Nach Essen: Pladoyer für einen ehrlichen Antifaschismus!

Eine grundsätzliche Überlegung vorab. Die Antifa, von der wir so oft hören und lesen , kann es eigentlich gar nicht geben. Es ist eher eine Zweckgemeinschaft, die die verschiedenen Gruppen auf der Straße zusammenbringt, die teilweise wenig Gemeinsamkeit aufweisen. 

Der Text ist eine persönliche Einschätzung.

Ich persönlich kann mit Maulheldentum so gar nichts anfangen und die Stellungnahme einer mir unbekannten Gruppe Berliner Autonomer, kurz vor dem Parteitag der AFD in Essen, die von Politik, Polizei und Presse begierig aufgegriffen wurde, macht keinen Sinn. War das das Ziel ein möglichst breites Echo zu erhalten?

Nachzulesen, hier auf Indymedia:

 

„Ohne Übertreibung ist Stand jetzt davon auszugehen, dass Essen die stärkste und massivste Antifa-Aktion seit vielen Jahren ist. Wir werden aus Berlin mit vielen Menschen nach Essen fahren und der AfD in einer Weise entgegentreten, die es ihr unmöglich macht, auch nur eine Minute in Ruhe in der Grugahalle zu tagen.“ „Wir wollen den Samstag des 29. Juni bereits frühmorgens mit ein wenig Feuer einleiten, die wir so platzieren, dass der vereinigten AfD-Brut die Anreise zur Gugahalle bereits deutlich erschwert wird. Sollte die Partei es dennoch schaffen, dort zusammenzukommen, gehen wir zum offensiven Angriff über. Bulleneinheiten, die im Weg stehen, werden wir beiseite räumen. Ziel ist es, den Parteitag zu smashen. Nicht mehr und nicht weniger.“

Flammende Worthülsen ohne Substanz! Verdammt peinlich, so was!

Waren die erfolgreicheren antifaschistischen Proteste der letzten Jahrzehnte von der Anzahl und der verbalen Schärfe der Pamphlete abhängig? Für viele vor uns bedeutete antifaschistische Mobilisierung, sich im Vorfeld in der Bezugsgruppe über das Sinnvolle und Mögliche zu verständigen und entsprechend zu handeln.

 

Nennenswerte „autonome“ Proteste der beschriebenen Art hat es in Essen jedenfalls nicht gegeben und waren von den Vorbereitungsgruppen auch nicht gewollt. Schon der im Vorfeld formulierte Aktionskonsens  schloss dies aus.

 

Es hat immer wieder Versuche linker Organisationen gegegeben Proteste dogmatisch zu beeinflussen und für sich zu instrumentalisieren.   Nicht nur von einem Teil der "Autonomen", wobei sie ohnehin deutlich an Bedeutung eingebüßt haben dürften.   

 

Meines Erachtens, gelingt es heute eher weniger, selbstbestimmt und ergebnisoffen auf Taktik und Mobilisierung einzuwirken. Bestimmte politische Kräfte verfügen über eine ausgeprägte Fähigkeit, Menschengruppen in Bewegung zu setzen, zu schulen, zu trainieren, zu uniformieren, zu leiten und damit den Charakter antifaschistischer Proteste in ihrem Sinne zu bestimmen.

Die Protagonist*innen der Proteste können als Politiker*innen und weniger als echte außerparlamentarische Opposition verstanden werden.

Der Glaube, durch eigene Beteiligung etwas verändern zu können, mag bei einigen noch vorhanden sein. Aber die bestehenden Machtstrukturen können nicht ignoriert werden. Dies zu erkennen ist sicher keine Verschwörungstheorie. 

 Selbstkritische Auseinandersetzung ist dann nicht angebracht, obwohl sie hilfreich wäre. Die Proteste in Essen müssen vom Kreis der Organisator*innen unbedingt als voller Erfolg auf ganzer Linie gefeiert werden.  Dass der Staat über die Jahre so aufgerüstet hat, kann nicht zum Vorwurf gemacht werden. Die eigenen Jubelarien im Nachhall schon. Die abschließenden Worte von „Widersetzen Essen“ lauten:

„Mit unseren bunten Aktionen, des zivilen Ungehorsams haben wir der AFD ihren Parteitag der AFD so schwer, wie möglich gemacht. Mit uns hat der Kampf gegen den Faschismus ein neues Gesicht. Wir Migrant*innen, Queere und Menschen mit Behinderung haben geeinter denn je hier in Essen eine Bewegung aufgebaut, die 1932 gefehlt hat.“

 

Was für ein gequirlter Unsinn. Was für ein übersteigertes Ego! Das soll eine Auswertung der Proteste sein, die Hoffnung für die Zukunft macht? Dann feiert euch doch selbst! Ich will jedenfalls nicht Teil eurer Party sein.

