweichung von dem guten Zweck, den ein Kapitalist eigentlich habe, hält. Der Grund dieser Personalisierung liegt also in einem positiven Urteil, das man über die kapitalistischen Einrichtungen hat. Damit ist auch die Frage beantwortet, was man als Linker gegen solcherlei Personalisierung zu tun hat: Es gilt, den Nachweis zu führen, dass Entlassungen, Lohnsenkungen, Betriebsschließungen usw. ihren Grund nicht des darin haben, dass Kapitalisten ihre vermeintlich eigentlich gemeinwohldienlichen Funktionen missbrauchen, sondern dass sie notwendiges Resultat der ganzen kapitalistischen Rechnungsweise sind, mit der man es zu tun hat. Dazu muss man sich allerdings um die Widerlegung der Denkfehler derer bemühen, die mit einer „personalisierenden“ Kapitalistenkritik die „Marktwirtschaft“ vor dem „Missmanagement“ der „Nieten in Nadelstreifen“ als „eigentlich beste Wirtschaftsordnung“ in Schutz nehmen. Man muss zeigen, wie Kapitalisten in ihrer Konkurrenz gegeneinander das durchsetzen, was EmaFrie von Marx gelernt haben wollen: „Das Kapital ist sich selbst verwertender Wert“. Bei ihrer „Kapital“-Lektüre müssen EmaFrie allerdings etwas übersehen haben: Das Kapital bringt es nämlich keineswegs von alleine fertig, sich selbst zu verwerten, sondern dazu braucht es Eigentümer – eben Kapitalisten –, die sich die Vermehrung ihres Geldreichtums zu ihrem Zweck machen, und eine politische Gewalt, die das Privateigentum so unantastbar macht, dass eigentumslose Arbeiter und Angestellte ihren Dienst an dessen Vermehrung als alternativlose Bedingung ihres Lebensunterhalts einsehen. Von dieser falschen Einsicht bringt man sie nicht ab, indem man ihnen (und auch gleich noch allen von EmaFrie „Traditionslinke“ genannten Parteien und Bewegungen, die sich in der Geschichte des Kapitalismus für dessen revolutionäre Abschaffung eingesetzt haben,) vorwirft, sie hätten – im Unterschied zu EmaFrie –„den Warenfetisch nie durchschaut“.

Fussnoten:

1) Nachzulesen im Internet: http://emafrie.de/was-ist-regressiver-antikapitalismus/
2) Davon zeugt die Beliebigkeit, mit der sie die unterschiedlichsten Vorstellungen aneinanderreihen: „Mal ist es einfach nur ‚der Ackermann‘, dann wieder sind es ‚die Politiker‘, ‚die Heuschrecken‘ oder überhaupt ‚die gierigen Bankster und Spekulanten‘ die an allem schuld sind.“ – Als würde sich jemand, der sich seine schlechte materielle Lage in der bürgerlichen Welt aus einem Versagen Anderer erklärt, einfach per Zufall mal auf irgendjemanden zeigen, Hauptsache, er hat auf eine Person gezeigt. Auch wird keinem dieser Subjekte unterschiedslos die Schuld „an allem“ gegeben, sondern immer an etwas Bestimmtem.
3) Wenn sie in manchen Nebensätzen des zitierten Flugblatts auf bestimmte Widersprüche einer für verkehrt befundenen Vorstellung aufmerksam machen, wäre dies zwar ein Ansatzpunkt für eine sachliche Kritik, dient jedoch nur der Bebilderung dessen, was sie den von ihnen zurückgewiesenen Vorstellungen vorhalten: Es ist halt alles viel komplexer und unheimlich schwierig zu verstehen.
4) Emanzipation und Frieden, „Wir über uns“: http://emafrie.de/wir-uber-uns/
5) Aus dem Flugblatt: „Was ist Antisemitismus?“, nachzulesen unter:
http://emafrie.de/was-ist-antisemitismus/
6) Was auch nicht sein kann: Wie kommt man denn von ‚bereichert sich auf Kosten anderer‘ zu ‚zerstört die nationale Harmonie‘ und schließt daraus ‚muss also eine fremde Rasse sein, die fertiggemacht gehört‘?! Antisemitismus ist alles andere als ein dumpfes Gefühl, das ‚tief in einem drin‘ steckt, sondern setzt offensichtlich schon eine knallharte nationalistische Beurteilung der Welt voraus!v
7) Flugblatt „Was ist Antisemitismus?“
8) Emanzipation und Frieden, „Wir über uns“: http://emafrie.de/wir-uber-uns/

Bestellung und mehr unter http://www.gegen-kultur.de

 

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