 

Fakt ist, dass wir als Antifaschist*innen, die in Deutschland leben, uns in der Situation befinden, dass in der Bundesrepublik eine offen rechte Partei, die AFD, aktuell über solch große parlamentarische Macht verfügt und zukünftig noch mehr Ungemach droht.  Viel Undenkbares ist mittlerweile längst Normalität geworden.

Nach wie vor ist die Mitte der Gesellschaft daran beteiligt und damit Teil des Problems. Ein Umdenken ist hier nicht zu erwarten. Wohin soll das noch führen und wie sind wir Antifaschist*innen gegen diese Entwicklung aufgestellt? Die demokratische Lösung wäre wählen zu gehen und falls das nicht klappen sollte, die nächsten Jahre unter vergifteter AFD Herrschaft leben zu müssen, die dann versuchen wird ihre menschenverachtende Politik staatlich durchzusetzen.  Was für ein Alptraum!

Die traurige Entwicklung dürfte bei vielen die Euphorie stark dämpfen.  Ehrlich wäre es gewesen, die Anzahl der Demonstrant*innen in Essen richtig einzuordnen.75.000 bei der Großdemonstration und 7.000, die sich aktiv an letztendlich wenig erfolgreichen Blockadeaktionen beteiligt haben, scheinen erst einmal nicht wenig. Aber erinnern wir uns an die Zahlen der spontanen Demonstrationen gegen die AFD im Februar dieses Jahres, direkt nach dem unsäglichen Geheimtreffen für eine „Remigration“. Aus Empörung haben viele Menschen in vielen Städten, u.a. auch in Essen, gegen die AFD protestiert.  Ohne monatelange Vorbereitung, bundesweite Mobilisierung, oft mitten in der Woche.   Dieses Potential hat unsere Bewegung gegen die AFD wenige Monate später nicht mehr. Die Partei kann sich zurücklehnen, auch weil ein Gewöhnungseffekt eingetreten ist. In Essen war der Protest nach dem Geplänkel des ersten Tages schon nicht mehr der Rede wert. Im Februar hätte es mehr Gegenwind gegeben, davon ist auszugehen.

Auch die Mitte der Gesellschaft ist nach dem erkannten Skandal im Februar wieder zur Tagesordnung übergegangen.  Wir müssen uns daran gewöhnen, dass sich nach dem kurzen Entsetzen eigentlich nichts geändert hat.  Die Mitte trägt nach wie vor eine hohe Mitverantwortung für die Zustände. Es hilft nicht, sie aus taktischen Gründen zu entschulden.

Haben wir sie doch alle wieder beisammen. Medien, die jetzt nach Essen von Antifa-Gewalt schreiben und der AFD ihr demokratisch verbrieftes Recht auf ungestörten Parteitag zugestehen, am liebsten ohne zivilen Ungehorsam. Mediale Aufarbeitung systemischer Polizeigewalt findet kaum statt, höchstens wird erwähnt, dass die Organisator*innen der Proteste der Polizei Gewalt vorwerfen, was für die werte Leserschaft nun nicht die seriöse Quelle sein muss. Abgeschriebene Polizeiberichte  und  eigene Sprachlosigkeit, obwohl zahlreiche Pressevertreter*innen vor Ort waren und über Informationen verfügen, sind der Standard.

 Dann wieder Politiker*innen der Mitte, die nach Essen (erneut) ihre Empörung über die Gewalt der Antifa zum Ausdruck bringen. Für die Polizeigewalt grundsätzlich legitim ist, weil sie uns vor linken „Chaot*innen“ schützt, die unsere Demokratie gefährden und damit nicht besser sein sollen als faschistische Gewalttäter*innen.  Die wiederholt aus strategischem Kalkül den Faschist*innen die Hand schütteln. Die sich thematisch annähern, um Wahlen zu gewinnen oder auch, weil sie ohnehin ihre Einstellungen teilen. 

Und dann die demokratisch legitimierte Polizei, die die AFD bei ihren Veranstaltungen schützt. Die sich teilweise sogar im Dunstkreis von Rechtsextremismus bewegt. Schnittmengen soll es geben.

 

Die Mitte der Bevölkerung  fängt die AFD mit dem Lasso ihrer Themen ohnehin ein, wie man an den Wechselwählern zu ihr hin  leicht erkennen kann. Weite Teile lassen sich aufhetzen.

 

Die AFD kann sich jedenfalls entspannt zurücklehnen. Die Demokratie ist mit ihrer vielgepriesenen Mitte ihr Steigbügelhalter zur umfassenden Macht. Der Antifaschismus bleibt nicht mehr als ein Lippenbekenntnis.

 

Die Frage sei erlaubt. Was passiert, wenn die AFD, die längst die Systemfrage gestellt hat, die kommenden Wahlen für sich entscheidet?  Wie verhält sich die Mitte der Gesellschaft? 

Die Polizei wird sicher weiter ihre Rolle spielen. Einige im Apparat sympathisieren bereits mit dieser Idee, fast alle werden weiterhin ihren Dienst ausüben und dürften sich sogar wertgeschätzter fühlen. Werden wir als Antifaschist*innen unsere Rolle als Bürger*innen eines AFD-Staates ebenfalls erfüllen? Zumindest ein großer Teil von denen, die sich tarnen können, um Verfolgung damit zu umgehen. Schaffen wir es, nennenswerten Widerstand der verschiedene Mittel einschließt zu organisieren oder gehen wir zum Alltag über?  Diese Frage muss ich mir auch selbst stellen. Vor vielen Jahren, wäre sie für mich so einfach gewesen. Heute ist es eine Risikoabwägung.  Lohnt es sich, sich der Gefahr auszusetzen und alles dafür auf´s Spiel zu setzen?  Sind dir die Leute mit denen du gegen Rechts protestiert eigentlich sympathisch oder wirklich solidarisch?  Oder gefällt dir die Politik der dort oft mit demonstrierenden Gruppen überhaupt?  Aber sollte das eigentlich von Interesse sein oder ist es doch nur billige Ausrede? Wie wäre es mal mit Empathie mit Menschen, die sich vor der AFD Politik und ihren Auswirkungen nicht so einfach verstecken können? Ist dies nicht die soziale Kompetenz, die für mich die eigentliche Triebfeder des Antifaschismus gewesen ist und mich auch nach Essen geführt hat?

 Bin ich doch zu mehr  bereit, weil es keine Alternative mehr gibt und es sich nicht lohnt in einem Land unter AFD-Herrschaft zu leben? Denn ein "Weiter, wie bisher" kann es eigentlich schon jetzt nicht mehr geben.

Viele schauen erst einmal staunend auf andere europäische Länder mit einer anderen Protestkultur. Aber auch hier tritt schnell Ernüchterung ein, weil es auch dort nicht gelingt, z.B. einer faschistischen Regierung wie in Italien ernshaft etwas entgegenzusetzen. Auch unter Meloni leben Antifaschist*innen, die im Alltag reibungslos zu funktionieren scheinen. Wie sieht es in Frankreich aus? Und wi als Antifaschist*innen hier,  wie arrangieren wir uns? Sind wir nicht alle mitschuldig am gegenwärtigen Zustand? Sind wir uns unserer eigenen Verantwortung bewusst?

Für mich persönlich war Essen keine Erfolgsgeschichte.

Noch ist Zeit, etwas zu ändern. Sich zurückzulehnen, weil der Protest angeblich so gut gelaufen ist, bringt uns nicht weiter. Wer dort war, kann beurteilen, ob wir besser aufgestellt sind als 1932, wo Sitzblockaden ausgeblieben sind. Oder kann für sich entscheiden, ob es überhaupt gelungen ist, „Migrant*innen, Queere und Menschen mit Behinderung, geeinter denn je, als Bewegung zusammenzuführen. Ich jedenfalls habe das in Essen nicht so gesehen und sehe den eigenen, hier formulierten Anspruch, nicht umgesetzt. Für mich war es kein Beispiel gelebter Solidarität eines tragfähigen antifaschistischen Bündnisses, sondern eher ein Abgesang durch Schönfärberei und ein Schaulaufen  des Antifaschismus.

Ich bin nach wie vor sehr besorgt und habe, ehrlich gesagt, wenig Hoffnung für die Zukunft. Menschengemachte Krisen, die natürlich von der AFD verleugnet werden, werden antifaschistische Arbeit nicht erleichtern. Im Gegenteil, wird dann wohl erst recht nach unten getretet werden, so meine Befürchtung.

 

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Ergänzungen

Ein erster wichtiger Aufschlag, denn die "persönliche Einschätzung" betrifft wohl nicht nur Essen, sondern kann so auch auf andere Orte übertragen werden. Oft schauen wir machtlos zu (zuletzt bei Majas Entführung nach Ungarn. so wichtig die anschließenden Proteste waren, sind und sein werden: wird der deutsche Staat bei der nächsten betroffenen Person nicht exakt das selbe Vorgehen wählen. Wer oder was sollte die staatlichen Akteur*innen abhalten? die "Antifa" eher nicht).

Und das ist kein Defätismus, kein "Schlechtreden", wie vielleicht ein Vorwurf lauten könnte, sondern der obige Text ist meines Erachtens ein erste kritische Analyse- schmerzhaft. Aber notwendig, um dann hoffentlich mehr daraus zu machen- für die Zukunft.

Akivistis aus Düsseldorf haben sehr knapp ihre Erfahrungen aufgeschrieben, ich möchte das gerne mit euch teilen --> https://www.anti-kapitalismus.org/2024/06/29/kurze-anmerkungen-zu-den-protesten-gegen-den-afd-parteitag-in-essen-am-29-6-24/